Protokoll der Sitzung vom 05.03.2004

Zwar ist die Landesregierung noch Anfang 2003 dafür eingetreten, möglichst 300 Millionen € aus den Zweckzuweisungen in die allgemeinen Zuweisungen umzuschichten, aber mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Vereinfachung des Finanzausgleiches waren es null. Es wurde auch festgestellt, dass es im Jahr 2004 keine Fortführung des kommunalen Investitionsprogramms geben wird.

Zweitens. Die Mehreinnahmen des Landes im Jahr 2003 aus den Bundesergänzungszuweisungen in Höhe von rund 267 Millionen € wurden eben nicht an die Kommunen weitergereicht. Damit hat das Land die Situation der Kommunen selbst verschärft.

Drittens hat die CDU-FDP-Regierung, wie bereits vorhin ausgeführt, seit ihrem Amtsantritt vor zwei Jahren die Absenkungen der Kommunalfinanzen sehr drastisch vorgenommen. Die Kommunen erhalten im Jahr 2004 nur noch 29,3 % des Landeshaushaltsvolumens. Im Jahr 1999 waren es noch 33,9 %. Dabei war der Landesregierung und der Koalition bekannt, dass es aufgrund der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage durch den

Bund zu einer dramatischen Verschlechterung der Kommunalfinanzen gekommen ist.

Viertens. Trotz der Ankündigung der Landesregierung im Jahr 2002, dass sie den Haushalt zugunsten einer Erhöhung der investiven Ausgaben umgestalten werde, haben die Kommunen die niedrigste Investitionsquote seit 1995.

Fünftens. Gleichzeitig hat die Landesregierung mit ihren Gesetzesänderungen die Einnahmemöglichkeiten der Kommunen weiter beschnitten. Zu nennen wären hier unter anderem der Verzicht auf die Erhebung der Jagdsteuer - auch wenn sie eine Bagatellsteuer war -, die Baugenehmigungsfreiheit für Garagenstellplätze sowie die Befreiung von Stellplatzablösegebühren. Diese Aufzählung ließe sich noch weiter fortführen.

Sechstens wurde die Finanzsituation der Kommunen durch die Aussetzung der Funktional-, Verwaltungs- und der kommunalen Gebietsreform und mit der Aufhebung der drei Vorschaltgesetze eben nicht verbessert, sondern eher verschlechtert. Auf die Auswirkungen können wir nachher im Zusammenhang mit dem Antrag der Fraktion der SPD noch eingehen.

Meine Damen und Herren! Die Liste der Experimente zuungunsten der Sicherung der Kommunalfinanzen könnte hier beliebig erweitert werden, beispielsweise im Hinblick auf die Auswirkungen des Grundsicherungsgesetzes und das Nichtweiterreichen der Einsparungen des Landes im Jahr 2003 in Höhe von rund 9 Millionen € an die Kommunen. Genau an der Stelle, Herr Minister Paqué, habe ich Ihre Bemerkung sehr deutlich aufgenommen. Wir werden Sie gegebenenfalls in den Haushaltsberatungen für das Jahr 2005 an das Versprechen erinnern.

(Zustimmung bei der PDS)

Auch der von Ihnen hergestellte Bezug auf die acht Jahre dauernde Tolerierung der SPD-Regierung durch die PDS ändert nichts an der Tatsache, dass den Kommunen trotz immer neuer Aufgabenzuweisungen seit 1995 kontinuierlich weniger Mittel zur Verfügung stehen. Wie gesagt, die drastischen Kürzungen fanden unter der jetzigen Landesregierung statt. Ihre Wahlversprechen zur strikten Wahrung des Konnexitätsprinzips, zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung und zur Herstellung der Zukunftsfähigkeit des Landes Sachsen-Anhalt sind vor diesem Hintergrund eben nicht ganz ernst zu nehmen.

Da Sie, meine Damen und Herren, aber so gern die Bundesregierung für vieles verantwortlich machen, möchte ich Ihnen trotzdem noch ein paar Zahlen nennen. Sie sollen deutlich machen, dass allein durch die beabsichtigte Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe eben keine Entlastung, sondern eine erhebliche Belastung auf die Kommunen zukommt, wenn das Land nicht gegensteuert. Das ist der Punkt.

Nach den Berechnungen der kreisfreien Stadt Halle führt diese Zusammenlegung nach dem SGB II und den Folgegesetzen im Jahr 2005 zu einer Entlastung des Stadthaushaltes in Höhe von ca. 33 Millionen € bei einer gleichzeitigen Belastung in Höhe von 54 Millionen € für Leistungen für Unterkunft und Heizung, für die Schuldnerberatung, für die Suchtberatung, für die Betreuung minderjähriger oder behinderter Kinder oder für die Pflege von Angehörigen.

Nur wenn der Finanzausgleich für Sozialhilfeleistungen in Höhe von 22 Millionen € der Stadt Halle auch zukünf

tig durch das Land zugeführt wird, die auf das Land entfallenden jährlichen Zuweisungen aus dem Solidarpaktfortführungsgesetz in voller Höhe weitergereicht werden und die bisher vom Land aufgewandten Mittel für das Tabellenwohngeld und das pauschalierte Wohngeld zugunsten des weiter zu gewährenden Wohngeldes durchgereicht werden, könnte dies tatsächlich zu einer Entlastung führen. Wie gesagt: Wenn.

Meine Damen und Herren! All das zwingt uns als Parlament, den Druck für eine wirkliche Gemeindefinanzreform in Deutschland zu erhöhen, aber auch gleichzeitig im Land für entsprechende Veränderungen zu sorgen. Dem dient der von unserer Fraktion eingebrachte Antrag.

Ich bitte um Überweisung des Antrages zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Finanzen. Da es auch um die Regelungen im Finanzausgleichsgesetz und dessen zukünftige Gestaltung im Zusammenhang mit der Funktional-, Verwaltungs- und kommunalen Gebietsreform geht, bitte ich des Weiteren um eine Überweisung in den Innenausschuss zur Mitberatung. - Ich danke, für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Grünert. - Damit ist die Debatte abgeschlossen. Es wurde beantragt, den Antrag der PDSFraktion in der Drs. 4/1383 zur federführenden Beratung in den Finanzausschuss zu überweisen. Wer stimmt dem zu? - Das sind offensichtlich alle. Stimmt jemand dagegen? - Stimmenthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisung so erfolgt.

Es wurde des Weiteren beantragt, den Antrag in den Ausschuss für Inneres zur Mitberatung zu überweisen. Wer stimmt zu? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Keine Stimmenthaltungen. Bitte noch einmal, es ist eine knappe Entscheidung. Wer stimmt dieser Überweisung in den Innenausschuss zu? -

(Zuruf von der CDU: Worum geht’s? - Frau Dr. Weiher, PDS: Um den Innenausschuss bzw. die Kommunen! - Frau Weiß, CDU: Sie müssen es anders formulieren, Frau Dr. Weiher! Dann stimmen wir dem auch zu!)

Wer stimmt dagegen? - Es gibt 32 Jastimmen und 31 Neinstimmen.

(Beifall bei der PDS - Heiterkeit bei allen Fraktio- nen)

Damit ist entschieden worden, dass der Innenausschuss mitberaten wird. Der Tagesordnungspunkt 7 ist abgeschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung

Parlamentarische Verantwortung im Reformprozess wahrnehmen

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/1378

Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/1407

Ich bitte zunächst Herrn Gallert, den Antrag für die PDSFraktion einzubringen.

Guten Morgen, werte Kollegen! Guten Morgen, Herr Präsident! Wir haben mit diesem Antrag, der vor Ihnen liegt, ein Stück Papier auf den Tisch gelegt, das unsere Schlussfolgerung, das das Ergebnis unseres Nachdenkens über den Reformprozess, über die Situation der Kommunen und der Landesverwaltung ist. Die Überschrift „Parlamentarische Verantwortung im Reformprozess wahrnehmen“ soll keine Phrase sein, sondern sie steht im Zentrum unseres Interesses.

Warum legen wir diesen Antrag jetzt so vor? - Die Verwaltungsreform im Land befindet sich aus unserer Sicht insgesamt in einer sehr schwierigen Situation. Wir hatten in der letzten Legislaturperiode bereits einen längeren Diskussionsprozess mit drei Vorschaltgesetzen. Die Züge waren auf die Gleise gebracht. Im Wesentlichen sollte die Umstrukturierung in diesem Jahr abgeschlossen sein. Die neue Koalition - das wissen Sie alle - hat die Vorschaltgesetze außer Kraft gesetzt, hat alle Züge wieder gestoppt.

(Herr Schröder, CDU: Nicht alle!)

Aber Aufgaben, die sich objektiv stellen, die in unserem Land objektiv durch das Leben gestellt werden, können nicht verharren. Ein Stillstand ist nicht möglich. So hat man auch in der Koalition - zum großen Teil am Anfang widerwillig, aber doch mit wachsender Einsicht - realisieren müssen, dass diese Reform nötig ist, dass wir weitergehen müssen, dass wir uns den Aufgaben nicht verschließen können.

Aber ein Reformprozess, der sowohl die gemeindlichen Strukturen als auch die Kreise als auch die Landesverwaltung verändern soll, ist schon ein ziemlich großer und schwerfälliger Tanker. Wenn man diesen erst einmal gestoppt hat, ist es wahnsinnig kompliziert, ist es wahnsinnig schwierig, ihn wieder vernünftig in Gang zu bringen.

Das ist die aktuelle Situation und sie konzentriert sich in ihrer derzeitigen gesellschaftlichen Wahrnahme auf die Reform der Kreise. Wie schaut es aus?

Die gemeindliche Ebene ist von der Landesregierung und der Koalition bisher sowohl in ihren Strukturen zum Teil - unserer Meinung nach nicht weitgehend genug - als auch in ihren Aufgaben verändert worden bzw. wir befinden uns mitten in diesem Änderungsprozess. Die Landesebene ist mit der Gründung und der aus unserer Sicht viel zu breiten Ausweitung des Landesverwaltungsamtes, mit der Gründung unzähliger Landesbetriebe und der Konzentration von Institutionen aus der Fläche im vollen Umbruch.

Wir sehen übrigens auch: An dieser Stelle wurden viel zu viele Prozesse unkoordiniert und ohne Abstimmung in Gang gebracht. Wir bewerten zumindest die Pannen, die derzeit bei der Gründung der Limsa geschehen, als Ausdruck dieses unkoordinierten und nicht durchdachten Reformprozesses auf der Landesebene.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Aber die Mittelebene - hiermit haben wir im hierarchischen System der Verwaltungsebenen ein riesengroßes Problem -, also die Vermittlungsebene zwischen den gemeindlichen Strukturen und der Landesverwaltung, hängt, zumindest was die Koalition und die Landesregierung anbelangt, förmlich in der Luft. Hier gibt es

keine Orientierung, hier hat man die Zeit definitiv verschlafen.

(Zustimmung bei der PDS und von Frau Kachel, SPD)

Was ist aber das Ergebnis? - Ich ändere die gemeindlichen Strukturen und ich ändere ihre Aufgaben, die sie zu erledigen haben, ich verändere in einem ziemlichen Durcheinander, aber doch immerhin mit einer erheblichen Intensität die Landesverwaltungsebene und ich vergesse die Kreise. Das bedeutet aus unserer Sicht: Die Kreise werden die großen Verlierer dieses Prozesses sein, wenn man nicht jetzt - es ist fünf Minuten vor zwölf - endlich steuernd eingreift.

(Zustimmung bei der PDS und von Frau Kachel, SPD)

Das größte Problem hierbei ist die fehlende Aktivität seitens der Landesregierung. Die Kommunen spüren also den Veränderungsdruck, sie versuchen, sich ihm zu stellen, aber wir haben keine Koordination dieser Bewegung.

Entschiedenster Ausdruck dessen - da konnten wir gestern alle noch mal Zeuge werden - sind die Auseinandersetzungen zwischen der Stadt Halle und dem Umland. Hierbei sieht man: Keinerlei landesraumordnerische Sicht wird auf die Dinge gelegt. Man lässt förmlich die Kontrahenten wie zwei Züge aufeinander zufahren und schaut sich an, was passiert. An dieser Stelle wäre die Verantwortung des Landes wahrzunehmen, einen Interessenausgleich herzustellen,

(Beifall bei der PDS)

die raumordnerische Verantwortung des Landes umzusetzen, um diesen Konflikt produktiv zu lösen.

Wie reagiert aber die Koalition?

(Frau Bull, PDS: Gar nicht!)

Indem sie einen personifizierten Streit zwischen dem Innenminister und dem Ministerpräsidenten in dieser Phase zulässt. Das ist sicherlich für die Opposition von gesteigertem Unterhaltungswert, bringt aber den Menschen vor Ort in der Region überhaupt nichts,

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Herrn Ro- the, SPD)