Protokoll der Sitzung vom 20.11.2003

Das ist ein Zwiespalt, in dem wir uns jedes Mal befinden werden, wenn wir über Diäten entscheiden müssen. Ich halte die Variante - darin stimmt die FDP-Fraktion mit mir überein -, die der Präsident und die Diätenkommission vorgeschlagen haben, für einen ausgesprochen ausgewogenen Kompromiss.

Ich möchte der Diätenkommission von dieser Stelle aus auch einmal herzlich danken für ihre Arbeit, auch - oder gerade - weil wir ihrem Vorschlag nicht zur Gänze gefolgt sind. Denn wir haben den Befund, dass zwischen einer angemessenen Diät und unseren derzeitigen Diäten eine Lücke von etwa 700 € klafft, nicht zur Gänze umgesetzt, sondern haben zwei weitere Nullrunden - damit sind es insgesamt fünf - beschlossen - eben in Verantwortung vor der wirtschaftlichen Lage unseres Landes und vor der schwierigen Haushaltslage.

Deshalb hält die FDP-Fraktion, die sich - das muss ich gestehen - die Diskussion in diesem Punkt nicht einfach gemacht hat, den Vorschlag des Präsidenten für akzeptabel, für ausgewogen, und wir werden ihn unterstützen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Dr. Hüskens. - Nun bitte Herr Gallert für die PDS-Fraktion.

Werter Herr Präsident! Werte Abgeordnete! Ich bin eigenartigerweise heute im Laufe des Tages schon von einigen gefragt worden, was ich heute zu dieser Debatte sagen werde. Da habe ich gemerkt, mit welch hoher Sensibilität man auf diesen Redebeitrag wartet, und habe mich mal erinnert. Als ich vor acht Jahren das erste Mal zu diesem Thema gesprochen habe, habe ich meine Rede mit der Begrüßung eingeleitet: „Teure Kollegen!“. Inzwischen merke ich, dass offensichtlich die Dünnhäutigkeit bei diesem Thema so weit fortgeschritten ist, dass man sich auf eine sehr ruhigen Art und Weise über dieses Thema unterhalten sollte, wenn man nicht in allzu schwieriges Fahrwasser geraten will.

Deswegen will ich, auch im Ton sehr zurückhaltend, bewerten, was vorliegt. Wir haben jetzt einen Vorschlag der Fraktionen der CDU und der FDP, der von der SPD weitgehend mitgetragen, aber nicht mit eingebracht wird. Er korrespondiert mit dem Vorschlag des Präsidenten dieses Landtages, der wiederum einem Vorschlag der Diätenkommission vom Ansatz her zugestimmt, aber ihn doch noch abgeschwächt hat.

Den einen oder anderen wird es vielleicht überraschen: Auch wir als PDS-Fraktion beurteilen diesen Gesetzentwurf nicht so, als wäre er ein maßloser Griff in die öffentlichen Kassen. Aber er ist eben doch eine deutliche Anhebung der Einkommensbezüge der Abgeordneten in dieser Legislaturperiode. Auch das bleibt festzuhalten.

Er orientiert sich an der Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst, speziell am Richtergehalt, und bei dieser Einkommensentwicklung auch noch am unteren Rand - auch das wollen wir hier gern zugestehen. Etwa

12 bis 13 % in sieben Jahren - das entspricht etwas mehr als 1,5 % pro Jahr. Insofern ist die Herleitung dieses Gesetzentwurfs durchaus legitim. Trotzdem wird die PDS-Fraktion ihm nicht zustimmen, auch seiner Überweisung nicht.

Das will ich Ihnen kurz erläutern. Das hat genau mit den Tatsachen zu tun, die eben in der Anfrage von meinem Fraktionskollegen Dr. Eckert angeklungen sind. Wir haben es in Sachsen-Anhalt in immer mehr und immer größeren Bevölkerungsgruppen damit zu tun, dass sie keine progressive Einkommensentwicklung haben. Der öffentliche Dienst ist nur eine Einkommensgruppe, die trotz erheblicher Unterschiede innerhalb derselben eine positive Einkommensentwicklung verzeichnet. Das ist für viele Personengruppen in Sachsen-Anhalt nicht mehr typisch.

Wir haben die große Gruppe derjenigen, die in Zukunft von Arbeitslosengeld II leben müssen, die vorher Arbeitslosengeld- oder Arbeitslosenhilfeempfänger waren, die mit einem empfindlichen realen Einkommensverlust zu tun haben. Wir haben es zu tun mit dem Ausbau von Minijobs und mit den entsprechend absinkenden Einkommen in diesem Bereich durch die Aufspaltung von Vollbeschäftigungsverhältnissen. Wir haben es mit Scheinselbständigen zu tun, die an das Existenzminimum herangehen.

(Unruhe bei der CDU)

Wir haben es mit Rentnern zu tun, die in ihr Rentnerdasein hineinkommen mit der Biographie eines Langzeitarbeitslosen, mit sehr, sehr geringen Rentenansprüchen. Wir haben es mit Familien zu tun, die aufgrund ihrer Kinder mit permanenten Steigerungen, ob das nun der Elternbeitrag für die Kindertagesstätten ist oder die Gebühr für Schulbücher, zu tun haben und die dadurch einen realen Einkommensverlust zu realisieren haben.

(Herr El-Khalil, CDU: Das gilt doch für uns auch!)

- Dazu sage ich, Herr El-Khalil: Wir sind noch in der Lage, dies durch die Steigerung unserer Grunddiäten auszugleichen. Die Einkommensgruppen, die ich eben genannt habe, die vielleicht ein Drittel der Bevölkerung in Sachsen-Anhalt ausmachen, vielleicht aber auch schon die Hälfte, werden diese Chance nicht haben.

Unsere Herangehensweise an dieses Gesetz ist, uns an deren Einkommensverhältnissen und an deren Einkommensentwicklung zu orientieren und nicht an der Einkommensentwicklung im öffentlichen Dienst.

(Unruhe bei der CDU)

Weil wir diesen anderen Bezugspunkt haben - den Sie nicht haben; das haben wir deutlich vernommen -, kommen wir im Endeffekt zu einem anderen Ergebnis. Wir halten die Kritik, auch von außen, an diesem Gesetzentwurf insofern für berechtigt, als dieses Absinken der Einkommen dieser Personengruppen etwas mit politischen Entscheidungen zu tun hat, für die wir als Politiker mit gerade zu stehen haben. Deswegen ist das Unverständnis und teilweise die Empörung nachvollziehbar: Die Bürger sehen, dass eine Personengruppe sich selbst eine Einkommenssteigerung verordnet, die dafür verantwortlich ist, dass die Bürger an dieser Entwicklung nicht mehr partizipieren können. Das ist der Unterschied in der Bewertung und deswegen lehnen wir dieses Gesetz ab. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Gallert. - Möchten Sie noch einmal sprechen, Herr Gürth?

(Herr Gürth, CDU: Nein!)

- Sie möchten es nicht. - Damit ist die Debatte abgeschlossen.

Wir stimmen ab. Ich denke es ist vernünftig, den Gesetzentwurf an den Ältestenrat zu überweisen. Wir stimmen über die Überweisung an den Ältestenrat ab. Wer stimmt zu? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die SPD. Wer stimmt dagegen? - Das ist die PDS-Fraktion. Damit ist diese Überweisung mit großer Mehrheit beschlossen. Der Tagesordnungspunkt 14 ist beendet.

Der Tagesordnungspunkt 15 soll heute Abend als letzter behandelt werden, der Tagesordnungspunkt 16 am morgigen Vormittag, sodass ich jetzt den Tagesordnungspunkt 17 aufrufe:

Erste Beratung

Zur Zukunft des Betreuungsrechts

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/1138

Ich bitte zunächst den Antrag einzubringen und erteile Frau Tiedge das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 1. Januar 1992 trat das gegenwärtig gültige Betreuungsgesetz in Kraft.

(Unruhe)

Mit diesem Gesetz, das damals als Jahrhundertreform des Entmündigungs-, Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts für Volljährige unter maßgeblicher Mitwirkung von Behindertenverbänden eingeführt wurde, kam es zu einer grundlegenden Verbesserung der Rechtsstellung behinderter, insbesondere geistig und psychisch behinderter Menschen. Es zielte auf die Sicherung der Selbständigkeit der Betreuten. Zugleich sollte die Stärkung der persönlichen Betreuung erreicht werden.

(Unruhe)

- Ich verstehe mein eigenes Wort nicht mehr. - Mit dem Betreuungsgesetz wurden die entscheidenden gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen.

Die persönliche Betreuung sollte vor allem selbstbestimmtes Leben in der Gesellschaft ermöglichen, und zwar entsprechend den im Grundgesetz für alle verbindlich festgelegten Verfassungsgarantien: dem Schutz der Menschenwürde, den persönlichen Freiheitsrechten, dem allgemeinen im Jahr 1994 um das Verbot der Diskriminierung behinderter Menschen ergänzten Gleichheitsgebot und dem Anspruch auf rechtliches Gehör.

Persönliche Betreuung erfordert persönlichen Kontakt; denn der Betreuer oder die Betreuerin soll bei zu regelnden Angelegenheiten die Interessen des Betreuten wahrnehmen, seine Wünsche beachten und für sein Wohlergehen handeln.

(Unruhe)

Dies ist jedoch nur bei genauer Kenntnis der jeweiligen - -

Entschuldigung. - Meine Damen und Herren! Ich verstehe, dass die Anspannung des letzten Tagesordnungspunktes sich jetzt ein wenig lösen musste, aber das kann auch ruhiger geschehen. Ich verstehe die Rednerin wirklich nur schwer. - Bitte schön, Frau Abgeordnete Tiedge.

Ich danke Ihnen, Herr Präsident. - Dies ist jedoch nur bei genauer Kenntnis der jeweiligen Persönlichkeit und der Lebensverhältnisse möglich. Dafür braucht es Zeit, unter anderem für Gespräche.

Betreuungen werden in Deutschland von Familienangehörigen, von anderen ehrenamtlichen Betreuern, von Berufs- und Vereinsbetreuern durchgeführt. Die ehrenamtlichen Betreuer erhalten eine pauschale Aufwandsentschädigung. Die Vereins- und Berufsbetreuer rechnen nach jetzigem Recht ihren Aufwand bei den Vormundschaftsgerichten ab und erhalten dafür eine Vergütung, deren Stundensatz sich nach der Qualifikation des Betreuers richtet.

Per 31. Dezember 2002 wurden in der Bundesrepublik mehr als 1 Million Menschen rechtlich betreut; dies entspricht fast 13 Betreuten pro 1 000 Einwohner. Gegenwärtig werden von Familienangehörigen mehr als 64 %, von sonstigen ehrenamtlichen Betreuern 7 %, von Berufsbetreuern 21,4 %, darunter 3,16 % von Rechtsanwälten und 6,39 % von Vereinsbetreuern, betreut. Behördenbetreuer nehmen 1,15 % der Betreuungen wahr.

Da viele Betreute nicht über die finanziellen Mittel verfügen, um die Vergütung der Betreuer zu zahlen, werden die Mittel vom Staat aufgebracht. Obwohl die Kosten pro Betreuten in den letzten Jahren gesunken sind, stieg die Summe der Ausgaben insgesamt auf mehr als 343 Millionen €. Das veranlasste die Justizministerkonferenz der Länder, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht“ mit der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs zur Änderung des Betreuungsrechts zu beauftragen, um eine Senkung der Kosten zu erreichen. Dieser Gesetzentwurf soll in diesen Tagen der Justizministerkonferenz vorgelegt werden.

Wie schon vor sechs Jahren, als meine Kollegin Gerda Krause in diesem Hause feststellte - ich zitiere -:

„Gesetzesänderungen, die im sozialpolitischen Bereich unter der Überschrift ‚Reformen' von der Bundesregierung trotz massiven Widerstandes in den letzten Monaten durchgedrückt wurden, haben nachdrücklich bewiesen, dass ihr Ziel die Kostensenkung sein soll. Die Interessen Betroffener und die fachlichen Qualitätsstandards bleiben dabei zunehmend außen vor.“

geht es auch jetzt wieder allein um Kostensenkungen zulasten der Betroffenen. Damals hatten wir zwar eine andere Bundesregierung, aber in dieser Hinsicht keine andere Politik.

Der zeitliche Druck, unter dem auch diese Gesetzesänderungen in Angriff genommen werden, die an die Öffentlichkeit gedrungenen Vorhaben hinsichtlich der Pauschalierung der Vergütungen sowie der Einführung einer gesetzlichen Vertretungsmacht, die viele Fragen offen lässt, lassen befürchten, dass wichtige, seit 1992 erzielte Errungenschaften des Betreuungsrechts zur Disposition gestellt werden.

Unser Antrag greift die Kritik des Vormundschaftsgerichtstages e. V. und vieler Betroffenenverbände auf, die vor allem die Gefahr sehen, dass mit den vorgesehenen Änderungen Betreuung wieder zu einem anonymen Verwaltungsakt wird. Mit dieser Novelle des Betreuungsgesetzes wird meiner Meinung nach die Politik der Kürzungen und der Einschnitte zulasten Betroffener fortgeführt.

Es wird einseitig aus der Sicht der Justiz geändert, ohne eine integrierte Konzeption für eine funktionstüchtige örtliche Infrastruktur des Betreuungswesens vorzulegen. Der Aspekt der persönlichen Betreuung, der der Stärkung der Subjektstellung der Betreuten als Bürgerinnen und Bürger mit individuellen Rechten zur Teilnahme am Leben dienen soll, wird völlig außer Acht gelassen.

Damit wird die in den letzten Jahren vollzogene rechts- und sozialpolitische Entwicklung der Gesetzgebung für behinderte Menschen im Sinne des Grundgesetzes konterkariert.

Ich möchte im Folgenden nur einige Probleme anreißen, die sich bei einer Gesetzänderung nach den Vorstellungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe ergeben würden. Auf diese Punkte haben vor allen Dingen der Bundesverband der Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuer, der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge, der Vormundschaftsgerichtstag, die Betreuungsvereine und die Bundesvereinigung der Lebenshilfe hingewiesen.