Protokoll der Sitzung vom 23.01.2004

„Bei der Privatisierung der Deutschen Bahn sind die Rechtsverhältnisse zu den Kunden nicht ausreichend konsequent weiterentwickelt worden. Die Rechtsbeziehung zwischen der Deutschen Bahn und ihren Fahrgästen, wie sie derzeit besteht, ist grundsätzlich privatrechtlicher Natur (Beförderungsverträge). Dieses privatrechtliche Nutzungsverhältnis wird aber beispielsweise in wichtigen Sonderbereichen durch öffentlich-rechtliche Regelungen des Bundes, namentlich die Eisenbahnverkehrsordnung von 1938, zulasten des Verbrauchers modifiziert. In keinem anderen rechtlichen Bereich muss der Verbraucher für eine mangelhafte Leistung den vollen Preis bezahlen bzw. gegen seinen Willen eine mangelhafte Leistung abnehmen.“

Im 4. Nachtrag der Neufassung der Beförderungsbedingungen für Personen durch die Unternehmen der Deutschen Bahn AG vom 1. August 2003, gültig ab 14. Dezember 2003 wurden ebenfalls kleine Verbesserungen vorgenommen. Man kannte also diese Bundesratsinitiative.

Zur aktuellen Situation der DB AG ein paar Anmerkungen aus einem Interview des Vorsitzenden der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer vom 7. Januar 2004. Ich zitiere Herrn Manfred Schell, übrigens ehemals

CDU-Bundestagsabgeordneter, bevor er Gewerkschaftsvorsitzender wurde:

„Am vergangenen Mittwoch wurden im Berliner Hotel Ritz-Carlton zehn Jahre Bahnreform gefeiert. Dort waren sich alle Redner von Bahnchef Hartmut Mehdorn über Verkehrsminister Manfred Stolpe bis zum Bundeskanzler Gerhard Schröder einig: Die Bahnreform war richtig und ein voller Erfolg. Es war eine Jubelfeier.

Was dort gesagt und gefeiert wurde, hatte oftmals nichts zu tun mit den 1993 formulierten Ansprüchen an eine zu privatisierende Bahn und erst recht nicht mit den Versprechungen, die zum damaligen Zeitpunkt den rund 400 000 Beschäftigten gemacht wurden. Das hat fatale Folgen.

Die Qualität der Arbeit, welche die Bahn gegenüber ihrer Kundschaft abliefert, hat einen Tiefststand erreicht. Dabei sind die aktuellen Verluste in einem erheblichen Maß Ergebnis eines Missmanagements - dem Projekt des neuen Fahrpreissystems. Damit wurden nach Angaben der DB AG 370 Millionen € in den Sand gesetzt.“

Ich weiß, die Redezeit geht zu Ende. Ich versuche zu straffen.

Grundsätzlich muss die Bahn sich endlich als Dienstleister begreifen. Der Bahnkunde muss seine Abhängigkeit von der Kulanz des Unternehmens mit Basisregelungen aus Anfang des 20. Jahrhunderts aufgelöst und eine Rechtsstellung entsprechend dem heutigen Stand erhalten. Geklärt werden muss die Rechtsstellung des Verkehrskunden im Bereich der Daseinsvorsorge. Ebenso sind die Eckpunkte einer Harmonisierung im Rahmen der EU zu erarbeiten. Allerdings bezweifele ich, dass unter Verkehrs- und Aufbau-Ost-Minister Stolpe deutliche Fortschritte erreicht werden.

Ich möchte noch ein kleines Zitat zu seinem Amtsverständnis anfügen:

„Ich betreibe ein von mir nicht gewünschtes und nicht angestrebtes, aber dennoch zu machendes Amt.“

Das war ein Zitat aus der „Wirtschaftswoche“ vom 9. Oktober 2003.

Was nun mit dem Antrag? Eigentlich ist er erledigt und könnte abgelehnt werden. Um aber im Sinne der hoffentlich jetzt ausgeschlafenen Antragsteller und der vielen Kunden zu handeln, schlagen wir eine Berichterstattung des Fachministeriums zur Umsetzung des Beschlusses des Bundesrates vom 7. November 2003 inklusive der aus Landessicht zusätzlich bestehenden Ergänzungen im Fachausschuss vor. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Kasten. - Ich habe nun bei unserem vorletzten Tagesordnungspunkt die Freude, Schülerinnen und Schüler der berufsbildenden Schulen Quedlinburg auf der Tribüne begrüßen zu können.

(Beifall im ganzen Hause)

Sie werden jetzt also auch Frau Weiß hören. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Pünktlichkeitsstatistik der Deutschen Bahn fahren 90 % ihrer Züge pünktlich in den Bahnhöfen ein. Das bedeutet aber auch, dass jeder zehnte Zug mit einer mehr oder weniger beachtlichen Verspätung ankommt. Die Folgen sind im besten Fall ein schneller Lauf zum Nachbargleis oder eine verpasste Anschlussverbindung, wobei die Anschlusssicherheit nach der Statistik immerhin bei 97 % liegt.

Ich habe in meiner Stadt Halberstadt schon mehrfach mehr als fünf Minuten am Gleis gestanden. Im besten Fall ist das unangenehm. Was aber, wenn wegen Verspätung ein Flug oder die letzte Anschlussmöglichkeit nicht mehr wahrgenommen werden kann?

Wer einen dem wahren Schaden entsprechenden Ersatz erwartet, täuscht sich. Wer wegen Verspätung des Zuges seinen Flieger verpasst oder dadurch zusätzliche Kosten erleidet, hat keinen Anspruch auf Entschädigung. So will die Eisenbahnverkehrsordnung. Sie setzt nicht nur das Bürgerliche Gesetzbuch weitgehend außer Kraft, sondern verstößt nach Ansicht von Rechtswissenschaftlern auch gegen europäisches Recht.

Man mag es kaum glauben: Der Haftungsausschluss der Eisenbahnverkehrsordnung aus dem Jahr 1938 ist weiterhin geltendes Recht. Somit, Herr Kasten, beantworte ich auch die von Ihnen gestellte Frage, worauf wir mit dem Antrag hinauswollen.

Bisher zahlt die Deutsche Bahn Entschädigung für Verspätungen lediglich auf Kulanzbasis, zum Beispiel in Form von Hotelübernachtungen oder Bahnfahrtgutscheinen.

Auf jeden Fall gilt: Die Eisenbahn-Verkehrsordnung ist antiquiert und stammt aus einer Zeit, in der die Bürger dankbar sein durften, dass ihnen ein Beförderungsangebot gemacht wurde.

Geradezu generös mutet das Entgegenkommen der Bahn an, wenn sie bei ICE-Verspätungen 10-€-Gutscheine an ihre Kunden ausgibt, die diese beim nächsten Ticketkauf anrechnen lassen dürfen. Bei mehr als 90 Minuten Verspätung sind es sogar über 25 €.

Europäische Nachbarn sind da allerdings weiter. In den Niederlanden etwa erhält der Bahnkunde immer ein Viertel des Ticketpreises zurück, wenn der Zug eine halbe Stunde verbummelt.

Auch in Deutschland sollte meiner Meinung nach gelten: Die Bahn muss die Kundinnen und Kunden noch stärker in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen. Bahnchef Hartmut Mehdorn hat der Bundesregierung ja inzwischen zugesagt, in die allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Fernverkehr einklagbare Ansprüche aufzunehmen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat dies bislang nicht ausreichend gefunden, weil die allgemeinen Geschäftsbedingungen jederzeit einseitig geändert werden können. Außerdem ist der Zugverkehr nicht mehr ausschließlich auf den Anbieter Deutsche Bahn AG begrenzt. In der Region Halberstadt soll künftig das Unternehmen Connex Schienenverkehr betreiben.

Das muss sich ja nicht zwangsläufig den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Bahn anschließen. Ich bin daher der Meinung, dass sich die Bürger auf verbindliche und belastbare Haftungsregeln verlassen können müssen.

An die Adresse der Bahnunternehmen sei gesagt: Ich weiß gerade von der Deutschen Bahn AG, wie stark sich

die Mitarbeiter täglich um Service und Pünktlichkeit bemühen. Wenn ihnen vernünftige Rahmenbedingungen zur Verfügung stehen und sie sich voll entfalten können, dann - da bin ich mir sicher - wird die Zahl der Haftungsforderungen ohnehin rückläufig sein. Ich wünsche mir von den Bahnbetrieben deshalb mehr Courage. Gehen Sie das Thema „Haftung“ positiv an und arbeiten Sie an Qualität und Pünktlichkeit!

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Die besten Schadensersatzforderungen sind doch ohnehin die, die niemals gestellt werden.

Zu dem Antrag - Sie haben gesagt, Ausschussüberweisung - möchte ich sagen: Dieser Antrag ist nicht zu spät. Solange sich das Rechtsverhältnis für die Bürger nicht geändert hat, bleibt die Begleitung dieses Themas immer auf der Tagesordnung. Deswegen bitten wir Sie, unserem Antrag zuzustimmen. - Damit meine ich nicht nur Sie von der SPD-Fraktion, sondern auch Sie von der PDS. - Danke.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Weiß. - Nun spricht Herr Sachse für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich sehr, nach einer gewissen Auszeit an dieser Stelle für die SPD-Fraktion die verkehrspolitischen Vorstellungen wieder vortragen zu können.

Das Thema „Fahrgastrechte“ ist ein altes Thema. Es ist auch für die SPD immer ein wichtiges Thema gewesen. Ich selbst kann mich an die Diskussionen in den Jahren 1993 und 1994 erinnern. Ich sage das, ohne auf die Bahnreform auszuweichen; denn die Frage der Fahrgastrechte ist unabhängig von dieser Reform.

Dass dieses Thema wichtig ist, gilt - das habe ich schon gesagt - sowohl für den Landtag als auch für den Bundestag, der sich zuletzt im November 2003 auf der Grundlage eines FDP-Antrages vom Oktober 2003 mit der Haftung bei Verspätungen beschäftigt hat. Es ist darauf hingewiesen worden.

Nebenbei hat sich aber auch der Bundesrat am 7. November 2003 damit beschäftigt. Daraus ergibt sich für mich die Grundsatzfrage, Herr Kollege Qual, warum Sie eine Problematik in den Mittelpunkt Ihres Antrages stellen, nämlich eine Bundesratsbefassung, mit der sich auch der Bundesrat gerade erst beschäftigt und zur Haftung einen klaren Auftrag in Richtung Bundesregierung gegeben hat. Es ist unverständlich, weshalb Sie uns hier noch einmal damit beschäftigen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS - Mi- nister Herr Dr. Daehre: Man kann es der Bundes- regierung nicht oft genug sagen! - Herr Schröder, CDU: Der Einsatz bleibt wichtig!)

Die Gründe dafür, weshalb Sie diesen Antrag nun in den Landtag eingebracht haben, können nur Sie selbst kennen.

(Herr Schröder, CDU: Das Rechtsverhältnis hat sich doch nicht geändert!)

Ich möchte noch auf einen anderen Aspekt hinaus; denn ich stimme Ihnen darin zu, dass die bisher geltenden

Kulanzregelungen der Deutschen Bahn den gesetzlichen Rahmen, der bisher existiert, nicht hinreichend ausfüllen können. Da gibt es tatsächlich Handlungsbedarf. Wir stehen für einen modernen und effektiven Verbraucherschutz im Eisenbahnverkehr.

Durch die Antragsbenennung werden die Fahrgastrechte leider wieder nur auf den Bereich der Bahn und damit wieder nur auf das Rechtsproblem Verspätung oder Ausfall von Zügen und deren Entschädigung beschränkt. Insbesondere Sie selbst - in den Wortmeldungen vorher wurde es auch angesprochen - sprachen an, dass Fahrgastrechte nicht nur Entschädigungen beinhalten, sondern eben auch Fragen wie Service - die Bahnhofsqualität ist hier angesprochen worden - und Preis, auch Qualitätsansprüche allgemein.

Es muss erneut gefragt werden, warum Sie diese Einschränkung bewusst vornehmen; denn im Kundensinne müssten wir die Probleme umfassender diskutieren. Deswegen komme ich auch darauf zu sprechen, warum wir nicht im Ausschuss in Ruhe darüber reden wollen und warum wir im Hauruck-Verfahren jetzt etwas über eine erneute Bundesratsinitiative machen wollen.

(Herr Schröder, CDU: Zuerst sind wir zu spät, jetzt ist es ein Hauruck-Verfahren!)

- Es geht um den Umfang, Herr Kollege. Da müssten Sie schon ein wenig differenzieren. - Die Besonderheit der Bahn für den Verbraucherschutz wird oft infrage gestellt. Deshalb wissen Sie auch, dass es eine Besonderheit für das System Bahn gibt. Ich denke nur an die Abstimmung von Nahverkehr und Fernverkehr und an die Frage: Welche Vorrangfragen gibt es? Das alles sollte in Ruhe besprochen werden. Auf die angemessenen Regelungen ist schon von Herrn Kasten eingegangen worden.

Aus der Bundestagsdebatte dürfte Ihnen bekannt sein, dass sich das BGB für die Komplexität und die Details eines sich schnell verändernden Verkehrsmarktes nicht eignet. Wir sind uns darin einig, dass die Beförderungsbedingungen zugunsten von Kundenrechten vereinheitlicht und konkretisiert werden sollten. Das ist unstrittig. Auch wir treten dafür ein, dass die EVO entsprechend angepasst werden soll.

Ich habe aber nicht verstanden bzw. ich muss Sie fragen, an welche Fassung des § 17 EVO Sie gedacht haben, als Sie die Streichung oder die Herauslösung angesprochen haben. Sie wissen, es gibt eine alte Fassung. Sie wissen aber auch, es gibt eine Neufassung, eine zwischenstaatliche Vereinbarung. 41 Staaten haben sich darauf verständigt. Ich bin mir unsicher, ob sie schon in nationales Recht umgesetzt worden ist. Auch da kommen Sie mit Ihrem Anliegen wahrscheinlich ein wenig spät.

Es ist absehbar, dass es für die Bahn klare Haftungsbedingungen geben wird. Es gibt schon eine Neufassung des § 17 der Eisenbahnverkehrsordnung, in der im ersten Absatz ausgeführt wird - ich zitiere -:

„Der Beförderer haftet dem Reisenden für den Schaden, der dadurch entsteht, dass die Reise wegen Ausfall, Verspätung des Zuges oder Versäumnisses des Anschlusses nicht am selben Tag fortgesetzt werden kann.“