Protokoll der Sitzung vom 17.09.2004

Würden Sie mir vor diesem Hintergrund auch darin zustimmen, dass es nicht der PDS bedurfte, um die Menschen auf die Straße zu treiben oder zu „hetzen“?

Es hätte auch der PDS wie aller anderen Abgeordneten in diesem Haus bedurft, um die Leute zu informieren, Unwissenheit abzubauen, Informationen zu geben, die sie bisher nicht haben.

(Frau Tiedge, PDS: Das tun wir!)

Das, was Sie machen, ist letztlich Ängste zu schüren. Das finde ich nicht in Ordnung.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zuruf von Herrn Ruden, CDU)

Was die Frage Schönebeck angeht, haben Sie natürlich Recht. Das weiß ich nicht. Ich kann Ihnen aber zum Beispiel aus meiner Heimatstadt Merseburg sagen, dass

der Oberbürgermeister - PDS - sich im Prinzip an die Spitze der Bewegung gestellt hat, jede Montagsdemonstration anführt, moderiert und aussucht, wer spricht und wer nicht spricht. Ich könnte mir vorstellen - das weiß ich aber nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen -, dass es noch eine Reihe anderer Beispiele gibt. Das aus Schönebeck ist dann ein sehr positives Beispiel, Frau Dirlich.

Bitte, Frau Rogée, Sie haben das Wort.

Meine Frage geht in die gleiche Richtung: Waren Sie denn schon einmal auf so einer Demo?

Was Merseburg betrifft, ist mein Kenntnisstand, dass die Rechten angefangen haben, die Unlust und die Wut der Menschen zu nutzen, und die erste Demonstration angemeldet haben.

(Unruhe bei und Zurufe von der CDU)

- Lassen Sie mich ausreden! - Gucken Sie sich das an und gucken Sie sich die Ängste an, die sich auf solchen Demonstrationen zeigen. Die Parteien sind ausgegrenzt worden. Die Gewerkschaften sind ausgegrenzt worden. Nicht einmal die sozialen Bündnisse, die sich auf Landes- und auf regionaler Ebene gebildet haben, waren anfänglich dabei.

Die Menschen sind auf die Straße gegangen, nachdem konkret wurde, was Hartz ab dem 1. Januar 2005 für sie bedeutet. Das haben sie komischerweise eigenmächtig, ohne die Demokraten, ohne die Parteien und auch ohne den Landtag gemacht.

Für Merseburg stimmt das nicht ganz, Frau Rogée. In Merseburg hat unter der Führung des Oberbürgermeisters eine solche Demonstrationswelle begonnen.

Sie haben natürlich Recht damit, dass sich Rechtsradikale letztlich mit aufgeschwungen und versucht haben, in diese Massen hineinzukommen, zu intervenieren. Das ist ganz klar. Das ist in vielen Demonstrationsbereichen passiert, auch in Leipzig und Halle, in den großen Bereichen.

Die zweite Frage war, ob ich schon einmal an einer Demonstration teilgenommen habe. - Darauf muss ich Ihnen ganz klar sagen: Nein, aber seitdem wir über Hartz IV diskutieren, laufen die Telefone in meinem Büro und auch Zuhause, privat, warm. Die Leute geben sich die Türklinke in die Hand, und ich versuche, das zu erklären, zu erläutern, um Verständnis für das zu bitten, was wir im Moment vorhaben, weil ich es für zwingend halte und im Moment keinen Ausweg sehe. Deutschland steht wirtschaftlich an der Wand. Weiter geht es nicht mehr. Alle müssen letztlich Einfluss nehmen, müssen helfen. Das versuche ich in Einzelgesprächen über die Bühne zu bringen.

(Unruhe bei der PDS)

Ich gehe nicht auf solche Demonstrationen und bin auch noch nie dazu eingeladen worden.

(Zustimmung bei der CDU)

Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine weitere Frage der Abgeordneten Frau Röder zu beantworten?

Ja.

Frau Röder, bitte.

Frau Fischer, ist Ihnen bekannt, dass am Montag auf der Demonstration in Magdeburg eine Vertreterin der PDS exakt den Forderungskatalog dieses Antrages vorlas und propagiert hat?

Das ist mir allerdings bekannt.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Frau Bull, PDS: Das ist doch nicht verboten! Sagen Sie mal!)

Danke sehr, Frau Fischer. - Meine Damen und Herren! Nun erhält als letzte Rednerin in dieser Debatte noch einmal Frau Abgeordnete Bull das Wort. Bitte sehr, Frau Bull.

Frau Röder, wenn man sich jetzt schon dafür rechtfertigen muss, dass man Änderungsvorschläge auf Demonstrationen macht, dann verschlägt mir das ein Stück weit die Sprache.

(Beifall bei der PDS - Unruhe bei der CDU - Herr Borgwardt, CDU: Das ist nicht das Thema! Das Thema ist, dass Sie sich angeblich nicht beteili- gen, dass Sie es abgestritten haben! - Weitere Zurufe von der CDU)

Ich will Ihnen aber zunächst sagen, um Ihnen ein Stück Ihrer Sorge zu nehmen, dass Frau Dirlich selbstverständlich einen Kompetenzvorsprung als Arbeitsmarktpolitikerin hat. Dem Antrag ist aber auch unschwer zu entnehmen, dass es um sozialpolitische Dimensionen geht. Ich kann Ihnen versprechen, dass Sie es mit der Kompetenz von Frau Dirlich noch zu tun kriegen werden, und zwar in der nächsten Landtagssitzung. - So viel zu Ihrer Sorge.

(Heiterkeit und Beifall bei der PDS)

Herr Rehberger hat in seinem Vortrag das vermeintlich hohe Lohngefüge zum negativen Standortfaktor in Deutschland erklärt. Ich hätte gern gewusst, wenn diese These in ihrem ganzen Umfang stimmt, wie ich es mir dann erklären kann, dass nach dem Jahr 1990 bei dem weitaus niedrigeren Lohngefüge im Osten die Industrie, die Wirtschaft nicht scharenweise in die neuen Bundesländer übergesiedelt ist, um genau diesen Standortfaktor zu nutzen?

(Beifall bei der PDS)

So einfach kann man sich die Welt auch erklären. Das will ich gern zugeben. Mein Ding ist das aber nicht.

Das Gesetz auch noch zum Gesetz gegen Schwarzarbeit zu erklären, das setzt dem Ganzen die Krone auf.

Ich will nur auf die Begründung in der „Mitteldeutschen Zeitung“ dafür verweisen, warum sich die Arbeitsagenturen im Osten auf Ein-Euro-Jobs geeinigt haben, weil nämlich ansonsten das Lohnabstandsgefüge nicht mehr gewahrt wäre. Nun kriegen Sie eine Vorstellung davon. Was passiert denn mit der Schwarzarbeit, nämlich auch durch dieses Gesetz? Wobei ich sagen will, dass Schwarzarbeit viele Ursachen hat. Dieses Gesetz aber damit in Zusammenhang zu bringen und noch als Lösung der Schwarzarbeit zu verkaufen, das kann ich nicht nachvollziehen.

(Beifall bei der PDS - Zuruf von Minister Herrn Dr. Rehberger)

Meine Damen und Herren! Das will ich ganz ruhig sagen: Der Populismusvorwurf wird Sie nicht retten.

(Beifall bei der PDS)

Wenn Ihr einziges Problem die PDS ist, dann, muss ich Ihnen sagen, werden Sie ein böses Erwachen erleben. Ich will Ihnen ganz deutlich sagen: Wir sind uns in der PDS sehr wohl auch der Gefahren bewusst, die von spontanen Demonstrationen, im Übrigen immer von plebiszitären Elementen, ausgehen.

Aber, meine Damen und Herren, die Lösung darin zu sehen, zu disqualifizieren, die Leute zum Mob oder meinethalben zur Gefolgschaft der PDS oder was weiß ich nicht alles zu erklären, das geht meterweit am Problem vorbei.

(Beifall bei der PDS - Frau Feußner, CDU: Das hat niemand behauptet!)

Damit überschätzen Sie uns schlichtweg.

Ich will aber deutlich sagen: Auch die PDS-Fraktion - ich habe zu dem Populismusvorwurf vorhin schon etwas gesagt, dass das ein Alleinstellungsmerkmal aller Parteien ist - ist davor nicht gefeit. Wir wissen sehr wohl, dass alle zu verzeichnenden Stimmenzuwächse, die nur auf Proteste und Buhrufe zurückzuführen sind, wieder eingesammelt werden; denn eine politische Partei hat in erster Linie Vorschläge zu machen, auch Vorschläge, die belastbar sind.

(Zuruf von der CDU: Ja!)

Genau aus diesem Grunde liegt Ihnen der heutige Antrag vor. Dort steht nicht „Hartz weg“ drauf. Das müsste Ihnen eigentlich aufgefallen sein.

(Beifall bei der PDS)

Nicht akzeptieren kann ich, meine Damen und Herren, diese propagierte Alternativlosigkeit. Jeder Student der Sozialwissenschaften im ersten Semester lernt, dass nichts alternativlos ist.

(Beifall bei der PDS)

Warum eigentlich sind ständig Steuerentlastungen finanzierbar, obwohl deren Sinn, deren Zweck und deren Zielrichtung seit Jahren nicht eingelöst werden?

(Beifall bei der PDS)

Eines will ich Ihnen zum Schluss versprechen. Wir werden Falschaussagen und Gegenreden nach Kräften ent