Protokoll der Sitzung vom 17.09.2004

Deswegen sage ich in aller Deutlichkeit: Wer mehr Arbeit will, der sollte nicht über den zweiten Arbeitsmarkt, über Ein-Euro-Jobs und Ähnliches reden - das sind doch alles krampfartige Geschichten. Wer mehr Arbeit will, der muss zur Kenntnis nehmen, dass jemand, der nicht über hohe Qualifikationen verfügt - ich rede nicht einem generellen Niedriglohnland Deutschland das Wort, das wäre töricht, schädlich, abwegig -, die er einbringen könnte, oder der Dinge anbietet, die kein Mensch haben will, bereit sein muss, auch zu niedrigen Löhnen, zu niedrigen Kosten zu arbeiten. Das ist das, was Hartz IV will. Das ist vom Ansatz her völlig richtig.

Ihr Weg würde dazu führen - das wollen Sie nicht, aber das wäre zwangsläufig so -, dass immer mehr Arbeitslose mit zu tragen wären. Damit steht man vor der Alternative, ob man den Leuten auch für Niedriglöhne vernünftige, notwendige Arbeit belässt oder ob man das ganze Kostenniveau so anhebt, dass man immer mehr Menschen im sozialen Netz hat und dann mit Ein-EuroJobs und anderen Maßnahmen versuchen muss, denen irgendetwas Vernünftiges zu geben.

Ich sage: Wir brauchen eine Ordnung, in der Menschen wirklich bezahlte Arbeit bekommen können. Aber dann dürfen wir die Kosten und die Löhne nicht systematisch nach oben treiben.

(Zustimmung bei der FDP)

Herr Minister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Bull zu beantworten?

Aber gern.

Bitte sehr, Frau Bull.

Herr Minister, ich teile Ihre Auffassung nicht. Aber selbst wenn ich mich in Ihre Logik hineinversetze, stellt sich mir

die Frage: Können Sie sich erklären, weshalb die CDU in ihrem Entwurf eines Existenzgrundlagengesetzes, den die CDU-Bundestagsfraktion eingebracht hat, beabsichtigte, bei einer Zusatzbeschäftigung von unter 400 € gar keinen Selbstbehalt vorzusehen?

Ich möchte jetzt nicht das, was die eine oder die andere Partei möglicherweise oder tatsächlich in ihren Überlegungen hatte, kommentieren. Ich möchte nur auf das generelle Problem aufmerksam machen. Verstehen Sie?

Das ist für uns alle gemeinsam politisch eine riesige Aufgabe. Wir müssen zur Kenntnis nehmen: Die Welt hat sich verändert und sie verändert sich in einem dramatischen Tempo. Die Zeiten, in denen man in Deutschland vieles hergestellt hat und herstellen konnte, was anderenorts nicht herstellbar war, sind passé. Die Zeiten werden sich noch viel stärker verändern. Deswegen plädiere ich dafür - darin sind wir wieder einer Meinung -, dass wir alles tun, um besonders anspruchsvolle Produkte herzustellen, bei denen wir den anderen gegenüber einen Vorsprung haben. Das ist sonnenklar.

Aber auch für diejenigen, die nicht so viel leisten können, brauchen wir bezahlbare und bezahlte Arbeit. Deswegen sage ich: Jeder politische Schritt, der die Kosten weiter anhebt, führt in die falsche Richtung und reduziert das Problem nicht, sondern vergrößert es. Das, was Sie vorschlagen, ist nicht finanzierbar und hat fatale Folgen für den Arbeitsmarkt. Deswegen lehnen wir den Antrag ab.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren! Bevor wir die Debatte fortsetzen, begrüßen Sie bitte mit mir Schüler und Schülerinnen des Werner-von-SiemensGymnasiums Magdeburg auf der Tribüne.

(Beifall im ganzen Hause)

Die Debatte wird nun fortgesetzt mit dem Beitrag der FDP-Fraktion. Ich bitte Frau Abgeordnete Röder, das Wort zu ergreifen. Bitte sehr, Frau Röder.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem hier die grundsätzlichen Positionen zur Genüge ausgetauscht worden sind, möchte ich wieder zu dem Antrag der PDS-Fraktion zurückkommen.

Meine Damen und Herren! Dieser Antrag ist meiner Ansicht nach ein schönes Beispiel für „gut gemeint“. Das ist leider nicht immer identisch mit „tatsächlich gut“. Es ist interessant, dass der Antrag von Ihnen, Frau Bull, eingebracht wurde und nicht von Frau Dirlich, die sich sonst mit diesem Thema auseinander gesetzt hat. Das könnte daran liegen, dass Frau Dirlich hier einen kleinen Informationsvorsprung hat.

Im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit haben wir uns mehrfach mit diesem Thema beschäftigt. Erst in der letzten Woche hat Herr Staatssekretär Haseloff ausführlich dargelegt, wie Sachsen-Anhalt zu einzelnen Punkten steht, wie sich Sachsen-Anhalt in der Monitoringgruppe beim Bundeswirtschaftsministerium positioniert und welche Punkte für Sachsen-Anhalt wichtig sind.

Klar ist, dass es an den Grundzügen von Hartz IV keine Änderungen geben wird. Das heißt aber nicht, dass die Landesregierung in Zusammenarbeit mit den Koalitionsfraktionen nicht an einzelnen Punkten Verbesserungen vornehmen will. In einigen dieser einzelnen Punkte liegen wir gar nicht so weit auseinander.

Sie hatten nach den Zuverdienstmöglichkeiten nach dem Existenzgrundlagengesetz gefragt. Das ist eine klare Sache. Dieser Vorschlag kam aus den Altbundesländern. Dort hatte man die Überlegung, dass die von Hartz IV Betroffenen nicht erst einen Job für geringfügig Beschäftigte übernehmen oder sich darum bemühen sollten, sondern sie sollten gleich versuchen, in eine Vollbeschäftigung zu kommen.

Nun ist die Interessenlage oder sind die tatsächlichen Umstände in Ostdeutschland ganz anders. Aus diesem Grund ist das Land Sachsen-Anhalt - das ist auch die Meinung der FDP und auch der Bundestagsfraktion der FDP -, vertreten durch das Wirtschaftsministerium, dafür, dass die Zuverdienstmöglichkeiten bei geringfügigen Beschäftigungen deutlich verbessert werden. Wir finden es nicht gut, dass nur 15 % anrechnungsfrei bleiben, wenn man bis zu 400 € dazu verdient. Für diesen Punkt setzt sich das Land Sachsen-Anhalt auch in der Monitoringgruppe ein.

Ein weiterer Punkt, für den sich das Land Sachsen-Anhalt dort einsetzt, ist der Umgang mit den über 58-Jährigen, die beim Arbeitsamt die Vereinbarung unterschrieben haben, dass sie nicht mehr vermittelt werden wollen. Dort ist nämlich tatsächlich das Vertrauen der Menschen gebrochen worden. Die haben einen Vertrag mit dem Staat unterschieben; dieser Vertrag ist einseitig gebrochen worden. Da setzen wir uns tatsächlich dafür ein, dass es hier eine sinnvolle Lösung gibt.

Ein weiterer Punkt - den haben Sie nicht in Ihrem Antrag - ist die ganz scharfe Nachzeichnung - -

(Zuruf von Frau Dirlich, PDS)

- Wie bitte? Ich habe das akustisch nicht verstanden.

(Frau Dirlich, PDS: Weil wir die Information natür- lich hatten, dass wir im Ausschuss an den Pro- blemen dran sind!)

- Okay, alles klar. - Ein weiterer Punkt, für den sich Sachsen-Anhalt in der Monitoringgruppe einsetzt, ist, dass die effektive Nachsteuerung bei den länderbezogenen Ausgleichszahlungen an die Kommunen verbessert wird. Es ist nämlich jetzt noch nicht abzusehen, welche Aufwendungen tatsächlich in den einzelnen Kommunen, in den einzelnen Bundesländern entstehen. Möglicherweise muss hier sehr zeitnah nachgesteuert werden, damit unsere Kommunen nicht finanzielle Verluste erleiden.

Ein anderer Punkt, der vom Land hinterfragt wurde, ist der Regelsatz. Sie alle wissen, dass der Regelsatz in Westdeutschland 345 € beträgt, in Ostdeutschland 331 €. Dieser Regelsatz kommt zustande, indem man einen repräsentativen Warenkorb zugrunde liegt. In diesen Warenkorb fließen aber nicht nur Produkte ein, in diesen Warenkorb fließt auch die regionale Lohn- und Rentenhöhe ein. Da kann man sich schon fragen, ob das in diesen finanziellen Dimensionen, über die wir hier reden, tatsächlich noch gerechtfertigt ist.

Als Fazit kann man sagen, dass wir in einzelnen Punkten in eine ähnliche Richtung gehen, in anderen Punkten

natürlich nicht. Das Land Sachsen-Anhalt versucht, in den Punkten, die wir für sinnvoll halten - ich habe sie aufgezählt -, über die Monitoringgruppe Verbündete zu finden, möglicherweise Mehrheiten zu finden und unter Umständen auch eine Bundesratsinitiative in diese Richtung zu starten. Das hat der Staatssekretär im Ausschuss ausdrücklich gesagt.

Aus diesem Grund sehe ich Ihren Antrag lediglich als ein Signal in Richtung der von Hartz IV Betroffenen, aber als ein Signal, das wirklich zur Wirkungslosigkeit verdammt ist. Unser Weg mag der leisere und ruhigere sein, er wird aber auf jeden Fall der effektivere sein.

(Zustimmung bei der FDP)

Frau Röder, sind Sie bereit, eine Frage des Abgeordneten Herrn Gallert zu beantworten?

Ich werde es versuchen.

Bitte sehr, Herr Gallert.

Frau Röder, manchmal muss man wahrscheinlich sehr laut sein, damit sich auf leisen Wegen etwas bewegt.

(Beifall bei der PDS)

Meine Frage bezieht sich auf Ihre Darstellung zu den Zusatzverdienstmöglichkeiten im Minijobbereich. Ich möchte jetzt nicht polemisch werden. Es gibt bei uns - das haben Sie auch von Frau Bull gehört - durchaus auch die Position, dass diese Möglichkeiten zugunsten der Betroffenen ausgedehnt werden sollten. Jetzt frage ich Sie einmal nicht aus der sozialpolitischen Sicht, sondern aus der volkswirtschaftlichen Sicht.

Nehmen wir einmal an, wir machen das. Wir haben den typischen ALG-II-Empfänger, der bis zu 400 € dazu verdienen darf und davon - das nehmen wir einmal an; die Zahl habe ich mehrfach gehört - 50 % selbst behalten darf. Alle anderen Leistungen bleiben davon unberührt. Dann haben wir bei uns im Osten zumindest die Situation, dass Beschäftigungsverhältnisse ab 3 € pro Stunde lukrativ werden.

Was soll und kann eigentlich einen Unternehmer noch davon abhalten, die letzten Vollbeschäftigtenarbeitsverträge, die er hat, aufzulösen und in 400-Euro-Jobs mit einem Stundenlohn von 3 € umzuwandeln? Was kann ihn überhaupt noch davon abhalten, wenn fünf seiner Konkurrenten es tun und er es dann sozusagen aufgrund der Konkurrenz immer noch nicht getan hat?

Das bedeutet doch nichts anderes, als dass diese Variante von ALG II den Lohn so extrem subventioniert, dass derjenige, der die Arbeitskraft in Anspruch nimmt, wirklich nur noch einen minimalen Anteil davon selbst bezahlt.

Wie lösen Sie aus Ihrer Sicht - das frage ich Sie als Liberale - dieses ökonomische Problem? Denn wir befinden uns in einer Konkurrenzsituation und jeder Unternehmer, der die Chance hat, muss das machen, weil jeder andere ihn ansonsten beim Preis unterbietet.

Herr Gallert, vielleicht wird Sie meine Antwort jetzt nicht befriedigen. Aber ich kann mich gern einmal mit Ihnen zusammensetzen

(Oh! bei der CDU)

und wir können das im Zusammenhang mit dem Konzept unserer Bundestagsfraktion bzw. mit dem Konzept unserer Bundesfachausschüsse in Ruhe durchsprechen.

(Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Röder. - Für die SPD-Fraktion erteile ich nun der Abgeordneten Frau Ute Fischer das Wort. Bitte sehr, Frau Abgeordnete Fischer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ein Antrag der PDS war zu dieser Landtagssitzung zu erwarten, denn angesichts der Demonstrationen muss man nun auch Aktivitäten vorweisen. Allerdings - Frau Bull, Sie wissen das - nehme ich Ihnen Ihre Sorgen und die dargestellte Gefahr für viele Bedarfsgemeinschaften, dass diese zukünftig in einer schlechten finanziellen Situation leben, durchaus ab. Aber die Notwendigkeit, Reformen im Bereich des Arbeitsmarktes durchzusetzen, ist unbestreitbar. Wir haben in den zurückliegenden Jahren in Deutschland viel zu viel Geld ausgegeben und zu wenig Erfolge am Arbeitsmarkt erreicht.

Wer wie die PDS mit Parolen „Armut per Gesetz“ oder „Hartz IV muss weg“ die Menschen verunsichert

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Widerspruch bei der PDS)