Protokoll der Sitzung vom 22.01.2004

Die finanzielle Notlage der Städte und Gemeinden wird sich auch in den nächsten Jahren nicht gravierend ändern. Insbesondere in der Fläche werden die Gemeinden den Bevölkerungsabbau zu spüren bekommen, da ein Teil der Zuweisungen vom Land, aber auch die Steuereinnahmen maßgeblich von der Kopfzahl der Bevölkerung, insbesondere der arbeitenden Bevölkerung, abhängen.

Deshalb wäre es töricht, an dieser Stelle den Erhalt des Status quo zu versprechen. Wir stehen vor der Herausforderung, neue Wege dafür zu finden, wie sinnvolle Angebote zu vertretbaren Kosten erstellt werden können. Auch im Bereich der Bibliotheken sind künftig Flexibilität und Innovation, etwa bei der Einwerbung von Mitteln, gefragt.

In diesem Zusammenhang möchte ich auf die KMKEmpfehlung „Stärkung von Kostenbewusstsein und Dienstleistungsorientierung“ aus dem Jahr 1997 verweisen, in der wichtige Hinweise für eine effizientere und bürgerorientiertere Arbeit von Kultureinrichtungen gegeben werden.

Es muss die Frage gestellt werden, inwieweit Sponsorengelder, etwa von örtlichen Buchhandlungen oder von der lokalen Wirtschaft, akquiriert werden können. Außerdem wären Partnerschaften von Schulen und Bibliotheken sowie die Durchführung von Veranstaltungen in Bibliotheken und Büchereien denkbar. Dies ist in einigen Einrichtungen heute schon üblich, aber nicht in allen.

Die fortgesetzt schlechte finanzielle Lage der Kommunen wird aller Voraussicht nach zu weiteren Einschnitten auch im Bibliotheksnetz führen. Zum einen werden bisher hauptamtlich geführte Bibliotheken nicht mehr zu halten sein, insbesondere im ländlichen Raum. Zum anderen sind durch das Auslaufen der AB-Maßnahmen an vielen Schulen die dort vorhandenen Schulbibliotheken

ohne professionelle Betreuung. Insofern stellen sich hinsichtlich der Zukunft der bibliothekarischen Versorgung, insbesondere im ländlichen Raum, einige wichtige Fragen.

Herr Schomburg, möchten Sie eine Frage des Abgeordneten Herrn Metke beantworten?

Am Schluss.

Wie können Grundversorgungsbibliotheken eventuell auch nebenamtlich oder ehrenamtlich geführt werden? Wie können die Bestände der Schulbibliotheken ordentlich betreut und eventuell auch mit den kommunalen Bibliotheken verknüpft werden? Wie kann durch die Vernetzung der Bibliotheken, zum Beispiel innerhalb eines Landkreises, deren Medienbestand effizienter genutzt werden und damit für den Nutzer eine breitere Angebotspalette bereitgestellt werden?

Eventuell ist die Einrichtung von Verbünden kommunaler Bibliotheken, ähnlich dem Prinzip von Verkehrsverbünden, zu prüfen. Städte mit Zentrumsfunktion, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht erreichbar sind, könnten wichtige Schriften, neue Medien und aktuelle Publikationen parat halten.

Darüber hinaus muss geprüft werden, wie dezentrale Zugangsmöglichkeiten mittels Internet oder Fernleihe gewährleistet werden können. Diesbezüglich kann über Bibliotheksbusse, Kataloge in Rathäusern, in Verwaltungsstellen und in Schulen nachgedacht werden. Eine Idee wäre es vielleicht, Schulbibliotheken als Leihstellen auch für umfassendere Sammlungen an zentralen Orten einzusetzen.

Dies alles sind Fragen, die in einem gemeinsamen Gespräch zwischen den Vertretern der kommunalen Ebene und den Mitarbeitern des Kultusministeriums dringend erörtert werden müssen. Nach meiner Kenntnis hat Staatssekretär Herr Böhm den Kommunen und dem Bibliothekenverband diesbezüglich bereits ein Gesprächsangebot unterbreitet.

Den in der Pisa-Studie dokumentierten Niveauverlusten bei der Lesekompetenz scheint nach Angaben der Landesregierung in erster Linie ein methodisch-didaktisches Problem in der Sekundarstufe und in der Grundschule zugrunde zu liegen. Hinzu kommt allerdings die mangelnde Lesemotivation gerade bei den Neuntklässlern bzw. den 15-Jährigen.

Deshalb sollte in enger Zusammenarbeit mit den Schulen, mit den Schulbehörden und den öffentlichen Bibliotheken vor allem die Lesemotivation gefördert werden. Auch in diesem Zusammenhang könnte man sich sicherlich weitere Initiativen vonseiten des Landes vorstellen.

Unabhängig von der Finanzierungsproblematik ist es allerdings fraglich, ob besser ausgestattete Bibliotheken automatisch zu einem signifikanten Anstieg der Lesefreudigkeit führen würden. Ein Ansatz könnte vielleicht darin bestehen, die Kooperation zwischen Schulbiblio

theken, öffentlichen Büchereien und privatwirtschaftlichen Sponsoren zu verstärken.

Generell muss aber angemerkt werden, dass die Leseförderung und die Lesefreudigkeit auch in Zeiten einer finanziell besseren Ausstattung Schritt für Schritt zurückgegangen ist. Deshalb sollte vor neuen Forderungen zunächst einmal geprüft werden, ob sich überhaupt ein Zusammenhang zwischen dem Mitteleinsatz und der Leselust herstellen lässt.

Zwar sind etwa 35 % der Nutzer von Bibliotheken dem Kinder- und Jugendbereich zuzuordnen und werden die Schüler insbesondere über den Deutschunterricht mit den Bibliotheken vertraut gemacht, dennoch geht die Lesebegeisterung in diesem Alterssegment permanent zurück. Andere Wissensquellen und Kommunikationsformen werden dominant.

Ich denke, die Förderung des Lesens ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb sollte man die Familien, den Freundeskreis und die Erzieher mindestens ebenso stark einbeziehen wie die öffentlichen Bibliotheken. Gelingt es den Eltern nicht, ihre Kinder in die Welt der Sprache und später in die Welt der Literale einzuführen, so kann dies später nur mit erheblichen Aufwendungen der Gesellschaft und manchmal überhaupt nicht korrigiert werden.

Bei den Bibliotheken muss künftig auch viel stärker zwischen verschiedenen Bedarfen unterschieden werden. Junge Menschen, die sich vorwiegend an neue Medien und technische Literatur heranwagen, sind oft mobil bzw. verfügen über einen Zugang zum Internet. Technisch anspruchsvolle moderne Medien können daher an zentralen Orten zur Verfügung gestellt werden und über vernetzte Kataloge für die Nachfragenden zugänglich gemacht werden.

Immobile Menschen, deren Interesse vielleicht eher der Belletristik gilt, sollten aber weiter dezentral versorgt werden. In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass belletristische Literatur nicht so schnell veraltet wie technische Literatur und andere Fachbücher. Daher ist in diesem Bereich nicht mit einem ähnlich großen Bedarf an Ersatzbeschaffungen zu rechnen.

Die Mediengesellschaft stellt an die Bibliotheken, insbesondere durch den Siegeszug des Internets und die Fortentwicklung elektronischer Datenträger, völlig neue Anforderungen. Bibliotheken müssen entsprechende Angebote vorhalten, wenn sie bei den jüngeren, besonders mediengeprägten Menschen als attraktiv gelten wollen.

Es wäre wünschenswert, dass das Land dies fördert. Allerdings ist es angesichts der derzeitigen Haushaltslage utopisch, daran zu glauben, dass eine möglichst flächendeckende Ausstattung mit modernen Medien finanziert werden könnte.

Die Aufwendungen des Landes für Bibliotheken bewegten sich, wie bereits erwähnt wurde, in den letzten Jahren - und zwar nicht erst seit Antritt der CDU-FDP-Landesregierung - bei etwa 8 bis 10 % der Gesamtaufwendungen. Die Aufwendungen des Landes dienten zu keiner Zeit der Aufrechterhaltung des Bibliothekssystems als solches, sondern immer speziellen Aufgaben, von der Unterstützung bei Erhaltungsinvestitionen insbesondere in den ersten Jahren über die Unterstützung bei der Beschaffung neuer Medien und bei der Bereitstellung von Computern bis hin zu deren Vernetzung und der Beschaffung bzw. Entwicklung der dazugehörigen Soft

ware, von der Übernahme der Schutzrechtekosten und den Beratungsstellen in den Regierungspräsidien einmal abgesehen.

Für die Zukunft der Bibliotheken sind alle Schuldzuweisungen nicht hilfreich. Heute ist die Suche nach Kompromissen und die Zusammenarbeit gefragt. Es muss in einem Gespräch, beispielsweise im Rahmen einer Bibliothekskonferenz, geklärt werden, welche Aufgaben zukünftig das Land und welche die kommunalen Träger übernehmen müssen und wie sie mit den finanziellen Bedingungen unserer Zeit vereinbar sind. Aus den Antworten auf diese Fragen ergeben sich die Strukturen, die wir für die Zukunftsfähigkeit des Bibliothekswesens in Sachsen-Anhalt dringend brauchen.

Ich möchte meinen Redebeitrag mit einem Zitat der amerikanischen Historikerin Barbara Tuchmann beenden:

„Ohne Bücher bleibt die Geschichte stumm, die Literatur sprachlos. Die Wissenschaft verkrüppelt. Das Denken kommt zum Stillstand. Büchner sind Zeugen des Wandels, sind Fenster zur Welt. Sie sind Banken des Geistes. Bücher sind gedruckte Humanität.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Namen der CDU-Fraktion bitte ich um die Überweisung des Antrages an den Ausschuss für Kultur und Medien. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Schomburg. - Das Schlusswort hat nun Herr Reck.

(Herr Metke, SPD, meldet sich zu Wort)

- Entschuldigung, Sie hatten noch eine Frage. Bitte, Herr Metke.

Herr Kollege Schomburg, ich wollte Sie fragen, wie Sie die Tatsache beurteilen, dass der zuständige Ressortminister dieser wichtigen Debatte seit geraumer Zeit nicht folgen kann, weil er nicht mehr anwesend ist.

Da der Minister zu Beginn meines Redebeitrags den Saal verlassen hat und ich ihm mein Manuskript vorab zum Lesen gegeben habe, halte ich dies nicht für sonderlich maßgeblich.

(Zustimmung bei der CDU - Lachen bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Schomburg. - Nun bitte, Herr Reck.

(Unruhe bei der SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will es kurz machen. Ich bedauere ebenfalls, dass der Minister nicht anwesend ist, weil ich ihn ansprechen wollte.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich wollte ihm sagen: Lieber Herr Minister Olbertz, die Menschen sind verschieden - Gott sei Dank -; Sie und ich, wir unterscheiden uns auch - Gott sei Dank.

(Heiterkeit bei der SPD)

Der eine liest „Harry Potter“ und der andere liest ihn nicht. Ob das schadet oder nicht, das müssen andere bewerten. Ich halte es aber nicht für gut, sich darüber lustig zu machen. Ich kann damit natürlich gut leben. Das zum Ersten.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Zum Zweiten bin ich sehr froh darüber, dass die Debatte ergeben hat, dass wir in Sachsen-Anhalt eine öffentliche Diskussion über öffentliche Bibliotheken brauchen, und dass alle diesem Anliegen zugestimmt haben.

(Zustimmung von Herrn Gebhardt, PDS)

Ich sage bereits im Vorgriff auf den Antrag, der dem nächsten Tagesordnungspunkt zugrunde liegt - Herr Präsident, ich brauche dann nicht noch einmal eine Einführungsrede zu halten -, dass wir selbstverständlich einer Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Kultur und Medien zustimmen werden. Ich bin mir sicher, dass wir, weil dort genug Kulturverstand vorhanden ist, eine gute Lösung finden und dass wir Ihnen vielleicht sogar im Ergebnis einer zügigen Beratung schon für die nächste Landtagssitzung ein Konzept vorlegen können, dem zu entnehmen ist, wie wir noch in diesem Jahr in Sachsen-Anhalt eine Bibliothekenkonferenz gestalten können.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Ich bedanke mich darüber hinaus dafür, dass das Bekenntnis zum Buch in diesem Landtag so deutlich geworden ist. - Danke schön.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Reck.