Protokoll der Sitzung vom 09.07.2004

Vielen Dank, Frau Ferchland. - Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Debatte eintreten, hat für die Landesregierung der Minister für Gesundheit und Soziales Herr Kley um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eines ist unstrittig in diesem Hohen Hause: Helfende und vorbeugende Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen und Kindern stellen eine gesellschaftliche Notwendigkeit dar, an der nicht gerüttelt wird. Vor diesem Hintergrund hat das Kabinett am 26. November 2002 das bereits im Jahr 2001 begonnene Landesprogramm mit einer Laufzeit bis Ende 2004 präzisiert und mit neuen Akzenten versehen.

Wie Sie wissen, umfasst es mehr als 60 Maßnahmen. Im November dieses Jahres wird im Kabinett der Abschlussbericht vorgelegt. Weiterhin ist in der Prioritätenliste der Landesregierung die Bekämpfung und Vorbeugung der Gewalt gegen Frauen und Kinder zum Leitziel erklärt worden.

Welche Maßnahmen werden nun vom Land unterstützt? - Um einige Beispiele zu nennen: In Sachsen-Anhalt existiert ein flächendeckendes Netz von 20 Frauenhäusern. Sie haben sich als unverzichtbare Schutz- und Beratungseinrichtungen für Frauen und Kinder bewährt. Ferner gibt es im Land vier spezialisierte Beratungseinrichtungen für Opfer des sexualisierten Missbrauchs, die betroffene Frauen und insbesondere Mädchen, aber auch Jungen, und deren Angehörige oder Vertrauenspersonen beraten. Auch für Frauen, die in der Kindheit sexuelle Gewalt erlebten, besteht dieses Angebot, um die traumatisierenden Erlebnisse zu verarbeiten.

Als zentrales Element der Antigewaltarbeit wurde das Interventionsprojekt häusliche Gewalt „Isa“ in der kreisfreien Stadt Halle für eine dreijährige Modelllaufzeit bis Ende 2004 eingerichtet. Mit dem Projekt ist es erfolgreich gelungen, arbeitsfähige Kooperationsstrukturen auf Land- und Stadtebene aufzubauen.

Seit Juli 2002 arbeitet die erste Interventionsstelle, angedockt an das Interventionsprojekt „Isa“ mit einem proaktiven Ansatz in Halle. Seit dem Bestehen sind bereits mehr als 300 Betroffene von der Interventionsstelle beraten und unterstützt worden. Die in Halle gewonnenen Erfahrungen zum Aufbau und zum Ausbau von tragfähigen Kooperationsstrukturen sowie die Beratung und Unterstützung von Betroffenen in Form einer Krisenintervention werden auf die zwei neu eingerichteten Interventionsstellen in die Regionen Magdeburg und Dessau übertragen, die im Herbst 2003 ihre Arbeit aufgenommen haben.

Angesichts dieser Fakten ist der Antrag der PDS-Fraktion unverständlich. Erst vor zwei Wochen fand eine gemeinsame Anhörung des Innen- und des Gleichstellungsausschusses zum Landesprogramm statt, deren Ergebnis noch gar nicht ausgewertet wurde. Der Abschlussbericht wird dem Kabinett vor dem November 2004 vorgelegt werden. Deshalb ist es sicherlich nicht sinnvoll, im Vorgriff bereits heute zu beschließen, das Landesprogramm auf vier Jahre zu verlängern.

Zu dem Vorschlag der PDS, aus dem Interventionsprojekt heraus eine Koordinierungsstelle zu schaffen, ist anzumerken, dass das Interventionsprojekt eine Modelllaufzeit bis zum Ende des Jahres hat. Die in den drei Jahren gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen werden nunmehr auf die drei Interventionsstellen im Sinne eines Wissenstransfers übertragen.

Die fortzuführenden Aufgaben werden künftig dezentralisiert von den drei Interventionsstellen wahrgenommen.

Dementsprechend muss das Aufgabenprofil der Interventionsstellen konkretisiert werden. Hierzu finden mit den Beteiligten bereits seit dem Frühjahr Gespräche statt.

Flankiert werden soll diese Entwicklung mit einer entsprechenden Finanzausstattung, sodass der Haushaltsplanentwurf einen Festbetrag in Höhe von 50 000 € pro Interventionsstelle vorsieht. Einer zusätzlichen Koordinierungsstelle, die mit der Landesregierung gemeinsam Projekte gegen häusliche Gewalt entwickelt, bedarf es nicht.

Im Kontext der Umsetzung des Landesprogramms sind sowohl lokal als auch regional als auch landesweit Netzwerke entstanden, die inzwischen so viel Erfahrung gesammelt haben, dass sie diese Projekte ohne Anleitung weiterentwickeln können. Außerdem muss das Hilfsnetz im Land nicht erst, wie gefordert, stabilisiert werden.

Es scheint der PDS-Fraktion entgangen zu sein, dass bereits im Zuge eines intensiven Qualitätsentwicklungsprozesses die Strukturen bedarfsgerecht weiterentwickelt wurden. Die vom Land geförderten Aufgaben wurden präzisiert, die Qualität definiert und anhand von qualitativen und quantitativen Ergebnisparametern messbar gemacht.

Inzwischen wurden mit 20 Frauenhäusern Zuwendungsverträge mit einer zweijährigen Laufzeit geschlossen. Dieser Prozess läuft ebenso erfolgreich mit den vier Beratungsstellen für Opfer sexualisierter Gewalt. An dieser Stelle darf ich allerdings auch noch mal die kommunalen Gebietskörperschaften daran erinnern, diesen Prozess zu würdigen und ihrer Verantwortung für die Kofinanzierung nachzukommen.

Die Aufforderung, eine Öffentlichkeitskampagne zu initiieren, ist ebenfalls obsolet, da die in diesem Jahr gestartete Kampagne „Halt - Gewalt“ - ich darf hier noch einmal einige Ergebnisse zeigen - außerordentlich erfolgreich verläuft. Die enorm nachgefragten Materialien wurden erst vor kurzem in einer zweiten Auflage von 20 000 Exemplaren nachgedruckt. Auch bietet der Fördertopf „Innovative Modellvorhaben innerhalb der Frauenprojekte“ die Möglichkeit, auch weiterhin in den Regionen Öffentlichkeitsarbeit zum Thema häusliche Gewalt mit neuen Maßnahmen weiterzuentwickeln.

Aus den dargelegten Gründen bitte ich Sie, dem Änderungsantrag der Koalition zuzustimmen.

(Zustimmung bei der FDP, von Herrn Schröder, CDU, und von Frau Wybrands, CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Nun treten wir, meine Damen und Herren, in eine Fünfminutendebatte ein. Zunächst erteile ich für die CDU-Fraktion der Abgeordneten Frau Wybrands das Wort. Bitte sehr, Frau Wybrands.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Alle Menschen in unserer Gesellschaft haben ein Recht auf ein Leben, ohne dass sie Gewalt erfahren müssen. Ein Leben ohne Gewalt und Diskriminierung und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sind einige der höchsten Güter in unserer Republik.

Eine der perfidesten Gewaltformen ist die Form der häuslichen Gewalt. Sie umfasst fast alle Formen der physischen, psychischen, sexuellen, sozialen und emotionalen Gewalt, die im vermeintlichen Schutzraum des Zuhauses entstehen, und zwar dort, wo jeder Mensch Geborgenheit sucht. Darum tut häusliche Gewalt so weh, auch in der Seele. Deshalb sind in Sachsen-Anhalt schon früher als in allen anderen Bundesländern Signale gegen häusliche Gewalt gesendet worden, und das unabhängig davon, wer in diesem Land gerade Regierungsverantwortung trug.

Nach meinem Verständnis besteht dieser Grundkonsens nach wie vor. Allerdings steht bei uns die unmittelbare Hilfe vor Ort für die oder den Geschlagenen im Vordergrund. Um das noch deutlicher zu machen: Wir glauben, dass wir den Opfern - in der Regel sind es Frauen - mehr helfen, wenn wir ihnen in der unmittelbaren Krisensituation Hilfe zukommen lassen, als wenn wir ihnen quasi wie ein Lotse die Wege zu den jeweiligen Hilfsangeboten zeigen.

Worüber reden wir? - Familienstreitigkeiten kommen in allen Bevölkerungsschichten vor. Sie häufen sich gegen 17 Uhr, zwischen 20 Uhr und 1 Uhr nachts und am Wochenende. Wir wissen heute aus den Statistiken, dass es in dem Gebiet einer Polizeidirektion mindestens 500-mal pro Jahr passiert.

Üblicherweise wurde der Täter in Gewahrsam genommen, stand aber in der Regel am nächsten Tag wieder vor der Tür. Das ist eine für Frauen ganz und gar unzureichende Regelung. In Magdeburg wurde daher unter der Federführung der Frauenunion im Jahr 1998 eine neuartige Zusammenarbeit zwischen der Sozialarbeit und der Polizei verwirklicht, die die Opfer von Gewalt in den Mittelpunkt stellt.

So wurde den Opfern direkt nach dem Erleben der Gewalt einzelfallbezogene Intervention und sozialpsychologische Unterstützung zuteil, um die Krise für die Geschlagenen auf ein für sie erträgliches Maß zu reduzieren. Durch neuartige Kooperationen mit vorhandenen kommunalen und nichtstaatlichen Einrichtungen konnten Lücken im Hilfsangebot geschlossen, Auswege gefunden, Bewältigungsmuster erarbeitet und umgesetzt werden.

Die notwendige Sensibilisierung der Polizeibeamten wurde durch eine mehrjährige wissenschaftliche Begleitung durch die Fachhochschule Aschersleben erleichtert.

Im Jahr 2000 hat die SPD-geführte Landesregierung, wiederum als Erste, auf der Grundlage einer Initiative der Bundesregierung und des Gewaltschutzgesetzes des Bundes das Landesprogramm zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder beschlossen. Es enthält ein Gesamtkonzept für eine effektive Prävention und Intervention bei Gewalt gegen Frauen und Kinder.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der Herr Minister hat die Schwerpunkte dieses Programms bereits vorgestellt. Ich möchte hier nur die aus meiner Sicht ebenfalls effektiven Maßnahmen zur Stärkung des Selbstbewusstseins der potenziellen Opfer erwähnen.

Einen weiteren Meilenstein - das hat die bereits angesprochene Anhörung sehr deutlich gemacht - hat die CDU-FDP-Regierung mit der Erweiterung des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - Polizeigesetz - gesetzt. Verprügelte Familienangehörige kön

nen nun zu Hause wohnen bleiben. Der Täter geht, das Opfer bleibt - ein Herzenswunsch vieler geschlagener Frauen und Kinder. Es ist deutlich geworden, dass dies der effektivste Schritt war, um allen Betroffenen zu signalisieren, dass der Staat Täter konsequent zur Rechenschaft zieht und die Opfer nicht allein lässt.

Dieser Schritt sollte nach dem Willen der CDU-Fraktion schon vor drei Jahren gemacht werden. Zu meinem völligen Unverständnis lehnte die SPD-Fraktion den Antrag am 17. Mai 2001 aber ab - drei Jahre vertane Zeit.

(Zuruf von Frau Ferchland, PDS)

Die Modellphase des Landesprogramms neigt sich dem Ende zu. Es wird nun darauf ankommen, die Erfahrungen der im Bereich der Gewaltprävention tätigen Akteure auszuwerten und eine dauerhafte Gewaltbekämpfung zu ermöglichen.

Bereits deutlich geworden ist, dass die Gewaltprävention eine Kooperation von staatlichen und ehrenamtlichen Akteuren als Basis braucht - hierbei ist von der Gleichstellungsbeauftragten des Landkreises Stendal ein sehr gutes Konzept entwickelt worden -, dass Mobbing als Ursache bekämpft werden muss, dass Frauen verstärkt auf die Gefahrenpotenziale wie Alkohol - immerhin in 80 % der Fälle spielt er eine Rolle - hingewiesen werden müssen, dass Kriminalstatistiken gegendert werden müssen und dass Beratungsstellen ihre Öffnungszeiten flexibler auf die Bedürfnisse der Opfer einstellen müssen.

Bevor wir uns allerdings abschließend positionieren, wollen wir die weitere Evaluierung abwarten, und aus diesem Grund bitten wir um Zustimmung zu unserem Änderungsantrag. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von Minister Herrn Kley)

Vielen Dank, Frau Wybrands. - Für die SPD-Fraktion erhält nun die Abgeordnete Frau Fischer das Wort. Bitte sehr, Frau Fischer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Die Landesregierung hat das Landesprogramm der Vorgängerregierung dankenswerterweise fortgeführt, aber schon in dem ersten Bericht zur Umsetzung im Zeitraum von 2001 bis 2002, der uns im November 2002 zugegangen ist, wurde die Laufzeit auf Ende 2004 begrenzt.

Nun könnte die Frage gestellt werden, ob die Landesregierung vielleicht hoffte, dass es Ende 2004 keine Gewalt gegen Frauen und Kinder in Sachsen-Anhalt mehr geben würde. Der Antrag der PDS-Fraktion ist also nicht so ganz aus der Luft gegriffen; denn das Programm soll, wie geschrieben wurde, beendet werden.

Die Zeiten, in denen nicht ist, was nicht sein darf, sind doch wohl vorbei, zumal in dem Bericht vom November 2002 formuliert wurde, die Landesregierung sei der Überzeugung, dass es weiterhin unverminderter Anstrengungen bedürfe, dieser Gewalt präventiv und intervenierend zu begegnen, und nur so sei mittel- und langfristig eine Verringerung dieser in unserer Gesellschaft verbreitetsten Form der Gewalt zu erreichen.

Das Logo des Landesprogramms „Lichtschritt“ wurde zu einem feststehenden Begriff für die Zielsetzung des Programms und in zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen mit einer breiten Öffentlichkeitskampagne ins Land transportiert. Ziel muss es auch nach drei Jahren noch sein, das Thema häusliche Gewalt in allen Fassetten zu enttabuisieren und eine offensive Debatte zu dieser Problematik zu führen und anzuregen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

In dem zuvor genannten ersten Bericht werden Schwachstellen des Programms durchaus benannt, Vorschläge zur Optimierung gemacht und weitere Maßnahmen vorgeschlagen. Allerdings sind inzwischen wichtige Stützen des Programms weggebrochen. Zum Beispiel mussten einige Beratungsstellen und einige Frauenhäuser schließen, ehrenamtlichen Akteure können nicht mehr mitmachen und die Schulsozialarbeit ist geschrumpft.

Gespannt warten wir nun auf einen weiteren Bericht. Wir haben vorhin gehört, dass er und auch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Programms Ende November dieses Jahres dem Kabinett vorgelegt werden sollen. Leider konnte die wissenschaftliche Begleitung wegen der Haushaltssperre nur bis Mai 2003 finanziert werden und ist daher in ihrem Nutzen sehr begrenzt.

(Frau Ferchland, PDS: Hört, hört!)

Das konnten wir schon der Anhörung zur Arbeit des Modellprojekts „Isa“ entnehmen. Diese Anhörung hatte ich namens meiner Fraktion beantragt, nachdem dem ehrenamtlich arbeitenden Beirat des Interventionsprojektes in Halle lapidar das Ende der Arbeit des Interventionsprojektes mitgeteilt wurde. So kann man unseres Erachtens nicht mit ehrenamtlich tätigen Akteuren umgehen;

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

denn gerade sie brauchen wir, um dem Ziel, Gewalt im familiären Bereich einzudämmen, etwas näher zu kommen. Auch das Fernbleiben der Hausspitze bei oben genannter Anhörung war meines Erachtens dem Thema und auch der Wertung der geleisteten Arbeit unangemessen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Die Erfahrungen der halleschen Arbeitsgruppen dürfen nicht ungenutzt bleiben. Es ist unseres Erachtens nicht nur wichtig, diese Zusammenarbeit fortzusetzen, sondern sie ist auch auf die Landesebene zu transportieren.

Namens meiner Fraktion möchte ich darum bitten, dem Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport den Abschlussbericht zuzuleiten, den es bald gibt, damit wir dort gemeinsam die Unterlagen zur Anhörung des Modellprojekts „Isa“ und der Arbeit der Interventionsstellen auswerten können.

Ich glaube, mit dem Betrag von 50 000 €, die der Minister vorhin pro Interventionsstelle quasi zugesagt hat, und mit drei Stellen im Land lässt sich diese Aufgabe allerdings nicht lösen.