Protokoll der Sitzung vom 05.03.2004

(Zustimmung bei der FDP)

Danke, Herr Minister. - Für die FDP-Fraktion wird der Abgeordnete Herr Scholze sprechen.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich, sehr geehrte Frau Bull, Ihren heutigen Antrag und die Rede in Bezug setze zu den PDS-Anträgen vom September des letzten Jahres - damals ging es um die Bürgerversicherung und Strukturreformen -, gewinne ich den Eindruck, es handelt sich um einen Roman mit Fortsetzungsbezug.

(Frau Dr. Sitte, PDS: Richtig! Genau!)

Meine Damen und Herren! Als der Gesundheitskompromiss im letzten Jahr die Zustimmung des Bundestages und des Bundesrates gefunden hatte, war jeder bzw. jedem klar, dass hiermit je nach politischem Standpunkt nicht die optimale Lösung gesundheitspolitischer Probleme gefunden wurde. Es war ein Kompromiss, bei dem alle Beteiligten erstens große Abstriche an den eigenen Positionen hinnehmen mussten und zweitens jeder Beteiligte ungefähr Klarheit darüber hatte, welche Effekte bzw. Belastungen der Kompromiss für Patienten, Kassen und Leistungserbringer mit sich bringen wird.

An dieser Stelle stimme ich mit Ihnen vielleicht in der Einschätzung überein, dass die Art und Weise der Eigenbeteiligung von Patientinnen und Patienten in Form der Kassengebühr und der weiteren Zuzahlungen höchst bürokratisch geregelt wurde. Hierbei sehe ich Handlungsansätze im Rahmen eines grundlegenden Reformentwurfs in der Zukunft.

Meine Damen und Herren! Dieser Kompromiss sollte allen Beteiligten - sowohl der Politik als auch den Akteuren des Gesundheitswesens - eine Atempause ermöglichen. Allerdings ist dies unter den gegenwärtigen Bedingungen der ständig emotional geführten Debatten nur schwer möglich.

Diese Übergangslösung macht deutlich, wie wichtig eine grundlegende Reform des Gesundheitswesens ist, die den Namen Reform auch verdient. Die Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, von der Politik - also von uns - zu erfahren, in welche Richtung sich unser Gesundheitswesen entwickeln soll. Die Positionen dafür liegen in Ansätzen von allen Parteien vor bzw. werden entwickelt.

Es ist also jetzt wenig sinnvoll, wie in Ihrem Antrag vorgeschlagen, wieder nur einen Teilbereich des gesamten Regelungsbedarfs herauszugreifen und einseitige Debatten zu führen.

Meine Damen und Herren! Die Auswirkungen der Zuzahlungen sind im Vergleich zur vorherigen Situation eines Sozialhilfeempfängers sicherlich einschneidend. Ihr Sze

nario, dass sich gerade aber dadurch der Gesundheitszustand von Sozialhilfeempfängern verschlechtern wird, ist populistisch und an dieser Stelle durch nichts bewiesen.

Die Auswirkungen der Zuzahlungsregelungen für Sozialhilfeempfänger wurden von Minister Kley ausführlich dargestellt, sodass sich eine Wiederholung an dieser Stelle erübrigt. Vielmehr möchte ich einige Bemerkungen grundsätzlicher Art zur Eigenbeteiligung machen.

Auf der einen Seite beklagen wir in den gesundheitspolitischen Debatten, dass die Ausgaben und Leistungsmengen steigen und ein Nebeneinander von Unter-, Über- und Fehlversorgung existiert. Auf der anderen Seite stellen wir fest, dass den Patienten Wahlmöglichkeiten fehlen, sie über wenig Einfluss verfügen und mitunter Leistungen in Anspruch nehmen, die nicht immer notwendig sind. Man bezeichnet das als Moral Hazard. Gerade hier sollen nun Eigenbeteiligung und Selbstbehalte wirken.

Doch nicht nur diese, sondern auch die Möglichkeit der Wahl des Kostenerstattungsprinzips stärken den Patienten in seiner Position gegenüber dem Leistungserbringer und ermöglichen bzw. fordern mehr Eigenverantwortung ein.

Bisher sind diese Steuerungsinstrumente jedoch nur verhalten zum Einsatz gekommen. Folglich konnten sie auch nur begrenzt Wirkung entfalten. Dass nun mit dem Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz ein Zustand wiederhergestellt wurde, der im Jahr 1998 von der SPD in Erfüllung der Wahlversprechen beseitigt wurde, ist ein behutsamer Schritt in die richtige Richtung.

Meine Damen und Herren! Wir kommen nicht umhin, unser Gesundheitssystem grundlegend zu reformieren. Maßstäbe hierfür müssen sein: Generationengerechtigkeit, solide Finanzierbarkeit, Stärkung des Wettbewerbs und Abbau bürokratischer Regelungen.

Der PDS-Antrag wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Daher wird er unsere Zustimmung nicht finden. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Danke. - Für die SPD-Fraktion wird die Abgeordnete Frau Dr. Kuppe sprechen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen Abgeordnete! Es ist richtig, die Auswirkungen einer jeden Reform, wie überhaupt einer jeden politischen Entscheidung, sorgfältig zu analysieren. Das trifft selbstverständlich auch auf die Wirkungen des GKV-Modernisierungsgesetzes zu.

Dieses Gesetz hat zweifellos einige Grundlagen für strukturelle Verbesserungen im Gesundheitswesen gelegt: Medizinische Versorgungszentren können aufgebaut werden, Krankenhäuser können hochspezialisierte Leistungen in Ambulanzen anbieten, die Rechte der Patientinnen und Patienten sind gestärkt, die Qualität der Versorgung erhält ein höheres Gewicht. Diese Punkte stehen für mich auf der Habenseite.

Nicht gelöst ist bisher die Neuordnung der Finanzstatuten der gesetzlichen Krankenversicherung. Bürgerversicherung, Kopfpauschale oder Gesundheitsprämie sind

ja nur Synonyme für die grundsätzliche Debatte, die über die zukünftige finanzielle Grundlage der gesetzlichen Krankenversicherung geführt wird. Die bestehenden Finanzierungsprobleme wurden zunächst nur über Ausgabenbegrenzung und Zuzahlungen gedeckelt bzw. reduziert, und das geht im Wesentlichen zulasten der Kranken.

Das lässt sich zwei Monate nach In-Kraft-Treten der Gesundheitsreform sagen:

Erstens. Der Start ist mehr als holperig passiert. Daran haben sowohl der Gesetzgeber als auch die Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen ihren beträchtlichen Anteil. Wenn bis kurz vor der abschließenden Beratung im Bundestag und im Bundesrat im Dezember 2003 noch im Vermittlungsausschuss an einzelnen Formulierungen gefeilt wird, dann bleibt offensichtlich an der einen oder anderen Stelle ein Grat, der dann im Nachgang noch beseitigt werden muss.

Ich erinnere daran, dass die Landesregierung - sie saß ja immerhin mit am Verhandlungstisch - bereits im Januar 2004 zwei Bundesratsinitiativen zur Änderung des Sozialgesetzbuchs V zwecks Präzisierung bzw. Ergänzung des Verhandlungspaketes vom Dezember vorgelegt hat.

An dieser Stelle wage ich einen Einschub. Wenn Herr Minister Olbertz da wäre, würde ich ihm das so direkt sagen. Vielleicht können Sie es ihm übermitteln, Herr Tullner: Ich hoffe, Ihnen passiert bei der Hochschulgesetzgebung in diesem Land bei dem Hoppla-HoppDurchgang jetzt im Ausschuss nicht dasselbe.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Ich beklage auch, dass der gemeinsame Ausschuss der ärztlichen und der Krankenkassenselbstverwaltung erst einmal abgewartet hat, statt konzentriert die Umsetzung des GKV-Modernisierungsgesetzes vorzubereiten.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dazwischen nicht, aber am Ende gern.

Gut.

Zweitens. Verblüffend ist der erneute Einfallsreichtum von Teilen der Pharmabranche. So sollten zum Beispiel bislang teure, verschreibungspflichtige Präparate für die Kassen billiger werden. Kurzerhand wurden die Einkaufspreise erhöht und der Effekt ist verpufft.

Drittens. Die Krankenkassenbeiträge sollten durch die neuen Finanzierungsregelungen sinken und damit die Beitragszahlenden und auch die Lohnnebenkosten entlastet werden. Das ist bisher leider nur punktuell passiert. Allerdings haben einige Kassen für April und für die Folgemonate Beitragssenkungen angekündigt.

Als Viertes will ich noch einmal erwähnen, dass die SPD in ihrem Konzept keine Praxisgebühren vorgesehen hatte, bis auf die Ausnahme, wenn Patientinnen und Patienten ohne Überweisung durch den Hausarzt sofort einen Facharzt konsultieren wollen. Das war die Ausnahme.

Ebenso sollte den Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern im Hinblick auf deren finanzielle Situation maximal eine Zuzahlung von 1 € abverlangt werden. Aber in beiden Fällen haben CDU und CSU auf verschärften Regelungen bestanden, damit dieser Kompromiss zustande kommt. Ich denke, das muss man immer einmal wieder reflektieren.

(Beifall bei der SPD)

Liebe Frau Bull, ich teile die pauschalen Befürchtungen der PDS nicht. Zum einen gibt es die Überforderungsklauseln für Zuzahlungen. Diese liegen bei maximal 1 % des Bruttoeinkommens für chronisch Kranke und bei 2 % für die anderen. Zum anderen ist in anderen Ländern die Erfahrung gemacht worden - der Minister wies schon darauf hin -, dass wesentlich höhere Praxisgebühren als bei uns keinen schlechteren Gesundheitszustand der Bevölkerung nach sich ziehen.

Die Zahl der Arztbesuche wird bei uns sicherlich geringer werden. Aber ich vermute, dass die wirklich notwendigen weiterhin unternommen werden. Zumindest sehen das 80 % der Bevölkerung so. Des Weiteren - das stimmt mich besonders optimistisch - verhandelt der Hausärzteverband derzeit mit einer ganzen Reihe von Krankenkassen über ein Hausarztmodell, bei dem - fast wie ursprünglich vorgesehen - Versicherte, die zuerst zum Hausarzt gehen, die Praxisgebühr zurückerstattet bekommen, also entsprechend entlastet werden. Ich hoffe, dass das einen erfolgreichen Ausgang nimmt.

Noch ganz kurz zu zwei Lösungsansätzen der PDS. Auch ich sehe die Notwendigkeit, dass bei der Festsetzung von Regelsätzen nach dem Sozialhilferecht und nach dem Grundsicherungsrecht Aufwendungen für die medizinische Versorgung angemessen berücksichtigt werden müssen. Das ist derzeit noch nicht der Fall. Diesbezüglich gebe ich Ihnen Recht, Frau Bull.

Aber wenn Sie, Frau Bull, darüber hinaus eine generelle Freistellung von Praxisgebühren und Zuzahlungen für untere Einkommensgruppen verlangen, dann stellen sich für mich unter anderem die Frage nach der Grenzziehung und die Frage nach der Kompensation der Einnahmeausfälle bei der gesetzlichen Krankenversicherung. Eine Anhebung der Krankenkassenbeiträge, vor allem bei der AOK, kann wohl nicht gewünscht sein; denn damit würden alle anderen Versicherten stärker belastet werden, und dabei insbesondere die ärmeren Versicherten, deren Einkommen nur wenig über der dann gezogenen Grenze liegen.

Ich sehe also viel Diskussionsstoff, zumal die Erfahrungen bei der Umsetzung des GKV-Modernisierungsgesetzes noch am Anfang stehen. Das Gesetz ist gerade einmal zwei Monate in Kraft. Deswegen beantrage ich für unsere Fraktion die Überweisung des PDS-Antrags in den Ausschuss für Gesundheit und Soziales.

Ich bitte die Koalitionsfraktionen sehr herzlich darum, zu überdenken, ob nicht auch sie sich zu einer Überweisung bereit finden könnten; denn das Thema ist wichtig. Wir müssen die Umsetzung des GKV-Modernisierungsgesetzes begleiten; denn Sie wissen auch, wie schwierig die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss waren. Ich denke, es ist einfach leichtfertig, jetzt alles abzubügeln und sich jeder weiteren Diskussion zu verweigern.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Frau Dr. Kuppe. Frau Dr. Kuppe, würden Sie die Nachfrage noch beantworten?

Das „Hoppla hopp“, Frau Dr. Kuppe, hat mich jetzt doch noch zu einer Frage veranlasst. Ich meine, dass Frau Dr. Sitte immer mit Presseerklärungen glänzt, die von Populismus zeugen - zum Beispiel tragen diese den Titel „Der Minister flüchtet zur Königin“ -, das mag für sich stehen. Aber wir führen im Bildungsausschuss zum Hochschulgesetz Anhörungen durch, tagen in jeder Woche und führen sogar noch eine zweite Anhörung durch. Das hat zwar nichts damit zu tun. Aber Sie haben das eingebracht.

Mich würde interessieren, woher Sie den Eindruck ableiten, dass wir „hoppla hopp“ beraten würden. Ich halte dieser These entgegen, dass wir sehr ernsthaft und sehr lange beraten und uns die Zeit nehmen, die wir wollen. Aber bitte: Woher kommt das „Hoppla hopp“.

Herr Tullner, Sie waren bei der letzten Ausschusssitzung am Mittwoch mit anwesend, sogar bis zum Schluss.

(Oh! bei der FDP - Zuruf von Frau Weiß, CDU)

- Er kann es bestätigen, Frau Weiß.

(Zurufe von der CDU)