Protokoll der Sitzung vom 15.10.2004

(Herr Kosmehl, FDP: Hatten wir doch längst vor- gelegt!)

Der sich als leidensfähig erwiesenen kommunalen Ebene bleibt nun nichts anderes übrig, als sich ihrerseits jeweils ein eigenes Leitbild auf die Fahnen zu schreiben. Es ist logisch, dass dabei landespolitische Interessen ausgeblendet werden. Diese zu artikulieren, ist Landesverantwortung - darauf hat Herr Dr. Polte schon hingewiesen -, die im Moment einfach noch nicht wahrgenommen wird.

Angesichts des fortgeschrittenen Prozesses stellt sich die Frage, ob ein Leitbild die in Bewegung geratenen Strukturen jetzt noch auffangen kann, sind doch selbst gesetzgeberisch einige Dinge nicht mehr korrekturfähig. Exemplarisch stehen dafür die erteilten Genehmigungen im Umfeld der großen Städte.

Eine gewisse Schadensbegrenzung könnte man mit einem Vorschaltgesetz erreichen. Sie können es auch anders, motivierender benennen - dabei sind Sie ohnehin erfinderischer als wir.

(Heiterkeit bei der PDS)

Mit dem zuletzt Genannten habe ich auch ein Problem angedeutet, welches wir mit dem Antrag haben. Die kommunalen Strukturen rutschen uns wie Treibsand unter den Füßen weg. Da helfen sicher keine Leitbilder mehr, da hilft nur eine gesetzgeberische Draufsicht oder alternativ der sofortige schrittweise Eingriff des Gesetzgebers. Aus diesem Grund wird die PDS-Fraktion in der nächsten Landtagssitzung ein Stadt-Umland-Gesetz für den Raum Halle vorlegen.

(Unruhe)

Die PDS-Fraktion hat aber mit der in dem Antrag formulierten Aufforderung, das Leitbild aus dem Jahr 1999 zu übernehmen, ebenfalls ihre Schwierigkeiten, so wie das schon meine Vorredner sagten.

Der Landtag hatte in der vergangenen Legislaturperiode Beschlüsse und Gesetze verabschiedet, die dem ursprünglichen Leitbild - das ist kein Mangel an dem Leitbild - meilenweit voraus sind. Das betrifft zum Beispiel die Stadt-Umland-Problematik, den modernen Aufbau der Landesverwaltung, sprich Zweistufigkeit, und die Stringenz der Kommunalisierungsvorhaben.

Sie sind mit Ihrer Forderung zur Übernahme des Leitbildes aus dem Jahr 1999 auch meilenweit entfernt von Ihren in die Öffentlichkeit getragenen Vorstellungen von einer Großkreisperspektive. Das trägt nicht gerade zur Glaubwürdigkeit solcher Positionen bei.

Fazit: Der Antrag ist in sich nicht schlüssig und auch nicht ganz zeitgemäß. Ihnen zugute halten muss man aber: Es fällt immer schwerer, zielführend parlamentarische Aktivitäten in diesem chaotisch ablaufenden Prozess zu entfalten.

(Beifall bei der PDS)

Wenn man nicht weiß, wohin sie denn laufen, dann ist es auch schwer, vorneweg zu laufen.

Wir werden uns bei der Abstimmung über diesen Antrag der Stimme enthalten. - Danke.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Dr. Paschke. - Für die CDU-Fraktion erteile ich nun dem Abgeordneten Herrn Madl das Wort. Bitte sehr, Herr Madl.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zuerst eine Frage, Herr Präsident: Darf auch ich für mich in Anspruch nehmen, dass ich Ihnen sage, wann ich zum ersten Mal die rote Lampe blinken sehe? - Danke.

Meine Damen und Herren! Es ist bisher sehr viel zu dem Thema gesagt worden. Herr Polte, ich habe mir aus Ihrer Rede eine Menge Punkte aufgeschrieben, die es wert wären, sie hier schon zu beantworten; aber die Beantwortung würde sicherlich den Rahmen der Redezeit von fünf Minuten sprengen. Das würde ich mir für den Ausschuss aufheben.

Eine Sache möchte ich aber ansprechen, weil Frau Dr. Paschke genau in diese Richtung argumentiert hat. Es wurde mit Worten wie „chaotisch“, „unkontrolliert“ usw. hantiert und es wurde gesagt, dass keine erkennbare Linie vorhanden wäre. - Dann haben Sie nicht richtig hingehört und nicht richtig hingeschaut, was in den letzten zwei Jahren, seit dem Jahr 2002 an Linie - vielleicht nicht an roter Linie, aber an schwarz-gelber Linie - im Rahmen der Kommunalreform gemacht worden ist.

(Zustimmung bei der CDU - Zurufe von der SPD)

Sie haben die Bildung von Einheitsgemeinden, insbesondere Schkopau, moniert und Sie haben den Fall Gommern moniert. Dazu will ich aus Ihrem Leitbild aus dem Jahr 1999 zitieren; denn der Raumordnungsminister hat nur den ersten Satz vorgelesen. Der erste Satz in diesem Abschnitt heißt: „Ein zwingender, grundlegender staatlicher Handlungsbedarf ist derzeit nicht erkennbar.“ - So weit zur Stadt-Umland-Problematik.

(Herr Dr. Köck, PDS: Das war 1999!)

- Warten Sie, Herr Dr. Köck, es geht noch weiter: „Reibungsflächen sind vornehmlich zwischen den beteiligten Kommunen durch deren Selbstverwaltungsorgane selbst auszuräumen.“ - Das ist richtig, was in Ihrem Leitbild steht. Das ist nämlich kommunale Selbstverwaltung. - Ich zitiere weiter:

„Lediglich im Rahmen der allgemeinen Leitbildvorstellungen zu kreisangehörigen Gemeinden sollten Gemeinden im Bereich des Umlandes kreisfreier Städte sich entweder zu leistungsstarken Einheitsgemeinden zusammenschließen oder, wenn dies nicht möglich ist, in die kreisfreie Stadt eingemeindet werden.“

Das ist raumordnerisch richtig und es entspricht den Grundsätzen der kommunalen Selbstverwaltung. Das ist genau richtig gewesen.

Deshalb weiß ich nicht, warum Sie das monieren und als schlechten Weg beschreiben, zumal wenn einstimmige Beschlüsse der Kreistage zur Bildung von Einheitsgemeinden vorliegen. Ich glaube, Minister Püchel a. D. hat damals sogar von sektoralen Einheitsgemeinden zur Stärkung der Umlandbeziehungen zu Oberzentren gesprochen. Damit meine ich nicht nur Halle, sondern auch Magdeburg und möglicherweise auch Dessau.

Zum Antrag selbst. Als ich den Antrag gelesen habe, dachte ich, der ist vielleicht falsch gestellt. Denn wenn Sie die Regierung und die Koalition vorführen wollten und damit ausdrücken wollten, dass wir unfähig wären, ein entsprechendes Leitbild oder die Verwaltungs- und Kommunalreform auf den Weg zu bringen, dann hätten Sie den Antrag anders formulieren müssen. Sie hätten dann sagen müssen: Der Landtag fordert die Landesregierung auf, unverzüglich ein eigenes Leitbild vorzulegen. Wenn Sie das dann nicht kann, dann soll sie wenigstens das Leitbild aus dem Jahr 1999 übernehmen. - Aber das wäre in der Öffentlichkeit wohl als Armutszeugnis verstanden worden. Sie brauchen jetzt aber

keine Angst zu haben, dass wir einen Änderungsantrag stellen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte sehr deutlich sagen: Niemand beabsichtigt, das Leitbild von 1999 zu übernehmen. Herr Dr. Köck hat seinen Einwurf dazu schon gemacht. Das Jahr 1999 ist vorbei und es ist seitdem viel Zeit vergangen. In diesen Jahren ist eine Menge passiert. Das würde bedeuten, dass wir die positiven Entwicklungen im kommunalen und im Verwaltungsbereich, die bereits Realität geworden sind und vielerorts mit Erfolg praktiziert werden, rückgängig machen müssten. Das würden wir nicht einmal für Sie tun.

Ich habe darüber nachgedacht, was an Ihrem Leitbild noch gut war. Dazu ist mir zuerst nichts eingefallen. Dann ist mir doch etwas eingefallen und ich habe mir gesagt: Klar, da war noch etwas. Das Leitbild war natürlich gut. Herrn Rothe ist es gestern Abend beim Tagesordnungspunkt 11 - Änderung der Gemeindeordnung - noch eingefallen und er hat es auch vorgetragen: Viele Kolleginnen und Kollegen von der CDU, möglicherweise auch ich, und von der FDP würden heute nicht im Landtag sitzen, wenn Sie im Jahr 1999 nicht das Leitbild und die drei Vorschaltgesetze auf den Weg gebracht hätten. Dann hätten wir vielleicht nicht dieses Wahlergebnis gehabt, wie wir es gehabt haben. Daran sollten wir als Koalitionäre ab und zu einmal denken.

(Beifall bei der CDU)

Die Vorhaltung, die ich Ihnen zu Ihrem Leitbild mache, ist nicht, dass Sie nicht guten Willens waren - ich habe Minister Püchel a. D. gesagt, dass ich davon überzeugt bin, dass er etwas Gutes wollte -, sondern dass Sie bei der Verwirklichung Ihres Leitbildes vergessen haben, sowohl die kommunale Familie als auch die Menschen mitzunehmen. Es reichte eben nicht, drei Regionalveranstaltungen im Land

(Frau Kachel, SPD: Es waren bedeutend mehr Veranstaltungen! Das stimmt nicht! Sie haben den Bürgern etwas versprochen, was Sie nicht halten konnten!)

und ein paar Veranstaltungen politischer Art zu machen. Sie hätten die Menschen mitnehmen müssen, so wie wir das jetzt machen.

(Zurufe von der SPD)

Ich möchte noch einen Satz dazu sagen - weil ich jetzt die rote Lampe blinken sehe -, was in den zwei Jahren passiert ist.

27. Februar 2003: Verwaltungsmodernisierungsgrundsätzegesetz, 17. Dezember 2003: Gesetz zur Neuordnung der Landesverwaltung. Das sind zwei Gesetze, die wichtige Weichen für die Erneuerung der Verwaltungsstrukturen im Land gestellt haben.

13. November 2003: Gesetz zur Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften und zur Stärkung der gemeindlichen Verwaltungstätigkeit. Eine klare Position zur Einheitsgemeinde, eine klare Position zur Verwaltungsgemeinschaft, eine klare Absage an die Verbandsgemeinde und klare Aussagen zur interkommunalen Aufgabenverlagerung.

Januar 2004: Novellierung des GKG als flankierende Maßnahme zur Erweiterung von Möglichkeiten kommunaler Gemeinschaftsarbeit. - Nunmehr gibt es das erste Funktionalreformgesetz, das sich derzeit in der parlamentarischen Beratung befindet.

Die Landesregierung hat beschlossen, ein Raumordnungsgrundsätzegesetz auf den Weg zu bringen, um die Stadt-Umland-Problematik zu lösen, und das nicht nur für den Raum Halle/Saalkreis/Landkreis MerseburgQuerfurt, sondern für die Oberzentren insgesamt. Sie hatten das acht Jahre lang auf Ihrer Agenda und: rien ne va plus.

Zum Schluss ein Schwenk zur 17. Landkreisversammlung. Der Präsident Michael Ermrich hat in seiner Grundsatzrede wörtlich gesagt: 80 % Zustimmung bei den Landräten und den Kreistagen. - Also, Herr Minister, was wollen Sie mehr?

Dazu frage ich Sie: Was wollen Sie mehr als eine solche Zustimmung? Das ist nicht nur ein Kompliment, sondern das ist Vertrauen, das ist Respekt und das ist das Ergebnis unserer Reformpolitik der letzten zwei Jahre. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Viel Dank, Herr Madl. - Als letztem Redner erteile ich für die SPD-Fraktion dem Abgeordneten Herrn Bullerjahn das Wort. Bitte sehr, Herr Bullerjahn.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich auf eine wenige zentrale Punkte beschränken, die sich aus der Debatte ergeben haben.

Punkt 1. Herr Madl, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie den Zusammenhang zwischen Wahlkampf 2002 und Gebietsreform öffentlich angesprochen haben.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Wir haben es damals immer wieder öffentlich kritisiert. Sie haben damals gekniffen.

(Herr Madl, CDU: Ich nicht!)

Nur, wenn man - - Herr Daehre ist irgendwo verschwunden.

(Herr Dr. Daehre, CDU: Hier bin ich! Ich sitze hier, damit ich von vorn zu sehen bin!)