Protokoll der Sitzung vom 20.06.2002

Maßstab für den Lehrkräftebedarf können aber nur pädagogisch begründete Rahmenbedingungen sein, die ein Land garantieren will. In den alten Ländern ist dabei in den letzten Jahren viel Schindluder getrieben worden. Das ist allgemein bekannt. Da wurden Klassenfrequenzen erhöht, da wurden die Pflichtstundenzahlen heraufgesetzt, und erst als gar nichts mehr ging, begann man einzustellen.

Unser Antrag geht daher wesentlich weiter als der der SPD. Wir fordern, den Lehrkräftebedarf vor den Verhandlungen neu und am notwendigen pädagogischen Reformbedarf zu orientieren. Dazu braucht man die Stichworte Pisa und Erfurt eigentlich nicht in den Mund zu nehmen. Dennoch erklären uns gerade jetzt Lehrerinnen auch offen, dass sie einfach Angst haben. Sie beklagen, dass ihnen vor allem Zeit fehlt, um besser pädagogisch arbeiten zu können. Darum fordern wir:

Erstens. Wir brauchen mehr Lehrerstunden, um den Unterrichtsausfall zu senken und zu einer stabilen und fachgerechten Unterrichtsversorgung zu kommen. Das dürfte fast über alle Fraktionen hinweg Konsens sein.

Zweitens. Wir wollen die Arbeit an den Sekundarschulen vor allem dadurch stärken, dass sie ein erhöhtes Unterrichtskontingent bekommen, um den Bildungsauftrag wirkungsvoller realisieren zu können.

Drittens. Wir wollen Spielräume der Schulen für die wachsenden pädagogischen Aufgaben erweitern. Auch dafür ist Zeit notwendig, die den Schulen zur Verfügung zu stellen ist, und dazu gehört unter anderem auch die Ermöglichung von Klassenleiterstunden.

Viertens brauchen wir schließlich einen angemessenen Einstellungskorridor für junge Lehrerinnen. Auch das war hier immer Konsens. Sie haben das selbst in den letzten Jahren immer wieder angemahnt.

Für diese Rahmenbedingungen ist das Parlament politisch verantwortlich; denn es geht um die Qualität von Schule. Auf dieser Grundlage kann dann ein Tarifvertrag ausgehandelt werden. Wenn man das anders herum macht, wird wieder erst abgeschnitten, dann nachgemessen und festgestellt, dass die Decke viel zu kurz ist.

Für diese Rahmenbedingungen braucht man nicht unbedingt gleich viel mehr Geld, denn sie sind auch schrittweise realisierbar. Aber man kann eben nicht so viel sparen. Und wenn Sie dennoch meinen, dass das alles viel zu teuer sei und dass wir uns das nicht leisten könnten, dann schauen Sie sich den Anteil des Bildungshaushaltes am Landeshaushalt bei Ihrer Kollegin Frau Schavan an. Da kann man glatt neidisch werden.

Im Übrigen ist noch eine Sache zu beachten. Frau Mittendorf hat das eben auch schon angesprochen. Wenn dieser Zeitraum durchschritten ist, dann werden wir in eine Situation kommen, in der die Altersrückgänge im Lehrkräftebestand in den Schulen dramatisch sein werden, einfach deshalb, weil viele Lehrerinnen und Lehrer dann in das Rentenalter kommen. Dann werden wir einen dramatischen Bedarf an Lehrkräften haben. Das wird zu einem Zeitpunkt sein, bis zu dem wir jetzt gerade noch Zeit haben, Lehrerinnen und Lehrer neu auszubilden. Wenn man sich dann anschaut, wie viele Lehramtsstudenten sich zurzeit in Sachsen-Anhalt auf ein Lehramt vorbereiten, wird die Lücke dramatisch bewusst.

Aus diesem Grunde unterstützen wir den Aufruf der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zur Anwerbung von wenigsten 1 000 Lehramtsstudenten pro Jahr. Wenn diese ihre Ausbildung beendet haben, werden wir sie alle dringend brauchen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Die Frage würde ich noch beantworten, wenn ich darf.

Möchten Sie jetzt die Frage von Herrn Gürth beantworten? - Bitte schön, Herr Gürth.

Frau Kollegin Hein, stimmen Sie vielleicht damit überein, dass wir auch nach Aussagen vieler Fachleute im Ergebnis dieses solidarisch gemeinten Lehrertarifvertrages über alle Schulformen hinweg mittlerweile die am schlechtesten bezahlten Lehrer in Deutschland haben, dass wir zusätzlich wegen des Problems der Nichtverbeamtung die größte Gefahr in diesem Lande haben, dass junge Lehrer, selbst wenn wir sie richtig intensiv

anwerben würden, gar nicht zu uns kommen wollen, weil sie überall woanders besser bezahlt werden?

Und wie gehen Sie mit der Tatsache um, dass wir im Ergebnis dieses Tarifvertrages in vielen Bereichen an Schulen einen Lehrerüberhang haben, aber immer häufiger in ganz wichtigen Fächerkombinationen Fachlehrermangel vorhanden ist, sodass wir nicht einmal in jedem Gymnasium in den entsprechenden Altersstufen Latein garantieren können? Wenn Sie das auch so sehen, wie uns das viele Fachleute bestätigen, frage ich Sie: Wie würden Sie das Problem am besten lösen?

Ich fange mit dem Letzten an. Das Problem mit den Lateinlehrern würden Sie wahrscheinlich nicht einmal lösen, wenn wir andere Modelle hätten, weil wir einfach zu wenig Lateinlehrer haben. Das trifft auch für andere Fächer zu. Aber dieses Problem ist bekannt. Es besteht übrigens inzwischen auch in Fächern, in denen man eigentlich keinen Mangel vermuten würde.

Ich glaube, wir hatten dazu in der letzten Legislaturperiode schon einmal eine ziemlich fraktionsübergreifende Übereinstimmung gefunden bei der Aussage, dass wir über dem Tarifvertrag gelagerte konkrete Vereinbarungen finden müssen, dass Lehrerinnen und Lehrer fachgerecht zusätzlich arbeiten, um diese Lücke zu füllen. Ich denke, dass diese Flexibilität auch mit dem Tarifvertrag möglich ist. Das zum einen.

(Frau Feußner, CDU: Das sind aber neue Aussa- gen!)

- Nein, nein, das ist nicht neu. Wir haben damals auch - -

(Frau Feußner, CDU: Unseren Antrag haben Sie damals abgelehnt!)

- Nein, diesem Antrag haben wir damals zugestimmt. Wir haben den Kultusminister sogar ermutigt, in den Gesprächen mit den Tarifpartnern in dieser Richtung zu arbeiten, was ihm damals sehr gefallen hat.

Zum Zweiten muss ich sagen: Dass wir die am schlechtesten bezahlten Lehrer haben, das müssen Sie mir erst einmal vorrechnen. Wenn ich mit sächsischen Lehrern rede, sagen die mir etwas ganz anderes. 81 % und 87 % eines Gehaltes garantiert zurzeit kein Ostland. Keines!

Was die Verbeamtung betrifft, ist das eine Krux für sich. Sie können verbeamten. Ich erinnere daran, dass in Ihren eigenem Wahlprogramm steht, dass Sie das nur prüfen wollen. Das hat einfach damit zu tun, dass Sie angesichts der derzeitigen Lehrkräftesituation auch nicht wissen, welche Hälfte Sie verbeamten wollen. Das war schon immer Ihr Problem, das wird es auch bleiben, bis der Lehrkräftebestand dem Lehrkräftebedarf entspricht. Dann könnte man das theoretisch machen.

Auch dann wird es das Land vielleicht etwas billiger kommen, weil Sie in diesem Falle nicht in die solidarischen Sicherungssysteme einzahlen, sondern weil man dann pro Beamten nur einen Pauschalbetrag bereitzuhalten braucht, er deutlich niedriger ist als die Sozialabgaben. Das mag das Land günstiger kommen, kommt die solidarischen Sicherungssysteme aber wesentlich teurer. Ob wir das als öffentlicher Arbeitgeber tun sollten, ist die eine Seite der Medaille.

Die Zweite ist, dass sich die Beamten dann privat versichern müssen, dass sie also das, was sie vom Staat als Arbeitgeber nicht mehr bekommen, auch nicht über

die solidarische Versicherung bekommen, sondern ganz andere Wege gehen müssen. Das machen andere Länder natürlich.

Außerdem wissen Sie ganz genau, dass bei einer bestimmten Anzahl Beamter das Land irgendwann in eine ziemlich dramatische Situation kommt. Da brauchen Sie in den alten Ländern bloß einmal nachzufragen, welche Kosten die Pensionen verursachen. Auch dafür müsste man ja Vorsorge treffen. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Frau Mit- tendorf, SPD, und von Herrn Reck, SPD)

Danke, Frau Dr. Hein. - Wir treten ein in die verbundene Debatte zu den beiden Anträgen, die soeben eingebracht worden sind. Es ist eine Redezeit von zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart. Für die FDP-Fraktion spricht Herr Dr. Volk. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In dieser Antragsberatung stehen ein Antrag der SPD und ein Antrag der PDS zur gemeinsamen Beratung. Beide Anträge befassen sich mehr oder weniger offen mit den laufenden Verhandlungen zum Lehrertarifvertrag, also mit einem Problem, das in der Verantwortung der beiden Fraktionen aufgebaut wurde.

Um es vorwegzunehmen: Die FDP möchte die Anträge im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft weiter beraten, sodass eine konsequente Verhandlungsführung in den Tarifverhandlungen gewährleistet ist und zu gegebener Zeit die parlamentarische Information über die Ergebnisse sichergestellt ist.

Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge fordern im Detail, dass eine der Tarifparteien - hier im Speziellen das Land Sachsen-Anhalt - seine Position bei den laufenden Verhandlungen transparent macht. Dabei besteht immer die Gefahr des medialen Transportes und der ungewollten Beeinflussung von Verhandlungspositionen.

Ich denke, wir sind uns darin einig, die Tarifautonomie ist ein hohes Gut in unserer Gesellschaft und die Tarifverhandlungen dürfen nicht zum Spielball politischer Interessen werden. Wir halten deshalb bei der Sicherung der parlamentarischen Kontrolle der Landesposition in den Verhandlungen die Stringenz der Forderung nach permanenter Berichterstattung für schädlich, schädlich für den Verhandlungserfolg im Sinne der Verhandlungspartner und schädlich für den Zeitplan, der seitens der Regierungskoalition eine zügige Verhandlungsführung vorsieht.

Die Landesregierung der vorangegangenen Legislaturperiode hatte sich im Januar 2002 mit den Tarifpartnern darauf verständigt, die Verhandlungen nach der Landtagswahl zügig fortzusetzen, um bis zum Ende des Jahres einen Abschluss der Verhandlungen zu erzielen.

Die Regierungskoalition von CDU und FDP bekennt sich ausdrücklich - ich betone: ausdrücklich - zu erfolgreichen Tarifverhandlungen und hat deshalb unter Federführung des Finanzministeriums gemeinsam mit dem Kultusministerium nur eine Woche nach der Regierungsbildung - also umgehend - die Verhandlungen mit den Tarifpartnern aufgenommen.

Am 23. Mai sowie am 29. Mai 2002 haben Gespräche zur Grundverständigung stattgefunden. Diese werden im gegenseitigen Einvernehmen am 22. August fortgesetzt. Bis zum 22. August entwickeln zwei Arbeitsgruppen aus Vertretern des Finanzministeriums, des Kultusministeriums und der Gewerkschaften zu den Themen „Auszahlung der Arbeitszeitkonten“ und „Lehrkräftebedarf“ Lösungsangebote für die noch bestehenden Fragen sowie konkrete Formulierungsvorschläge. Es wird vom Land zielgerichtet an dem Vertrag gearbeitet.

Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, meine Damen und Herren von der Opposition, Sie darauf zu verweisen, dass unter Ihrer Regierung ein unzulänglicher Tarifvertrag mit gravierend negativen Folgen geschlossen wurde. Diese Folgen sind es, die die Verhandlungen belasten. Es wurde über die Köpfe der Lehrerinnen und Lehrer hinweg eine Tariflösung ausgehandelt, die unter dem Deckmäntelchen der Arbeitsplatzsicherung zu Gehaltsschulden des Landes in Höhe von 300 Millionen € bei den Lehrerinnen und Lehrern geführt hat.

(Zustimmung von Herrn Hauser, FDP, von Frau Röder, FDP, und von Frau Feußner, CDU)

Meine Damen und Herren! In Zeiten der Diskussion um die Qualität im Bildungssystem zahlt das Land SachsenAnhalt den Lehrerinnen und Lehrern nur Teilbeträge für geleistete Arbeit aus. Stattdessen wird ein imaginäres, ein virtuelles Gehaltskonto geführt, auf das sie keinen Zugriff haben. Ausgangspunkt für solch einen absurden Vertrag war eine völlig falsche Projektion des Bedarfes im Schulbereich. Die Tarifpartner der Vergangenheit haben schwer versagt.

Das Problem muss gelöst werden, und zwar schnell; denn die negativen Folgen der Tariflösungen setzen sich fort. Über fehlende Leistungsanreize für gute Arbeit baut sich schnell Frust und Perspektivlosigkeit auf. SachsenAnhalt ist unter diesen Bedingungen wirklich kein Wunschland für junge Lehrer.

Aber wir brauchen, auch in Vorwegnahme der sicherlich in naher Zukunft scharf zu führenden Diskussion um die Qualität der Bildung hier im Land, hochmotivierte Leistungsträger in der Lehrerschaft. Deshalb wird sich die Regierungskoalition hierfür einsetzen und auch tariflich eine nachhaltige Lösung finden.

Die Verhandlungsführer der Regierung haben einen konkreten Auftrag. Es geht um die Möglichkeit der Abgeltung der Arbeitszeitkonten - das wurde angesprochen -, darum, die Schulden des Landes bei den Lehrerinnen und Lehrern zu klären und ein für beide Seiten gangbares Modell zu entwickeln.

Ein Schwerpunkt liegt auf der Wiederherstellung der fachgerechten Unterrichtsversorgung durch regionale und fächerspezifische Flexibilisierung. Hierzu werden einige Ansprüche vom Land an den Tarifpartner gestellt, der eine Entscheidung für die Qualität der Schulbildung zu treffen hat.

Der Anschlusstarifvertrag kann natürlich nicht losgelöst von den schulprogrammatischen Vorstellungen der Landesregierung in Reaktion auf die bekannten Probleme des Landes gesehen werden. Wir wollen eine nachhaltige Lösung, die Bestand hat und somit die Anpassung des Bedarfs unter Berücksichtigung der strukturellen und schulprogrammatischen Vorhaben einschließt.

Meine Damen und Herren! Nachhaltigkeit heißt Zukunftssicherung. Wir brauchen einen angemessenen Einstel

lungskorridor für junge, leistungsbereite Lehrerinnen und Lehrer. Wir müssen Ihnen die Chance geben, sich in Sachsen-Anhalt eine Berufs- und Lebensperspektive aufzubauen.

Die Ausgangslage ist nicht einfach, und ich verstehe die Anträge der Fraktionen der SPD und der PDS auch so, dass tiefe Besorgnis über den selbst mitverschuldeten Istzustand herrscht. Zugleich kann ich Ihnen aber versichern, dass wir in der FDP-Fraktion in Verantwortung die Verhandlung begleiten und, wie formuliert, in dem Ausschuss für Bildung und Wissenschaft die Ergebnisse der Tarifverhandlung in die parlamentarische Diskussion einbringen werden. - Besten Dank.

(Zustimmung bei der FDP, bei der CDU und von Minister Herrn Prof. Dr. Paqué)

Vielen Dank, Herr Dr. Volk. - Für die CDU-Fraktion spricht Frau Feußner. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erstens verwundern die beiden Anträge der SPD und der PDS natürlich nicht, da nicht nur bei Ihnen ein berechtigtes Interesse besteht, wie die künftige Beschäftigung unserer Lehrkräfte gestaltet wird. Zweitens haben Sie natürlich mit dem Regierungswechsel Bedenken, dass der aus Ihrer Sicht erfolgreiche Tarifvertrag gekippt werden könnte bzw. mit anderen von Ihnen nicht gewollten Parametern fortgeführt wird. Drittens ist es legitim, als Oppositionspartei die Regierung in ihrer Arbeit zu kontrollieren.