Protokoll der Sitzung vom 17.06.2004

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 41. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt in der vierten Wahlperiode und begrüße Sie alle auf das Herzlichste.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Meine Damen und Herren! Das Mitglied des Landtages Herr Wolfgang Rauls hat heute Geburtstag.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Dazu gratuliere ich Ihnen, Herr Rauls, im Namen des Landtages und ganz persönlich. Ich wünsche Ihnen Glück und Gesundheit, nicht nur für den heutigen Tag, sondern für das ganze kommende Jahr und die vielen darauf folgenden. Alles Gute!

Meine Damen und Herren! Ich erinnere Sie an das heutige Datum. Heute ist der 17. Juni 2004. Es ist der 51. Jahrestag eines bedeutenden Ereignisses in der deutschen Geschichte. Der Tag begann damals, vor 51 Jahren, mit einem Streik der Bauarbeiter auf der Berliner Stalinallee und mündete in einen Volksaufstand.

Unser heutiges Bundesland Sachsen-Anhalt bildete eines der wichtigsten Zentren dieses Aufstandes, gemessen an den klaren politischen Forderungen der Bitterfelder, vielleicht sogar das wichtigste. Hier, im mitteldeutschen Revier, in den Bezirken Magdeburg und Halle, beteiligten sich rund 120 000 Menschen daran, in der gesamten DDR waren es fast eine Million Demonstranten in über 700 Städten.

Der Tag endete, wie er wohl unter einem brutalen Besatzungsregime enden musste: Der Aufstand wurde mit Waffengewalt niedergeschlagen. Viele bezahlten ihr mutiges und engagiertes Eintreten für Freiheit und Demokratie sowie nationale Selbstbestimmung mit langjährigen Zuchthausstrafen. Mindestens 55 Menschen kamen nach heutigen Schätzungen und Forschungen ums Leben.

Als revolutionäre, vom Freiheitswillen getragene Massenbewegung steht der 17. Juni in einer Reihe mit den deutschen Revolutionen von 1848 und 1918/1919 und er fand seine Fortsetzung erst 36 Jahre später mit der friedlichen Revolution im Jahr 1989.

Im vergangenen Jahr wurde der 50. Jahrestag aus gutem Grund mit besonderem Aufwand begangen. Alle waren sich dessen bewusst, dass zu diesem Zeitpunkt die so genannte Erlebnisgeneration noch berichten konnte, was nicht mehr so lange der Fall sein wird. Zu ihr gehörte auch unser ehemaliger Landtagspräsident Wolfgang Schaefer, der eben in diesen Tagen des vergangenen Jahres gestorben ist, und zwar in Vorbereitung einer Diskussion mit jungen Leuten in Rheinland-Pfalz.

Obwohl der 17. Juni zweifelsfrei ein herausragendes Datum der deutschen Geschichte ist, lief er seit jeher Gefahr, in der Erinnerung zu verblassen - im westlichen Teil unseres Landes deshalb, weil das Erlebnis fehlte, und im Osten, weil die Ereignisse tot geschwiegen worden sind und die Kenntnisse darüber nur bruchstückhaft vorhanden waren. Wir, insbesondere die politisch Tätigen, müssen uns immer wieder aufs Neue an die herausragende Bedeutung dieses Tages erinnern und sie nicht

nur für uns selbst festhalten, sondern auch für die nachfolgenden Generationen.

An diesem Tag haben mutige Menschen gezeigt, dass es wenigstens den einen großen Versuch in Deutschland gegeben hat, sich gegen Unterdrückung aufzubäumen, und zwar noch vor den Polen, den Ungarn und den Tschechoslowaken.

Der Landtag hat mit einer Ausstellung und einer Gedenkstunde an den 50. Jahrestag erinnert, hat Zeitzeugen eingeladen und mit ihnen darüber diskutiert. Auch heute wird der Landtag mit einer Kranzniederlegung im Hof der Gedenkstätte Moritzplatz der Opfer der Gewaltherrschaft gedenken.

Meine Damen und Herren! Wir sind hier, um unsere Arbeit als Abgeordnete zu tun. Diese Arbeit erledigen wir jedoch immer auch vor dem Hintergrund unserer Geschichte. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass dieser bedeutende Teil unserer Geschichte nicht in Vergessenheit gerät. - Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben.

(Beifall im ganzen Hause)

Für die heutige Sitzung gibt es Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung: Herr Ministerpräsident Professor Dr. Böhmer entschuldigt sich für die heutige Sitzung; er nimmt an der Ministerpräsidentenkonferenz teil. Herr Staatsminister Robra ist deshalb heute ebenfalls nicht anwesend. Herr Minister Becker entschuldigt sich für beide Tage aufgrund der Justizministerkonferenz in Bremerhaven. Herr Minister Kley entschuldigt sich ebenfalls für beide Sitzungstage wegen der Konferenz der Gesundheitsminister in Berlin.

Von Herrn Minister Jeziorsky lag ursprünglich, wie Ihnen bekannt ist, eine Entschuldigung für die heutige Sitzung ab 17 Uhr vor. Diese ist hinfällig geworden. Er wird also anwesend sein.

Nun zur Tagesordnung für die 22. Sitzungsperiode des Landtages. Sie liegt Ihnen vor. Im Ältestenrat wurde zu Recht mit gutem Grund vereinbart, dass die Tagesordnungspunkte 1 und 2 als erste Tagesordnungspunkte des morgigen Tages beraten werden.

Es liegt mir ein schriftlicher Antrag der CDU-Fraktion vor, den Tagesordnungspunkt 7 von Tagesordnung zu streichen. Ich frage die Antragsteller, ob dazu noch etwas erklärt werden soll. - Das ist nicht der Fall. Möchte jemand von den anderen Fraktionen dazu sprechen? - Herr Dr. Püchel und Frau Dr. Sitte. Bitte, Herr Dr. Püchel.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte es für einen Skandal, was hier abläuft.

Das Vermessungs- und Katastergesetz wird in diesem Landtag schon seit vielen Monaten diskutiert. Bereits im Rahmen des Ersten Investitionserleichterungsgesetzes wurde darüber gesprochen. Es wurde von der Landesregierung ein Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht. Dieser Entwurf wurde im Ausschuss diskutiert. Im Innenausschuss gab es eine klare Mehrheit der Koalition für die Beschlussempfehlung.

Aufgrund von Eingriffen von Lobbyisten zieht die Fraktion diese Beschlussempfehlung nun zurück. Ich halte

das für den falschen Weg. Es gibt eine Beschlussempfehlung, hinter der sehr viele Abgeordnete standen. Es kann nicht sein, dass Lobbyisten Einfluss nehmen in ihrem Interesse und dieses Gesetz noch einmal ändern wollen.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank. - Nun bitte Frau Dr. Sitte.

Auch wir möchten Widerspruch einlegen. Allerdings will ich neben den Vorbemerkungen von Herrn Püchel schon sagen, dass wir die Debatte dazu nutzen wollten, dass genau diese Differenz öffentlich wird, und die Gelegenheit dazu bietet der Landtag.

Herr Scharf, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist gut und richtig, dass der Landtag in der zweiten Lesung Gesetze beschließt, wenn alle Abgeordneten genau wissen, worüber sie zu beschließen haben und sich in ihrer eigenen Entscheidungsfindung sicher sind. Wir haben aber bereits verschiedene Gesetzentwürfe in diesem Landtag erlebt, die einen längeren Beratungsgang notwendig gemacht haben, zum Teil in den Ausschüssen, zum Teil in den Fraktionen.

In der CDU-Landtagsfraktion besteht hinsichtlich dieses technisch hochkomplizierten Gesetzes einfach noch ein weiterer Beratungsbedarf. Ich finde, dieses sollten wir uns gegenseitig ohne weitere Aufregung zugestehen. In der zweiten Lesung wird dieser Gesetzentwurf sicherlich in all seinen Aspekten beleuchtet werden. Dazu tagt der Landtag zu Recht offen und öffentlich.

Wir sind nicht im Verzug. Es besteht keine Notwendigkeit, das Gesetz heute unbedingt zu beraten. Ich denke, wir sollten uns gegenseitig die Freiheit der Meinungsbildung in den Fraktionen lassen. Deshalb beantragen wir die Absetzung der Beratung dieses Gesetzentwurfes von der Tagesordnung.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Dr. Püchel noch einmal. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Scharf, diese Besonnenheit bei der Verabschiedung von Gesetzen hätte ich mir in der Vergangenheit von Ihnen gewünscht.

(Beifall bei der SPD)

Ich denke nur an die ersten beiden Investitionserleichterungsgesetze und an Ihre eigenartige Vorgehensweise bei der Zurücknahme der Kommunalreformgesetze.

(Widerspruch bei der CDU - Zurufe von Frau Fi- scher, Merseburg, CDU, und von Frau Liebrecht, CDU)

Frau Dr. Sitte, bitte.

Ich möchte Herrn Scharf darauf hinweisen, dass Sie genau das erreichen können, indem Sie dieses Gesetz heute wieder zurücküberweisen. Dann können Sie sich diese Meinungsfindung in Ihrer Fraktion ermöglichen. Wir möchten schon die Gelegenheit nutzen, all diese Differenzen heute zu benennen und es nicht einer medialen Debatte allein überlassen.

(Beifall bei der PDS)

Gut. Wir gehen jetzt ganz streng und sauber nach der Geschäftsordnung vor. Der erste Antrag lautet, den Tagesordnungspunkt von der Tagesordnung abzusetzen. Das kann mehrheitlich beschlossen werden. Wenn es nicht beschlossen würde - ich entnehme den Worten von Frau Dr. Sitte, dass sie dagegen ist -, dann wäre der zweite Schritt eine Rücküberweisung, die aber erst nach dem Aufruf des Tagesordnungspunktes beschlossen wird.

Wer ist dafür, dem Antrag der CDU-Fraktion zu folgen und den Tagesordnungspunkt 7 von der Tagesordnung zu streichen? - Das ist, wenn ich das recht sehe, die gesamte Koalition. Wer ist dagegen? - Das ist die gesamte Opposition. Damit ist dieser Tagesordnungspunkt mehrheitlich von der Tagesordnung abgesetzt worden.

Wir beginnen nun mit den Beratungen. Ich rufe vereinbarungsgemäß als ersten den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Aktuelle Debatte

Auswirkungen fehlender Mittelbereitstellung im Bundesverkehrswegebau auf Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 4/1635

Die Redezeit beträgt zehn Minuten für jede Fraktion und für die Landesregierung. Ich bitte zunächst Herrn Schröder, für die antragstellende Fraktion das Wort zu nehmen. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für mich persönlich ist es heute eine Premiere, am Beginn der Tagesordnung der Plenarsitzung zu reden. Ich möchte diese Gelegenheit gern nutzen, um dem Thema die notwendige Aufmerksamkeit zu widmen, die ihm gebührt. Ich möchte meine Rede mit der grundsätzlichen Aussage beginnen - über die, glaube ich, wohl auch Konsens in diesem Haus besteht -, dass der Aufbau Ost ohne die Angleichung des Infrastrukturniveaus an das der alten Bundesländer undenkbar ist.

(Zustimmung bei der CDU)

Mit der Infrastrukturlücke im Osten werden Milliardentransfers politisch gerechtfertigt und die Solidarpakte I und II begründet. In den vergangenen Monaten wurde jedoch in Sachsen-Anhalt wie auch in den anderen Bundesländern immer wieder diskutiert, ob das Geld für die

Realisierung wichtiger Trassen und Infrastrukturprojekte bei allen Verkehrsträgern angesichts fehlender Mauteinnahmen reicht. Zwischenzeitlich existiert auch für Sachsen-Anhalt eine vom Bundesverkehrsministerium erstellte Positivliste für Verkehrsinvestitionen, mit denen in diesem Jahr begonnen werden kann. Eine länderbezogene Streichliste indes gibt es seitens des Bundes nicht, und das, obwohl die Bundesregierung ihre Ausgaben im Bundesverkehrswegebau dramatisch reduziert.