Protokoll der Sitzung vom 08.07.2004

Solch eine gemeinsame Positionierung aller Bildungspolitiker des Landes ist nichts Alltägliches und sollte

doch wohl ernst genommen werden. Was ist passiert? - Sie wollen Elternrechte beschneiden. Sie wollen eine wesentliche Weichenstellung im Leben der jungen Menschen staatlich reglementieren. Das ist aus unserer Sicht nicht nur ein großer Fehler, das ist unverantwortlich.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Das ist in höchstem Maße verantwortlich!)

Meine Damen und Herren! Ihre Begründung für diesen Schritt, der große Run auf das Gymnasium, ist fadenscheinig, weil von Ihnen selbst verursacht. Die geplante Zugangsbeschränkung für das Gymnasium soll handfeste hausgemachte Fehler kaschieren. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und behaupte: Mit der Zugangsbeschränkung für das Gymnasium haben Sie die Profilierung der Schulform Sekundarschule aufgegeben.

Warum wählen denn viele Eltern gegenwärtig für ihre Kinder das Gymnasium? - Aus zwei Gründen: erstens, weil sie kein Zutrauen in die Sekundarschule haben. Von ihrer Profilierung ist nichts zu spüren und der Hauptschuldbildungsgang schreckt eher ab. Das heißt, Ihre Schulreformen ziehen nicht.

Zweitens - das ist nun wirklich kein schulfachlicher Grund -: weil es die nahe Sekundarschule schon bald nicht mehr gibt oder weil sie bald geschlossen wird aufgrund Ihrer restriktiven Vorgaben zur Schulentwicklungsplanung.

(Zustimmung bei der SPD - Herr Gürth, CDU: Sie haben doch völlig versagt mit Ihrer Bildungspoli- tik! Dass Sie sich noch hinstellen! - Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Manometer!)

Meine Damen und Herren! Die Entscheidung für das Gymnasium ist für viele quasi eine Flucht. Anstatt die Sekundarschule zu profilieren, sollen die Schüler künftig für die Sekundarschule zwangsverpflichtet werden, damit die gerade erst beschlossene Schulentwicklungsplanung nicht Makulatur wird - keine gute Voraussetzung für die Profilierung dieser Schulform.

(Herr Schomburg, CDU: Unsinn! - Herr Gürth, CDU: Zwangsverpflichtung war Ihre unsinnige Förderstufe, die den Kindern zwei Jahre gestoh- len hat!)

Wir haben im Rahmen der Gesetzesberatungen auch Vorschläge gemacht für Änderungen und Übergangsregelungen zur Schulentwicklungsplanung, die genau das verhindert hätten. Diese wurden jedoch abgelehnt.

Meine Damen und Herren! Auch weitere Regelungen aus dem Gesetzentwurf lehnen wir ab. Ich werde mir ersparen, sie jetzt alle aufzuzählen. Ich nenne nur zwei Dinge: die Abschaffung der Möglichkeit der Bildung von Schulverbünden und die Erhöhung der Mindestzügigkeit bei der Bildung neuer Gesamtschulen.

Ich bin gespannt, wie die Zuführung der Schüler zum Unterricht, bei denen bisher alles versagt hat, erfolgen soll.

Frau Abgeordnete, Sie haben Ihre Redezeit bereits um eine Minute überzogen. Kommen Sie bitte zum Ende.

Ich spreche den letzten Satz.

Wie bereits vom Minister gesagt wurde, haben wir einen Gesetzentwurf im Ausschuss, der auf die innere Schulreform ausgerichtet ist. Es gibt in der Tat einige Schnittmengen zu dem, was jetzt vorliegt. Grundlegende Dinge in diesem Gesetzentwurf können wir aber nicht mittragen. Trotzdem werden wir einer Überweisung des Gesetzentwurfes zustimmen, weil es eben gemeinsame Schnittmengen gibt. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Mittendorf. - Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Dr. Volk das Wort. Bitte sehr, Herr Dr. Volk.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir heute über den Entwurf einer neunten Novelle zum Schulgesetz beraten, wird es sicherlich Stimmen geben, die die Folge und die Häufigkeit der Veränderungen im Schulbereich kritisieren. Auch wenn die Kritik in Bezug auf mangelnde langfristige Kontinuität im Schulbereich in Sachsen-Anhalt berechtigt ist, betrifft dies den vorliegenden Gesetzentwurf nicht.

Die FDP-Fraktion hat sich mit Nachdruck dafür eingesetzt, notwendige Veränderungen in der Schulstruktur im Jahr 2003, also im Zusammenhang mit der achten Änderung, umzusetzen und sich darauf aufbauend der inneren Organisation und der inhaltlichen Gestaltung von Schule zuzuwenden, sodass im August 2005 keine Unruhe den einzelnen Schulen ins Haus steht.

Es geht jetzt darum, auf der Grundlage gefestigter Strukturen und einer konsolidierten Schullandschaft inhaltliche Veränderungen in den Schulen in Sachsen-Anhalt voranzutreiben. Wir begrüßen dieses Ansinnen nachdrücklich und sehen deshalb ebenso wie die Landesregierung die Notwendigkeit einer entsprechenden Gesetzesnovellierung.

Auch wenn wir im Ausschuss mit Sicherheit noch detailliert über die Regelungen diskutieren werden, möchte ich einige Punkte hervorheben, die in der Novelle neu geregelt werden.

Eine zentrale Forderung der FDP war die Aufhebung der Schuleinzugsbereiche, die mit dem Entwurf erstmals ermöglicht wird. Gerade weil es aufgrund der demografischen Entwicklung zu schmerzhaften Veränderungen in der Schullandschaft in Sachsen-Anhalt kam, ist es aus meiner Sicht sinnvoll, Eltern und Schülern die Wahlfreiheit über ihre Schule zuzugestehen. Die Entwicklung von Schulprofilen steht in engem Zusammenhang mit der Wahlmöglichkeit der Schüler und mit der bewussten Entscheidung für ein Schulprofil. Ich hoffe deshalb, dass möglichst viele Schulträger ab 2006 von der Möglichkeit der Aufhebung Gebrauch machen und zusätzlich noch Vereinbarungen mit ihren Nachbarkreisen treffen, um ein offenes Schulsystem in Sachsen-Anhalt zu etablieren.

Eine weitere Veränderung betrifft die Regelung des Übergangs zwischen den Schulformen, der in § 34 erstmals an eine so genannte Leistungsfeststellung gekoppelt wird. Ich begrüße diesen Vorschlag nicht uneingeschränkt. Die Frage der Regelung des Übergangs zwischen den Schulformen gehört zu den Problemen, die wir als Schulpolitiker zu entscheiden haben.

Ich bin noch immer der Meinung, dass verantwortungsvolle Eltern ihre Kinder am besten kennen und nach entsprechender Beratung einschätzen können, welcher Weg für die Kinder der richtige ist. Ich habe jedoch in den letzten Monaten zahlreiche Gespräche mit Lehrern und Schulleitern sowohl von Grund- und Sekundarschulen als auch von Gymnasien geführt. Alle schätzen übereinstimmend ein, dass die derzeitige Praxis mangelhaft wirkt.

Entwicklungen von Schülerströmen und die genaue Betrachtung von Unterrichtsqualitäten in allen Schulformen des Sekundarschulbereiches sind Argumente, die in eine kritische Diskussion einbezogen werden müssen, eine Diskussion, in der es um die Festlegung von Zugangsschwellen gehen muss.

Dabei halte ich nach wie vor wenig von zentralen Eingangstests an den Gymnasien, denen sich alle Schüler unterziehen müssen. Allerdings kann es sinnvoll sein, in den Fällen, in denen Elternwille und Schullaufbahnempfehlung divergieren, eine Entscheidungsinstanz einzubeziehen. Bei deren inhaltlicher und personeller Ausgestaltung sollten wir uns immer vor Augen führen, dass wir über zehnjährige Schülerinnen und Schüler und nicht über Abschlussklassen reden.

(Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

Uneingeschränkt begrüße ich dagegen die Vorgaben zur Zusammenarbeit von Schulen und Kindertagesstätten in Vorbereitung des Schuleintritts. Auch vor dem Hintergrund der heute geführten Diskussion um das Kinderförderungsgesetz, die in unserer Sitzungsperiode bestimmend ist, erachte ich die Festlegung als richtig und notwendig.

Im Zusammenhang mit dem Schulbeginn macht das geflügelte Wort von einem neuen Lebensabschnitt immer wieder die Runde. Aber auch für diesen Lebensabschnitt gilt, dass er nicht bei null beginnt. Von zahlreichen Grundschullehrern wurde zu Recht kritisiert, dass viele Schüler mit unzureichenden Voraussetzungen in die Schule kommen. Dies neu zu regeln ist Inhalt des Gesetzes.

Ebenso begrüße ich die Festlegung von Qualitätssicherungsmaßnahmen und Evaluationen im Schulgesetz. Pisa auf internationaler und nationaler Ebene muss durch adäquate Vergleiche auf der Ebene des Landes und der einzelnen Schulen unterfüttert werden. Mit der Neufassung werden wir dafür entsprechende gesetzliche Regelungen schaffen.

Insgesamt denke ich, dass wir mit dem Entwurf eine gute Grundlage für die Ausschussberatungen der nächsten Monate haben. An deren Ende werden wir dann ein Schulgesetz verabschieden, das die inhaltliche Modernisierung des Schulwesens vorantreibt. Die FDPFraktion wird deshalb der Überweisung in den Ausschuss für Bildung und Wissenschaft zustimmen. - Besten Dank.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Volk. Sind Sie bereit, eine Anfrage der Abgeordneten Frau Mittendorf zu beantworten? - Bitte sehr, Frau Mittendorf.

Herr Volk, Ihnen ist ja bekannt, dass in dem Gesetzentwurf, den wir im Oktober in den Landtag eingebracht haben, eine Reihe Regelungen enthalten ist, die auf die innere Schulreform abstellen, darunter Qualitätsmanagement, Schulprogrammarbeit und ähnliche Dinge. Können Sie sich erinnern, dass in der damaligen Debatte von Ihrer Seite und auch vom Kultusminister erklärt wurde, dass es das alles schon gebe und dass das überflüssig sei?

Wir haben die Debatte ja bewusst zweigeteilt. Ihr damaliger Schulgesetzentwurf enthielt diese inhaltliche Komponente, aber zugleich auch eine Komponente, die sich sehr stark mit der Schulentwicklungsplanung beschäftigt hat. Im Ausschuss haben wir das deshalb bewusst von Ihrem Gesetzentwurf abgekoppelt. Ihr Gesetzentwurf ist im Ausschuss immer noch präsent und wird bei der gemeinsamen Beratung zusammen mit diesem Gesetzentwurf sicherlich herangezogen werden, sodass Ihre inhaltliche Komponente dort auch berücksichtigt wird.

Das war eigentlich nicht meine Frage, aber gut.

Eine zweite Frage. Herr Volk, ich habe hier ein Zitat, das ich Ihnen gern einmal zu Gehör bringen möchte:

„Der Wunsch der Erziehungsberechtigten, nach eigenem Ermessen ihre Kinder in das Gymnasium zu schicken, ist nach restriktiver Handhabung und ideologischer Orientierung zu DDR-Zeiten verständlich und politisch auch gewollt.“

Kennen Sie diese Aussage?

Das ist eine Aussage von Frau Pieper, die sie im Jahr 1994 in diesem Landtag getroffen hat. Würden Sie auch heute noch zu dieser Aussage stehen?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und bei der PDS - Frau Feußner, CDU: Ja!)

Ich habe mich bewusst so ausgedrückt, dass ich gewisse Bauchschmerzen mit einer Regelung des Zugangs zum Gymnasium habe. Aber wenn ich die Praxis in den letzten zwei Jahren im Land und auch die Entscheidungen der Eltern, die in letzter Konsequenz eine verantwortungsvolle Entscheidung für ihre Kinder treffen müssen, sehe, muss ich feststellen, dass wir dort ein Stückchen gegenregeln müssen. Wir müssen entweder die Qualität der Schullaufbahnempfehlungen erhöhen oder eine Eingangsschwelle formulieren, die neben der Elternentscheidung mit herangezogen werden muss.

Ich biete Ihnen noch eine Entscheidungshilfe an: Eine Übergangsquote bei den Gymnasien von heute 40 % ist

zum einen Ausdruck für die Qualität und die Beliebtheit dieses Bildungsganges, zeigt aber gleichzeitig beachtliche Mängel in der anderen Schulform, nämlich in der Sekundarschule. Was meinen Sie, warum es damals diese Änderung bei der Sekundarschule unter der damaligen Regierung gab?

Diese Änderung hat sich aber nicht bewährt.

Vielen Dank, Herr Dr. Volk. - Für die PDS-Fraktion erhält nun die Abgeordnete Frau Dr. Hein das Wort. Bitte sehr, Frau Dr. Hein.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Landesregierung hat in den letzten zwei Jahren mehrmals die Absicht verkündet, ein völlig überarbeitetes Schulgesetz vorlegen zu wollen. Was heute vorliegt, ist ein weiteres Stück in einem Flickenteppich und noch dazu in einem ziemlich lausigen.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Ich will trotzdem zwei positive Seiten dieses Gesetzentwurfes nennen, weil man das ja auch zugeben soll.

Das ist zum einen die Verbesserung der Grundschularbeit durch die Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtung und Schule und die flexible Schuleingangsphase. Hierbei scheinen die internationalen und nationalen Debatten gefruchtet zu haben. Das lässt hoffen. Vielleicht ist noch mehr möglich.