„Ich schwöre, dass ich meine ganze Kraft dem Wohle des Volkes widmen, Verfassung und Gesetz wahren, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“
Neunmal haben wir diesen Amtseid von den Mitgliedern der Landesregierung gehört. Mit ihm haben sich der Ministerpräsident und die Minister vor dem Landtag zu den verfassungsmäßigen Grundsätzen des Rechtsstaates bekannt.
Dazu gehören unter anderem Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Gerichte, Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, Bindung von vollziehender und rechtsprechender Gewalt an Recht und Gesetz, Beachtung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung durch die vollziehende Gewalt, Rechtsstaatlichkeit, Messbarkeit der staatlichen Handlungen und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck.
Daraus resultiert für die Amtsausübung eines Ministers, dass er diese Grundsätze nicht verletzen darf. Er muss Neutralität im Amt wahren, darf sein Amt weder missbrauchen noch Amtspflichtverletzungen begehen. Ein Minister oder eine Ministerin darf nicht unzulässig Partei nehmen, was sich in den konkreten - seit gestern muss ich sagen - Fällen auf die kommunale Selbstverwaltung, auf das anhängige Gerichtsverfahren und auf ein abgeschlossenes Ausschreibungsverfahren bezog.
Vor der Antragstellung zur Beendigung des Amtsverhältnisses des Justizministers Curt Becker hatten wir zu prüfen, inwieweit er wirklich oben angeführte Grundsätze und Maßstäbe verletzt hat. Wir sind zu einer eindeutig bejahenden Antwort gekommen. Das belegt dieser Antrag. Hätten wir Zweifel, gäbe es ihn nicht.
Dabei haben wir uns mit der Beantwortung der Frage nicht überstürzt in reflexhafte Rücktrittsforderungen aus einer Oppositionsrolle heraus begeben.
Manch einer von uns hat uns das übel genommen, andere waren da deutlich forscher und haben ungesichert den schnell gefassten Vorurteilen nachgegeben. Auch Landesregierung und Koalitionsfraktionen sind mit Blick auf das Gerichtsverfahren öffentlich von einem Amtsmissbrauch ausgegangen. Also haben wir in der Beantwortung der grundsätzlichen Fragestellung nicht einmal eine Differenz, was so häufig in einer so gravierenden Frage nicht festgehalten werden kann.
Konkret heißt das: Der Minister hat seinen Amtseid verletzt. Es liegt eine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung, mithin der Gewaltentrennung von Legislative, Exekutive sowie Judikative und damit ein versuchter Eingriff in die Unabhängigkeit des Richters und folglich in die Unabhängigkeit gerichtlicher Entscheidungen vor. Auch der zweite bekannt gewordene Fall stellt einen unzulässigen Eingriff in ein abgeschlossenes Verfahren, allerdings auf einer anderen Ebene, vor.
Ohne in den umfangreichen Details des ersten Falles, wie das mein Amtskollege von der SPD getan hat, zu versacken, der Ausgangspunkt für diese Antragstellung war, sollten an dieser Stelle zumindest die Eckpunkte, die unsere Bewertung beschreiben, festgehalten werden.
Erstens. Herr Becker ist - das ist von ihm selbst unbestritten - in der Angelegenheit als Justizminister aktiv geworden. Das Schreiben ist auf einem Ministerkopfbogen entstanden. Diese amtliche Briefform wurde gezielt angeordnet und nicht versehentlich gewählt. Wenn ein Justizminister - dann auch noch Herr Becker - diesen Umstand lediglich als äußerst unglücklich bezeichnet, dann fragt man sich schon, welches Rechtsverständnis dahinter steht. - Sie verharmlosen ebenso bewusst, natürlich auch um die Chance zu wahren, die Rücktrittsforderung zu umgehen.
Zweitens. Dass dazu ein Gerichtsverfahren anhängig war, ist dem Justizminister als ehemaligem Oberbürgermeister der Stadt Naumburg und als einer Prozesspartei natürlich bekannt gewesen. Dass sein Schreiben in oder um den Prozess herum Wirkung zeigen sollte, liegt auf der Hand. Sonst hätte er sich als wirklich abgeklärter Realist die Mühe gespart.
Ob sich dabei, Herr Becker, mehr bei Ihrem Amtsnachfolger oder beim Gericht erreichen ließ, das war für Sie so erheblich nun eigentlich nicht. Das Ziel konnte durchaus von zwei Seiten, direkt oder indirekt, verfolgt werden. Letztlich waren beide Richtungen nicht zulässig.
Dass Sie sich dabei eine Begründung gestatteten, von der auch Sie wussten, dass sie so nicht haltbar war, hat sich als notwendig erwiesen, weil Sie eben keine anderen triftigen Gründe angeben konnten. Damit hätte sich dann allerdings auch der Brief erledigt gehabt; es sei denn, Sie wären sozusagen mit der Tür ins Haus gefallen und hätten den Parteien direkt gesagt oder sie wissen lassen, dass Sie überhaupt kein Interesse an einem Urteil zum Nachteil des Parteifreundes Poser hatten. Machen wir uns nichts vor: Um nichts anderes ging es letztlich, auch wenn der Brief nur eine Reduzierung der Forderungen anheim stellte.
Nun können ja die ganz Gefestigten unter uns sagen: Sowohl der Oberbürgermeister als auch der Richter sind starke und unabhängige Persönlichkeiten. Das mag im Grundsatz auch zutreffen. Beide sind aber auch Menschen. Der Mensch Oberbürgermeister ist unmittelbarer Nachfolger im Amt in aller freundschaftlichen und parteilichen Verbundenheit. Dem Menschen Richter ist der Absender des Briefes oberster Dienstherr.
Lassen Sie mich das hier nicht näher erörtern. Was gesagt werden sollte, bedarf eigentlich an dieser Stelle gar keiner Worte. Fakt bleibt lediglich, dass es letztlich zu einem Vergleich kam, bei dem der Verdacht eben nicht ausgeräumt werden kann, dass er mit der Verlesung Ihres Briefes im Verfahren als so genannte wohlwollende Argumentationshilfe der Landesregierung eingeleitet wurde. - Manchmal ist Sprache unaussprechlich originell.
Das Gericht unterbreitete den Vorschlag zu einem Vergleich. Die Stadt Naumburg nahm die für sie schlechtere Variante an. - Herr Becker, ich habe Sie als Oberbürgermeister der Stadt mehrfach erlebt. Sie sind ein außerordentlich harter Streiter in der Sache. Das Gerichtsverfahren lief ja auch schon, als Sie noch Oberbürgermeister waren. Da haben Sie natürlich keinen Millimeter nachgegeben. So viel zum Thema „Perspektivenwechsel im Amt“.
Drittens. Es wird nun bei allen Bewertungen betont, dass sich ein Justizminister nicht hätte dazu hinreißen lassen dürfen. Sie selbst haben gemeint, es wäre wohl besser gewesen, diesen Brief auf Abgeordnetenpapier geschrieben zu haben. Nun möchte ich allerdings für uns ganz klar sagen, dass es uns gar nicht um diese Dimension geht. Welchen Kopfbogen Sie benutzten, ist bei der Bewertung für uns nicht von entscheidender Bedeutung. Die gleiche Absicht der Beeinflussung von Judikative und Exekutive ist doch für Abgeordnete genauso wenig wie für jeden Bürger und jede Bürgerin zulässig.
Abgeordnete - so ist es in Artikel 41 der Verfassung zu lesen - sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Vielleicht hätten wir damals an dieser Stelle hineinschreiben sollen: Die Verfassung gilt für alle, auch für Abgeordnete und deren Gewissen.
Viertens. Dennoch kommen wir damit auf ein Problem des Gesamtsystems. Es wird stets erwartet, dass Abgeordnete ihren Regionen helfen, dass Minister Bürgerinnen und Bürgern auch im Einzelfall zu ihrem Recht verhelfen. Dazu kennt die Verfassung, kennt das parlamentarische System rechtsstaatliche Wege. Diese kann jeder in Anspruch nehmen. Diese muss jeder einhalten. Aber natürlich haben wir auch die Erfahrung gemacht, dass diese Wege eben nicht immer den gewünschten Erfolg versprechen oder herbeiführen.
Dennoch bleibt festzuhalten: Solange sich Abgeordnete, Minister sowie Bürgerinnen und Bürger ebensolcher rechtsstaatlichen und demokratischen Mittel bedienen, kann ihnen kein Vorwurf gemacht werden. Sie tun etwas höchst Legitimes im Sinne von Interessenwahrnehmung.
Seit Jahrzehnten hat sich dabei aber eine Grauzone herausgebildet. Da wird immer mehr den guten Bekannten und Parteifreunden geholfen, und solange jeder irgendwie dabei zum Erfolg kommt, beklagt sich auch kaum jemand laut. Der Spruch „Eine Hand wäscht die andere“ mag dafür symbolhaft stehen. Oftmals wird hart an der Grenze des rechtsstaatlich Zulässigen gewandelt. Dass
die Grenze in zunehmendem Maße überschritten wird, zeigen explodierende Zahlen der Korruptionsfälle und des Amtsmissbrauchs in der Bundesrepublik Deutschland. Das ständige Unrecht scheint beständiges Gewohnheitsrecht geworden zu sein. Köln ist überall.
Ich möchte hier etwas einflechten, das ich eigentlich bis gestern nicht sagen wollte. Herr Becker ist kurz nach der Wende gekommen und hat sich mit Vehemenz in die anstehenden Aufgaben geworfen. Das hat ihm Achtung und Anerkennung eingebracht, auch von unserer Seite. Er ist in seiner Region sehr wohl zu einer wandelnden Instanz geworden.
Die Hinweise auf wechselseitige Verflechtungen, auf Beziehungsgefüge, auf Eingriffe haben sich aber nach der Veröffentlichung des ersten Falls massiert, sodass ich mittlerweile den Eindruck gewonnen habe, dass es eine sehr bunte, gut funktionierende Grauzone um Herrn Beckers Lokalpatriotismus gibt. Also drängt sich die Vermutung auf, es könnte noch andere Fälle geben, für die allerdings - das gebe ich gern zu - noch schlüssige Beweise fehlen.
- Ich habe ausdrücklich von einer Vermutung gesprochen. - Da wir jedoch unsere Rücktrittsforderung bereits aus der Bewertung des ersten Falles voll begründet sehen, fordern wir die sofortige Beendigung des Amtsverhältnisses.
Der zweite Fall verstärkt natürlich den Druck auf diese Forderung und er verstärkt vor allem den Druck auf Herrn Becker und die Landesregierung. Durch ihn sind wir zu der Auffassung gelangt, dass es nunmehr doch zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses kommen muss. Dieser hat nicht allein die beiden einzelnen Fälle zu untersuchen, sondern er hat sich auf den Komplex der Amtsführung zu beziehen. Das alles wäre nicht erforderlich, würde sich der Ministerpräsident bereit finden, die Konsequenzen zu ziehen.
So komme ich zum fünften und letzten Punkt. Nicht immer geht es bei den Beziehungsgeflechten um materielle Interessen. Parteieninteresse ist mit Blick auf Wahlen zunächst auch immateriell. Daraus ergeben sich erst später für die Parteien handfeste ökonomische, existenzbestimmende Zwänge. Das bleibt nicht ohne Rückwirkung auf deren Stellung zum Gesamtsystem.
Der Ministerpräsident ist dafür beredtes Bespiel. Er stellt sich vor Herrn Becker, er schützt damit in gewisser Weise auch diese Grauzone, statt ganz deutlich Zeichen zu setzen. Wenn der Ministerpräsident jetzt mit Sorge auf die Berichterstattung in den Medien schaut, dann habe ich schon das Gefühl, dass sich hier Ursache und Wirkung verkehren.
Es sind nicht die bösen investigativen Journalisten, die zum Ansehensverlust führen; der Ministerpräsident stellt sich hinter die aufgedeckte und zu kritisierende politische Kultur.
Dass das politische System der Bundesrepublik in den letzten Jahren überhaupt einen gewaltigen Ansehensverlust erlitten hat, zu dem es auch selbst beigetragen hat, ist wohl unbestritten. Die Ursachen sind vielschichtig, haben aber in jedem Fall eine direkte Verbindung zu den Entscheidungsträgern selbst. Wenn jene dann aber
auch noch zur Aushöhlung verfassungsmäßiger Grundlagen beitragen, indem sie sehenden Auges diese Vorgänge dulden und nicht eingreifen, dann müssen sie sich allerdings selbst fragen, ob sie mit ihrer Position noch tragbar sind. - Danke schön.
Meine Damen und Herren! Wir treten nun ein in die Debatte zu den beiden Anträgen, die fünf Minuten Redezeit je Fraktion umfasst, in der Reihenfolge CDU, SPD, FDP und PDS.
Ich erteile zunächst für die CDU-Fraktion dem Abgeordneten Herrn Scharf das Wort. Bitte sehr, Herr Scharf.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da mein Kollege Dr. Püchel die Redezeit ein bisschen überziehen durfte, bitte ich Sie, vielleicht auch nur vorsichtig auf die Uhr zu schauen. - Meine Damen und Herren! Es ist offensichtlich so, dass die Bänke der Opposition recht hart sind. Das haben wir selber auch einige Jahre erleiden müssen und es ist nicht jedermanns Sache, hauptsächlich mit dem Florett in den Sachauseinandersetzungen zu kämpfen. Da ist es immer wieder verlockend, sich auf Personalangelegenheiten zu konzentrieren.
Es ist offensichtlich auch so, dass mancher hier ganz gern dem Sport der Treibjagd nachgehen möchte.
Ich kann nur jeden in diesem Hause warnen, solchen Gelüsten, die vielleicht immer mal hochkommen, wirklich nachzugeben.
Ich kann mich auch nur sehr verwundert über die Rede von Frau Kollegin Dr. Sitte äußern und darüber, dass sie eine erhebliche Passage darauf verwandte zu mutmaßen, es werde wohl noch mehr - in ihrem Sprachgebrauch - hochkommen über die Amtsführung des Ministers Becker und deshalb möchte er lieber doch schon jetzt zurücktreten, ehe noch mehr hochkomme. Also, wenn Sie den Rechtsstaat einklagen, dann vermuten Sie bitte doch nicht öffentlich etwas, was Sie gar nicht wissen, gar nicht nachweisen können, von dem Sie aber vermuten, es werde zukünftig zu Rücktrittsforderungen führen können.
Um es gleich vorweg zu sagen: Wir als CDU-Fraktion werden die Anträge von SPD und PDS auf Beendigung des Amtsverhältnisses des Ministers selbstverständlich ablehnen.
Im März 2003 hat sich die GbR Poser/Graf von Wedel an den ehemaligen Oberbürgermeister der Stadt Naumburg und jetzigen Naumburger Landtagsabgeordneten Curt Becker gewandt. Er sollte sich dafür verwenden, dass die Anzahl der von der Stadt Naumburg vorgesehenen Stellplätze für ein Gebäude in der Stadt Naumburg reduziert wird. Das wurde begründet mit der sich abzeichnenden Gesetzesänderung bezüglich der Anzahl der Stellplatzpflicht.