Protokoll der Sitzung vom 20.11.2003

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Unterbringung besonders rückfallgefährde

ter Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 4/1145

Als Einbringer erteile ich dem Minister des Innern Herrn Jeziorsky das Wort. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ohne das vorliegende Gesetz müssten verurteilte Straftäter, wenn nicht im Urteil die Sicherheitsverwahrung angeordnet wurde, nach Verbüßung der Strafe auch dann aus der Haft entlassen werden, wenn aus erst nach der Verurteilung zutage getretenen Gründen, insbesondere in ihrem Verhalten während des Strafvollzuges, davon auszugehen ist, dass von ihnen erhebliche gegenwärtige Gefahren ausgehen und dass sie weitere schwere Straftaten begehen werden. Dadurch könnten sich gravierenden Gefahren für die Bevölkerung, namentlich Gefahren für Leib, Leben, persönliche Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung ergeben. Diese Gefahren können wir nicht einfach hinnehmen.

Mit dem Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 6. März 2002, kurz Unterbringungsgesetz, hat der Landtag in der vergangenen Legislaturperiode die notwendigen Rechtsgrundlagen geschaffen, um diese Gefahren wirkungsvoll abwehren zu können.

Allerdings sieht das Unterbringungsgesetz in § 9 Satz 2 sein Außer-Kraft-Treten am 9. März 2004 vor. Grund für diese Befristung des Gesetzes auf zwei Jahre war seinerzeit insbesondere die Erwartung einer bundeseinheitlichen Regelung zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung besonders rückfallgefährdeter Straftäter.

Das Außer-Kraft-Treten des Unterbringungsgesetzes würde vor allem zur Entlassung eines derzeit untergebrachten ganz besonders gefährlichen Mörders führen, bei dem aufgrund seiner unbestrittenen schweren Persönlichkeitsstörung mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer sehr schnellen Wiederholung brutaler Straftaten bis hin zur Tötung wehrloser Opfer ausgegangen werden muss. Darüber hinaus könnten mehrere andere besonders rückfallgefährdete Straftäter, bei denen eine Unterbringung zurzeit geprüft wird, nach Verbüßung ihrer Haftstrafe nicht zum Schutz der Bevölkerung untergebracht werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie Sie wissen, ist beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde anhängig, die sich mittelbar gegen das Unterbringungsgesetz richtet. Vor knapp einem Monat fand hierzu die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht statt, an der ich selbst teilnahm. Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist vor allem die Frage der Gesetzgebungskompetenz.

Der Landtag hat in der letzten Legislaturperiode mit der Verabschiedung des Unterbringungsgesetzes dokumentiert, dass er von einer eigenen Kompetenz zur Gesetzgebung ausgeht. Ich teile diese Auffassung nach wie vor und habe sie auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht vertreten. Allerdings ist noch nicht abzusehen, wann und wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird.

Zum Schutz der Bevölkerung vor besonders rückfallgefährdeten Straftätern muss deshalb jetzt mit der vorgeschlagenen Änderung des Unterbringungsgesetzes reagiert werden. Vor allem wenn es um das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung von Personen, also um die Schutzgüter des Unterbringungsgesetzes geht, können wir nicht mit der Begründung, bundesrechtliche Regelungen oder noch ausstehende Rechtsprechung abwarten zu wollen, die Hände in den Schoß legen.

Um zu verhindern, dass das Unterbringungsgesetz im März kommenden Jahres ohne Ersatz außer Kraft tritt, muss seine Geltungsdauer um zwei Jahre verlängert werden. Auch wenn glücklicherweise nur wenige Straftäter in Betracht kommen, die aufgrund ihrer ganz besonderen Gefährlichkeit nach Verbüßung der Haftstrafe nach dem Unterbringungsgesetz untergebracht werden müssen, so kann trotzdem nicht auf diese Möglichkeit effektiver Gefahrenabwehr verzichtet werden. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Innenminister. - Meine Damen und Herren! Im Ältestenrat wurde eine Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion beschlossen. Als Erster erteile ich für die PDS-Fraktion der Abgeordneten Frau Tiedge das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 22. Februar 2002 wurde im Landtag von Sachsen-Anhalt mit den Stimmen von SPD und CDU das Straftäterunterbringungsgesetz beschlossen. Auch damals hat die PDSFraktion dagegen gestimmt. Das Gesetz wurde auf zwei Jahre befristet, in der Hoffnung auf eine baldige bundeseinheitliche Regelung zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung besonders rückfallgefährdeter Straftäter.

Hinzu kommt jetzt, dass der Ausgang des zurzeit beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anhängigen Verfahrens zur Rechtmäßigkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung in Sachsen-Anhalt und in Bayern noch offen ist. Die Kläger sehen sich durch diese Maßregel in ihrer Menschenwürde und in ihren Freiheitsrechten verletzt. Ferner zweifeln sie die Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer an.

Der vorliegende Gesetzentwurf der Landesregierung soll nun die Geltungsdauer durch Änderung der Befristung von zwei Jahren auf vier Jahre verlängern. Unsere Fraktion hat bereits damals massive Kritik an dem Gesetzesvorhaben zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung geübt. Wir werden auch den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen, denn unsere Positionen zum Institut der Sicherungsverwahrung haben sich in keiner Weise geändert.

Zum Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gibt es aus der Sicht der PDS-Fraktion in dreierlei Hinsicht verfassungsmäßige Bedenken, die ich noch einmal kurz wiederholen möchte.

Erstens. Das Land hat keine Gesetzgebungskompetenz. Eine nachträgliche Sicherungsverwahrung mit strafrechtlichem Charakter unterliegt als strafrechtliche Norm aus

schließlich dem Bundesrecht. Für landesrechtliche Gefahrenabwehrmaßnahmen über die Regelungen des § 66 StGB hinaus gibt es keinen gesetzlichen Ermessensspielraum.

Zweitens. Das Gesetz widerspricht dem Schuldprinzip. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung kann nur unter der Bedingung eines Strafausspruchs und damit einer Schuldfeststellung erfolgen. Der Grundsatz „Keine Strafe ohne Schuld“ hat den Rang eines Verfassungsgrundsatzes.

Drittens. Ein Freiheitsentzug muss an ein Strafurteil geknüpft sein. Ein Freiheitsentzug aufgrund eines allgemeinen Gefährdungspotenzials mit dem Ziel der präventiven Unterbringung verknüpft strafrechtliche mit polizeirechtlichen, gefahrenabwehrrechtlichen Sicherungsmaßnahmen. Er stellt damit einen massiven Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte des Straftäters dar.

(Herr Geisthardt, CDU: Und um die Opfer küm- mert sich kein Schwein!)

- Warten Sie ab. Ich bin noch nicht fertig. - Uns ist bekannt, dass die Auseinandersetzung mit diesem Thema immer eine Gratwanderung zwischen Emotionen und nüchternen Argumenten, zwischen Populismus und realer Rechtspolitik ist. Wer versucht, sich mit Augenmaß und Sachargumenten diesem Thema anzunähern, dem wird schnell unterstellt, den Täterschutz vor den Opferschutz zu stellen.

(Zustimmung von Herrn Geisthardt, CDU)

Konsens ist sicherlich, dass Straftäter für begangenes Unrecht konsequent zu bestrafen sind, dass der Opferschutz verbessert werden muss und dass viel mehr Augenmerk auf Vorbeugung und Prävention zu richten ist. Es muss aber auch mit aller Deutlichkeit gesagt werden, dass keinem Opfer dadurch mehr Gerechtigkeit zuteil wird, dass ein Täter härter oder undifferenzierter bestraft wird.

(Unruhe bei der CDU - Zuruf von der CDU: Las- sen wir sie alle laufen!)

Die Sicherungsverwahrung ist die einschneidendste Maßregelung des Strafrechts. Dem verfassungsrechtlich gebotenen Abwägen zwischen der persönlichen Freiheit des betroffenen Inhaftierten und dem Schutz des Einzelnen bzw. der Gemeinschaft vor gefährlichen Straftätern kommt demnach größte Bedeutung zu.

Unter dem Gesichtspunkt eines tatbezogenen Strafrechts ist die Sicherungsverwahrung, vor allem die nachträgliche, eine sehr problematische und streng zu kontrollierende Maßnahme. Aus diesem Grund sollte zunächst sehr genau und ernsthaft geprüft werden, ob die gegenwärtigen rechtlichen Möglichkeiten zur Sicherungsverwahrung nicht ausreichend sind und - darin gebe ich vielen Kritikern Recht - nur nicht in vollem Umfange angewendet werden und ausgeschöpft werden.

Die Fraktion der PDS lehnt nach wie vor den Gesetzentwurf ab.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Tiedge. - Für die FDPFraktion erteile ich dem Abgeordneten Herrn Kosmehl das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesetz über die Unterbringung besonders rückfallgefährdeter Personen zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, kurz Unterbringungsgesetz, wurde vom Landtag der dritten Wahlperiode mit den Stimmen der CDU und der SPD verabschiedet. Das Unterbringungsgesetz war bereits Thema der 13. Sitzung des Landtages am 6. Februar dieses Jahres.

Lassen Sie mich an dieser Stelle einleitend bemerken, dass die FDP an diesem Gesetz nicht mitgewirkt hat. Nach intensiven Beratungen sind wir zu dem Ergebnis gekommen, dass wir das Gesetz in seiner derzeitigen Fassung auch nicht mittragen können. Aus diesem Grunde hat sich die FDP-Fraktion bereits bei der Beschlussfassung über die Stellungnahme des Landtages zu diesem Gesetz im Rahmen des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht der Stimme enthalten.

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte kurz auf einige wenige Punkte eingehen, die aus der Sicht der FDP wichtig und entscheidend sind.

An erster Stelle ist die Frage der Gesetzgebungskompetenz zu nennen, eben jene Frage, die auch im laufenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, welches am 20. und 21. Oktober 2003 in der Sache mündlich verhandelt hat, d i e entscheidende Frage ist.

Dass die Gesetzgebungskompetenz des Landes Sachsen-Anhalt bzw. der Länder allgemein scheinbar nicht so eindeutig gegeben ist, wird nicht nur im Rahmen der Begründung des Bundesverfassungsgerichts im einstweiligen Rechtsschutzverfahren deutlich, sondern auch anhand der Tatsache, dass die Länder Bayern und Thüringen mit der Bundesratsinitiative eines Gesetzes zum Schutz vor schweren Wiederholungstaten durch nachträgliche Anordnung der Unterbringung in Sicherungsverwahrung in der Bundesratsdrucksache 860/02 eine bundesgesetzliche Regelung herbeiführen wollten. Es bleibt also abzuwarten, wie das Bundesverfassungsgericht im Hauptsacheverfahren in dieser Frage entscheiden wird.

Dies, meine Damen und Herren, ist die formaljuristische Seite. Daneben scheinen auch materiell-rechtliche Regelungen bedenklich. Für die FDP-Fraktion bleibt daher festzuhalten, dass mit den §§ 66 und 66a StGB sowohl die Möglichkeit der Sicherungsverwahrung mit Urteilsverkündung als auch die erst im August des vergangenen Jahres geschaffene Möglichkeit der im Urteil vorbehaltenen nachträglichen Sicherungsverwahrung besteht. Auf diese beiden Möglichkeiten sollte in erster Linie zurückgegriffen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Unterbringungsgesetz ist gemäß § 9 Satz 2 auf zwei Jahre befristet worden. Es würde ohne weiteres Vorgehen am 9. März 2004 außer Kraft treten. Der heute vorgelegte Gesetzentwurf beinhaltet die Verlängerung dieser Befristung um weitere zwei Jahre.

Somit kommen wir von der juristischen zu der politischen Sicht. Ein entscheidender politischer Punkt, der auch in künftige Entscheidungen einfließen muss, ist aus der Sicht unserer Fraktion die notwendige Abwägung zwischen dem Schutz der Allgemeinheit und dem Schutz von Individualrechten. Der Schutz der Bevölkerung, also

der Allgemeinheit, ist die Aufgabe des Staates und der Politik. Genauso ist es aber auch eine Aufgabe der Politik, die verfassungsrechtlich garantierten Rechte Einzelner vor Eingriffen zu schützen. In diesem Spannungsfeld zwischen Allgemeinwohl und Individualinteressen muss die Politik abwägen.

Meine Damen und Herren! Wenn auch nicht im Wortlaut, so doch sinngemäß stimme ich aufgrund der zurzeit rechtlich ungeklärten Situation im Ergebnis den Ausführungen des Innenministers zu. Er sagte, dass eine Verlängerung der Befristung notwendig ist. Sie ist auch notwendig, um die Frage der Gesetzgebungskompetenz im laufenden Verfahren durch das Bundesverfassungsgericht abschließend zu klären, bevor man an die materiellrechtlichen Probleme herangehen kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion schließt sich ausdrücklich den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Beschluss über die Ablehnung einer einstweiligen Anordnung an, in denen es heißt - ich zitiere -:

„Im Hinblick auf die konkrete Gefahr wäre mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung ein erheblicher Nachteil für das Wohl der Allgemeinheit zu besorgen, der einen möglicherweise zeitlich begrenzten Eingriff in das Freiheitsrecht des Beschwerdeführers überwiegt.“

Insbesondere aus diesem Grunde - das betone ich ausdrücklich - spricht sich auch die FDP-Fraktion für eine zeitlich befristete Verlängerung des Gesetzes aus. Über die Dauer der Befristung wird im zuständigen Ausschuss noch einmal intensiv zu beraten sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion regt eine Überweisung in den Ausschuss für Recht und Verfassung an. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Herr Abgeordneter Kosmehl, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Herrn Gallert zu beantworten? - Bitte, Herr Gallert.

Herr Kosmehl, Ihre Ausführungen waren für mich nicht einfach zu verstehen. Sie sind im Grundsatz dagegen, aber bei diesem konkreten Gesetz sind Sie dafür. Können Sie mir erklären, warum Sie für die Verlängerung dieses von Ihnen grundsätzlich abgelehnten Gesetzes plädieren, wenn Sie doch im Grundsatz dagegen sind?

Herr Kollege Gallert, ich habe ausgeführt, dass es zum einen rechtliche Bedenken gibt. Zum anderen ist - das ist die Hauptsache - die Frage der Gesetzgebungskompetenz ungeklärt. Wir tendieren zu der Meinung, dass eine Gesetzgebungskompetenz des Landes nicht besteht. Diese Frage liegt dem Bundesverfassungsgericht zur Beantwortung vor. Würde dieses Gesetz nun auslaufen, könnte die Frage nicht mehr abschließend geklärt werden. Wir meinen aber, dass sie der Klärung bedarf.

In diesem Zusammenhang hat auch das Bundesverfassungsgericht ausgeführt - ich verzichte darauf, das erneut zu zitieren -, dass in der Abwägung darüber, ob