Protokoll der Sitzung vom 15.05.2003

Pisa und Erfurt haben in drastischer Weise gezeigt, dass fachliche Leistungen und soziales Lernen, Effizienz und Humanität, Lernprodukt und Lernprozess immer zusammengehören. Daran kommen wir nicht vorbei. Vorbei kommen wir auch nicht an der Erkenntnis, dass Schule mehr als Unterricht ist.

Wenn man die aktuellen öffentlichen Diskussionen zum Verhältnis von Schule und Gesellschaft genau betrach

tet, kommen zwei Grundpositionen klar heraus: Es gibt Stimmen, die glauben, dass die meisten der von den Lehrerinnen und Lehrern beklagten Probleme hausgemacht seien und nur durch mehr Engagement derselben auch wieder zu lösen seien. Außer Acht bleibt bei dieser Betrachtung, dass sich die gesamtgesellschaftliche Situation in den letzten Jahren erheblich verändert hat und somit auch die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen die Bewältigungsmöglichkeiten der Schule überschreiten.

Die anderen verweisen auf die gesellschaftspolitische Verursachung und Verantwortung und hoffen, dass Schule im Wesentlichen so bleibt, wie sie ist. Hierbei wird allerdings übersehen, dass sich die Schule aus dem gesamtgesellschaftlichen Strukturwandel nicht herauslösen kann. Es gibt keine Insellösung.

Die PDS ist der Auffassung, dass der Bildungs- und Erziehungsauftrag unter Berücksichtigung des Wandels neu zu bestimmen und in diesem Zusammenhang auch die Notwendigkeit und der Stellenwert sozialpädagogischer Profilbildung und der Schulsozialarbeit einzubeziehen ist und dass Schulsozialarbeit heutzutage als Regelaufgabe und nicht nur als Ergänzung zu betrachten ist und nicht ausschließlich zur Krisenintervention geeignet ist.

Eine Verbindung von Schule und Jugendhilfe, die in dieser sich verändernden Lebenswelt von immer größerer Bedeutung ist, stellt die Schulsozialarbeit dar. Die Ergebnisse aus der wissenschaftlichen Begleitung des Schulsozialarbeitsprojektes im Land haben deutlich nachweisbar gezeigt, wie groß im Land der Bedarf an Schulsozialarbeit ist. Dies sehen nicht nur neun von zehn Lehrerinnen und Lehrern so; vielmehr haben auch überraschend viele Schülerinnen und Schüler das Angebot der Schulsozialarbeit genutzt.

Die positive Wirkung der Schulsozialarbeit haben auch die meisten Schulleitungen anerkannt und berichten in Gesprächen von einem erheblich verbesserten Schulklima und von einer neuen Qualität des Schulalltags. So konnten Probleme wie Drogenkonsum, Schulabsentismus, Schulabbrüche, Gewalthandlungen usw. vermindert werden.

In Bernburg erklärte mir ein Schulsozialarbeiter an einer berufsbildenden Schule, er habe dort 40 Schulschwänzer gehabt, von denen einige die Schule noch nie von innen gesehen gehabt hätten, aber nachdem er sie betreut habe, hätten immerhin 30 ihren Abschluss gemacht.

Schulsozialarbeit richtet sich in erster Linie an Kinder und Jugendliche, die sozialpädagogische Hilfe und Unterstützung benötigen. Sie richtet sich aber auch an Erziehungsberechtigte und Lehrkräfte.

Eine Lehrerin aus Aschersleben erklärte mir, dass sie nach der Arbeit mit der Schulsozialarbeiterin an der Schule ihre Schüler endlich verstehe.

Viele von Ihnen werden diese Beispiele kennen, und nicht zuletzt die Anhörung im Dezember hat gezeigt, wie wichtig Schulsozialarbeit ist.

In der letzten Debatte zu diesem Thema im Sommer 2002 haben alle Fraktionen, insbesondere die FDP-Vertreterin, erklärt, wie wichtig ihnen Schulsozialarbeit sei; und dass die Erfolge bundesweit Anerkennung fänden, werde nicht bestritten.

Ich finde, wir können auf diese Projekte stolz sein, die so große Beachtung finden. Ich finde es gut, dass dies auf die fachlichen Konzepte und die Qualitätsstandards zurückzuführen ist.

Aber wie geht es nun weiter? - Die Ersten orientieren sich neu und verlassen das Land. Andere halten ihre Kündigung bereits in den Händen. Und was wird aus den Kindern und Jugendlichen?

Die Landesregierung zieht sich auf die Erkenntnis zurück, dass die Jugendhilfe nach § 13 KJHG eine Aufgabe der Kommunen ist und schiebt denen den schwarzen Peter zu. Die Kommunen können den finanziellen Mehrbedarf, wie wir alle wissen, nicht schultern. Auch die Aussage, dass das FAG ab dem Jahr 2004 eventuell ausgeweitet werde und aus den Mitteln der Jugendpauschale und aus dem Feststellenprogramm nun auch die Schulsozialarbeit finanziert werden solle, ist nach meiner Auffassung ein Lippenbekenntnis.

Die PDS-Fraktion erwartet eine klare Aussage hier und heute und in den Ausschüssen, wie Schulsozialarbeit weitergeführt und die qualitativen Angebote weiterentwickelt werden sollen. Wir können nicht länger warten.

Herr Olbertz, Sie haben in der letzten Debatte im Landtag zu diesem Thema gesagt - ich zitiere -:

„Systematisch besteht die schulpolitische wie pädagogische Aufgabe darin, die Anlässe für Schulsozialarbeit zu minimieren.“

Wenn ich Ihrer These folge - ich melde daran aber erhebliche Zweifel an -, dann geht das nur mit Schulsozialarbeit. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Ferchland. - Als erster Redner in der Debatte hat Herr Minister Kley um das Wort gebeten. Bitte, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für das Modellvorhaben Schulsozialarbeit war eine fünfjährige Laufzeit bis zum 31. Dezember 2002 vorgesehen. Durch die Bereitstellung von weiteren Landesmitteln in Höhe von ca. 1 Million € konnte die Projektarbeit bis zum Ende des laufenden Schuljahres verlängert werden.

Das Modellvorhaben Schulsozialarbeit ist - das haben wir wiederholt geäußert - zum Teil sehr erfolgreich gewesen. Für den Erfolg gibt es viele Gründe. Herausstellen möchte ich hier erstens die gute Arbeit der 70 sozialpädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort in den Schulen, insbesondere in den sozialen Brennpunktgebieten in Sachsen-Anhalt, zweitens die Beratung, die Begleitung und die Verwaltung der Schulsozialarbeitsprojekte durch die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung Berlin in der Arbeitsstelle für Schule und Jugendarbeit im Eine-Welt-Haus in Magdeburg sowie drittens die Qualitätssicherung der Projekte durch die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation durch die MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg, Fachbereich Erziehungswissenschaften.

Ganz sicher hat zum Erfolg der gegenwärtig noch laufenden 67 Projekte auch die hohe finanzielle Beteiligung

des Landes beigetragen. Auf dem Wege der Projektförderung wurden zu 90 % Landesmittel eingesetzt. Die 10 % Eigenmittel konnten durch die freien Träger teilweise durch geldwerte Leistungen erbracht werden. Seit dem Jahr 1998 wurden schuljahresbezogen insgesamt 4 Millionen DM - das sind über 2 Millionen € - Landesmittel für das Programm Schulsozialarbeit eingesetzt.

Bei der Einführung der Maßnahmen waren Kooperationen zwischen Jugendhilfe und Schule bundesweit noch nicht selbstverständlich, wurden aber auf allen Ebenen als notwendig hervorgehoben. Darüber hinaus gab es aufgrund der gesellschaftlichen Veränderungen an vielen Schulen in Sachsen-Anhalt Probleme, sodass sich das Land entschlossen hat, mit sozialpädagogischen Maßnahmen helfend einzugreifen, und zwar mit einem Programm Schulsozialarbeit als fünfjähriges Modellvorhaben.

Der Charakter des Modellhaften wird durch die wissenschaftliche Begleitung seitens der MLU während der gesamten Laufzeit unterstrichen. Dadurch wurden die Qualitätsentwicklung gefördert und die Ergebnisse ausgewertet. Im letzten Halbjahr 2002 konnten lange Zeit keine endgültigen und definitiven Aussagen zur Weiterführung des gemeinsamen Förderprogramms gemacht werden. Das hatte vor allem folgende Ursachen:

Die Rechtsgrundlage für die Schulsozialarbeit ist das Kinder- und Jugendhilfegesetz. Dieses Gesetz unterscheidet zwischen örtlichen und überörtlichen Aufgaben. Danach, meine Damen und Herren, ist jede Maßnahme der Schulsozialarbeit eindeutig dem Zuständigkeitsbereich des örtlichen Trägers, also den Kommunen, zuzuordnen. Es gibt keinen überregionalen Bezug, wenn Schulen mit regionalem, meist sogar wohnortbezogenem Einzugsbereich betroffen sind. Das Verständnis für diese Zuständigkeit der Kommunen lässt der Antrag der PDS-Fraktion leider vollständig vermissen.

Ungeachtet der Zuständigkeit nach dem KJHG haben mein Kollege Olbertz und ich uns intensiv um eine Verständigung mit den kommunalen Spitzenverbänden bemüht, um die Maßnahmen der Schulsozialarbeit weiterführen zu können. Die Versuche, die Finanzierung gemeinsam mit der örtlichen Ebene zu sichern, haben leider nicht zum Erfolg geführt. Die Förderung der Maßnahmen der Schulsozialarbeit wird deshalb seitens des Kultus- und des Sozialministeriums am Ende des Schuljahrs 2002/2003 eingestellt.

Dennoch möchte ich betonen, dass die Landesregierung auch weiterhin Initiativen zur Schulsozialarbeit und sozialpädagogische Maßnahmen an Schulen unterstützt. Dazu will ich einige Beispiele darstellen:

Die Kommunen erhalten durch mein Haus Finanzmittel aus der Jugendpauschale. Im Rahmen dieser Jugendpauschale können in Zukunft auch Projekte der Schulsozialarbeit finanziert werden. Hierzu haben wir die Regelungen für die Verwendung der Mittel aus der Jugendpauschale gelockert.

(Frau Dr. Kuppe, SPD: Wird sie dann aufge- stockt?)

- Wir werden - das betrifft auch das Feststellenprogramm - versuchen, den Finanzumfang zu halten, Frau Abgeordnete Kuppe. Auch Ihnen ist sicherlich die schwierige finanzielle Lage des Landes bekannt. Wenn das Land sich im kommunalen Bereich engagiert, sollte man nicht zusätzliche Forderungen aufmachen, sondern

sollte dankbar sein, dass wir uns gemeinsam dieser schwierigen Themen annehmen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Des Weiteren können Schulen gemeinsam mit einem freien Träger bei den staatlichen Schulämtern Anträge auf Zuwendungen im Rahmen des Programms „Bildungsbezogene Projekte“ stellen. So können Projekte mit sozialpädagogischen Maßnahmen auch von den staatlichen Schulämtern gefördert werden. Bei der Arbeit an Schulprogrammen im Rahmen der inneren Schulentwicklung geht es zwar vorrangig um die Verbesserung von Unterricht, aber es wird auch positive Auswirkungen auf das Schulklima geben, die sich dann sozialpräventiv auswirken werden.

Außerdem wird das Land Sachsen-Anhalt an dem Investitionsprogramm des Bundes „Zukunft Bildung und Betreuung“ mit einem Gesamtvolumen von 4 Milliarden € für die Jahre 2003 bis 2007, welches unmittelbar vor dem Start steht, bis zum Jahr 2007 in einem Umfang von 125,6 Millionen € partizipieren. Die Landesregierung arbeitet intensiv an den Regelungen zur landesinternen Umsetzung des Programms. Dabei zeichnet sich ab, dass der wesentliche inhaltliche Schwerpunkt im Land Sachsen-Anhalt beim Ausbau und der Qualifizierung von Ganztagsangeboten auch im Sekundarschulbereich liegen wird. Das Kultusministerium sieht einen besonderen Förderungsaspekt im Sekundarbereich I mit dem Schwerpunkt „Sozialpädagogische Aufgabenstellung“.

Auf der Grundlage eines pädagogischen Konzepts können offene, teilweise gebundene, gebundene Ganztagsschulen und offene Ganztagsangebote zwischen Grundschulen und Horten von Trägern der Jugendhilfe gemäß dem Kinderförderungsgesetz gefördert werden. In dem Ganztagsprogramm können sozialpädagogische Schwerpunkte gesetzt werden. Auch dadurch ist eine teilweise Kompensation der Maßnahmen zur Schulsozialarbeit möglich.

Des Weiteren ist eine Broschüre mit dem Titel „Schulsozialarbeit“ aus der Reihe „Richtlinien, Grundsätze, Anregungen“ im Jahr 2002 vom Kultusministerium herausgegeben worden. Diese kann für die öffentlichen und freien Träger der Jugendhilfe sowie für die Schulträger unterstützend wirken und als Arbeitsgrundlage und praktische Hilfe für die Entwicklung von neuen Projekten zur Kooperation von Schule und Jugendhilfe dienen.

Ich möchte noch auf den Antrag der Fraktion der PDS im Detail eingehen. Der Antrag der Fraktion der PDS unter Nr. 1 lautet:

„Die Landesregierung wird aufgefordert, die Voraussetzungen für die Entwicklung der sozialpädagogischen Arbeit an den Schulen von SachsenAnhalt zu sichern und auszubauen.“

Dazu muss gesagt werden, dass dieser Antrag von falschen Voraussetzungen ausgeht. Es entspricht weder dem Auftrag der Schule, noch ist es im Schulgesetz verankert, für die sozialpädagogische Arbeit an Schulen verantwortlich zu sein. Im Zuständigkeitsbereich der Schulen liegt es vielmehr, dafür zu sorgen, dass die der Schule anvertrauten jungen Menschen eine ihre Fähigkeiten und ihre Neigungen fördernde Erziehung, Bildung und Ausbildung erhalten. Das ist der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule.

Im Gegensatz dazu ist die Sozialarbeit in Schulen im Kinder- und Jugendhilfegesetz, vor allem in den §§ 1, 11

und 13, geregelt. Danach reicht der Handlungsauftrag der Jugendhilfe von einer sozialpädagogischen Reaktion auf bestehende Problemlagen von Kindern und Jugendlichen über eine Unterbreitung präventiver Angebote für die Heranwachsenden und deren Eltern bis hin zur Interessenvertretung junger Menschen.

§ 13 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes zielt insbesondere auf die Unterstützung junger Menschen mit sozialen Benachteiligungen und individuellen Beeinträchtigungen, zum Beispiel Behinderungen, Delinquenz oder Lernstörungen, ab. Die entsprechenden Angebote der Jugendhilfe sollen die schulische und berufliche Ausbildung fördern. Die Zuständigkeiten hierfür liegen nach dem KJHG nun einmal vor Ort, bei den Kommunen.

Deshalb sollte der Antrag der PDS-Fraktion abgelehnt werden. Stattdessen schlage ich vor, dem Alternativantrag der FDP- und der CDU-Fraktion zuzustimmen. Bei einer solchen Beschlusslage würden die geltenden Rechtsgrundlagen zugrunde gelegt und die geltende Verantwortlichkeit zum Ausdruck kommen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Kley. - Die Debatte der Fraktionen wird von der FDP-Fraktion begonnen. Es spricht Frau Seifert. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Die Schulsozialarbeit - darin sind wir uns sicherlich alle einig - ist ein wichtiger Bestandteil der Jugendsozialarbeit geworden und hat damit das Ziel des Modellprojekts „Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe“ weitestgehend erreicht.

In dieser Legislaturperiode haben wir uns schon mehrfach mit dem Thema Schulsozialarbeit beschäftigt. Das ist Ihnen bekannt. In der Vergangenheit wurde seitens meiner Fraktion und des Sozialministeriums immer wieder darauf hingewiesen, dass die Schulsozialarbeit über ein Förderprogramm finanziert worden ist, das von Beginn an zeitlich begrenzt war, und dass mit dem Ziel, die Schulsozialarbeit als festen Bestandteil in die Jugendsozialarbeit zu integrieren, auch die Notwendigkeit bestand, die Finanzierung der Schulsozialarbeit in kommunale Verantwortung zu überführen.

Seit dem Runderlass des Kultusministeriums in Zusammenarbeit mit dem Sozialministerium vom 18. Februar 1998 gab es eine landesweite Förderung der Projekte der Schulsozialarbeit als Modellprojekte. Dieses Programm lief zunächst bis zum Ende des letzten Jahres. Das Ministerium für Gesundheit und Soziales und das Kultusministerium haben sich intensiv um eine Weiterführung des Projektes bemüht und nach neuen Wegen der Verständigung gesucht, um mit den kommunalen Spitzenverbänden zu erreichen, dass die Schulsozialarbeit weitergeführt werden kann. Der Minister hat das in seiner Rede ausführlich dargestellt.