Protokoll der Sitzung vom 06.02.2003

(Frau Feußner, CDU: Ist ja gar nicht wahr!)

Wer bei der Anhörung zu den Pisa-Ergebnissen im Monat Januar gut hingehört hat, kann nicht übersehen, dass dies einen Schritt genau in die falsche Richtung darstellt.

(Frau Feußner, CDU: Das sehe ich anders!)

Drittens. Nach der 4. Klasse haben Eltern noch das Wahlrecht für ihre Kinder und können entscheiden, ob ihr Kind auch gegen eine Empfehlung auf das Gymnasium gehen soll, in der 6. Klasse nicht mehr. Dort entscheiden Leistungsdurchschnitte über die Zuordnung zu einem auf den Hauptschulabschluss oder den Realschulabschluss orientierten Unterricht. Auch wenn in dem Verordnungsentwurf nun der Versuch gemacht wird, das wieder zurückzudrehen, geht das gar nicht. Wenn es im Gesetz steht, ist es Gesetz, und das kann man nicht durch eine Verordnung wieder aushebeln.

(Herr Dr. Schellenberger, CDU: Aber es gibt eine Übergangsregelung!)

Eltern und die betroffenen Schülerinnen haben einfach kein Mitspracherecht mehr. Die Perversion der ganzen Geschichte besteht darin, dass dieser Unterricht nicht einmal mehr als Bildungsgang definiert wird. Damit haben die Eltern einfach kein Wahlrecht mehr, weil man nur zwischen Bildungsgängen wählen kann.

Wer also - so würde ich als Mutter entscheiden - seinem Kind die Wege nicht verbauen will, ist fast genötigt, sein Kind zum Gymnasium zu schicken, wenn es nur einigermaßen aussichtsreich erscheint.

(Herr Dr. Schellenberger, CDU: Wenn man so diskutiert, ist es schlimm!)

Viertens. Den Schülerinnen der unterschiedlichen Schulformen wird nicht nur unterschiedliches, sondern unterschiedlich viel Wissen angeboten. Sonst fänden sich in den Zielbeschreibungen nicht so differenzierte Bestimmungen für das Maß an Allgemeinbildung, das vermittelt werden soll. Am Gymnasium soll eine vertiefte Allgemeinbildung, in dem auf den Realschulabschluss orientierten Unterricht - eine fürchterliche Wortkonstruktion, ich kann es aber nicht ändern - soll eine erweiterte und in dem auf den Hauptschulabschluss bezogenen Unterricht nur noch eine grundlegende Allgemeinbildung vermittelt werden.

Fazit: Von der 7. Klasse an sind Hauptschüler abgeschrieben.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Ohne Grund- legung geht das Ganze nicht!)

Fünftens. Der Hauptschulunterricht und der Realschulunterricht, gleich ob er im Klassenverband oder in leistungsdifferenzierten Gruppen erteilt wird, ist zieldifferent. Er ist auf den jeweiligen Abschluss orientiert und nicht darauf, zum Beispiel auch den nächsthöheren noch erreichen zu können. Dies aber war mit der neuen Sekundarschule angestrebt.

Ich frage mich schon, Herr Professor Olbertz, wie Sie aus einem einzigen Jahrgang eine Reihe von mehreren Jahren ableiten können. Denn die neue Sekundarschule ist jetzt einmal bis zur 10. Klasse durchgelaufen - ein einziges Mal. Den zweiten Jahrgang bekommen wir 2003.

Frau Dr. Hein, möchten Sie eine Frage des Abgeordneten Schellenberger beantworten?

Wenn, dann bitte am Schluss. - Das heißt, wer dem Hauptschulunterricht zugewiesen wurde, hat nur noch geringe Chancen, einen höheren Abschluss zu erwer

ben, wenn das gar nicht mehr das Ziel dieses Bildungsganges ist. Folgerichtig kann man auch nur bei Vorliegen besonderer Leistungen die 10. Klasse draufsatteln und den Realschulabschluss erreichen. Damit die Auslese komplett wird, werden auch noch die Restriktionen für das Verlassen des Gymnasiums und das Zurückverweisen in einen niedrigeren Bildungsgang der Hauptschule verschärft.

„Restriktionen“, das ist überhaupt das Schlüsselwort dieses Gesetzes.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Vor allem über äußeren Leistungsdruck und damit verbundene Rückstufungsmaßnahmen soll dem Bildungswesen des Landes Sachsen-Anhalt aus der Misere geholfen werden. Das wird in die Hose gehen, meine Damen und Herren. Das läuft konsequent gegen alle Erkenntnisse aus TIMSS-, Pisa- und OECD-Studien.

(Zustimmung bei der PDS - Frau Feußner, CDU: Das stimmt doch gar nicht!)

Falsche Schlüsse und Schnellschüsse noch dazu - das fasst zusammen, was die Koalition hier abgeliefert hat. Da hilft es auch nicht viel, dass die Landesregierung mit diesem Gesetz jetzt das zwölfjährige Abitur wieder möglich machen will. Diese Absicht hätten wir gern unterstützt,

(Herr Tullner, CDU: Ach so?)

- ja, sicher, das haben wir auch schon vorher erklärt - aber sie soll umgesetzt werden, ohne dass die leidige 265-Jahreswochenstunden-Regel außer Kraft gesetzt werden kann. Es soll außerdem zu schnell umgesetzt werden. Damit kommen Schülerinnen und Schüler in den Übergangsjahren auf bis zu 38 Wochenstunden Unterricht. Das hat uns der Kultusminister vorgerechnet. Das haben Sie in unserer Fraktion gesagt.

(Zuruf von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

- Doch, es ist wirklich so.

(Zuruf von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

- Nein, das haben Sie gesagt: Ein Jahr lang ist das auch mit 38 Wochenstunden zu machen.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Stimmt nicht!)

Wie auch immer, man kann es durchrechnen. Jede Gewerkschaft würde Krach schlagen, aber Schülerinnen und Schüler haben keine.

(Zurufe von der CDU)

- Uns geht es um die Kinder, Ihnen wahrscheinlich eher nicht.

Alternativlos ist das, was die Koalitionsfraktionen verfolgen, eben nicht. Wir sind mit unserem Gesetzesvorhaben anderen Zielen gefolgt. Unser Hauptanliegen war und ist die Profilierung der Sekundarschule zu einem gleichwertigen - nicht gleichartigen - Bildungsgang mit einem eigenen Profil als echte Alternative zum Gymnasium, das keine Bildungsperspektive verschließt und einen Vorteil für die Absolventinnen auf dem Ausbildungsmarkt darstellen könnte. Dem dienen alle unsere Bemühungen um eine stärkere Ausrichtung auf wirtschaftliche und technologische Prozesse, ein neues polytechnisches Profil, wenn man das so nennen will, aber eben auch ein neues.

Zudem orientieren wir vor allem auf Veränderung der Bildungsinhalte und einen auf die individuellen Leistungsvoraussetzungen ausgerichteten sozialen Nachteilsausgleich, damit möglichst alle Absolventinnen einen Abschluss der 10. Klasse erreichen können und nicht mit der 9.Klasse abgespeist werden. Einen abschlussbezogenen Unterricht gibt es daher mit unserem Vorschlag nicht.

Zudem orientieren wir auf eine umfassende Allgemeinbildung für alle Sekundarschülerinnen. Darum liegt unser Schwerpunkt auch auf der inneren Reform der Schule, der Bildungsinhalte, der Bildungsziele, auf der Stärkung der Eigenverantwortung der Schulen und auf pädagogischen Reformen. Vieles von dem, was uns vorschwebt, geht nach der Verabschiedung des vorliegenden Gesetzentwurfs nicht mehr.

Aber manches geht trotzdem. Und darum haben wir unseren im Ausschuss ohne eine Behandlung abgelehnten Entschließungsantrag überarbeitet und wieder eingebracht. Wir halten es für möglich und notwendig, weiter für inhaltliche Reformen zu werben, auch für eine Gleichwertigkeit der Bildungsgänge, für eine hohe Bildungsbeteiligung und für mehr Chancengleichheit. Dazu gehört auch, dass mehr Zeit in die Sekundarschulen investiert wird, zumindest nicht weniger als in den gymnasialen Bildungsgang.

Die Vorschläge dafür liegen auf dem Tisch. Ich verspreche Ihnen: Wir werden hartnäckig bleiben.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Dr. Hein. - Nun bitte die Frage von Herrn Dr. Schellenberger.

Ich frage Sie: Was halten Sie von individueller Förderung? Ist die individuelle Förderung nicht eine Möglichkeit? Bei der Anhörung haben Sie sicherlich gehört, dass das genau der Punkt ist, der sehr wichtig ist. Das haben Professor Baumert und die Finnin bestätigt. Ich denke, dass das Gesetz, das wir eingebracht haben, genau diese Möglichkeit bietet.

Ich halte von individueller Förderung sehr viel. Nur, in Ihrem Gesetz ist diese nicht vorgesehen worden. In Ihrem Gesetz ist vorgesehen, Hauptschüler genau auf diesen Hauptschulabschluss hin zu unterrichten. Wenn Sie dann noch wissen wollen, was das bedeutet, dann schauen Sie in das gestern bei uns angekommene Heft vom VBE. Darin setzt man sich mit der Hauptschule auseinander und geht damit noch härter ins Gericht, als ich es eben getan habe.

(Zustimmung bei der PDS - Herr Dr. Schellen- berger, CDU: Kann ich das bitte lesen? - Frau Dr. Hein übergibt dem Abgeordneten das ge- nannte Heft)

Vielen Dank. - Da die CDU-Fraktion auf einen Redebeitrag verzichtet, spricht nun für die SPD-Fraktion Frau Mittendorf. Bitte schön, Sie haben das Wort.

(Unruhe bei der CDU - Zurufe von der CDU: Nein!)

- Entschuldigung, bei der CDU-Fraktion hatte sich niemand gemeldet. Ich hatte eben nachgefragt.

(Unruhe bei der CDU - Frau Feußner, CDU: Wer sagt denn das?)

Falls sich jemand bei Ihnen bereit erklärt zu sprechen, dann bitte schön.

(Unruhe - Herr Koch, CDU: Er hat nicht einmal gefragt! Er hat nur gesagt, es ist nichts!)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Schulgesetzänderungen bringen natürlich immer Unruhe in den Schulbetrieb, die man, unabhängig davon, welche Partei Schulgesetzänderungen einbringt, natürlich weitestgehend vermeiden möchte. Nun standen wir als regierungstragende Fraktion vor einer wichtigen Frage, nämlich ein wirklich wenig Erfolg bringendes System zu belassen oder die Fehler, die in der Vergangenheit gemacht worden sind, zu korrigieren.

Nun mag man vielleicht unterschiedlicher Meinung darüber sein, ob sich ein Strukturwandel in den Schulen als Fehler erwiesen hätte, aber das 13. Schuljahr wurde von allen Fraktionen als mehr oder weniger korrekturwürdig angesehen. Und hinsichtlich der Differenzierung in das A- und B-Kurs-Niveau in der Sekundarschule gestand selbst die Opposition Fehler ein. Es wäre halt verbesserungswürdig, sagte Frau Mittendorf. Nur wie - das hat die SPD-Fraktion nicht gesagt.

(Frau Mittendorf, SPD: Indem man es abschafft, aber nicht so!)

Im Grunde sind unsere schulpolitischen Änderungen im Sekundar- und Gymnasialbereich auf weitestgehende Zustimmung gestoßen. Dies wurde auch in der Anhörung im Ausschuss deutlich, natürlich abgesehen von den Gewerkschaften, insbesondere von der GEW, die sich nach meiner persönlichen Meinung sogar im Ton vergriffen hatte.