Protokoll der Sitzung vom 18.09.2003

Auf die Frage, was die Landesregierung unternimmt, um insbesondere die Perspektiven benachteiligter Kinder und Jugendlicher zu verbessern, verweist sie unter anderem auf die umfassende Kinderbetreuung auf der

Grundlage des Kinderförderungsgesetzes. Wie das im Rahmen des Kinderförderungsgesetzes möglich sein soll, bleibt wohl Ihr Geheimnis, Herr Minister.

Es ist auch nicht damit getan, arbeitslose Eltern auf die schöne und verantwortungsvolle Aufgabe der Kindererziehung hinzuweisen. Fraglich ist, ob ein Kind dort, wo es nur von Erwachsenen umgeben ist, wirklich besser aufgehoben ist. Frau Kollegin Seifert vertritt sogar die Ansicht, das neue Kinderförderungsgesetz sei auch als Familienemanzipationsgesetz zu sehen, das der Stärkung der Familie als Teil unserer Gesellschaft diene. Ihr Schönreden von faktischen Verschlechterungen in der Kinderbetreuung ist einfach nur lächerlich.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Die Beantwortung der Fragen nach der Jugendpauschale, der Schulsozialarbeit, dem Feststellenprogramm oder der Verankerung von Mitwirkungsrechten von Kindern und Jugendlichen ist durch den Rückzug der Landesregierung aus der Finanzierung gekennzeichnet.

(Herr Gürth, CDU: Es wäre schön, wenn Sie in den Vorjahren Ihre Verantwortung für die Finan- zen so wahrgenommen hätten!)

Kommen Sie mir jetzt nicht damit, dass die Kommunen die Aufgaben viel besser übernehmen könnten, da sie an den Problemen viel näher dran seien. Über das Thema „Allgemeine Finanzzuweisungen an Gemeinden“ werden wir uns bald unterhalten. Auf Ihre Ausführungen dazu, Herr Minister, bin ich schon sehr gespannt. Abgesehen davon, dass die Landesregierung ihre Steuerungsmöglichkeiten aufgibt, kann dieser Weg vor dem Hintergrund der gleichzeitigen Finanzkürzungen bei Städten, Landkreisen und Gemeinden nur als bitterer Zynismus empfunden werden. Es sind eben schlechte Zeiten.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Auf unsere Frage, was die Landesregierung unternimmt, um die Chancen von Mädchen und jungen Frauen im Hinblick auf die beruflichen Perspektiven zu verbessern, macht die Landesregierung zunächst auf die Wichtigkeit dieses Bereiches für ihre Arbeit aufmerksam. Wortreich teilt sie mit, sie habe ein Maßnahmenbündel initiiert, welches speziell auf die Erhöhung der Chancen von Mädchen und jungen Frauen in zukunftsorientierten Berufen abziele.

Wer hierzu die anschließende Darstellung von konkreten Maßnamen erwartet, muss staunend oder verbittert zur Kenntnis nehmen, dass in der Prioritätenlisten an erster Stelle der Ausbau der Internetpräsentation genannt wird. Welch ein Hohn! Das ist eine wohl kaum zu überbietende Peinlichkeit.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Diese Liste ließe sich noch weiter fortführen.

Es werden Mittel gestrichen, dass es qualmt. Über das Ausmaß der schlechten Zeiten konnten wir uns spätestens seit der Vorlage des Haushaltsplanentwurfes für das Jahr 2004 für den Bereich Kinder, Jugend, Familie informieren. Neben den verschiedenen Kürzungen sind die Mittel für Kindertagesstätten und für die Jugendpauschale in die allgemeinen Finanzzuweisungen verschoben worden. Das Sozialministerium hat sich aus seiner Verantwortung verabschiedet. Mit dem Interesse an einer verantwortungsvollen Gestaltung der Kinder-, Ju

gend- und Familienpolitik kann es also nicht weit her sein.

Wir wollten in unserer Großen Anfrage wissen, welche Ideen, Programme und Zukunftsvisionen die Landesregierung für die Gebiete der Arbeitsmarktpolitik sowie der Kinder-, Jugend- und Familienpolitik in unserem Land hat. Um es mit Bertold Brecht zu sagen: „Das Spiel ist aus und alle Fragen offen!“

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Zweifellos muss sich das Bild der Arbeitsmarktpolitik sowie der Kinder-, Jugend- und Familienpolitik in Zeiten knapper Kassen, des Geburtenrückgangs, der Abwanderung sowie anhaltend hoher Arbeitslosigkeit verändern - das ist bekannt -, aber ohne den Hauch einer Konzeption dazustehen, ist für eine Landesregierung schon peinlich. Deswegen wohl auch der Hilferuf des Ministerpräsidenten an alle.

Im Zuge der demografischen Entwicklung und des prognostizierten Fachkräftemangels sind insbesondere die Unternehmen gefordert, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, um verstärkt Frauen als Arbeitskräfte zu gewinnen. Familienfreundliche Arbeitszeiten, Kinderbetreuungsmöglichkeiten und flexible Teilzeitbeschäftigungsmöglichkeiten werden auf der Unternehmerseite immer wichtiger.

Hierfür wären umfangreiche Kinderbetreuungsmöglichkeiten, auch betriebliche Kindertageseinrichtungen, Horteinrichtungen, die Einrichtung von Telearbeitsplätzen oder die Gewährung von Wiedereingliederungshilfen nach der Familienphase wichtige positive Ansätze.

Des Weiteren gehört in diesen Bereich der Abbau der Kinder- und somit der Familienarmut. Die langfristigen volkswirtschaftlichen Folgen, wenn Kinder dauerhaft in einem von Armut geprägten Milieu aufwachsen, sind schrecklich. Kinder dürfen nicht dauerhaft von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, wie Bildung, Kultur, Freizeit und Sport, ausgeschlossen werden.

Es wird aufgrund der Veränderungen in der Wirtschaftsstruktur immer wichtiger, dass das Qualifikationsniveau nicht hinter den Anforderungen des Arbeitsmarktes zurückbleibt. Erkennbare Qualifikationslücken müssen geschlossen werden. Doch was passiert in Sachsen-Anhalt?

Die Antwort auf die Frage, wie die wenigen finanziellen Mittel verantwortlich und qualitativ wertvoll eingesetzt werden können, welche Perspektiven wir unseren Kindern und Jugendlichen anbieten, bleibt die Landesregierung schuldig. Für die Landesregierung sind die Arbeitsmarktpolitik sowie die Kinder-, Jugend- und Familienpolitik Schönwetterpolitik.

(Herr Gürth, CDU: Das ist doch Quatsch!)

So etwas kann man Ihrer Ansicht nach machen, wenn man genug in der Landeskasse hat.

(Herr Gürth, CDU: Welche Parteizentrale hat Ih- nen diesen Unsinn aufgeschrieben?)

Dass mit einer zukunftsorientierten Arbeitsmarkt- und Familienpolitik die Grundlagen für einen nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung geschaffen werden, will oder kann die Landesregierung nicht sehen. Wer diese Zusammenhänge nicht erkennt, der schafft schlechte Zei

ten für unser Land mit gravierenden Auswirkungen für unsere Zukunft.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich zum Schluss meiner Rede Herrn Minister Kley beruhigen müsste, aber es sieht mehr so aus, als ob ich den Geschäftsführer der CDU-Fraktion beruhigen muss. Ich habe extra Wutknete mitgebracht, falls es bei meiner Rede hoch hergehen sollte. Ich gebe sie Ihnen, damit Sie sich während der Debatte nicht mehr aufregen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Herr Tull- ner, CDU: Die ist vom CVJM! - Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Vielen Dank, Frau Grimm-Benne. - Meine Damen und Herren! Für die Landesregierung hat nun Herr Minister Kley um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Elternschultüte, die wir übergeben haben, enthielt nicht nur Wutknete, sondern auch einen Geduldsfaden. Dieser war wohl für manche im Saal vonnöten, um dieser Rede zu lauschen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Ich glaube, wir können aushelfen, wenn Bedarf besteht.

Sehr geehrte Frau Grimm-Benne, Ihre Anfrage bestand im Wesentlichen darin, statistische Daten - gegliedert nach Männlein, Weiblein, Monat, Tag, Jahr, Ort, Einkommen usw. - abzufragen. Nun beschweren Sie sich, wenn Sie von uns genau diese Statistik erhalten. Was hätten wir Ihnen sonst geben sollen? Vielleicht hätten Sie die Fragen anders stellen müssen. Vielleicht hätten Sie die Frage stellen müssen, welche Chancen diese Landesregierung hatte, um das, was acht Jahre versäumt worden ist, aufzuholen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Wider- spruch bei der PDS und bei der SPD)

Ich habe aus Ihrer Rede nicht gehört, dass sich die Lage in den letzten Jahren deutlich verschlechtert hätte, weil Sie vorher so hervorragend war. Wir sind uns allerdings darin einig, dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt gegenwärtig äußerst kompliziert und komplex ist. Es dürfte aber für eine Landesregierung schwierig sein - darin müssten Sie mir zustimmen -, außerhalb der bundesgesetzlichen Rahmenbedingungen tätig zu werden.

(Frau Dr. Kuppe, SPD: Jetzt plötzlich!)

Dort fällt uns in letzter Zeit einiges drastisch auf die Füße. Die Bundesregierung schwankt hin und her und die Abgabenlasten sind nicht mehr kalkulierbar. Die Vorschläge von Herrn Clement, die niemand sieht, weil sie schon in der Andeutung verröcheln, Diskussionen über höhere Abgabenlasten, über Zwangsabgaben und Ähnliches bringen kaum einen Unternehmer dazu, sich in Sachsen-Anhalt niederzulassen.

(Zuruf von Herrn Felke, SPD)

Dass es dem Wirtschaftministerium trotzdem gelungen ist, nach mehreren Jahren erstmals die Förderung im GA-Bereich in voller Summe zu binden und auszu

reichen, ist, glaube ich, schon ein großer Erfolg dieser Landesregierung und lässt uns hoffen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Betrachtet man die Rahmenbedingungen, die unser Land von der anderen Seite ereilen, zum Beispiel in der neuen Geschäftspolitik der Bundesanstalt für Arbeit, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Situation im Land schwieriger wird. Laut Statistik ist festzustellen, dass wir im August 2003 eine Zunahme der Arbeitslosenzahl gegenüber August 2002 um 6 984 Personen haben. Gleichzeitig gab es einen Rückgang bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten von 15 853 Maßnahmeteilnehmerinnen und -teilnehmern.

(Zurufe von der CDU: Hört, hört, hört!)

Daran sieht man, dass der Arbeitsmarkt in SachsenAnhalt sehr wohl in der Lage war, diesen Rückgang wenigstens zur Hälfte zu kompensieren. Wir haben mehr Arbeitsplätze, das heißt aber nicht, dass wir in der Lage sind, diese chronische Rückbaupolitik der Bundesanstalt für Arbeit, die im Wesentlichen nicht inhaltlich, sondern rein pekuniär bestimmt ist, abzufangen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der beruflichen Weiterbildung haben wir ein Minus von 10 808 Personen, von 26 599 im August 2002 auf 15 791 im August 2003. Das sind minus 40,6 % - und das ausschließlich aufgrund der neuen geschäftspolitischen Zielstellung der BA einer prognostizierten Verbleibsquote von 70 %. Diese prognostizierte Verbleibsquote ist nicht gesetzlich vorgeschrieben, sondern Ausfluss der Geschäftspolitik der BA. - Ich möchte mich jetzt nicht über die Leitung dieser Behörde äußern. - Eine solche Verbleibsquote ist in Sachsen-Anhalt, in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und geringem Arbeitsplatzangebot, völlig unrealistisch.

(Zustimmung von Herrn Scharf, CDU)

Man fragt sich wirklich, ob in dieser Anstalt noch deutschlandweit gedacht wird oder ob sie sich zunehmend aus den neuen Bundesländern zurückzieht, weshalb man auch die Funktion von Herrn Stolpe immer wieder hinterfragen muss.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Unruhe bei der SPD)