Protokoll der Sitzung vom 03.07.2003

Darüber hinausgehende bevölkerungspolitische Ziele sind durch Zuwanderung nicht erreichbar. Das hierfür erforderliche Maß an Zuwanderung würde die Grenzen der Aufnahmefähigkeit und Bereitschaft Deutschlands eindeutig überschreiten, da schon die derzeitige Nettozuwanderung von etwa 200 000 Personen pro Jahr große Integrationsprobleme aufwirft. Vielmehr ist auf Dauer eine kinder- und familienfreundliche Politik gefordert.

Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich näher auf die Situation im Land eingehen. Das Land leidet unter einem erheblichen Bevölkerungsrückgang. Da scheint der Gedanke nahe liegend, sich für eine möglichst umfassende Zuwanderung stark zu machen.

Eine solche Argumentation greift jedoch zu kurz. In Sachsen-Anhalt leben knapp 50 000 Ausländer, nur etwa 5 000 bis 6 000 von ihnen gehen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt bei etwa 40 %. Dies zeigt, dass die Integration der hier lebenden Ausländer in Gesellschaft und Arbeitsmarkt bisher nur sehr unzureichend gelungen ist.

Auch die Zahl der arbeitslosen Spätaussiedler ist hoch. Spätaussiedler müssen sich oft auf eine dauerhafte Abhängigkeit von der Sozialhilfe einstellen, wenn sie nicht jung, überdurchschnittlich qualifiziert und beweglich sind.

Es wäre fahrlässig, eine verstärkte Zuwanderung zu propagieren, wenn schon die Integration der bisherigen Zuwanderer nicht gelingt. Erfolgreiche Integrationspolitik darf die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft nicht überfordern, um die Akzeptanz bei der einheimischen Bevölkerung zu schaffen bzw. zu erhalten. Insofern ist eine weitere Zuwanderung nur in dem Maße vertretbar, wie die Integration bereits Zugewanderter gelingt. Die Integration der bereits hier lebenden Zuwanderer muss Vorrang haben, um ein ausgewogenes gesellschaftliches Miteinander zwischen Deutschen und Zuwanderern zu schaffen und Probleme zu lösen.

Meine Damen und Herren! Bei allen Anstrengungen des Landes darf aber nicht vergessen werden, dass der Bund die Verantwortung für die Zuwanderung nach Deutschland trägt. Er muss sich daher auch im Bereich der Integration der Zuwanderer seiner Verantwortung stellen und darf die Kosten der Integration nicht auf die Länder und Kommunen abwälzen.

(Frau Fischer, Naumburg, SPD: Macht er ja nicht!)

Insbesondere muss er die Kosten für die im Zuwanderungsgesetz vorgesehenen Sprachkurse und die in diesem Zusammenhang notwendigen Betreuungsmaßnahmen tragen.

Das Eintreten für Zuwanderung gilt oftmals als Ausdruck einer fortschrittlichen Haltung. In der Begründung des Antrages für die heutige Debatte wird ausgeführt, dass

auch Sachsen-Anhalt zum Beispiel in der IT-Branche oder im Gesundheitswesen in Kürze auf ausländische Arbeitnehmer angewiesen sein wird. In der Tat sind die Schwierigkeiten von Ärzten im ländlichen Raum, Nachfolger für ihre Praxen zu finden, Besorgnis erregend.

Ist es aber fortschrittlich, diesem Problem zu begegnen, indem Mediziner aus weniger wohlhabenden Ländern angeworben werden, um diese Lücke zu schließen? - Doch wohl nicht; denn diese Länder dürften kaum unter einer medizinischen Überversorgung leiden. Vielmehr werden dadurch Ausbildungslasten auf ärmere Staaten abgewälzt.

(Frau Budde, SPD: So viel Scheinheiligkeit auf einmal! Das gibt es nicht!)

Eine verantwortungsbewusste und fortschrittliche Politik liegt wohl eher darin, die Absolventen der medizinischen Fakultäten in Halle und in Magdeburg zum Bleiben im Lande zu bewegen.

Auch die Situation in der IT-Branche ist kein zwingendes Argument für die Notwendigkeit eines Zuwanderungsgesetzes. Vielmehr zeigt gerade die Greencard-Episode, die sich als relativ kurzatmiger Aktionismus erwiesen hat, dass zwar durchaus ein Bedarf der Wirtschaft an hoch qualifizierten ausländischen Arbeitskräften besteht, dieser Bedarf jedoch begrenzt ist und daher keine generelle Aufhebung des Anwerbestopps rechtfertigt.

Herr Abgeordneter Kolze, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Rothe zu beantworten?

Nein, da meine Redezeit zu Ende ist, möchte ich mit wenigen Sätzen zum Ende kommen.

Nur eine Zuwanderungspolitik, die sich an der Integrationsfähigkeit unserer Gesellschaft orientiert, gewährleistet, dass sich unsere Bürger auch in Zukunft in ihrer Heimat zu Hause fühlen können. Mit einem Zuwanderungskonzept ist es daher nicht getan. Korrespondierend hierzu brauchen wir ein umfassendes Integrationskonzept, dessen Finanzierung vom Bund sicherzustellen ist, damit Zuwanderung nicht nur Belastung, sondern auch Bereicherung ist. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Herr Abgeordneter Kolze, möchten Sie noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Püchel beantworten?

(Frau Budde, SPD: Feige ist das!)

Meine Damen und Herren! Als letztem Redner erteile ich für die PDS-Fraktion dem Abgeordneten Herrn Gärtner das Wort. Bitte sehr, Herr Gärtner.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nun hat die von der FDP-Fraktion beantragte Aktuelle Debatte stattgefunden. Die FDP-Fraktion hat geredet, die Landesregierung in Person von Herrn Rehberger hat geredet

(Zuruf von Frau Budde, SPD)

und jetzt hat noch der Koalitionspartner geredet. Ich muss Ihnen aber sagen, ich bin nach der Debatte nicht ein bisschen schlauer, was die Position der Koalition im Bundesrat anbetrifft und was die Position der Bundesregierung im Bundesrat anbetrifft.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Das ist doch eindeutig!)

Insofern haben wir einen netten Meinungsaustausch geführt, aber eigentlich hätten Sie sich die Debatte auch sparen können.

(Herr Gürth, CDU: Was ist eine Aktuelle Debatte sonst, außer einem Meinungsaustausch? Das ist doch logisch!)

Ich komme zu meinem Redebeitrag. Den Meinungsaustausch, meine sehr verehrten Damen und Herren, den Sie einfordern, den gibt es seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik Deutschland, nur leider ohne Ergebnis. Insofern ist es traurig, was hier eben stattgefunden hat.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Es geht um die Installierung eines modernen Zuwanderungsgesetzes; darüber wird seit Jahrzehnten geredet. Dass es nicht zustande gekommen ist, dafür tragen im Wesentlichen CDU und FDP durch ihre Blockadepolitik die Verantwortung.

Anstatt dass wir heute in einer Aktuellen Debatte wiederholt ergebnislos diskutieren, wie ich bereits gesagt habe, hätten Sie, meine Damen und Herren der FDPFraktion, durch eine Zustimmung zu unserer Initiative, der Einsetzung einer Härtefallkommission im Land, einen konkreten Beitrag leisten, ein Signal für eine menschlichere Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik setzen können.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)

Anstatt ergebnislos in der Aktuellen Debatte zu diskutieren, hätten Sie seit Beginn Ihrer Koalition die Zeit nutzen können, um Ihren Koalitionspartner zur Aufgabe seiner Blockadehaltung bezüglich der Schaffung eines modernen Zuwanderungsgesetzes zu bewegen. Insofern erscheint diese Debatte eher als Alibiveranstaltung der FDP-Fraktion ohne ein konkretes Ergebnis.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD - Frau Bud- de, SPD: Weniger!)

Ich will trotzdem die Zeit nutzen, um einige Grundpositionen der PDS zu verdeutlichen. Die PDS war und ist der Meinung, die Bundesrepublik Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das bedeutet, wir brauchen ein Einwanderungsrecht, aber keine Blockaden. Die PDSFraktion im Bundestag hat vor Jahresfrist übrigens mit Nein gestimmt, allerdings aus konträr anderen Gründen als die Opposition zur Rechten.

Der rot-grüne Entwurf war uns im Zuwanderungsteil zu regressiv und im Asyl- bzw. Flüchtlingsteil zu repressiv. Das hatte bekannte Gründe; denn Bundesinnenminister

Schily hatte so lange einen Kompromiss mit der CDU/ CSU gesucht, bis Rot-Grün zur Unkenntlichkeit verfälscht war.

Die PDS hat andere Maßstäbe. Unsere erste Prüffrage hieß: Gelingt mit dem Zuwanderungsgesetz ein Paradigmenwechsel? Schaffen wir ein Bürgerrecht, bei dem nicht die Verwertbarkeit des Menschen, sondern das Menschsein im Vordergrund steht?

Unsere zweite Prüffrage lautete: Sucht die Bundesrepublik mit dem Zuwanderungsgesetz Anschluss an internationale Normen oder verharrt sie in einem völkischen Zustand aus dem vorigen Jahrhundert?

(Zuruf von Herrn Scharf, CDU)

Unsere dritte Prüffrage war: Werden mit dem Zuwanderungsgesetz endlich willkürliche Regeln abgeschafft, die nichtdeutsche Bürgerinnen und Bürger noch immer zu Menschen zweiter Klasse degradieren?

(Beifall bei der PDS)

Leider müssen wir einen politischen Rechtsruck verzeichnen, was bei diesem Thema heißt: Jene Parteien, die kein modernes Zuwanderungsrecht wollen, jene Parteien, die auch fremdenfeindliche Parolen nicht scheuen, jene Parteien, die Menschen in nützliche, unnütze und schädliche einteilen, genau die haben im Bundesrat eine Blockademehrheit.

CDU und CSU machen auch keinen Hehl daraus, dass sie diese Blockademehrheit kräftig nutzen wollen. Nun kenne ich Stimmen, die meinen: besser gar kein Zuwanderungsgesetz als ein Gesetz, das von CDU und CSU diktiert wurde. - Das kann ich gut nachvollziehen. Das hilft aber den Betroffenen nicht.

Deshalb werbe ich dringend dafür: Lassen Sie uns wenigstens im humanen Bereich rechtliche Standards setzen; dies ist überfällig. Ich beschränke mich daher heute auf Grundforderungen, die auch von Flüchtlings- und Migrantenorganisationen zu Recht erhoben werden.

Erstens. Der Familiennachzug in die Bundesrepublik muss für alle Kinder möglich sein, das heißt nach dem geltenden Familienrecht für alle Kinder bis zum Alter von 18 Jahren. Wer das ablehnt, mag dafür Gründe haben, betreibt aber unter dem Strich eine Politik, die Familien erster und zweiter Klasse schafft. - Das wollen wir nicht.

Zweitens. Nichtstaatliche und geschlechtsspezifische Verfolgung müssen endlich als Fluchtgründe anerkannt werden. Wer das nicht tut, der sortiert Menschen in größter Not nach Gutdünken. - Das wollen wir nicht.

(Beifall bei der PDS)

Drittens. Opfer von Menschenrechtsverletzungen dürfen weder abgeschoben noch zurückgeschickt werden. Wer das will, der riskiert neue Menschenopfer. - Wir wollen das nicht.

Viertens. Schutzbedürftige, die nicht abgeschoben werden dürfen oder können, müssen einen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten. Wer das nicht will, der nimmt Menschen ihre Würde. - Wir wollen das nicht.