Protokoll der Sitzung vom 04.03.2004

Wir stimmen nunmehr über den so geringfügig geänderten Ursprungsantrag der SPD-Fraktion ab. Wer stimmt dem zu? - Ist jemand dagegen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Gleiches Abstimmungsverhalten. Der Antrag ist einstimmig angenommen worden. Damit ist der Tagesordnungspunkt 15 erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung

Zukunft der geriatrischen Versorgung in SachsenAnhalt

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/1368

Ich bitte zunächst Frau Dr. Kuppe, den Antrag für die SPD-Fraktion einzubringen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordnete! Seit der vergangenen Woche berichten die Medien über das Diskussionspapier des parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Landtagsfraktion Jens Bullerjahn zu politischen Handlungsfeldern und Handlungsbedarfen bis zum Jahr 2020 in Sachsen-Anhalt. In

vielen Gesprächsrunden wird dieses Papier erörtert. Im analytischen Teil des Papiers finden Sie - wie auch in anderen Studien - Aussagen zu der derzeit abschätzbaren demografischen Entwicklung.

Zwei Schwerpunkte kristallisieren sich dabei heraus. Der erste Schwerpunkt betrifft den hohen Abwanderungssaldo junger Menschen, vor allem junger Frauen, und die anhaltend geringe Geburtenrate. Hier muss die Frage beantwortet werden, nicht ob, sondern wie dieser Negativtrend gestoppt und möglichst umgekehrt werden kann.

Der zweite Schwerpunkt ist durch die höhere Lebenserwartung und den steigenden Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung gegeben. Hier steht die Verantwortung der Gesellschaft im Vordergrund, für solche Bedingungen zu sorgen, die das Altwerden in Würde und mit hoher Lebensqualität ermöglichen. Bei diesem zweiten Schwerpunkt der demografischen Entwicklung setzt unser Antrag an.

Die höhere Lebenserwartung ist selbstverständlich mit dem Wunsch verbunden, den Gewinn an Lebensjahren in guter Gesundheit genießen zu können. Das wiederum ist nicht selbstverständlich.

Mit dem Lebensalter steigt in der Regel das Risiko, schwer zu erkranken oder behindert zu werden. Wenn der Wunsch nach Selbständigkeit und eigenverantwortlicher Lebensgestaltung bis ins hohe Alter hinein verwirklicht werden soll, dann müssen die gesundheitliche Vorsorge, die altersgerechte medizinische und soziale Versorgung und adäquate Rehabilitationsangebote weiterentwickelt werden. Das heißt, die geriatrische Versorgung ist ein Thema mit Zukunft.

Nun ist dieses Thema ja nicht neu. Bereits 1995 hat die damalige rot-grüne Landesregierung das erste Geriatriekonzept für Sachsen-Anhalt erarbeitet und hat es dann im darauf folgenden Jahr veröffentlicht. Im Jahr 1996 wurde der Geriatriebeirat berufen, der die Umsetzung dieses Konzeptes begleiten sollte. Die Landesregierung hat in den Folgejahren bis 2002 sowohl den Landtag als auch die Öffentlichkeit über die einzelnen Umsetzungsschritte, vor allem über die Arbeitsmarkt- und Sozialberichte, unterrichtet.

Der Landtag hat sich zuletzt seit Ende des Jahres 2000 bis Anfang des Jahres 2002 anlässlich eines CDU-Antrages intensiv mit der Verbesserung der Hilfen für Demenzkranke, einem Teilbereich der Versorgung kranker und alter Menschen, befasst.

Frau Liebrecht - Sie sitzen mir gerade gegenüber -, Sie werden sich sicher daran erinnern, dass damals in dem zuständigen Fachausschuss nicht nur intensiv, sondern auch unter Beteiligung eines zahlreich vertretenen externen Sachverstandes sehr sorgfältig und lösungsorientiert diskutiert wurde und eine einvernehmliche Beschlussfassung mit konkreten Kriterien zustande gekommen ist.

Nach diesem Vorlauf, meine sehr geehrten Damen und Herren, will ich nicht verhehlen, dass meine Fraktion die aktuelle Information der Landesregierung über die geriatrische Versorgung in unserem Land in den Antworten und in der Debatte zur Großen Anfrage der Fraktion der SPD zu dem Thema „Stand und Perspektiven von ausgewählten Bereichen der Gesundheits- und Sozialpolitik in Sachsen-Anhalt“ unzureichend fand.

Einige Beispiele sollen unsere Einschätzung verdeutlichen. Die ambulante geriatrische Versorgung durch niedergelassene Hausärztinnen und Hausärzte sowie die Absicherung vor allem im ländlichen Bereich wurde undifferenziert dargestellt. Im spezialisierten stationären Bereich steht noch die im Jahr 1995 avisierte Zahl der Betten pro Einwohnerinnen oder Einwohner im Vordergrund. Jetzt, acht Jahre später, fehlt wenigstens ein Hinweis auf die regionale leistungsorientierte Ausrichtung der stationären Kapazitäten.

Der rehabilitative Sektor ist über die bereits im Arbeitsmarkt- und Sozialbericht von 1998/1999 genannten drei Modellvorhaben in Magdeburg, Schönebeck und Oranienbaum nicht hinausgekommen. Ich weiß um die schwierigen Verhandlungen mit den Kostenträgern. In diesem Bereich ist die Situation aber einfach unbefriedigend für das Land und die älteren Bürgerinnen und Bürger.

Die Geriatrie als Altersheilkunde hat eine ganzheitliche Orientierung und berücksichtigt gleichermaßen psychische, physische, soziale, aber auch fürsorgerische Komponenten. Ich glaube, dass die Landesregierung dieser Sicht der Dinge ein noch zu geringes Augenmerk widmet; denn wenn beispielsweise akzeptiert wird, dass altengerechtes und barrierefreies Wohnen mit Betreuungsangeboten Gesundheit und Lebensqualität im Alter fördert, dann ist nicht zu verstehen, dass sich die Landesregierung mit dem gemeinsam mit der Seniorenvertretung im Land und dem Behindertenbeirat des Landes erarbeiteten Qualitätssiegel für betreutes Wohnen so schwer tut und dass sie das Wohnraumanpassungsprogramm sogar gestrichen hat.

Das Geriatriekonzept, meine sehr geehrten Damen und Herren, sollte nach den ursprünglichen Planungen in einem Zeitraum von zehn Jahren umgesetzt und wegen des prozesshaften Vorganges in angemessenen zeitlichen Abständen fortgeschrieben werden. Dazu haben Sie, Herr Minister Kley, bisher leider noch keine Aussagen gemacht.

Der Geriatriebeirat hatte in den Jahren 1999 bis 2001 seine konzeptionellen Vorstellungen zumindest aktualisiert. Aber die Situation ist jetzt so, dass der Beirat abgeschafft wurde, das Konzept wurde nicht fortgeschrieben und die Umsetzung stockt offensichtlich.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir wollen nicht bei der Auflistung von Mängeln verharren. Deshalb bringen wir diesen Antrag in den Landtag ein. Wir wollen uns vorwärts orientieren. Das heißt:

Erstens. In den Ausschüssen, die im Landtag für Gesundheit, Soziales und Familie zuständig sind, muss der Istzustand gründlich analysiert werden. Dazu werden wir unter anderem bewerten müssen: den Stand der Umsetzung des Geriatriekonzepts, den Stand der Umsetzung der Pflegekonzeption, die Ergebnisse der Arbeit des Geriatriebeirats, die aktuelle medizinische Versorgungssituation, den Stand der spezifischen Wissensvermittlung in der Aus-, Fort- und Weiterbildung beim ärztlichen und vor allem auch beim nichtärztlichen Personal.

Zweitens. Mit dem Beschluss vom 14. März 2002 hat der Landtag von Sachsen-Anhalt die Einrichtung eines Lehrstuhls für Geriatrie an einer der medizinischen Fakultäten unseres Landes für wünschenswert erklärt. Die vom Kultusminister im vergangenen Jahr eingesetzte so genannte Meinhold-Kommission hat zwar Aufgaben und

Strukturen der medizinischen Fakultäten analysiert und Veränderungen vorgeschlagen, aber die Frage eines Lehrstuhls für Geriatrie nicht erörtert.

Wir erwarten dennoch, dass sich im Zuge der derzeit laufenden Hochschulstrukturdebatte sowohl die Landesregierung als auch die beiden Universitäten mit ihren medizinischen Fakultäten zum Landtagsbeschluss aus dem Monat März 2002 positionieren. Hieran muss selbstverständlich auch der Ausschuss für Bildung und Wissenschaft beteiligt werden.

Drittens. Da die Geriatrie als Altersheilkunde die ganzheitliche Betrachtung des alten Menschen zur Grundlage hat, spielen neben der medizinischen Seite auch die soziale Einbindung in der Familie, in der Nachbarschaft, in der Gemeinde wie auch die Wohn- und die Wohnumfeldgestaltung mit der entsprechenden Infrastruktur für Mobilität, für Kultur, für Sport, für Beratung, für Kommunikation usw. eine wichtige Rolle.

Deshalb legen wir Wert auf die Beteiligung des Innenausschusses in dieser Debatte, und wir schätzen die Funktion und die Unterstützung solcher Gremien wie der Landesseniorenvertretung, des Behindertenbeirats, der Liga der Freien Wohlfahrtspflege, des Landesfrauenrates, der Kommunalvertretungen, aber natürlich auch der Krankenkassen, der Kassenärztlichen Vereinigung, der Krankenhausgesellschaft und der Ärztekammer. Die Liste lässt sich noch vervollständigen. Frau Liebrecht, Sie sehen das vermutlich genauso.

Viertens. Wir sollten die Ausschussberatungen zu einer intensiven Diskussion über die zukünftige Entwicklung der geriatrischen Versorgungsstrukturen und der notwendigen Versorgungsangebote nutzen. Die Landesregierung hat die Fortschreibung der Landespflegekonzeption angekündigt. Hierbei gibt es beträchtliche Schnittmengen zum Geriatriekonzept, die auf keinen Fall vernachlässigt werden dürfen. Beides hat wiederum einen originären Bezug zu einem familienpolitischen Programm, das Sie auf den Weg bringen wollen, und insbesondere auch zu einem sozialpolitischen Gesamtprogramm.

Deswegen halten wir die Diskussion gerade jetzt für besonders wichtig; denn in naher Zukunft müssen die Weichen für die nächsten zehn bis 15 Jahre in unserem Land gestellt werden. Daran sollte sich der Landtag beteiligen. Deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Dr. Kuppe. - Zunächst erteile ich Herrn Minister Kley das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die jüngst veröffentlichte dritte regionalisierte Bevölkerungsprognose für Sachsen-Anhalt bestätigt den Trend der Entwicklung unserer Bevölkerungsstruktur: Die Bevölkerungszahl ist rückläufig, der Anteil der Kinder und Jugendlichen nimmt ab, der Anteil älterer Menschen nimmt zu. Dabei gibt es deutliche Unterschiede zwischen Landkreisen und kreisfreien Städten.

Diese Entwicklung stellt die Landespolitik vor große Herausforderungen. Für die Gesundheitspolitik kommt es

darauf an, sowohl die medizinische Versorgung der kleiner werdenden Gruppe der Kinder als auch die der wachsenden Gruppe der älteren Menschen sicherzustellen. Dafür steht ein Netz gut aus- und weitergebildeter Vertragsärzte sowie leistungsfähiger Krankenhäuser und Rehabilitationseinrichtungen zur Verfügung.

Für den geriatrischen Patienten, das heißt den in der Regel multimorbiden, in seiner Alltagskompetenz und Selbständigkeit bedrohten Menschen, werden spezielle Versorgungsangebote benötigt, die vor allem rehabilitative Ziele verfolgen. Entsprechend dem Geriatriekonzept von 1995 erfolgte der Aufbau geriatrischer Krankenhausstationen im Rahmen der Fachgebiete Innere Medizin, Neurologie und Psychiatrie.

Als Ziel wurden zwei bis drei Betten pro 10 000 Einwohner im Zeitraum von zehn Jahren festgelegt. Diese Stationen stehen unter der Leitung speziell weitergebildeter Ärzte oder Ärztinnen. Die Zielgröße ist bereits erreicht worden. Stationäre Akutgeriatrie und Gerontopsychiatrie werden flächendeckend und wohnortnah vorgehalten.

Im Rahmen der neuen, leistungsorientierten Krankenhausplanung wird jetzt insbesondere der Qualität der stationären geriatrischen Versorgung eine hohe Bedeutung beigemessen. Derzeit wird im Krankenhausplanungsausschuss über die Anforderungen für geriatrische Zentren diskutiert. In diesen Zentren soll der Patient fallabschließend behandelt werden. Das bedeutet, dass im Regelfall nach dem Krankenhausaufenthalt keine komplexe rehabilitative Behandlung mehr erforderlich ist. Belastende Milieuwechsel und Zeitverluste werden so vermieden und Kosten werden gespart. Ein Aufbau weiterer stationärer Rehabilitationskapazitäten zusätzlich zur Klinik Oranienbaum wird daher nicht angestrebt.

Dagegen wird besonderes Augenmerk auf die Auswertung der beiden Modellprojekte zur ambulanten geriatrischen Rehabilitation in Magdeburg und Schönebeck gelegt. Die medizinischen Ergebnisse sind ermutigend. Ambulante geriatrische Reha-Komplexe unter der Leitung besonders qualifizierter Vertragsärzte sollten vor allem dort eingerichtet werden, wo es keine geriatrischen Tageskliniken an Krankenhäusern gibt. Speziell fortgebildete Hausärzte und gegebenenfalls geriatrische Schwerpunktpraxen sollten das ambulante Angebot ergänzen. Hierbei sind vor allem die Partner der gemeinsamen Selbstverwaltung gefragt. Ein neues Konzept der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt liegt meinem Hause seit einigen Tagen vor.

Im Jahr 1996 wurde zur Begleitung der Umsetzung des Geriatriekonzepts ein Geriatriebeirat berufen. Er hat seine Rolle als Informations- und Diskussionsgremium erfüllt. Nach Ablauf des Berufungszeitraums wurde nach neuen Wegen zur Einbeziehung aller Verantwortlichen gesucht. Derzeit wird die Beteiligung vor allem über den Krankenhausplanungsausschuss und über bilaterale Gespräche gesichert.

Der Beschluss des Landtages zur Aufwertung der geriatrischen Medizin in Forschung und Lehre über die Einrichtung eines Lehrstuhls für Geriatrie wird weiterhin verfolgt und für sinnvoll gehalten. Dabei müssen jedoch auch die Entscheidungen der Hochschulen im Rahmen ihrer Hochschulautonomie berücksichtigt werden.

Meine sehr geehrte Damen und Herren! Die Landesregierung wird ihrer Verantwortung für die Versorgung alter Menschen, vor allem im medizinischen Bereich, so

wie speziell für die geriatrische Versorgung auch weiterhin gerecht werden und wird Ihnen selbstverständlich auch in der aktuellen Diskussion jeweils Rede und Antwort stehen. - Danke schön.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Kley. - Nun bitte für die CDUFraktion Frau Liebrecht.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die gesellschaftliche und medizinische Entwicklung hat zu einer grundlegenden Änderung der Bevölkerungsstruktur geführt. Während die durchschnittliche Lebenserwartung stetig steigt, geht die Zahl der Geburten zurück. Das bedeutet, dass der Anteil der über 60-jährigen Personen kontinuierlich zunimmt, während die unter 20-jährige Bevölkerung weiter abnimmt.

Mit dieser demografischen Entwicklung geht auch eine gesellschaftliche Veränderung einher: Nicht nur die Bevölkerung wird älter, sondern das Alter verändert sich. Heute kann aufgrund der allgemein verlängerten Lebensdauer und der gesundheitlichen Situation der älteren Menschen vom Entstehen einer neuen Generation gesprochen werden. Diese Generation der über 65-jährigen Personen zeichnet sich allgemein durch eine gute gesundheitliche Verfassung aus und nimmt aktiv am Leben teil. Zudem wird die Gruppe der Hochbetagten in den kommenden Jahrzehnten zahlenmäßig überproportional wachsen.

Mit zunehmendem Lebensalter steigen die Aufwendungen für die Behandlung und Pflege. Infolge der Zunahme der Ein-Personen-Haushalte wird die Pflege alter Menschen innerhalb der Familie zukünftig immer weniger zu leisten sein.

Dies bedeutet eine Zunahme der ambulanten und stationären Pflegeleistungen durch professionelle Hilfe. Deshalb ist es wichtig, dass in Sachsen-Anhalt genügend Angebote für die Versorgung der älteren Bevölkerung mit spezifischen medizinischen Dienstleistungen zur Verfügung stehen.

Für die pflegerische Versorgung brauchen wir vielseitig differenzierte und abgestimmte Angebote zur Betreuung. Neben den ambulanten und stationären Hilfen im Gesundheitsbereich sind angepasste Wohnformen und Hilfen für die Alltagsbewältigung erforderlich.

Leider ist es uns noch nicht gelungen, das bestehende Ungleichgewicht zwischen stationärer und ambulanter geriatrischer Rehabilitation zu beseitigen. Dabei ist zu beachten, dass die Angebote wohnortnah vorzuhalten sind. Wir wissen: Nicht alle Patienten bedürfen einer vollstationären Aufnahme. In vielen Fällen ist eine Tagesklinik das bessere und kostengünstigere Angebot. Dabei muss auch die Möglichkeit der Rehabilitation - wenn medizinisch sinnvoll - frühzeitig von geriatrischen Abteilungen und Tageskliniken angeboten werden. Insbesondere in den Disziplinen Innere Medizin, Neurologie, Orthopädie, Psychiatrie und Psychosomatik ist jedoch eine genaue Kenntnis der für ältere Menschen spezifischen Fragen und Probleme unausweichlich.