Protokoll der Sitzung vom 03.07.2003

(Zustimmung von Frau Budde, SPD - Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

Sehr wahrscheinlich braucht die FDP-Fraktion die Rückenstärkung dieses Parlamentes und somit auch die Rückenstärkung der Opposition für die Meinungsfindung in der Landesregierung in Bezug auf die bevorstehenden Verhandlungen im Vermittlungsausschuss. Dabei sind wir natürlich gern behilflich.

(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU)

Ich möchte Ihnen kurz die Chronologie des Zuwanderungsgesetzes vor Augen führen, denn daran lässt sich deutlich machen, wie schwer sich ein so hoch zivilisiertes Land wie Deutschland mit einem so wichtigen Thema tut. Im Juni 2000 legt die FDP-Fraktion als erste Fraktion einen Gesetzentwurf vor. Im Juli 2000 beruft Innenminister Otto Schily eine Zuwanderungskommission. Rita Süssmuth erhält den Vorsitz. Im November 2000 präsentieren die Grünen ihr Modell. Im Juni 2001 verabschiedet die CDU ihr Konzept und die PDS

stellt ihre Eckpunkte vor. Am 4. Juli 2001 legt die Expertenkommission unter Leitung von Rita Süssmuth ihren Bericht vor. Fazit: Deutschland braucht Zuwanderung.

Zwei Tage später, am 6. Juli 2001, beschließt die SPDFraktion die Eckpunkte für ein Zuwanderungsgesetz. Am 30. Juli 2001 stellt Otto Schily den Referentenentwurf für ein Zuwanderungsgesetz vor und am 7. November 2001 beschließt das Bundeskabinett diesen Gesetzentwurf. In der ersten Lesung am 13. Dezember 2001 bleibt die Union bei ihrem Nein und meldet in 70 bis 80 Punkten einen Nachbesserungsbedarf an.

Am 16. Januar 2002 findet die Anhörung vor dem Innenausschuss des Bundestages statt. Fast alle 17 Experten unterstützen das Gesetz. Im Februar 2002 macht die rotgrüne Koalition der Union weitere Zugeständnisse und nimmt zahlreiche Forderungen auf. Am 1. März 2002 verabschiedet der Bundestag das Zuwanderungsgesetz der rot-grünen Bundesregierung. Am 22. März 2002 stimmt der Bundesrat diesem Gesetz zu. Am 20. Juni 2002 unterschreibt Johannes Rau als Bundespräsident das Gesetz.

Am 18. Dezember 2002 gibt das Bundesverfassungsgericht der Normenkontrollklage von sechs unionsgeführten Ländern gegen das Zustandekommen des Gesetzes im Bundesrat statt. Damit konnte das Zuwanderungsgesetz zum 1. Januar 2003 nicht in Kraft treten.

Seit dem 4. Juli 2001 - das ist auf den Tag genau fast zwei Jahre her - sind sich alle Experten einig, dass Deutschland aus Gründen des Arbeitsmarktes, aber auch aus Gründen der Überalterung eine Zuwanderung braucht. Seit August 2001 begrüßen die Wirtschaft, die Gewerkschaften, die Kirchen usw. den bis dahin vorgelegten Entwurf.

Es besteht kein Zweifel, dass wir Zuwanderung brauchen. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse auch im Bundesrat dauert das Gesetzgebungsverfahren schon drei Jahre, und ich meine, das ist kein Aushängeschild für die Politik.

Allerdings ist es so, dass man in verschiedenen Verbänden und Organisationen auch bei uns in Sachsen-Anhalt doch einen Schritt weiter ist. Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege ist auf dem Weg, ein Bündnis für Zuwanderung und Integration ins Leben zu rufen.

Natürlich wäre es schön, wenn es das Zuwanderungsgesetz bereits gäbe. Aber zum Beispiel die Liga, die sich in ihrer täglichen Arbeit mit der Problematik auseinander setzt, sieht das Bedürfnis zu reagieren, Kräfte zu sammeln, die Zuwanderung und Integration in Sachsen-Anhalt nicht dem Selbstlauf zu überlassen, sondern in einem Bündnis gezielt darauf einzugehen. Die SPD findet die Initiative sehr gut und sie wird sie auch unterstützen.

Auch wenn Sachsen-Anhalt mit 1,7 % neben Thüringen den geringsten Anteil an ausländischer Bevölkerung hat, ist es wichtig zu regeln, wie wir mit der Verpflichtung diesen Menschen gegenüber umgehen. Dafür ist das Zuwanderungsgesetz nötig, das sich auf folgende Schwerpunkte stützt:

vorbildliche Erfüllung der humanitären Verpflichtungen bei fairer Verfolgung der deutschen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen;

die neue Migrationspolitik agiert und gestaltet und sie überlässt Zuwanderung nicht dem Zufall;

wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Migrationspolitik ist eine breite gesellschaftliche und politische Akzeptanz;

das Schlüsselwort heißt Integration, in deren Blickfeld Zuwanderinnen und Zuwanderer und Einheimische stehen.

Es geht in Deutschland erstmals um ein eigenständiges Gesetz für Zuwanderung und Integration, das Steuerung, aber auch Begrenzung von Zuwanderung beinhaltet. Als wichtigsten Bestandteil dieses Gesetzes sehe ich, dass erstmals in Deutschland die Integration als gesetzliche Aufgabe festgeschrieben wird. Über die Festschreibung von bloßen Sprachkursen hinaus sind Orientierungskurse verbindlich, die in die Rechtsordnung, Kultur und Geschichte unseres Landes einführen.

Für den Erwerb eines dauerhaften Aufenthaltsrechts sind ausreichende Sprachkenntnisse und Kenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung nachzuweisen. Die Sprachkurse sind verpflichtend festgeschrieben.

Auch wenn klar ist, dass Integration Geld kostet, muss allen Beteiligten bewusst sein, dass das, was an der Integration gespart wird, alle Beteiligten später umso teurer kommt. Sprachkenntnisse sind die Voraussetzung, um sich im Schul- und Berufsleben zu behaupten und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.

Die Finanzierung der Integrationsmaßnahmen war im Bundesrat einer der Hauptstreitpunkte. Hält man die Integration für wichtig - darin sind wir uns, denke ich, alle einig -, kann man die Verantwortung nicht einfach abschieben.

So sieht die im Gesetzentwurf vorgesehene Kostenteilung zwischen Bund und Ländern aus: Finanzierung der Basissprachkurse und Orientierungskurse und Vollfinanzierung der Integrationsmaßnahmen für die Spätaussiedler durch den Bund, Finanzierung der Aufbausprachkurse durch die Länder und eine Beteiligung der Zuwanderer an den Kosten.

Ein weiteres Kernstück des Zuwanderungsgesetzes ist eine umfassende Neuregelung des Ausländerrechts. Das geltende Ausländerrecht wird durch ein neues Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet ersetzt. Im Zuwanderungsgesetz sind auch die wichtigsten Bestimmungen des Aufenthaltsrechts und des Arbeitserlaubnisrechts für Ausländer zusammengefasst.

Das Gesetz schafft damit klare rechtliche Rahmenbedingungen für die neue arbeitsmarktorientierte Zuwanderung; es wird die Internationalisierung der Hochschulen befördern. Die Zahl der Aufenthaltstitel wird nunmehr auf zwei reduziert, nämlich auf eine Aufenthaltserlaubnis - diese ist befristet - und auf eine Niederlassungserlaubnis - unbefristet. Ich denke, hierin steckt ein großes Stück Deregulierung und Entbürokratisierung, eine große Vereinfachung.

Als weiteren wichtigen Bestandteil des Gesetzes möchte ich noch nennen: Es wird ein Aufenthaltsrecht zu Erwerbszwecken festgeschrieben. Den Erwiderungen von der CDU, dass die Zuwanderung zulasten der Arbeitslosen im Land gehe, möchte ich entgegnen, dass ein so genanntes Vorrangprinzip Inhalt des Gesetzes ist. Das heißt, Arbeitsmigration kann nur stattfinden, wenn ein unabweisbarer Bedarf besteht. Und dieser Bedarf besteht nur, wenn ein Arbeitsplatz dauerhaft nicht mit einem deutschen oder einem EU-Bürger besetzt werden

kann. Diese Regelung wird leider immer wieder gern verschwiegen.

Das Verhalten der CDU wurde in der „Süddeutschen Zeitung“ mit „Zurück in die Gastarbeiterzeit“ betitelt. Es wurden wieder zahlreiche Änderungsanträge im Bundestag und im Bundesrat gestellt. Die CDU verzichtete auf Drängen der FDP auf die Abstimmung über ihre 137 Änderungsanträge im Bundesrat. Dieses Verdienst der FDP muss man anerkennen, auch wenn dies leider dem Gesetz in Gänze nichts genützt hat und eine Zustimmung nicht erfolgt ist.

Daher schöpfe ich aus der Aktuellen Debatte die Hoffnung, dass die Landesregierung sich nicht verweigert und aktiv den Kompromiss im Vermittlungsausschuss sucht und diesen dann hoffentlich auch unterstützt, indem sie dem Zuwanderungsgesetz in der dann gefundenen Fassung im Bundesrat zustimmt. - Vielen Dank.

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Fischer. - Für die CDUFraktion erteile ich jetzt dem Abgeordneten Herrn Kolze das Wort. Bitte sehr, Herr Kolze.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie alle haben die Entwicklung um das Zuwanderungsgesetz verfolgt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht das Zuwanderungsgesetz im Dezember des vorigen Jahres für verfassungswidrig und daher für nichtig erklärt hatte, brachte die Bundesregierung den nahezu unveränderten Gesetzentwurf erneut in den Bundestag ein. Der Bundestag stimmte dem Gesetz mit den Stimmen der Regierungsmehrheit zu. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 20. Juni dieses Jahres beschlossen, dem Gesetz nicht zuzustimmen. Die Bundesregierung will den Vermittlungsausschuss anrufen.

Meine verehrten Damen und Herren! Kaum ein Bereich der politischen Kultur in Deutschland ist so von Vorurteilen und Emotionalität geprägt wie die Zuwanderungspolitik - und zwar quer durch alle politischen Lager und Parteien.

Zurzeit leben etwa 7,3 Millionen Ausländer in Deutschland. Das sind etwa 9 % der Gesamtbevölkerung. Seit dem Jahr 1991 hat Deutschland einen Einwanderungsüberschuss von etwa 3,8 Millionen Menschen zu verzeichnen, davon über 2,3 Millionen Ausländer. Wie kaum ein anderes Land der Welt hat Deutschland in den vergangenen Jahren Zuwanderer aufgenommen.

Eine nüchterne Betrachtung der Einwanderungsproblematik muss natürlich die Befürchtungen und Ängste der Menschen ernst nehmen. Die sozialen und kulturellen Folgen einer bisher weitgehend ungeregelten und ungesteuerten Einwanderung sind nicht zu unterschätzen.

Das Thema der heutigen Aktuellen Stunde vermittelt den Eindruck, dass Zuwanderung nach Deutschland durch ein „modernes“ Gesetz problemlos zu steuern wäre. Die Realität sieht aber anders aus: Trotz Wirtschaftskrise und eines eher auf Vermeidung von Zuwanderung angelegten Ausländerrechts hat es allein in den letzten zwei Jahren eine Nettozuwanderung von über 500 000 Menschen nach Deutschland gegeben. Dazu werden demnächst noch zahlreiche Arbeitsuchende aus den mittel- und osteuropäischen Beitrittsstaaten kommen, deren Freizügigkeit im Rahmen der EU auf Dauer nicht beschränkt werden kann. Schätzungen gehen von einem

Migrationspotenzial von jährlich ca. 300 000 bis 400 000 Menschen aus.

Die Befürworter des Zuwanderungsgesetzes erwecken den Eindruck, nach der Verabschiedung eines Zuwanderungsgesetzes würden nur noch hoch qualifizierte Zuwanderer kommen. Dies entspricht aber keineswegs den Tatsachen. Durch das Zuwanderungsgesetz wird sich die Zuwanderung im Wege des Familiennachzugs und aus vorgeblich humanitären Gründen noch weiter verstärken.

Die geplante Aufwertung des Status von Ausländern, die eine nichtstaatliche oder geschlechtsspezifische Verfolgung geltend machen, wird ebenso einen weiteren Zuwanderungsanreiz auslösen wie die im Gesetz verankerte Härtefallregelung, wonach - abweichend von den im Gesetz festgelegten Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel - einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen erteilt werden kann. Damit wird eine Privilegierung derjenigen geschaffen, die sich ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Ausreise entziehen. Aufgrund der geplanten Abschaffung der Duldung ist zudem zu erwarten, dass der Personenkreis, der einen Aufenthaltstitel erhält und zum Familiennachzug berechtigt ist, sich erweitert.

Zusätzlich zu der ohnehin stattfindenden und durch das Zuwanderungsgesetz eher noch ausgeweiteten Zuwanderung soll nun der seit dem Jahr 1973 bestehende Anwerbestopp aufgehoben werden und eine arbeitsmarktunabhängige Zuwanderung aus demografischen Gründen ermöglicht werden.

Für eine solche zusätzliche Einwanderung besteht jedoch kein Bedarf. Wir haben in Deutschland zurzeit 4,5 Millionen Arbeitslose und eine nicht beim Arbeitsamt gemeldete „stille Reserve“ von wahrscheinlich zwei Millionen Menschen, die arbeiten würden, würde sich eine Möglichkeit dazu bieten. Wenn man darüber hinaus auch noch die ohne das Zuwanderungsgesetz erfolgende Zuwanderung berücksichtigt, wird es auf absehbare Zeit keinen Arbeitskräftemangel in Deutschland geben.

Meine Damen und Herren! Ein auftretender Mangel an bestimmten Fachkräften ist nicht Ausdruck eines Arbeitskräftemangels, sondern einer Diskrepanz zwischen der Struktur der Arbeitskräftenachfrage und der Struktur des Arbeitskräfteangebots.

(Zuruf von Frau Budde, SPD)

Derartige Funktionsstörungen sind durch eine verbesserte Qualifizierung und Weiterbildung, aber nicht durch Zuwanderung zu lösen.

(Zustimmung von Herrn Gürth, CDU)

Zuwanderung bei weiterhin bestehender Massenarbeitslosigkeit löst letztlich nur einen Verdrängungswettbewerb zulasten einheimischer Arbeitskräfte aus.

(Zustimmung bei der CDU - Frau Budde, SPD: Mittelalter ist das!)

Eine derartige Entwicklung ist nicht hinzunehmen. Darin sind wir uns sicherlich einig.

Unabhängig von der Arbeitsmarktlage gibt die demografische Entwicklung in Deutschland großen Anlass zur Besorgnis. Ein Ausgleich der zu erwartenden demografischen Entwicklung, insbesondere eine Kompensation des Alterungsprozesses ist - darin sind sich die Bevölke

rungswissenschaftler einig - durch eine verstärkte Zuwanderung nicht zu erwarten.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Der Zuwanderung kann in diesem Zusammenhang allenfalls eine abmildernde Wirkung zukommen. Durch Zuwanderung kann auch kein dauerhafter Ausgleich für die zurückgehenden Geburtenzahlen in Deutschland erreicht werden, zumal sich erfahrungsgemäß die durchschnittliche Kinderzahl von Zuwanderern derjenigen der einheimischen Bevölkerung mit der Zeit anpasst.

Darüber hinausgehende bevölkerungspolitische Ziele sind durch Zuwanderung nicht erreichbar. Das hierfür erforderliche Maß an Zuwanderung würde die Grenzen der Aufnahmefähigkeit und Bereitschaft Deutschlands eindeutig überschreiten, da schon die derzeitige Nettozuwanderung von etwa 200 000 Personen pro Jahr große Integrationsprobleme aufwirft. Vielmehr ist auf Dauer eine kinder- und familienfreundliche Politik gefordert.