Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

Wir müssen schon heute das Zeichen setzen, dass wir Lehrerinnen und Lehrer hier im Land dringend brauchen und auch bereit sind, sie hier im Land auszubilden, und zwar in der ersten und in der zweiten Phase.

Darum verlangen wir mit unserem Antrag, dass wir uns im Landtag und im zuständigen Ausschuss - damit meine ich den Bildungsausschuss und nicht den Finanzausschuss - sowohl mit der ersten Phase der Lehrerausbildung und den dort zur Verfügung gestellten Kapazitäten als auch mit der zweiten Phase der Lehrerausbildung gründlich befassen. Darauf zielt unser Antrag. Insofern unterscheidet er sich auch von dem, was wir im Januar 2004 in diesem Hause beschlossen haben. Unser Antrag konkretisiert das.

Ich glaube, wir haben gerade nach der Verordnung, die übrigens auch im Januar 2004 verabschiedet worden ist, erheblichen Anlass für ein solches Nachfragen. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Dr. Hein. - Zunächst erteile ich Herrn Minister Olbertz das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im September 2003 hat die Landesregierung ein Konzept für die Personal- und Stellenentwicklung von Lehrkräften an allgemein bildenden öffentlichen Schulen des Landes Sachsen-Anhalt vorgelegt und darin den erforderlichen Lehrkräftebedarf und die Stellenentwicklung bis zum Jahr 2014 prognostiziert. Die Prognose zur Stellenentwicklung steht in einem maßgeblichen Zusammenhang mit den Ergebnissen des Lehrertarifvertrages.

Mit dem Personalentwicklungskonzept hat die Landesregierung erstmals eine detaillierte Darstellung der Personalsituation auf den Tisch gelegt. Es ist vorgesehen, dass das Personalentwicklungskonzept jährlich fortgeschrieben wird.

Der Hinweis auf dieses Konzept erfolgt an dieser Stelle nicht ohne Grund. Es ist das Bezugssystem für die mittel- und längerfristige Planung der Kapazitäten in der

Ausbildung von Lehrkräften für das Land SachsenAnhalt.

Aus der Personalsituation, so wie sie sich bis zum Jahr 2014 für die einzelnen Schulformen entwickeln wird, ergibt sich unmittelbar die Frage, ob die vorhandenen Ausbildungskapazitäten an den Universitäten und staatlichen Seminaren für Lehrämter dem Bedarf des Landes entsprechen oder ob wir in der einen oder anderen Richtung steuernd eingreifen müssen, um einerseits Bereiche zu stärken und die Lehramtsausbildung entsprechend zu forcieren, damit perspektivisch die Unterrichtsversorgung gesichert bleibt, und andererseits auch Bereiche zurückzunehmen, in denen in Relation zum Bedarf des Landes zurzeit und auch mittelfristig Überkapazitäten - das ist leider unser Hauptproblem - bestehen.

Die anzustrebenden Kapazitäten in der universitären Lehrerausbildung und in den Seminaren bestimmen sich also maßgeblich aus dem voraussichtlichen Bedarf an Lehrkräften in diesem Land. Darum ist es wichtig, sich diese künftige Bedarfslage zu vergegenwärtigen.

Frau Dr. Hein, im Jahr 2009 werden an den allgemein bildenden Schulen in Sachsen-Anhalt voraussichtlich etwa 13 400 Stellen zur Absicherung des Unterrichts benötigt. Ohne Neueinstellungen stünden dem zu diesem Zeitpunkt immer noch rund 15 600 Lehrkräfte gegenüber. Wenn man die beiden Zahlen zueinander ins Verhältnis setzt, würde sich - allerdings über alle Schulformen hinweg; das ist die Schwäche dieser Betrachtung; ich komme gleich darauf - ein mittlerer Beschäftigungsumfang von ungefähr 85 % ergeben.

Ich räume allerdings ein, dass diese Zahl noch nicht berücksichtigt, dass Schulleiter und verbeamtete Lehrkräfte in vollem Umfang beschäftigt sind, was rein rechnerisch, also nicht durch die tarifvertragsrechtliche Feststellung, den Beschäftigungsumfang für die anderen sogar entsprechend variieren lässt.

Der Umfang wäre aber noch aus einem anderen Grund verkürzt, wenn man Angaben zum Lehrkräftebedarf unversehens als Aussagen über Neueinstellungen auffasste. Sie alle wissen, dass sich viele Lehrkräfte in einer tarifvertraglich geregelten Teilzeitbeschäftigung befinden. Der Arbeitsumfang bestimmt sich kontinuierlich nach der Zahl der Schüler, die wir haben.

Wir tragen nicht nur für Neueinstellungen Verantwortung, sondern auch für die Lehrkräfte, die derzeit unterrichten. Darum müssen wir sehr sorgfältig prüfen, in welchem Umfang wir unter anderem im Hinblick auf die Altersstruktur und die Unterrichtsversorgung in Mangelfächern auf veränderte Bedarfe mit Neueinstellungen reagieren und in welchem Umfang wir aus Gründen der sozialen Balance die Unterrichtsversorgung mit den bereits vorhandenen Lehrkräften sicherstellen. Das ist, Frau Hein, wirklich eine hohe Kunst.

Ich räume ein, dass man Lehrkräfte nicht nach Belieben hin und her schieben kann. Aber für mich ist es keineswegs eine Zumutung oder fachlich unverantwortlich, wenn Lehrkräfte, die bisher etwa in den Jahrgängen 5 und 6 der Sekundarschule bzw. Ihrer Förderstufe unterrichtet haben, künftig beispielsweise im Jahrgang 4 der Grundschule unterrichten. Hier gibt es also Übergänge und damit eine fließende Kapazität, an die wir uns schon aus fiskalischen Erwägungen heraus herantasten müssen.

Abgesehen davon, dass ein Großteil der pädagogischen Mitarbeiterinnen und pädagogischen Mitarbeiter eine

Unterrichtsbefähigung hat und es auch unter dem sozialen Gesichtspunkt eine sehr wichtige Fragestellung ist, sollten wir den Lehrkräftebedarf zunächst aus dem schon fest im Land verankerten Potenzial darstellen und nicht ausschließlich auf Neueinstellungen setzen. Aber ohne diese geht es natürlich nicht. Deshalb noch etwas zur aktuellen Situation.

Zuvor sollte ich vielleicht noch sagen, dass die Bedarfssituation in den einzelnen Schulformen aufgrund des Schülerrückgangs außerordentlich unterschiedlich ausfällt. Wir werden darum immer die Möglichkeit im Auge behalten müssen, Lehrerinnen und Lehrer von einer Schulform an die andere wechseln zu lassen, damit die Lehrerschaft insgesamt ein vertretbares Auskommen hat. Im Moment sind wir mitten in einer Entwicklung, in der es eine enorme soziale Ungerechtigkeit wäre, wenn man, während man Grundschullehrer verzweifelt sucht, Sekundarschullehrer nicht mehr beschäftigen könnte.

Nun zur aktuellen Situation. Zum kommenden Schuljahr ist die Besetzung von 103 Lehrerstellen vorgesehen. Die Zahl der Ausbildungsplätze in den Seminaren ist für alle Lehrämter im Haushaltsplan 2004 auf 340 festgelegt worden. Unabhängig vom aktuellen Lehrkräftebedarf in einigen ausgewählten Unterrichtsfächern stellt sich die Lage in den einzelnen Schulformen sehr unterschiedlich dar.

Um es ganz deutlich zu sagen: In Relation zum Bedarf bilden wir gegenwärtig insgesamt zu viele Lehrkräfte für das Gymnasium aus, während es noch einiger Anstrengung bedarf, die Ausbildung für das Lehramt an Sekundarschulen und vor allem für das Lehramt an Grundschulen so zu verstärken, dass sie auch dem künftigen Bedarf gerecht werden kann. Insofern ist es schon richtig, dass man immer fünf, sechs Jahre vorausdenken muss und jetzt schon absehen kann, dass wir die Akzente eigentlich so setzen müssten.

Insofern ist es übrigens nicht einmal verkehrt gewesen, dass die Martin-Luther-Universität mit Fingerspitzengefühl die Ausbildung für die gymnasialen Lehrämter begrenzt; dafür müsste sie im Bereich der Sekundarschullehrer jetzt eigentlich eine Werbestrategie machen.

Übrigens bin ich nach langem Zögern der Initiative der KMK beigetreten, dieser Lehrerwerbestrategie oder diesem Lehrerwerbungskonzept, das zunächst, wenn man, wie im Moment, einen enormen Lehrerüberhang hat, einer Rechtfertigung bedarf. Wenn man aber perspektivisch denkt, kann man es ohne weiteres rechtfertigen, auch junge Leute für ein Lehramtsstudium zu werben.

Gegenwärtig bereitet das Kultusministerium spezielle Zielvereinbarungen mit den lehramtsausbildenden Universitäten zur Lehrerbildung vor. Im Januar 2004 wurden die ersten Vorgespräche mit der Martin-Luther-Universität dazu geführt. Mit den Zielvereinbarungen soll erreicht werden, dass die Ausbildungskapazitäten der Universitäten dem Lehrkräftebedarf des Landes künftig besser angepasst werden. Das, Frau Hein, halte ich für sehr wichtig.

Es ist schon jetzt ein Gegenstand unserer Zielvereinbarungen, den Universitäten auch bestimmte Kapazitäten abzuverlangen, die mit der nächsten Budgetplanungsperiode auf die Belange der Lehrerbildung auszurichten sind. Gegenstand dieser Vereinbarungen werden aber nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Maßgaben sein.

Dazu gehören insbesondere Initiativen, die geeignet sind, die Studienzeit zu verkürzen, mehr schulpraktische Ausbildungsanteile in den Studiengang zu integrieren und die nach wie vor hohe Abbrecherquote in den Studiengängen zu senken.

Im Ministerium wurde als Vorarbeit in den letzten Monaten der Lehrkräftebedarf für die einzelnen Fächer und Schulformen für den Zeitraum nach 2010 ermittelt. Diese Arbeiten stehen kurz vor dem Abschluss. Die entsprechend ermittelten Bedarfszahlen werden dann auch Grundlage für die Zielvereinbarung mit den lehrerbildenden Einrichtungen ab der nächsten Planungsperiode sein. Wie gesagt: Dort werden wir auch quantitative Auflagen machen. Anders geht es gar nicht. Das ist eine Frage, wie Ressourcen punktuell und konzentriert eingesetzt werden, um eine so wichtige Landesaufgabe zu erfüllen.

Ich bin mir dessen bewusst, dass die Anpassung der universitären Ressourcen an den Bedarf des Landes ein mehrjähriger Prozess sein wird, der mit einer Reihe von schwierigen Personal- und Strukturentscheidungen verbunden ist, die man nicht alle von heute auf morgen lösen kann. Dennoch muss ich darauf drängen, den Prozess schnell zu beginnen; denn die Strukturentscheidungen, die wir heute an den Universitäten für Lehramtsausbildung treffen, werde erst nach 2010 für die Schule wirksam werden. Die Zielvereinbarungen sind deswegen ein wesentlicher Bestandteil dieses Konzepts für die mittelfristige und längerfristige Entwicklung der Ausbildungskapazitäten insbesondere in Bezug auf den Lehrerbedarf.

An einem Gesamtkonzept, das auch die Ausbildungskapazitäten im Vorbereitungsdienst einschließt, wird ebenfalls zurzeit gearbeitet. Das tun wir im Übrigen im Auftrag des Ausschusses.

Das Kultusministerium wird dem Ausschuss für Bildung und Wissenschaft über die Zielvereinbarungen - natürlich bevor sie abgeschlossen sind - und über das Gesamtkonzept für die mittelfristige und längerfristige Entwicklung der Ausbildungskapazitäten in der ersten und der zweiten Phase berichten. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Olbertz. - Die Debatte wird durch den Beitrag der FDP-Fraktion eröffnet. Es spricht Herr Dr. Volk. Bitte, Herr Dr. Volk.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion über Lehrerbeschäftigung, Lehrerbedarfe und Lehrerbildung begleitet uns in diesem Hohen Hause wiederholt. Die Ursache dafür, dass wir uns mit dieser speziellen Berufsgruppe so intensiv befassen, liegt zum einen in der Landesverantwortung für die Schulbildung und deren Sicherstellung, aber auch ein ganzes Stück weit im Lobbyismus der Fachgewerkschaften.

Meine Damen und Herren! In den letzten Jahren hat sich die Zahl der Studenten, die an die Universität Halle ein Lehramtsstudium aufgenommen haben, nahezu verdoppelt. Eine ähnliche Tendenz vermelden die Universitäten in Leipzig und Jena. Gleichzeitig haben die Bundesländer Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zurückgehende Schülerzahlen und absehbar mittelfristig, wie

die Einstellungssituation zeigt, einen eher geringeren Lehrerbedarf.

Man erkennt keinen direkten Zusammenhang zwischen Lehrerbedarf und Studienanfängern, zumal die Zahl der Studierenden in den einzelnen Fächerkombinationen höchst unausgewogen ist. Meiner Meinung nach ist es ein problematischer Ansatz zu glauben, man könne auf der Grundlage eines prognostizierten zukünftigen Lehrerbedarfs die entsprechenden Ausbildungsangebote bis ins Letzte steuern.

Die Mobilität vor Beginn, im Verlauf und nach Abschluss eines Studiums ist groß, sodass eine Gleichsetzung zwischen Lehrerbedarf und Ausbildungskapazität zweifelhaft ist. Es ist eben nicht die Regel, dass sich ein Student in Sachsen-Anhalt für ein Lehramtsstudium einschreibt, weil er weiß, dass er sieben oder acht Jahre später unbedingt und nur in Sachsen-Anhalt Lehrer werden möchte.

Ebenso richten sich die Ausschreibungen des Kultusministeriums an Absolventen in allen Bundesländern. Wir leben nicht auf einer Insel, die hinsichtlich der Lehrerbildung vollkommen autark sein muss und sollte. Wir sollten dies auch nicht anstreben.

Es wird immer Fächerkombinationen geben, in denen es mehr Studierende und Referendare gibt als Stellen und umgekehrt. Das ist natürlich und hängt mit dem Profil der einzelnen Hochschulen, deren Attraktivität, vom Studienort und vom Ruf einzelner Institute ab. Deshalb muss ich es so hart sagen: Planwirtschaftliche Methoden funktionieren nicht, am allerwenigsten, wenn es um die persönliche Lebensplanung von jungen Menschen geht. Ich kann die Intention des Antragstellers deshalb nicht ganz nachvollziehen.

(Frau Dr. Hein, PDS: Das ist unverantwortlich!)

Ich gebe zu, dass es richtig und wichtig ist, den Lehrerbedarf im Auge zu behalten, aber ich betrachte mit sehr viel Skepsis, eine ausgesprochene langfristige Planungskonzeption zu erstellen. Entweder wird sie in wenigen Jahren von der Realität überholt oder sie ist so abstrakt, dass keine Folgerungen aus ihr zu ziehen sind.

Die Einstellung von Lehrkräften in der nötigen Fächerkombination ist das wirksamste Mittel, die Versorgung mit Lehrkräften zu sichern.

Mit dem Konzept der Landesregierung zur Personal- und Stellenentwicklung herrscht Klarheit darüber, welche Lehrer in den nächsten Jahren benötigt werden. Ich bin mir sicher, dass diese Nachfrage auch bei den Studierenden registriert wird und dass die Studierenden ihre Berufsplanung daran ausrichten können.

Ich hoffe, dass das von der Landesregierung angekündigte Konzept zur Lehrerbedarfsentwicklung und zur Studienplatzentwicklung diesen Zusammenhang beachtet und nicht zu sehr im Detail versucht, Zusammenhänge zu steuern, die auf der Ebene eines Bundeslandes kaum steuerbar sind.

Der Antragsteller sollte sich seinerseits auch von Illusion verabschieden, in den Ausschussberatungen zu erfahren, wie viele im Jahr 2008 im dritten Semester Chemie auf Lehramt studieren werden. Ich denke, wir sollten nicht zu viele Hoffnungen in ein derartiges Konzept legen. - Ich bedanke mich.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Volk. - Nun erteile ich Frau Mittendorf das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung legte den Ausschussmitgliedern im September des letzten Jahres ein Konzept zur Personal- und Stellenentwicklung von Lehrkräften bis zum Schuljahr 2013 bzw. 2014 vor. Das Konzept soll jährlich fortgeschrieben und mit aktuellem Zahlenmaterial aufbereitet werden.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat vor kurzem eigene Berechnungen angestellt und weicht im Ergebnis zum Teil erheblich von den Lehrkräfteprognosen des Kultusministeriums ab, was aus meiner Sicht nicht anders zu erwarten war.

Nun geht es jedoch nicht nur um die Bestimmung der zukünftigen Lehrkräftebedarfe, sondern es geht um die daraus folgenden Schlussfolgerungen für unser Land, für die bildungspolitische Arbeit in unserem Land.

Dazu zählt aus unserer Sicht in erster Linie, dass sich die Ausbildungskapazitäten an den Universitäten eben doch an den prognostizierten Bedarfen orientieren müssen. Es ist zu berücksichtigen, dass bei weitem nicht alle Absolventinnen und Absolventen der Universitäten hier im Land bleiben. Vereinfacht, meine Damen und Herren, bedeutet dies: Das Land muss die Lehrkräfte, die es an den Schulen in den nächsten Jahren benötigt, selbst ausbilden und es muss dann noch dafür sorgen, dass diese im sachsen-anhaltischen Schuldienst wirklich eine Anstellung finden.