Protokoll der Sitzung vom 03.07.2003

Das widerspricht sich ein wenig. Wenn die damalige Opposition zu Recht nicht nur einzelne negative Daten be

klagt und diese aufgebauscht hat, sondern nach Jahren einen sich abzeichnenden gefährlichen Trend anspricht mit dem Ziel, diesen zu ändern, hatte sie nicht nur das Recht dazu, sondern auch die Pflicht.

(Beifall bei der CDU)

Wenn das, was über den Zustand dieses Landes von der Opposition öffentlich verkündet wurde, nicht gestimmt hätte, sondern wenn die Lebenserfahrung der in diesem Lande lebenden Menschen anders gewesen wäre, hoffnungsfroher, würden Sie heute noch regieren.

Die schlimme Realität war allerdings, dass die Opposition von damals Recht hatte, und zwar hinsichtlich der Ergebnisse und hinsichtlich des Weges Ihrer Regierungspolitik, der schlichtweg in eine Sackgasse geführt hat, sodass sich nicht nur die Entwicklung einzelner Kennziffern von Monat zu Monat alarmierend gefährlich abzeichnete, sondern dass wir beinahe auf der ganzen Palette volkswirtschaftlicher Kennziffern, von der Arbeitslosigkeit bis hin zum Bruttoinlandsprodukt, verheerende Signale bekommen haben, die nicht nur Ausrutscher für ein Jahr waren, sondern die einen Trend widerspiegelten, der uns in die höchste Arbeitslosigkeit geführt hat.

Weil das so ist, glaube ich nicht, dass eine Opposition - das wird auch Ihnen nicht gelingen - einen Standort wesentlich nach vorn oder nach unten reden kann. Diese Kraft hat sie nicht, wenn die Landesregierung mit ihrem Regierungshandeln nicht eine entsprechende Wirklichkeit erzeugt.

Was das zynische Reden gegenüber Leuten angeht, die in Sachsen-Anhalt Arbeit suchen: Es ist nie zynisch, wenn man ordentlich analysiert, wo man wirklich steht. Insofern hat die Große Anfrage zumindest den Vorteil, dass man sich bei dieser Gelegenheit noch einmal die Zahlen ansieht und sich fragt: Wo stehen wir eigentlich?

Man kann aber ein Jahr nach dem Regierungswechsel einer neuen Regierung nicht prinzipiell wesentliche Trendwechsel zuschreiben, weil das in so kurzer Zeit schlichtweg nicht möglich ist, was die harten Fakten und Kennzahlen betrifft. Aber es ist gerade denen gegenüber, die Arbeit suchen, eine Verpflichtung, dass man schaut, wo man steht, und dass man sich bemüht, bessere Ergebnisse zu erreichen.

Die rund 300 000 Menschen, die als Arbeitslose registriert sind und von denen der größte Teil Arbeit sucht, brauchen eine Chance. Sie bekommen eine Chance auf einen vernünftig bezahlten Job nur, wenn sich alle in diesem Hause anstrengen. Insofern halte ich eine Debatte über die Zahlen und den Vergleich mit anderen nicht für schädlich, sondern, wenn wir sie richtig führen, sogar für anregend. Sie kann alle auf den richtigen Weg führen, damit wir ein investitionsfreundlicher Standort werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Gürth. - Bevor ich für die PDS-Fraktion Herrn Dr. Thiel das Wort erteile, habe ich die Freude, eine Seniorengruppe der Volkssolidarität aus dem Saalkreis auf der Tribüne begrüßen zu können.

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Dr. Thiel, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich denke, die Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion verdeutlicht die nach wie vor komplizierte und angespannte wirtschaftliche Situation in Sachsen-Anhalt. Wir als PDS-Fraktion sind weit davon entfernt, Wirtschaftsindikatoren und statistische Fakten eingeengt zu betrachten und überzubewerten. Deshalb übersehen wir auch nicht die positiven Entwicklungstendenzen und die Trends bei der Bruttowertschöpfung in der gewerblichen Wirtschaft und in der Außenwirtschaft in unserem Land.

Auch sollten wir nicht vergessen, dass unser Land über relativ stabile Agrarstrukturen verfügt und sich moderne Verarbeitungsbetriebe entwickelt haben. Wenn in 5 000 landwirtschaftlichen Betrieben fast 28 000 Menschen arbeiten und mit dazu beitragen, dass in 190 Unternehmen der Ernährungswirtschaft ca. 20 000 Beschäftigte Arbeit und Auskommen haben, so ist das auch ein Beispiel für funktionierende Wertschöpfungsketten.

Aber insgesamt stagniert die wirtschaftliche Situation in Deutschland und in Sachsen-Anhalt schon über mehrere Jahre hinweg, verbunden mit einer tiefen Krise der Staatsfinanzen, die vor allem die Kommunen lähmt.

Rot-Grün und Schwarz-Gelb gehen in ihren politischen Ansätzen davon aus, dass Sozialabbau unverzichtbar und alternativlos sei, um die wirtschaftliche Dynamik zurückzugewinnen. Die Probleme bestehen jedoch nach meiner Auffassung vorrangig darin, dass die zu geringen Zuwachsraten des Bruttoinlandsprodukts zu stark vom Export abhängen und der private und öffentliche Konsum und die damit verbundenen Investitionen stagnieren und teilweise zurückgehen.

(Beifall bei der PDS)

Die Agenda 2010 ist in diesem Sinne ökonomisch kontraproduktiv, da sie genau diese Binnenkaufkraft schwächt und nicht zu deutlichen Effekten beim Abbau der Arbeitslosigkeit führt, sodass es zu weiteren Steuer- und Abgabenausfällen kommen wird. Die Gefahr der Abwärtsspirale ist nicht durch Kürzungen bei den Arbeitseinkommen, den Sozialleistungen und den öffentlichen Investitionen zu bekämpfen - absolute Priorität muss die Stabilisierung der Nachfrage haben.

Es ist die Frage zu stellen: Was wollen Sie als Regierung in Sachsen-Anhalt eigentlich erreichen? Den schrittweisen Übergang zu einer sich selbst tragenden nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung oder die Verfestigung als Rückstandsregion mit dauerhafter Abhängigkeit von Alimentierungen?

Die Beschäftigungsquote entwickelt sich nicht so, wie vor Jahresfrist versprochen. Die Arbeitslosigkeit konnte nicht gesenkt werden und bewegt sich auf dem Niveau der Vorjahre. Eine Veränderung der Ausbildungsplatzmisere ist nicht in Sicht. Diesen Trends zu begegnen war die Landesregierung bisher nicht in der Lage. Die Antworten dazu haben wir bereits gehört.

Die beiden so genannten Investitionserleichterungsgesetze, die vor allem die wirtschaftliche Entwicklung nach vorn bringen sollten, haben kaum Impulse ausgelöst und werden solche auch kaum auslösen. Im Gegenteil: Ein Teil der Betroffenen stimmt zu, der andere Teil lehnt die Maßnahmen und Gesetze ab.

Das kann doch nicht der Weg sein. Polarisierende Wirkungen haben in rezessiven Zeiten noch nie die ge

wünschten Effekte gebracht. Wenn es in einzelnen Branchen zu einer erfolgreichen Entwicklung gekommen ist, dann hat das weniger mit der Wirtschaftspolitik der Regierung zu tun, als vielmehr mit dem engagierten Einsatz der Unternehmer und ihrer Belegschaften.

Sie, Herr Minister Rehberger, müssen sich deshalb wirklich fragen lassen: Wo liegt denn nun Ihre Verantwortung? Sie verstecken sich vielfach hinter Aktionismus und zeigen mit dem Finger nach Berlin. Ich denke, diese Frage ist durchaus berechtigt, auch wenn ich mir eventuell den Vorwurf einhandele, von Wirtschaftspolitik keine Ahnung zu haben.

Jawohl, Unternehmen brauchen Erleichterungen. Aber das erreicht man nicht durch die Beibehaltung von Niedriglöhnen und durch die Schaffung neuer Schieflagen in der Wirtschaft sowie durch unfaire Wettbewerbsbedingungen.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Frau Bud- de, SPD)

Was nützt zum Beispiel das Appellieren an Lohnzurückhaltung, wenn die Investoren mangels Nachfrage unzureichende Sachinvestitionen vornehmen? Auch unter diesem Aspekt haben wir das Ringen der IG Metall um die 35-Stunden-Woche im Osten als positiv bewertet. Wir können uns doch nicht damit abfinden, dass die vorhandenen Unterschiede in den Arbeits- und Lebensbedingungen zwischen Ost und West nicht mehr infrage gestellt werden dürfen. Die Behauptung, dass niedrigere Löhne und längere Arbeitszeiten Beschäftigung sichern, wird durch die lang anhaltende Arbeitslosigkeit längst ad absurdum geführt.

(Beifall bei der PDS)

In Wirklichkeit konzentrieren sich die größten Investitionen in den alten Bundesländern an solchen Standorten der Branche, wo obendrein die höchsten Stundensätze und die kürzesten Wochenarbeitszeiten gelten.

Darüber hinaus ist die Arbeitsproduktivität in der ostdeutschen Industrie - das wissen Sie selbst genauso gut wie ich - in den vergangenen fünf Jahren dreimal so schnell gestiegen wie im Westen und hat die Lohnkostenentwicklung hinter sich gelassen. Wird diese Schere nicht geschlossen, so bleiben wir ein Billiglohnland, das in Konkurrenz mit den neuen EU-Beitrittsländern aussichtslos agieren wird. Wenn das die wirtschaftspolitische Perspektive der Landesregierung ist, dann sollte sie das auch offen sagen.

Meine Damen und Herren! Sachsen-Anhalt braucht weiterhin die Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, allerdings in modernisierter Form. Länder mit besonderen Struktur- und Haushaltsproblemen sollten nicht mehr die Hälfte, sondern nur noch ein Viertel der Fördermittel kofinanzieren müssen. Diese Mittel sollten gezielter zur Schaffung von Arbeitsplätzen in wissensbasierter Produktion sowie für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten eingesetzt werden. Dafür sind nach unserer Auffassung im Landeshaushalt 2004 deutliche Zeichen zu setzen.

Nach unserer Auffassung sind auch bei der Offensive zur Ansiedlung von Unternehmen die derzeitigen Organisationsformen und Einrichtungen zu überprüfen. Deren Tätigkeit ist aufgabenwirksamer zu vernetzen. Das betrifft alle Gesellschaften, vom Bund über das Land bis hin zu den Kommunen. Es ist nicht zu verstehen, dass das Wirtschaftsministerium über die regionalen Wirt

schaftsfördergesellschaften wenig informiert ist und kaum Kontakt zu ihnen hat. Anders kann ich die Antwort auf meine Kleine Anfrage zu diesem Thema nicht interpretieren.

Wenn es gilt, Investoren zu gewinnen und diese bis zur Produktionsaufnahme zu begleiten, muss auch die bisherige Praxis bei der Beantragung, bei der Mittelverwaltung und vor allem bei der Entscheidungsbefugnis über die Vergabe von Fördermaßnahmen liberalisiert werden.

Ich glaube, Herr Präsident, ich habe sieben Minuten Redezeit.

Von den sieben Minuten sind reichlich sechs vorüber.

Na gut, ich habe nur fünf gesehen.

Die Hauptrichtungen der Wirtschaftsförderung, nämlich erstens die Stabilisierung vorhandener Unternehmen, zweitens die Ansiedlung von neuen Investoren und drittens das Voranbringen von Existenzgründungen, sind für uns kein Bermudadreieck, in dem Steuergelder verschwinden. Sie müssen durch die Landespolitik viel signifikanter als bisher auf ihre Nachhaltigkeit hin überprüft werden. Dazu findet man in den einschlägigen Berichten kaum eine Bewertung.

Schließlich ist die beste Form der Wirtschaftsförderung nicht vorrangig die Vergabe von Darlehen und Zuschüssen, sondern die gezielte Vergabe öffentlicher Aufträge und Investitionen an einheimische Unternehmen.

Ich komme zum Schluss. Die Antworten der Landesregierung lassen noch viele Fragen offen. Unsere Fraktion erwartet, dass vor allem über die wirtschaftspolitischen Vorhaben der Landesregierung, die zu einer Trendwende führen können, noch intensiver im parlamentarischen Rahmen diskutiert wird.

Herr Minister Rehberger, ich kann Ihre Position durchaus verstehen, die darauf zielt, Sachsen-Anhalt zum Musterland für Unternehmer zu machen. Aber ich meine, Sachsen-Anhalt sollte zum Wohlfühlland für alle hier Lebenden werden. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Dr. Thiel. - Nun erteile ich für die FDPFraktion Herrn Dr. Schrader das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im April wurde die Große Anfrage von der SPDFraktion gestellt, 50 Fragen auf sieben Seiten. Zwei Monate später lag die Antwort vor, auf 50 Seiten. Viele Seiten hätte man sich sparen können. Herr Gürth hat es bereits gesagt: Man hätte es nur nachlesen müssen.

Lassen Sie mich gleich zu einem Resümee kommen. Unter Berücksichtigung der globalen, europäischen, deutschlandweiten Gesamtsituation und im Vergleich mit den anderen neuen Bundesländern, aber auch im Vergleich zur Situation während der Amtszeit der Vorgängerregierungen kann man feststellen, dass eine ermutigende Bilanz zu ziehen ist. Was sehr wichtig ist und für mich das Wichtigste insgesamt: Das Image des Wirtschaftsstand

ortes Sachsen-Anhalt hat sich deutlich verbessert. Diese Aussage stammt nicht von mir. Die stammt von Dritten, die das wirklich ganz neutral sehen.

(Zuruf von Frau Dr. Sitte, PDS)

Zu den wirtschaftlichen Kennziffern haben der Minister und Herr Gürth ausführlich Stellung genommen. Ich will mich auf ganz wenige Aspekte beziehen, und zwar auf die kräftigen Impulse, die vom verarbeitenden Gewerbe gekommen sind. Die Bruttowertschöpfung stieg in Sachsen-Anhalt mit 6,5 % bundesweit am stärksten an. Das ist eine Hausnummer. Industriewachstum im ersten Quartal 2003: 16 %, sprunghafter Anstieg von Investitionsanträgen, Bewilligungen und damit ausgelösten Investitionen, die im Jahr 2002 immerhin um 1 Milliarde € höher lagen als im Jahr 2001.

(Frau Budde, SPD: Fragen Sie Ihren Minister, die sind noch nicht ausgelöst!)

- Ich glaube, ich rede mit meinem Minister häufiger als Sie.