Protokoll der Sitzung vom 14.03.2003

Auf uns scheinen auf jeden Fall schlechte Zeiten zuzukommen. Erstmals steht eine Erweiterung der EU bevor, die ohne jegliche zusätzliche Bereitstellung von Haushaltsmitteln vor sich gehen soll.

In der Präambel des EWG-Vertrags bekannten sich die sechs Signatarstaaten unter anderem zum gemeinsamen Bestreben - ich zitiere -, „ihre Volkswirtschaften zu einigen und deren harmonische Entwicklung zu fördern, indem sie den Abstand zwischen einzelnen Gebieten und den Rückstand weniger begünstigter Gebiete verringern“.

Die wirtschaftliche Integration avancierte so zum universellen Mittel von Friedenssicherung und Wohlstandssteigerung. Es waren gerade diese Ziele und die dabei erreichten Erfolge, die eine Mitgliedschaft in der EWG und später in der EU für schwächer entwickelte Länder so attraktiv machten, zumal ihnen die Solidarität der hoch entwickelten Länder für einen ökonomisch-sozialen Aufholprozess zugesichert wurde.

Nun könnte man sagen, das alles sei Geschichte, die Probleme heute seien andere; die EU sei keine Wohlfahrtsgemeinschaft, sondern eine Standortunion, in der harte geldpolitische Kriterien über die Zugehörigkeit zum Klub entschieden. Damit ist auch eine Absage an die Verheißungen wachsender Gleichheit und zunehmenden Wohlstands aus den Zeiten der EWG-Gründung verbunden; denn die Einhaltung der Maastricht-Kriterien ist nur dann möglich, wenn eine starke und zunehmende ökonomische Ungleichheit hingenommen wird.

Ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ ist die offenbar gewollte, unausbleibliche Folge. Chirac sprach von einer

Aufspaltung der EU-Mitglieder in eine „Avantgarde-Gruppe“ und einen mehr oder weniger großen Rest Europas.

Wir sind der Meinung, dass die Struktur- und Kohäsionsfonds - richtig angewendet - die größten, unmittelbaren und am deutlichsten sichtbaren Auswirkungen auf die Lebensbereiche der Menschen haben und deshalb unbedingt Bestandteil auch der künftigen Politik der EU nach der Erweiterung bleiben müssen.

Für das mehr oder weniger erfolgreiche Funktionieren des bisherigen Modells, von dem im Prinzip auch in den beiden vorliegenden Anträgen ausgegangen wird, müsste allerdings entweder der Finanzrahmen für die Beitrittsländer geändert werden. Entsprechende Überlegungen gibt es bereits, die die Beitrittsländer zu EU-Mitgliedern zweiter Klasse machen sollen. Die jetzt geplanten und zugesicherten Zahlungen sollen radikal gekürzt werden. Einen Trost gibt es allerdings für die Betroffenen: Bei der Beitragspflicht werden die neuen EU-Staaten den Altmitgliedern sofort gleich gesetzt. Oder es müsste der Haushalt der EU so umstrukturiert werden, dass sowohl die Beitrittsländer wie auch die bisherigen Ziel-1-Regionen gefördert werden.

Eine grundsätzliche Frage dabei ist - diese ist bisher nicht beantwortet worden -, wie gesichert wird, dass die Mittel für Strukturmaßnahmen auch tatsächlich für Vorhaben mit hoher wirtschaftlicher Effizienz und hoher sozialer Wirkung zum Einsatz kommen. Wir fordern eine Analyse der Gründe und Hemmnisse, die dafür verantwortlich sind, dass die Strukturmitteln bisher eben nicht voll ausgeschöpft wurden, sowie ein Konzept zur Behebung der Probleme. Im Haushaltsjahr 2002 gibt es voraussichtlich einen Überschuss in Höhe von 7 Milliarden €.

Es muss auch erlaubt sein, die Frage nach der Effizienz der Maßnahmen zu stellen. Wir schlagen vor, darüber nachzudenken, die Förderhöhe und das Pro-KopfEinkommen der Regionen zu entkoppeln. Das sollte eine Konzentration der Mittel ermöglichen. Zugleich verringert sich dadurch die Gefahr, dass die Förderung leistungsfähiger Regionen mit dem Überschreiten der 75%-Schwelle abrupt endet.

Wir halten es außerdem für erforderlich, die Frage der Kompetenzverteilung neu zu stellen. Der Ausgangspunkt hierfür ist und bleibt das Subsidiaritätsprinzip, wonach alle Angelegenheiten möglichst immer von der untersten Ebene zu entscheiden sind.

Dieser Grundsatz sollte nach unserer Meinung stärker auf die Verwaltung der Fonds angewandt werden. Das kann man mit Wohlstandsgewinn begründen. Die Zuständigkeit einer supranationalen Ebene ließe sich in diesem Fall dann rechtfertigen, wenn eine Umverteilung im Sinne eines Finanzausgleichs vorgenommen würde. Nach unserer Meinung wäre es auch sinnvoll, wenn die EU eine Mittelumverteilung nach einem vereinbarten Muster vornimmt und die Regionen selbst entscheiden können, welche Projekte realisiert werden.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Ja. - Ich weiß, dass das mit dem Konvergenzziel der EU kollidiert, aber auch darüber sollte zumindest nachgedacht werden. Der Ausgangspunkt für Reformen sollte

nach unserer Meinung die Abkehr von der einseitigen Finanzdiskussion sein und die Hinwendung zu der Frage: Was wollen die Mitgliedstaaten eigentlich erreichen? - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Danke, Frau Abgeordnete Dr. Klein. - Für die FDPFraktion spricht der Abgeordnete Herr Kosmehl.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Thema Strukturpolitik nach 2006 ist auch für die zukünftige Entwicklung Sachsen-Anhalts sehr wichtig. Unser Land ist neben den Steuereinnahmen und den Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich auch auf die Mittel aus den Strukturfonds der Europäischen Union angewiesen.

Mit dem 1. Mai 2004, dem voraussichtlichen Beitrittsdatum der neuen Mitgliedstaaten, verändern sich die Rahmendaten der Europäischen Union. So werden aus 15 Mitgliedstaaten 25, aus 370 Millionen EU-Bürgern ca. 470 Millionen EU-Bürger. Diese Aufzählung lässt sich beliebig fortsetzen.

Ein Fakt aber ist Gegenstand gleich zweier Anträge in diesem Hohen Haus: das veränderte durchschnittliche Bruttoinlandsprodukt. Mit dem von der Kommission am 30. Januar 2003 vorgelegten zweiten Zwischenbericht über den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt ist die Diskussion über die Zukunft der europäischen Kohäsionspolitik entfacht worden.

Auf der Grundlage der Daten aus dem Jahr 2000 beträgt das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Sachsen-Anhalt 75,4 % des künftigen EU-Durchschnitts. Im Ergebnis bedeutet das für unser Land, dass es aus der Ziel-1-Förderung nach 2006 ausscheiden würde. Innerhalb SachsenAnhalts zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede. Während der Regierungsbezirk Dessau mit 70,7 % noch deutlich unter der 75%-Schwelle liegt, übertreffen die Regierungsbezirke Halle und Magdeburg mit 77,2 % bzw. 76,2 % die Fördergrenze.

Betrachtet man die Daten aus dem Jahr 2000 bezogen auf die Europäische Union in heutiger Größe, das heißt mit 15 Mitgliedstaaten, ergibt sich, dass Sachsen-Anhalt ein Bruttoinlandsprodukt von 68,4 % erreicht und somit ohne Wenn und Aber weiterhin Ziel-1-Region wäre.

Problematisch erscheint mir daher die für die Förderung ausschlaggebende Berechnung. Wendet man die formalisierte Berechnung der EU-Kommission auch nach der EU-Osterweiterung an, so birgt das für Sachsen-Anhalt schwere Nachteile, weil das regionale Bruttoinlandsprodukt künstlich über die Fördergrenze von 75 % gehoben würde. Die berechnete Zahl von 75,4 % sagt jedoch nichts über den tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstand Sachsen-Anhalts im europäischen Vergleich aus.

Die FDP-Fraktion ist der Auffassung, dass der statistische Effekt, den eine EU-Erweiterung mit sich bringt, nicht zulasten Sachsen-Anhalts gehen darf. Nebenbei gesagt wird zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Gemeinschaft bzw. der Europäischen Union

eine so große Zahl von neuen Mitgliedstaaten aufgenommen. Auch dies ist ein Fakt, der bei der Diskussion um die Berechnung nicht außer Acht zu lassen ist.

(Zustimmung von Herrn Dr. Sobetzko, CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren! Die FDP-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt hat sich von Anfang an zur EU-Erweiterung bekannt, weil sie politisch und wirtschaftlich sinnvoll ist und für Sachsen-Anhalt Chancen eröffnet. Dies darf aber nicht den Blick dafür trüben, dass man im Zuge der anstehenden Erweiterung nicht nur über eine Reform der Institutionen und einen einheitlichen Verfassungsvertrag in einem Konvent beraten und öffentlich diskutieren kann, sondern dass man auch über die anderen Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel die formalisierte Berechnung und Festlegung von Fördergebieten, neu nachdenken muss.

Dabei ist Verschiedenes vorstellbar, zum Beispiel die Einführung weiterer Indikatoren zur realitätsnahen Beurteilung einer Region oder aber auch eine - wenn man will, auch einmalige - Erweiterung der Ziel-1-Regionen um die Regionen, die aufgrund des statistischen Effekts - ich sage es noch einmal - künstlich über die Grenze von 75 % gehoben würden.

Sachsen-Anhalt steht mit diesen Problemen nicht allein. Insgesamt 18 Regionen Europas sind von diesem so genannten statistischen Effekt betroffen. Daher kann eine Lösung der Problematik nur in einem gemeinsamen Vorgehen der betroffenen Regionen liegen. Die Landesregierung hat den Weg der gemeinsamen Konsultationen bereits beschritten.

Lassen Sie mich an dieser Stelle anmerken, dass dies aber nicht nur eine Aufgabe für die Landespolitik in Sachsen-Anhalt sein sollte, sondern insbesondere auch für die Bundespolitik und damit für die Bundesregierung, die nicht müde wird zu betonen, dass der Aufbau Ost Chefsache ist. Allerdings ist mir zugetragen worden, dass in der heutigen Regierungserklärung des Kanzlers ein Kapitel „Aufbau Ost“ fehlte. Das finde ich schade. Ich meine, dass der Bundeskanzler seine Versprechen für den Osten erfüllen sollte und sich auch der Thematik EU-Strukturpolitik annehmen sollte.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Sachsen-Anhalt braucht voraussichtlich auch nach dem Ablauf der nächsten Förderperiode im Jahr 2013 eine Förderung seitens der EU. Deshalb kann man auf die Lösung über ein Phasing-out nicht vertrauen. Wir streben deshalb eine Lösung als Ziel-1-Region an. Das müssen wir von Anfang an deutlich machen, weil die Regionen nur Übergangsregelungen erhalten, wenn sie das Förderziel bereits erreicht haben. Das ist in Sachsen-Anhalt nicht der Fall.

Meine Damen und Herren! Ich komme zum Ende. Die vorliegenden Anträge haben gemeinsam, dass sie eine Regelung der Strukturfonds nach dem Jahr 2006 mit den durch den Beitritt sich verändernden Rahmenbedingungen anstreben. Sie unterscheiden sich jedoch deutlich in der Zielrichtung, wie diese Regelungen aussehen sollen. Ich freue mich daher auf eine angenehme Beratung im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten. Die FDP wird einer Überweisung beider Anträge in den Ausschuss zustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Herr Abgeordneter Kosmehl. - Hat die SPDFraktion noch einmal Redebedarf?

Frau Präsidentin! Bei so viel Konsens nehmen wir von einer weiteren Grundsatzdebatte Abstand. Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuss.

(Beifall bei der CDU)

Frau Wybrands, möchten Sie noch einmal für die CDUFraktion sprechen? - Frau Wybrands möchte nicht noch einmal reden.

Dann treten wir in das Abstimmungsverfahren ein. Wir haben zwar von der Sache her zwei separate Anträge. Da es aber Konsens gab, dass beide Anträge in den Ausschuss überwiesen werden sollen, würde ich ausnahmsweise auf eine separate Abstimmung verzichten. Es ist noch nicht signalisiert worden, in welche Ausschüsse die Anträge überwiesen werden sollen.

(Frau Budde, SPD: Bundes- und Europaangele- genheiten!)

- Gibt es weitere Ausschüsse, die beratend tätig sein sollen? - Das ist nicht der Fall.

Dann stimmen wir über der Überweisung der Anträge in Drs. 4/602 und Drs. 4/615 in den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten ab. Wer damit einverstanden ist, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit ist die Überweisung einstimmig beschlossen worden. Wir schließen den Tagesordnungspunkt 14 ab.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung

Geschäftspolitik der Bundesanstalt für Arbeit

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/609

Alternativantrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/628

Alternativantrag der Fraktionen der FDP und der CDU - Drs. 4/632

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Dirlich für die PDS-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Bundesanstalt für Arbeit ist pleite - so lautete eine Spitzenmeldung am gestrigen Tag. Das Defizit zwischen den Einnahmen der Bundesanstalt und ihren Ausgaben beträgt schon jetzt über 1,5 Milliarden €. Das Mitglied des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit Georg Schmid, CSU, rechnet mit einem Defizit von 8 Milliarden € in diesem Jahr.

Dass die Bundesanstalt für Arbeit Defizite erwirtschaftet, ist wirklich kein neuer Zustand. Im Jahr 2002 war das Defizit auf 2 Milliarden € veranschlagt; so hoch sollte zumindest der Bundeszuschuss ausfallen. Gelandet ist die Bundesanstalt für Arbeit bei einem Bundeszuschuss