Protokoll der Sitzung vom 21.06.2002

Die Attacken gegen Michel Friedman sind ebenso differenziert zu betrachten. Er war Gast unseres SPD-Parteitages am 2. Juni und erhielt lang anhaltenden Beifall, und das gewiss nicht, weil er ein CDU-Politiker ist, nicht weil wir alle seine Talkshows besonders schätzen und nicht weil er als Person allen so sympathisch ist, sondern allein deshalb, weil wir uns dagegen wenden, dass er persönlichen Angriffen ausgesetzt ist, weil er ein Jude ist.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

In diesem Moment stehen wir an seiner Seite. Genau dies sehen offensichtlich auch ehemals führende Liberale wie Hamm-Brücher, Genscher, Kinkel, Gerhardt, Lambsdorff, denen es offensichtlich nicht gelungen ist, Möllemann-Anhänger zu einer eindeutigen Position zu bewegen.

Meine Damen und Herren! Unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger sind tief beunruhigt. Das dürfen wir nicht einfach so hinnehmen. Den Vorwurf, nicht alles getan zu haben, um Klarheit herzustellen, muss sich die FDP, insbesondere ihre Führung, gefallen lassen. Auch

der Parteivorsitzende Westerwelle musste erst getrieben werden, vorwiegend vom Zentralrat der Juden.

(Frau Pieper, FDP: Das ist doch Unsinn! Das wis- sen Sie selber!)

Das Zerwürfnis innerhalb der FDP ist nicht unser Problem.

(Zuruf von Frau Pieper, FDP)

Aber mit dem nun wieder in der Öffentlichkeit auftauchenden Satz, der Jude sei schuld am Antisemitismus,

(Frau Pieper, FDP: Das hat niemand gesagt!)

haben wir ein Problem; denn er war schon einmal Ausgangspunkt für schreckliche Verbrechen. Weil Herr Möllemann sich nur teilweise entschuldigte und nach wie vor stellvertretender Parteivorsitzender ist, ist es auch für uns ein Thema. Wir müssen von Ihnen, Frau Pieper, als Generalsekretärin der FDP erwarten, dass Sie auf Herrn Möllemann einwirken und eindeutige Klarstellungen erreichen. Sie haben das Problem jedoch auch im eigenen Landesverband der FDP nicht bewältigt.

(Herr Kosmehl, FDP, lacht - Zuruf von der FDP)

Wie wir den Zeitungen entnehmen, gibt es im Norden Sachsen-Anhalts bei der FDP eine breite Unterstützung für Herrn Möllemann. Und das mit jener verharmlosenden und am Kernproblem völlig vorbeigehenden Erklärung,

(Zuruf von Frau Pieper, FDP)

dass man doch die Politik Scharons kritisieren dürfe und es legitim sei,

(Unruhe bei der FDP - Frau Pieper, FDP: Der ist stellvertretender und bleibt stellvertretender Par- teivorsitzender der FDP! - Herr Bischoff, SPD: Bleiben Sie doch mal ruhig, Frau Pieper!)

eine Person des öffentlichen Lebens unsympathisch zu finden.

Meine Damen und Herren! Mit der Aktuellen Debatte wurden die im Landtag von Sachsen-Anhalt vertretenen Parteien aufgefordert, ihre Positionen zum Antisemitismus darzulegen. Hierzu darf ich ganz klar sagen:

(Frau Pieper, FDP: Wahlkampf ist das! Eindeu- tig!)

Die Sozialdemokratie hat es beim Thema Antisemitismus nicht nötig,

(Zuruf von Herrn Ernst, FDP)

sich unter Rechtfertigungsdruck setzen zu lassen. Sie hat in ihrer langen Geschichte niemals Raum für Antisemitismus gegeben; sie ist ihm, selbst unter Opfern, stets entschieden entgegengetreten; sie hat unter ihren Führern stets auch jüdische Mitbürger gehabt.

Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat sich seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland von vornherein gegen Widerstände dafür stark gemacht, Wiedergutmachung mit dem Staat Israel und mit den Juden in aller Welt zu erreichen.

(Frau Pieper, FDP: Das war ein liberaler Außen- minister! - Unruhe)

Sie hat Adenauer dadurch zu entscheidenden Mehrheiten im Deutschen Bundestag verholfen, die er mit dem damaligen Koalitionspartner nicht erreicht hätte.

Am 27. September 1951 beschloss der Deutsche Bundestag auf Antrag der SPD das Ziel der Aussöhnung mit den Juden in aller Welt. Das Zustimmungsgesetz zum deutsch-israelischen Wiedergutmachungsabkommen am 5. März 1953 wird im Deutschen Bundestag mit 238 gegen 34 Stimmen bei 36 Enthaltungen beschlossen. Die Gegenstimmen kamen von der KPD und der äußersten Rechten. Die Stimmenthaltungen kamen von den Koalitionspartnern der CDU, nämlich der CSU, der FDP, der Deutschen Partei und der Bayernpartei.

Wir, meine Damen und Herren, beziehen auch jetzt eine klare Stellung gegen jede Form des Antisemitismus.

(Zurufe von Frau Pieper, FDP, und von Herrn Reck, SPD)

Wir fordern alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes auf, die Erinnerung an die nationalsozialistische Diktatur und den Holocaust nicht verblassen zu lassen. Wir wollen dafür sorgen, dass Juden in Deutschland sicher leben können. Wir wollen einen Zustand überwinden, den der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland Paul Spiegel so beschreibt:

„Lange Zeit wollten Juden nicht in ihre Gotteshäuser gehen, wenn Polizei davor stand. Aber heute wollen sie nur noch in ihre Gotteshäuser und Synagogen gehen, wenn Polizei davor steht.“

Wir fordern alle demokratischen Parteien und Politiker auf, dafür Verantwortung zu übernehmen, dass die Ächtung des Antisemitismus das Ziel deutscher Politik bleibt. Wir fordern daher alle demokratischen Parteien auf, Wahlkämpfe nicht auf dem Rücken von Menschen jüdischen Glaubens zu führen.

(Herr Stahlknecht, CDU: Das machen Sie doch gerade! - Herr Dr. Polte, SPD: Sie haben wohl in Geschichte nicht aufgepasst! - Frau Pieper, FDP: Die PDS hat doch den Antrag auf die Aktuelle Stunde gestellt! - Unruhe)

Angriffe gegen Juden und ihre Gemeinden sind Angriffe gegen uns alle und müssen von uns allen mit Nachdruck zurückgewiesen werden.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Das gebietet allein schon die Achtung vor der Würde des Menschen.

Meine Damen und Herren! Unser Ideal ist ein Land, in dem man ohne Angst verschieden sein kann. Dafür arbeiten wir. Unser Schreckensbild ist ein Land, in dem die Angst einzelner neue Nahrung erhält und die Gefahren der Vergangenheit wieder real werden könnten. Dagegen wehren wir uns.

Herr Dr. Fikentscher, ich bitte Sie, zum Ende Ihrer Rede zu kommen.

Bisher, heute und zukünftig. - Danke schön.

(Lebhafter Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Besten Dank, Herr Dr. Fikentscher. - Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich für die CDU-Fraktion dem

Abgeordneten Herrn Schomburg das Wort. Bitte sehr, Herr Schomburg.

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir ist bei den Debatten der letzten Tage hinsichtlich der Äußerungen von Herrn Möllemann wieder einmal ein bisschen zu viel Aufgeregtheit im Spiel. Wir müssen uns gerade auch bei diesem Thema vor Übertreibungen hüten. Meine Fraktion betrachtet die FDP nach wie vor als eine demokratische Partei, die des Antisemitismus unverdächtig ist.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Dabei möchte ich kurz bei dem Begriff Antisemitismus verweilen. Eigentlich müsste es heißen: Antijudaismus; denn alle Ressentiments gegen die Angehörigen jüdischen Glaubens bezeichnen diese Denk- und Verhaltensrichtung.

Der Antisemitismus richtet sich als eine spezielle Form des Rassismus gegen semitische Bürger, zu denen meines Wissens auch die Palästinenser gehören.

Aversionen gegen jüdische Bewohner Deutschlands und Europas sind alt. Übrigens gibt es in Deutschland jüdische Bewohner bereits seit dem 4. Jahrhundert, lange bevor Deutschland christianisiert wurde. Immer wieder instrumentalisierten Herrscher ihre Bevölkerung gegen jüdische Mitbürger und bauten ein Zerrbild des jüdischen Mitbürgers auf.

Der gesellschaftliche Antisemitismus hat eine lange Tradition, die nicht nur, wie gesagt, auf Deutschland beschränkt ist. Lesen Sie hierzu bitte einmal die „Hebräischen Melodien“ von Heinrich Heine.

Perfektioniert hat den Antisemitismus in Deutschland aber der Nationalsozialismus. Jede Diktatur braucht zur Rechtfertigung ihres Tuns einen Feind. So wie es für die DDR der Imperialist und der Militarist war, so war es für Hitler der Jude. Die Verwendung des Singulars für Mitglieder der deutschen Gesellschaft spricht Bände. Er diente als Blitzableiter und Sündenbock für alle Fehlschläge, Misserfolge und Untaten des Dritten Reiches.

Diese Propaganda und Verzeichnung der jüdischen Mitbürger hat sich nachhaltig im kollektiven Gedächtnis auch in Deutschland festgesetzt. Der Philosoph Horkheimer hat deshalb den Antisemitismus als das Gerücht vom Judentum bezeichnet.

Ich glaube übrigens nicht, dass der Antisemitismus in Deutschland eine Chance hat. Aber er darf auch niemals wieder eine Chance in Deutschland bekommen.

(Beifall im ganzen Hause)