Protokoll der Sitzung vom 16.12.2004

Lieber Herr Kollege Kasten, die Frage, die ich an Sie richten möchte, lautet: Teilen Sie die Auffassung, die Herr Kollege Sachse zur Rolle der Frauen im ÖPNV vorgetragen hat?

Diese Auffassung teile ich nicht. Ich weise in diesem Zusammenhang noch einmal auf unsere Begründung zu dem Änderungsantrag hin. In allen Unterlagen, die mir zugänglich waren, wird auf die besondere Rolle der Frauen, auf den erhöhten Anteil der Frauen im ÖPNV und auf die Probleme insbesondere in Schwachlastzeiten hingewiesen. Wir sind verpflichtet, diese zu berücksichtigen.

Die Berücksichtigung dieser Probleme lässt den Änderungsantrag, so wie er ist, weiterhin als notwendig erscheinen. Wir werden ihn nicht zurückziehen. Ich möchte noch einmal unterstreichen, dass er weiterhin notwendig ist, um auch Bewegung vor Ort, bei den Aufgabenträgern, zu erreichen. Diesbezüglich haben wir in unserem Land durchaus Defizite.

(Zustimmung bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Kasten. - Die Debatte wird mit dem Beitrag der CDU-Fraktion abgerundet. Es erhält die Abgeordnete Frau Rotzsch das Wort. Bitte sehr, Frau Rotzsch.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Bereits bei der Einbringung des ÖPNV-Gesetzes am 16. September 2004 habe ich auf die demografisch und wirtschaftlich veränderten Rahmenbedingungen hingewiesen, auf die sich unser Land auch im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs einzustellen hat. Wir können nicht ignorieren, dass nicht einmal sechs von 100 Berufspendlern in Sachsen-Anhalt derzeit Bus oder Bahn nutzen, dass sich die Zahl der Schüler an den allgemein bildenden Schulen in Sachsen-Anhalt bis zum Schuljahr 2009/2010 um 25 % verringern wird und dass der ÖPNV als reiner Linienverkehr künftig nicht mehr bezahlbar ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer angesichts dieser Situation sagt, dass alles bleiben kann, wie es ist, der gibt sich Tagträumen hin. Deswegen hat die Landesregierung Recht, wenn sie sich angesichts der rückläufigen Bevölkerungszahlen, der Abwanderung aus den Städten, der niedrigen Geburtenrate und der Alterung der Gesellschaft um neue Konzepte und leistungsorientierte Ansätze bemüht.

Die Ergänzung des herkömmlichen Linienverkehrs durch flexible Bedienformen ist daher zwingend notwendig. Mit diesen Angeboten, die nach telefonischer Bestellung der Kunden verkehren, können Strecken vor allem in ländlichen Regionen bedient und die Kosten gedämpft werden.

Obwohl das Gesetz meiner Meinung nach von Anfang an stimmig war, haben wir im Ausschuss sachlich und konstruktiv über Änderungsvorschläge aus den Reihen der Opposition diskutiert. Für diese Sachlichkeit möchte ich mich bei allen Beteiligten ebenfalls ausdrücklich bedanken.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Dieser Dank gilt auch den Teilnehmern der Anhörung, die der Ausschuss am 18. Oktober 2004 durchgeführt hat. Es hat sich gezeigt, dass es aus dem weiten Spektrum der Teilnehmer vielleicht Kritik an Einzelregelungen gab, das Konzept an sich jedoch nicht wirklich infrage gestellt wurde.

Wir als CDU-Fraktion haben jeden einzelnen Vorschlag sehr intensiv geprüft und den vorliegenden Gesetzentwurf in Detailfragen geändert. So müssen die betroffenen Landkreise und kreisfreien Städte künftig angehört werden, wenn das Land Verkehr von der Schiene auf Buslinien verlagern will. Gleiches gilt bei der Bestellung eines ÖPNV-Planes.

Es erfolgte eine begriffliche Klarstellung, dass der straßengebundene ÖPNV die allgemein zugängliche Beförderung im Linienverkehr sicherstellen soll. Vorrang im ÖPNV soll statt privatwirtschaftlichem Handeln das eigenwirtschaftliche Handeln beauftragter Unternehmen haben. Der Beirat zur Wahrnehmung von Fahrgastinteressen wird um die Interessenvertretung behinderter Menschen ergänzt.

Für die Finanzierung des ÖPNV wird eine Gesamtsumme von 37 Millionen € für die Landkreise und kreisfreien Städte im Gesetz verankert. Die Höhe der Zuweisungen soll in den folgenden Jahren an die Entwicklung der Mittel nach dem Regionalisierungsgesetz des Bundes geknüpft werden. Damit wird die Finanzierungsregelung im Gesetz eindeutig bestimmbar gestaltet und eine feste Ausgangsgröße vorgegeben. Ich denke, dies sind Ergänzungen, die die generelle Ausrichtung des Gesetzes nur noch verstärken.

Wichtig ist uns als Koalition neben der Erweiterung der Handlungsspielräume auf regionaler Ebene auch der Erfolgsfaktor bei der Mittelzuteilung. Ich halte es für erstrebenswert, wenn der Anteil der Fahrten je Einwohner des Aufgabenträgers künftig mit 40 % der Gesamtsumme besonders stark gewichtet wird. Wenn wir mehr Menschen zum Umsteigen vom Individualverkehr auf den öffentlichen Verkehr bewegen wollen, dann muss sich für die Aufgabenträger Leistung auch wirklich lohnen. Deshalb gibt es für uns auch kein Rütteln an diesem Punkt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der wohl am heftigsten diskutierte Punkt war der so genannte Straßenbahnfaktor, der 5 % der Gesamtsumme ausmacht. Ich möchte an dieser Stelle ganz klar sagen, dass ich die 5 % für absolut angemessen halte. Forderungen einzelner Aufgabenträger, den Betrag heraufzusetzen, sind sachlich unbegründet.

Mit dem Ihnen nun vorliegenden Gesetzentwurf werden wir in Sachsen-Anhalt eines der schlanksten und zugleich modernsten ÖPNV-Gesetze in Europa sichern. Das vorliegende Gesetz schafft die bestmögliche Grundlage, um den veränderten Bedingungen, unter denen wir leben und handeln, gerecht zu werden.

Erlauben Sie mir abschließend noch auf die Anliegen der PDS-Fraktion einzugehen, die auch heute wieder als Änderungsanträge vorgebracht werden.

Warum ich mich als Frau diskriminiert fühle, wenn im Fahrgastbeirat - so wie Sie es sich wünschen - ausdrücklich die Belange von Frauen berücksichtigt werden sollen, habe ich schon im Ausschuss hinreichend erklärt. Auch vonseiten des GBD ist ein Passus, der sich auf die Belange der Frauen bezieht, bewusst weggelassen worden. Mich zumindest macht es ein Stück weit betroffen, wenn man die Interessen der Frauen immer noch einmal gesondert anführen muss. Deshalb bitte ich im Namen der Koalitionsfraktionen, den Änderungsantrag der PDS abzulehnen.

Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Ferchland zu beantworten?

Nein. - Zu Ihrem zweiten Änderungsantrag möchte ich sagen, dass wir eine Überprüfung unseres Landesrechts im Zusammenhang mit der Revision des Regionalisierungsgesetzes auch als eine zielführende und begrüßenswerte Maßnahme ansehen. Grundsätzlich macht es Sinn, Gesetze wann immer möglich auf ihre Aktualität hin zu überprüfen. Da Sie aber in Ihrem Änderungsantrag nicht anführen, durch wen die Prüfung erfolgen soll, legen wir einen eigenen Änderungsantrag vor - Herr Qual hat schon darauf hingewiesen -, der etwas weiterreichend ist.

Ich bitte um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf einschließlich unseres Änderungsantrages. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Rotzsch. - Sehr geehrte Frau Ferchland, Frau Rotzsch hat Ihnen signalisiert - Sie haben es mitbekommen -, dass sie keine Frage beantworten möchte.

(Frau Ferchland, PDS: Schade! So von Frau zu Frau!)

Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir auf der Nordtribüne Mitglieder der Jungen Union Aschersleben.

(Beifall im ganzen Hause)

Nun hat für die Landesregierung der Minister für Bau und Verkehr Herr Dr. Daehre um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst herzlichen Dank, Herr Präsident. Ich sehe, wir haben Zuwachs bei der Jungen Union bekommen. Auf der Tribüne sitzen einige Mitglieder, bei denen ich mich darüber freue, dass sie jetzt zu uns gekommen sind.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren! Ich denke, von den Vertretern der regierungstragenden Fraktionen, von Frau Rotzsch und von Herrn Qual, wurde auf das Wesentliche des Gesetzentwurfes hingewiesen. Deshalb möchte ich zunächst auf die Ausführungen der Vertreter der Oppositionsfraktionen eingehen.

Herr Sachse, der Reichskanzler von Bismarck pflegte einmal zu sagen: Die Oppositionsbrille trübt den Blick für das Gesamte, wenn man sie sehr eng aufsetzt.

(Herr Bullerjahn, SPD: Die muss ja damals ge- klemmt haben!)

Ich muss eines sagen: Wir waren acht Jahre lang in der Opposition.

(Herr Bullerjahn, SPD: Genau!)

Da ist was dran.

(Heiterkeit)

Aber die Trübung war bei Ihnen besonders stark - ich muss das hier einfach einmal zum Ausdruck bringen -;

(Zustimmung bei der CDU)

denn im Ausschuss haben wir auch anders diskutiert. Ich wundere mich schon sehr darüber, dass in der Endkonsequenz zu dem Hauptpunkt, der Finanzierung - das klang bei den regierungstragenden Fraktionen auch schon an -, kein eigener Vorschlag gekommen ist, wie wir es neu regeln sollen. Den hätten Sie gern einbringen können. Sie haben einmal einen Vorschlag eingebracht. Dann haben Sie das durchgerechnet und gesagt, der ist schlechter für Dessau, und haben ihn ganz schnell wieder weggezogen. Das meinte ich damit, als ich sagte, dass wir tatsächlich das Gesamte betrachten müssen.

Wir wissen, dass wir uns hiermit auf Neuland begeben. In Bezug auf den Herzpatienten habe ich die Bitte, dass Sie das dem Ministerpräsidenten in Brandenburg, Herrn Platzeck, sagen; denn Brandenburg wird praktisch dieselbe Regelung im ÖPNV einführen. Ich gehe davon aus, dass weder Herr Platzeck noch viele andere wegen dieses Gesetzes herzkrank werden.

(Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU)

Das nur zu dieser Anmerkung.

Herr Minister, Sie sind bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Sachse zu beantworten?

Das machen wir am Ende.

Am Ende, Herr Sachse.

Jetzt noch einmal zu dem eigentlichen System. Meine Damen und Herren! Wir reden über den ÖPNV, aber nur wenige nutzen ihn. Das ist erst einmal das Problem, das wir in Sachsen-Anhalt haben. Es sind nur 7 % der arbeitenden Bevölkerung.

Nun könnte ich - meine Kollegen aus der CDU würden das vielleicht nicht so gut finden - die Frage stellen, ob wir, wenn wir alle den ÖPNV benutzten, noch ein Parkdeck brauchten. Diese Frage können wir ja einmal stellen. Wir können ja einmal kontrollieren, wer alles mit dem Auto hierher kommt. Deshalb habe ich die herzliche Bitte: Wenn wir über den ÖPNV reden, dann müssen wir ihn auch praktizieren und umsetzen, selbst vorbildlich sein,

(Zustimmung von Herrn Tullner, CDU)

sonst wird es nicht funktionieren.