Protokoll der Sitzung vom 03.07.2003

Im Bereich der Integration geht die FDP von der Notwendigkeit einer umfassenden Integrationsregelung durch eine flächendeckende Einführung von Orientierungssprachkursen aus, und zwar auch für diejenigen Zuwanderer, die schon heute bei uns leben. Dazu schlagen wir vor, einen Teilnahmeanspruch auf die Integrationskurse auch für die Ausländer einzuführen, die eine Aufenthaltsberechtigung oder eine Aufenthaltserlaubnis nach dem bisher geltenden Ausländerrecht für weniger als sechs Jahre haben.

Damit wird die aus unserer Sicht wichtige nachholende Integration gesetzlich verankert. Es ist daher für mich ein absolut unverständliches Versäumnis des wieder eingebrachten rot-grünen Gesetzentwurfes, dass sich die Integrationskurse nur an die Neuzuwanderer richten, während schon hier lebende Ausländer nach dem Ermessen der Verwaltung mit eventuell frei bleibenden Kursplätzen abgespeist werden sollen. Aus diesem Grunde sollten wir die nachholende Integration gesetzlich verankern.

Meine Damen und Herren! Wenn wir ein Zuwanderungsrecht schaffen, müssen wir gleichzeitig eine Integrationspflicht vorsehen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht nicht darum, Migranten ihrer Identität oder ihrer Kultur zu berauben. Es geht vielmehr darum, ihnen die Anpassung zu erleichtern. Daher schlagen wir vor, dass sie verpflichtend an Integrationskursen teilnehmen müssen. Die Nichtteilnahme soll Sanktionen, zum Beispiel Nichtverlängerung der Aufenthaltserlaubnis, auslösen können.

Meine Damen und Herren! Auch für die Integrationskurse muss klar geregelt werden, wer die Kosten zu tragen hat. Wir meinen, dass der Bund für den Basissprachkurs und den Orientierungssprachkurs zuständig sein sollte, aber auch - das ist neu - für die Kinderbetreuung und für die sozialpädagogische Betreuung während dieser beiden Kursphasen. Darüber hinaus muss auch die unter Umständen notwendige Alphabetisierung vor dem Beginn des Basissprachkurses auf Kosten des Bundes angeboten werden. Die Länder sollen dagegen wie bisher für die Aufbausprachkurse zuständig sein.

Meine sehr geehrte Damen und Herren! Der Politik bleibt mit dem Verfahren im Vermittlungsausschuss noch eine, auf lange Sicht vielleicht letzte Chance, ein modernes Zuwanderungsrecht zu schaffen. Alle Beteiligten sind aufgefordert, im Vermittlungsausschuss eine Einigung herbeizuführen. Die FDP hat mit dem Entwurf eines Zuwanderungssteuerungs- und Integrationsgesetzes Vorschläge auf den Tisch gelegt, die, wie ich meine, einen belastbaren Konsens aller Beteiligten darstellen würden.

Meine Damen und Herren Kollegen! Ich betone es noch einmal: Ein modernes Zuwanderungs- und Integrations

gesetz ist längst überfällig. Es ist Zeit, die bestehenden Blockadehaltungen aufzugeben. Es braucht Mut, das anzupacken. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kosmehl. - Meine Damen und Herren! Für die Landesregierung hat jetzt der Minister Herr Dr. Rehberger um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Das ist interessant! Die FDP geht heute vorneweg!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wanderungsprozesse sind, wie Sie wissen, in der Menschheitsgeschichte alles andere als eine Ausnahme. Dabei haben sehr unterschiedliche Motive eine Rolle gespielt. Aber meistens waren ökonomische Gründe ganz wesentlich und oft ausschlaggebend.

Die Zielgebiete der Auswanderer, also die Zuwanderungsgebiete haben auf diese Prozesse im Laufe der Jahrhunderte je nach Interessenlage unterschiedlich reagiert. Die Skala reicht von einer großen Aufnahmebereitschaft - im 19. Jahrhundert konnte man jederzeit in die USA einwandern, ohne dass es irgendwelche Probleme gegeben hätte - bis zu massiver Abwehr.

Wenn Sie sich heute die Grenze zwischen den USA und Mexiko anschauen, dann unterscheidet sie sich kaum von der Grenze, die einmal durch Deutschland führte. Allerdings gibt es einen Unterschied hinsichtlich der baulichen Situation: Die deutsch-deutsche Grenze war gesichert gegen die Abwanderung, die Grenze zwischen den USA und Mexiko soll illegale Zuwanderung abwehren. Auch dort spielen ökonomische Gründe eine überragende Rolle.

Deutschland war in den letzten 200 Jahren sowohl ein Auswanderungs- als auch ein Einwanderungsland. Im Kaiserreich sind zum Beispiel in großer Zahl polnische Gastarbeiter in das Ruhrgebiet eingewandert. Das war auch nötig, weil die deutschen Arbeitskräfte nicht im Mindesten ausreichten, um den Bergbau dort aufrechtzuerhalten oder weiterzuentwickeln. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es im Rahmen des wirtschaftlichen Aufstiegs in der westlichen Bundesrepublik eine starke Zuwanderung aus den südlichen Ländern Europas, insbesondere aus Italien und später auch aus der Türkei.

Das große Problem für uns in Deutschland war allerdings, dass ein extrem liberales Asylrecht die ökonomischen Wanderungsprozesse in ganz besonderer Weise belastet hat. Eigentlich beherrschte das Thema „Wirtschaftsflüchtlinge“ die gesamte Zuwanderungsdebatte. Heute leben 7,3 Millionen Ausländer in der Bundesrepublik. Das sind ca. 9 % der Bevölkerung. Verglichen mit anderen europäischen Nationen ist das keine dramatische Zahl.

Allein in den letzten Jahren lag die Zahl der Zuwanderer netto bei einer halben Million Menschen. Wie man sieht, setzt sich dieser Prozess fort. Daraus ergibt sich zwingend die Feststellung, dass Deutschland, unabhängig davon, ob man es förmlich erklärt oder nicht, ein Einwanderungsland ist. Meine Damen und Herren! Das ist lange verdrängt worden, eben unter dem Aspekt, dass

man sich lange Zeit mit dem Missbrauch des Asyls zu beschäftigen hatte.

Aber inzwischen gibt es einen breiten Konsens zwischen den Gewerkschaften, den Arbeitgeberverbänden, den Kirchen und anderen gesellschaftlichen Gruppen darüber, dass wir ein modernes Zuwanderungsgesetz benötigen. Wir benötigen es einfach schon deshalb, weil der Altersaufbau der deutschen Bevölkerung selbst in Ostdeutschland in einigen Jahren Zuwanderungen nötig machen dürfte, um dem Arbeitsmarkt gerecht zu werden und auch um die sozialen Sicherungssysteme aufrechtzuerhalten. Da wir das generative Verhalten der Bürgerinnen und Bürger nicht beeinflussen können und wollen, muss man sich in jedem Fall mit den Problemen und mit den positiven Perspektiven der Zuwanderung auseinander setzen.

Ich habe gestern als Wirtschafts- und Arbeitsminister an die Unternehmen im Lande appelliert, in noch stärkerem Maße als bisher Ausbildungsplätze für die junge Generation bereitzustellen. Aber ich kann heute schon voraussagen, dass wir in wenigen Jahren eine ganz andere Situation haben werden. Dann wird man nämlich händeringend Lehrlinge suchen.

Die Situation ist in Gesamtdeutschland deshalb etwas übertüncht worden, weil Ostdeutschland in der Generation der Jüngeren in den letzten Jahren einen Überschuss - wenn ich das so formulieren darf - zu verzeichnen hatte, der dazu beigetragen hat, das Lehrlingsproblem in Westdeutschland zu lösen. Aber diese Entwicklung dürfte in zwei bis drei Jahren definitiv zu Ende sein. Das wissen wir genau.

Deswegen meine ich, ist es richtig und wichtig, sich mit dem Thema Zuwanderung zu beschäftigen. Der Altersaufbau der Bevölkerung ist eine Größenordnung, die sich so schnell nicht verändern wird.

Meine Damen und Herren! Es ist nur partiell richtig, wenn gesagt wird, dass angesichts einer hohen Arbeitslosigkeit das Thema Zuwanderung keine Rolle spielen dürfe. Wir stellen fest, dass das Anforderungsprofil an neue Arbeitskräfte oft nicht mit dem identisch ist, was von den Arbeitslosen an Leistungen angeboten werden kann. Wir werden zum Beispiel, wie Sie wissen, auf dem flachen Land in wenigen Jahren - auch das steht mehr oder weniger fest - einen Ärztemangel haben - und das trotz einer bis dahin nicht niedrigeren Arbeitslosenquote. Man kann das eine mit dem anderen eben nicht verrechnen.

Es ist interessant - wenn ich das erwähnen darf -, dass selbst in Sachsen-Anhalt mit einer Arbeitslosenquote von über 20 % die Spargelernte und viele andere landwirtschaftliche Vorgänge nur mit Ausländern abgesichert werden können. Ich habe es nicht glauben wollen. Es ist mir aber glaubhaft dargestellt worden, dass bei den verschiedenen Ernten im Jahre 2003 ohne die insbesondere aus Polen kommenden Arbeiter das Problem nicht zu lösen ist. Die deutschen Arbeitsämter sind nicht in der Lage, das Problem mit deutschen Arbeitslosen zu lösen. Das zeigt, dass man hierbei nicht einfach eine Gesamtrechnung aufstellen darf, sondern dass man die Dinge gründlicher untersuchen muss.

Wichtig ist - ich möchte das unterstreichen, was Kollege Kosmehl eben ausgeführt hat -, dass ein Zuwanderungsgesetz die deutschen Interessen, die Interessen unserer Bevölkerung im Vordergrund sieht. Wir müssen uns so verhalten, wie sich andere schon seit langem verhalten,

indem wir die Zuwanderung in der Form steuern, dass sie volkswirtschaftlich für uns hilfreich ist.

Deswegen bedarf es einer ganz klaren Trennung zwischen ökonomisch erwünschter Zuwanderung und dem Asylrecht. Das Asylrecht kann nicht an ökonomische Aspekte anknüpfen, sondern es hat ganz andere Aufgaben.

(Beifall bei der FDP)

Deswegen ist es wichtig, eine saubere Trennungslinie zu ziehen. Diese Trennlinie kann durch ein solches Zuwanderungsgesetz gezogen werden.

Der Entwurf der Bundesregierung ist ein Entwurf, der, wie Sie wissen, durchaus erhebliche Kompromisselemente enthält. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller und der Bundesinnenminister Otto Schily haben in vielen Punkten einen Konsens erzielt - leider nicht in allen.

Ich möchte deutlich sagen, dass aus meiner Sicht eine Reihe von Regelungen einer gewissen Korrektur bedürfen, weil insbesondere eine Zuwanderung, die ökonomisch erwünscht ist, so verlaufen muss, dass die Integrationsaufgabe sinnvoll gelöst wird. Eine Zuwanderung ohne Integration schafft enorme Probleme für die Zukunft. Deswegen müssen die Integrationsbemühungen im Rahmen eines Zuwanderungsgesetzes besonders nachhaltig herausgestellt werden. Hierzu gibt es sicherlich an der einen oder anderen Stelle Verbesserungsbedarf.

Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung den Vermittlungsausschuss anrufen wird und dass damit der Bund und die Länder in dieser wichtigen Frage die Veranlassung haben, miteinander zu sprechen. Wenn die Bundesregierung in den relativ wenigen Punkten, die jetzt noch strittig sind, Kompromissbereitschaft zeigt, bin ich der Überzeugung, dass wir ein modernes und gutes Zuwanderungsgesetz bekommen werden.

Dieses Zuwanderungsgesetz wird insbesondere dazu beitragen, unsere ökonomischen Probleme zu lösen. Diese Probleme müssen wir lösen, wenn wir nicht zusätzliche krisenhafte Entwicklungen herausbeschwören wollen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren! Begrüßen Sie mit mir Damen und Herren des CDU-Ortsverbandes Osterburg.

(Beifall im ganzen Hause)

Für die SPD-Fraktion erteile ich nun der Abgeordneten Frau Krimhild Fischer das Wort. Bitte sehr, Frau Fischer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es interessant, dass zum Thema Zuwanderung für die Landesregierung heute Minister Rehberger gesprochen hat. Mich hätte dazu die Meinung des Herrn Innenministers interessiert.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Aber wahrscheinlich haben Sie nicht den Mut, Ihre Position hier darzustellen.

(Zuruf von Minister Herrn Dr. Daehre)

Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, dass die FDP-Fraktion der Auffassung ist, dass die Schaffung eines modernen Zuwanderungsgesetzes für Deutschland unabdingbar sei. Es ist erfreulich, dass die FDP-Fraktion an einem Meinungsaustausch über den Fortgang und die Entwicklung der Zuwanderung geeigneter Fachkräfte, insbesondere im Hinblick auf Sachsen-Anhalt, also unser Bundesland, interessiert ist. Von daher begrüße ich es, dass die FDP-Fraktion diese Aktuelle Debatte beantragt hat.

Ich finde es richtig und gut, dass wir uns im Landtag auch mit dem Thema Zuwanderung auseinander setzen. Allerdings kann ich die Begründung bzw. den angeführten Anlass für die Debatte nicht ganz nachvollziehen. In dem ersten Satz der Begründung des Antrages auf Durchführung einer Aktuellen Debatte heißt es:

„Das Thema Zuwanderung hat durch die Behandlung in der 789. Sitzung des Bundesrates vom 20. Juni 2003 erneut Aktualität erlangt.“

Meine Damen und Herren! Mit der Sitzung des Bundesrates hat das Thema keine Aktualität erlangt. Das von der Bundesregierung erneut eingebrachte Zuwanderungsgesetz hat in dieser besagten Sitzung keine Mehrheit gefunden und wurde deshalb an den Vermittlungsausschuss überwiesen. Auch das Land Sachsen-Anhalt hat dem vorgelegten Gesetzentwurf nicht zugestimmt. Wo bitte, werte Kolleginnen und Kollegen von der FDPFraktion, war zu diesem Zeitpunkt Ihre Stimme?

(Zustimmung bei der SPD)

Im Vorfeld der Beratung des Bundesrates hätten Sie als Koalitionspartner Ihren Einfluss geltend machen können. Da dieser Einfluss aber wahrscheinlich nicht sehr stark ist, hätten Sie darüber vor dem 20. Juni 2003 im Landtag debattieren müssen.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der FDP)

Das hätten Sie zum Beispiel mit einem Antrag tun können, der die Landesregierung auffordert, im Bundesrat dem Zuwanderungsgesetz zuzustimmen.

(Zustimmung bei der SDP - Herr Scharf, CDU: Das will die FDP gar nicht!)

Denn dann hätte die Landesregierung wahrscheinlich die Mehrheit der Stimmen dieses Parlamentes für ein Zuwanderungsgesetz mit auf den Weg nehmen müssen.

(Zustimmung von Frau Budde, SPD - Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)