Protokoll der Sitzung vom 22.01.2004

Sorge bereitet mir und vielen anderen die abnehmende Zahl der Ärzte, die einen baldigen Ärztemangel befürchten lässt. Zwar werden viele Mediziner im Land Sachsen-Anhalt ausgebildet - dies belegen die Einschreibungszahlen an den Universitäten -, aber zu viele Studierende brechen das Studium vorzeitig ab oder wechseln wegen der besseren Verdienstmöglichkeiten in andere Länder. Deshalb müssen wir uns immer wieder für eine Anpassung der Gehälter einsetzen. Mit dem GKVModernisierungsgesetz ist ein erster Schritt in diese Richtung gelungen.

Als wir die Antworten auf diese Große Anfrage erarbeiteten, waren wir zugleich auch an den Konsensgesprächen in Berlin beteiligt, in deren Ergebnis das eben erwähnte GKV-Modernisierungsgesetz verabschiedet wurde, das zu Beginn dieses Jahres in Kraft getreten ist. Jeder weiß, dass das noch nicht die große Reform war, die wir benötigen, aber das Gesetz schafft Zeit für die gründliche Vorbereitung einer grundlegenden Reform.

Darüber, dass das Bundesministerium an dieser Stelle offensichtlich nicht mit der Selbstverwaltung im Bereich der Kassen und im ärztlichen Bereich zurechtgekommen ist, was nötig gewesen wäre, um das Gesetz pünktlich und sorgfältig vorbereitet in Kraft treten zu lassen, mag an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. Es bereitet uns allen aber leider Probleme in Bezug auf das Verständnis für weitere Maßnahmen.

Große Gesetzesvorhaben wie das GKV-Modernisierungsgesetz bergen selbstverständlich das Problem in sich, dass handwerkliche Fehler gemacht werden. Deshalb werden wir eine Bundesratsinitiative mit folgenden Zielen starten:

Die Benachteiligung Alleinerziehender im Rahmen der Belastungsgrenze für Zuzahlungen ist aufzuheben.

Selbstbehalte und Beitragsrückzahlungsregelungen sollen auch für pflichtversicherte Mitglieder ermöglicht werden.

Die Regelungen zur Praxisgebühr sind dahin gehend klarzustellen, dass auch nichtärztliche Psychotherapeuten eingebunden sind, die nicht überweisen dürfen, und um sicherzustellen, dass die Praxisgebühr bei so genannten planbaren Notfällen, beispielsweise bei einem Verbandswechsel, der am Wochenende erforderlich wird, nicht erneut fällig werden muss.

(Zustimmung bei der FDP und von Frau Wy- brands, CDU)

Im Bereich der Sozialhilfe wird die Finanzierungsverantwortung der örtlichen und der überörtlichen Sozialhilfeträger bei der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen zusammengeführt. Ebenso wird die Finanzierungsverantwortung bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen für unterschiedliche Personenkreise unter dem Dach des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe vereinheitlicht.

Die Vernetzung verschiedener Beratungs- und Betreuungsangebote, wie stationäre und teilstationäre Pflegeplätze, Kurzzeitpflegeplätze und ambulante Pflegedienste, hat in der Politik der Landesregierung eine besondere Bedeutung erhalten. Im letzten Jahr ist durch die Landesregierung die Pflege- und Betreuungsverordnung erlassen worden. Sie dient dazu, die Situation der demenziell erkrankten Pflegebedürftigen zu verbessern, und begünstigt damit die Rahmenbedingungen für eine finanzielle Förderung von zwölf Projekten in diesem Jahr.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir verharren nicht auf der Stelle und wir führen nicht nur erfolgreiche frühere Vorhaben fort. Aber wenn uns nicht so viele Probleme hinterlassen worden wären, hätte die SPD auch nicht so viele Möglichkeiten, nun von uns die Lösungen dafür einzufordern.

(Ach! bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Richtig! - Frau Mittendorf, SPD: Mann o Mann!)

Wir stellen uns dieser Aufgabe trotzdem.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Kley. - Die Debatte der Fraktionen wird durch die FDP-Fraktion eröffnet. Es spricht Herr Scholze. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Große Anfrage der SPD-Fraktion und die Antwort der Landesregierung befassen sich mit zwei Politikfeldern, die so vielschichtig sind, dass es an dieser Stelle schwierig ist, in fünf Minuten auf alle Aspekte einzugehen. Ich will mich daher auf das Themenfeld der Gesundheitspolitik beschränken.

Meine Damen und Herren! Im Bereich der Gesundheitspolitik stehen wir nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern in ganz Deutschland vor zentralen Herausforderungen:

Erstens. Gelingt es uns, vor dem Hintergrund des demografischen Wandels ein bezahlbares System der medizinischen Versorgung zu entwickeln?

Zweitens. Gelingt es uns, die Menschen in die Lage zu versetzen, mit ihrer Gesundheit verantwortungsvoller umzugehen und Zivilisationskrankheiten zu vermeiden?

Aus diesen Fragestellungen wird bereits deutlich, dass es beim Bund und bei den Ländern unterschiedliche Zuständigkeiten gibt; denn wesentliche Regelungskompetenzen zur Sicherung der medizinischen Versorgung sind auf der Bundesebene angesiedelt. Dort wird nach der aktuellen Gesundheitsreform eine grundlegende Reform der Krankenversicherung in der Zukunft unausweichlich sein.

Im Kontrast dazu hat das Land eigentlich einen großen Gestaltungsspielraum, wenn es darum geht, die Menschen in die Lage zu versetzen, mit ihrer Gesundheit verantwortungsvoller umzugehen. Als Stichworte sind hierbei Prävention und Gesundheitsförderung zu nennen.

Allerdings ist es ungleich schwieriger, in diesen Bereichen die Eigenverantwortung der Bürger und die Entwicklung von Selbsthilfeorganisationen zu fördern, da uns aufgrund der desolaten Haushaltspolitik der SPD

Vorgängerregierung kaum finanzielle Spielräume für gesundheitspolitische Aktivitäten verblieben sind. Es ist eben nicht generationengerecht, wünschenswerte Leistungen des Staates auf Pump zu finanzieren.

Umso zufriedener können wir im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung mit den Ergebnissen der Arbeit der Landesregierung sein, der es gelungen ist, trotz der schwierigen Lage eigene Akzente zu setzen. Beispielhaft sei das Projekt „Toben macht schlau - Bildung durch Bewegung im Kindergarten“ erwähnt, mit dem darauf gesetzt wird, bereits im Kindergartenalter auf den Lebensstil prägende Faktoren Einfluss zu nehmen und dem Bewegungsmangel durch Sport entgegenzutreten.

Auch die Neuausrichtung der Gesundheitsziele ist ein positiver Akzent der neuen Landesregierung. Die Bürgerinnen und Bürger sollen gezielt und verstärkt in den unterschiedlichen Lebensbereichen ihre Eigenverantwortung für die Gesundheit wahrnehmen und bewusst auf ihre Verhaltensweisen, zum Beispiel bei der Ernährung, bei der Bewegung oder beim Umgang mit Alkohol und Nikotin, hingewiesen werden.

Meine Damen und Herren! Um der Prävention und der Gesundheitsförderung einen angemessenen Stellenwert einzuräumen, wurde im Rahmen der Konsensverhandlungen zur Gesundheitsreform die Erarbeitung eines Präventionsgesetzes vereinbart. Die Kunst der Politik besteht dann darin, den finanziellen Spielraum für die Prävention und die Gesundheitsförderung zu erweitern, ohne die GKV weiter zu schwächen oder einen neuen Bürokratieschub zu generieren.

Meine Damen und Herren! Zum zweiten Fragenkomplex. Die Sicherstellung der medizinischen Versorgung wird letztlich durch die gesetzliche und die private Krankenversicherung finanziell untersetzt. Ich möchte an dieser Stelle keine neue Diskussion über die künftige Finanzierung der GKV entfachen, aber ich beobachte mit Sorge die abnehmende Zahl der Ärzte gerade in den neuen Bundesländern.

Die Ursache dafür besteht nach meiner Auffassung darin, dass die ärztliche Tätigkeit in den letzten Jahren nicht mehr auskömmlich war. Einer guten Leistung steht keine angemessene Vergütung gegenüber. Dies hat zur Folge, dass ältere Ärzte keine Praxisnachfolger finden, da eine freiberufliche ärztliche Tätigkeit inzwischen einfach unattraktiv ist.

Rot-Grün hat in Berlin ein Feindbild gepflegt, nach dem die gesundheitspolitischen Probleme in den letzten Jahren allein den angeblich nimmersatten Leistungserbringern anzulasten sind. Damit muss Schluss sein.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wir brauchen in Sachsen-Anhalt den freiberuflichen Arzt, da er die Versorgung in der Fläche sicherstellt. Zur Gewährleistung der künftigen flächendeckenden ärztlichen Versorgung gibt es gute Konzepte der Landesregierung in Zusammenarbeit mit den Kassenärztlichen Vereinigungen. Doch Garantiehonorare der Kassenärztlichen Vereinigungen und eine Förderung durch das Sozial- oder das Wirtschaftsministerium allein werden nicht ausreichen, wenn nicht auf Bundesebene andere Trends erkennbar werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als Fazit kann ich feststellen, dass die Landesregierung trotz der schwierigen Haushaltslage ihren Aufgaben und ihrer Verantwortung gerecht wird und sich auf allen Ebenen,

insbesondere auch beim Bund, für die gesundheitspolitischen Belange unseres Landes und der anderen neuen Bundesländer engagiert - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Scholze. - Nun erteile ich Frau Bull das Wort. Bitte schön.

Meine Damen und Herren! Die vorliegende Große Anfrage der SPD-Fraktion hat die Gesundheitspolitik und die Sozialpolitik auf der Ebene des Landes zum Gegenstand. Die Vielfalt ist ziemlich groß. Meine Vorgänger haben ihren Leidensdruck schon zum Ausdruck gebracht. Man kann selbstverständlich auch nicht alles anreißen.

Die Landespolitik hat in diesem Bereich kaum systemische Kompetenzen, und wenn ja, dann haben wir in diesem Hause bereits des Öfteren darüber diskutiert. Der Kontext dieser Großen Anfrage, meine Damen und Herren, sind aber gerade Systemwechsel in einem bisher nicht gekannten Ausmaß.

Ich gebe gern zu, dass es mir, ehrlich gesagt, widerstrebt, angesichts der nun spürbaren Auswirkungen der Gesundheitsreform und der erwartbaren Auswirkungen der bevorstehenden Sozialreform heute im Wesentlichen über Prävention und Gesundheitsverwaltung zu sprechen.

Die Gesundheitsreform, wie sie nun realisiert ist, bedeutet im Wesentlichen Kostendämpfung, und zwar eine Kostendämpfung einzig und allein auf Kosten der Patientinnen und Patienten, auf Kosten der Versicherten.

Ich habe meine Praxisgebühr bezahlt, meine Damen und Herren. Ich habe auch die erste Zuzahlung geleistet. Das ist ärgerlich, aber es bringt mich nicht um und es wird voraussichtlich auch nicht mein Gesundheitsverhalten verändern.

Trotzdem frage ich mich immer wieder: Wie macht es eine vierköpfige Familie, in der die Eltern Minijobs nachgehen? Oder anders gesagt: Für die sozialen Mittelschichten ist das sehr wohl sehr ärgerlich; richtig schwierig wird es für die unteren Einkommensschichten. Dort geht es von den Alltagsausgaben ab. Dort wird Gesundheit eine recht kostspielige Angelegenheit, die in die Kategorie Luxus fällt. Die Auswirkungen werden wir vor Ort zu spüren bekommen und die werden auch nicht lange auf sich warten lassen.

(Beifall bei der PDS)

Der Gesundheitszustand bei den unteren Einkommensgruppen wird sich verschlechtern; denn Eigenvorsorge und Prävention sind nicht zum Nulltarif zu haben. Das wird zur Verschlechterung der sozialen Lage führen. Das bringt eine Verschärfung der sozialen Konflikte mit sich, und die Polarisierung in dieser Gesellschaft wird unweigerlich zunehmen, und zwar die zwischen Reich und Arm, zwischen Gesund und Krank, zwischen Gebildet und Ungebildet, zwischen Lebensqualität und dem Gegenteil davon; denn, meine Damen und Herren, das alles hat miteinander zu tun. Die Ausgrenzungsmechanismen werden neu belebt. Menschen sind arm, weil sie krank sind, und Menschen sind krank, weil sie arm sind.

Nun kann man sagen, als Land kann man aus der Gesundheitsreform nicht unbedingt ausbrechen. Das ist wohl wahr, auch hinsichtlich der Kassenlage im Land. Zur Wahrheit gehört aber auch: Diese so genannte Gesundheitsreform ist zu großen Teilen Ihr Werk. Das „Ihr“ brauche ich an dieser Stelle nicht einmal mehr zu differenzieren. Es ist nicht nur Ihr Werk, es ist auch Ihr Wille. Auch diese Sozialreform, die wir im kommenden Jahr zu erwarten haben, ist Ihr Wille. Das werde ich bei jeder möglichen Gelegenheit aussprechen.

Was hat nun das Land, also die staatliche Ebene, vor diesem Kontext zu bieten? - Auf der einen Seite Hilfsstrukturen und auf der anderen Seite allgemeine Rahmenbedingungen. Die Hilfsstrukturen fallen Streichorgien zum Opfer, das hat meine Vorrednerin bereits bemerkt. Die Insolvenzberatung wird beispielsweise auf die Hilfe zur Abwicklung der Bürokratie reduziert. Die gesamte sozialpolitische Infrastruktur wird minimiert.

Was zusätzlich richtig problematisch ist, meine Damen und Herren: Es betrifft wiederum genau die, die ohnehin in eklatanter Weise durch die Sozialreformen und durch die Gesundheitsreform belastet sind. Man braucht nicht viel Phantasie, um zu erkennen, welche sozialen Milieus die Beratungsangebote nutzen oder zumindest welche sozialen Milieus keine Kompensationsmöglichkeiten haben, wenn diese wegfallen. Ich kann mir notfalls ein Buch über die Gesundheitsreform usw. leisten und es lesen.

Eine solche Gesundheits- und Sozialpolitik passt ins Bild. Sie passt ins Bild, ohne dass seitens der Landesregierung Leidensdruck erkennbar gewesen wäre. Das ist deutlich spürbar beispielsweise bei den Aktivitäten der Landesregierung im Bundesrat hinsichtlich der Änderung des Bundessozialhilfegesetzes oder - ein weiteres Stichwort, das mit Bildung zu tun hat - hinsichtlich der Aufhebung der Kostenfreiheit für Schulmaterialien für Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfänger.

Ich führe ein weiteres Beispiel ins Feld, das ich für problematisch halte. Die Gesundheitsziele des Landes werden neu justiert. Darüber ist gesprochen worden. Der Charme des Ganzen ist, dass man noch nicht einmal so richtig etwas dagegen haben kann; denn die Prävention wird bei den Praktikerinnen und Praktikern sowie bei den Gesundheitspolitikerinnen und Gesundheitspolitikern ziemlich schwer gewichtet. - Zu Recht.

Aber, meine Damen und Herren, das ist auch ein bisschen schlitzohrig. Auf Krankheitsbilder orientierte Gesundheitsziele sind konkret abrechenbar. Es gibt nun einmal Krankheitsstatistiken und Todesstatistiken. Auf Prävention orientierte Gesundheitsziele sind schwerlich abrechenbar, also auch schwerlich zu evaluieren. Da wird der Minister, mit Verlaub, immer sagen: Das war ein großer Erfolg. Die Opposition wird das Gegenteil behaupten.

Ich will die Ziele nicht verteufeln; es ist in Ordnung, jede Landesregierung, die neu antritt, muss auch die Möglichkeit haben, ihre Ziele neu zu justieren. Aber Ziele lassen sich nur zielgruppenspezifisch angehen.

Menschen vor Alkoholmissbrauch zu schützen beispielsweise hat natürlich ein enormes Gewicht. Trotzdem bedarf das wiederum unterschiedlicher Strategien - das Stichwort „soziale Ungleichheit“ ist gefallen -; denn es ist ein Unterschied, ob ich einen Sozialhilfeberechtigten, der leider einen Großteil seines Lebens an der Kaufhalle