Protokoll der Sitzung vom 17.12.2004

Kurz gesagt: Das Ansinnen der Initiatoren ist weder verständlich noch ehrlich noch zukunftsfähig.

Liebe Frau von Angern, ich habe selten eine so rückwärts gewandte Debatte, von der PDS initiiert, wie heute Morgen erlebt.

(Beifall bei der CDU)

Frau von Angern, ich halte Ihnen ein bisschen zugute, dass Sie noch so jung sind, dass Sie vielleicht keine authentischen Erinnerungen mehr daran haben, wie es denn zu DDR-Zeiten gewesen ist.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe von der PDS)

Wenn Sie jetzt sagen, es gehe darum, ein Stückchen Kinderbetreuung zu verteidigen, wie sie in der DDR vorhanden war, so ist das doch Geschichtsklitterung ohnegleichen. Das muss man doch einmal sagen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dann sagen Sie doch dazu, welchen Betreuungsschlüssel wir zu DDR-Zeiten hatten.

(Minister Herr Dr. Daehre: Ja, richtig!)

Der war wesentlich schlechter als der, den wir jetzt haben,

(Herr Schomburg, CDU: So ist das!)

den wir als CDU-FDP-Koalition Anfang der 90er-Jahre in dem vollen Bewusstsein, etwas Richtiges zu tun, beschlossen haben. Sagen Sie doch an dieser Stelle die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU und von der Regierungsbank - Zurufe von Frau Bull, PDS, und von Frau Feuß- ner, CDU)

Und wenn Sie sagen, es wäre eine soziale Selektion - das Wort sollte man vorsichtig gebrauchen -, wenn nicht alle Kinder unabhängig von den häuslichen Verhältnissen den ganzen Tag in die Kinderkrippe oder den

Kindergarten gehen könnten, so erinnern Sie sich doch bitte daran, dass man zu DDR-Zeiten den Nachweis über eine Arbeitsstelle bringen musste, sonst hat man gar keinen Krippenplatz bekommen.

(Beifall bei der CDU und von der Regierungsbank - Zustimmung bei der FDP - Frau Bull, PDS: Ja, und? - Frau Dr. Weiher, PDS: Hat irgendjemand denn die DDR verteidigt, Herr Scharf? Es ging um das Kinderbetreuungsgesetz! - Weitere Zuru- fe von der PDS)

Wenn Sie diese Debatte damit verknüpfen wollen, wie schön es doch vor Jahren gewesen ist und welch grausige Zukunft hier für die - -

(Herr Gallert, PDS: Was hat sie denn gesagt?)

- Aber natürlich hat sie das gesagt.

(Herr Gallert, PDS: Sie hat von der ostdeutschen Tradition gesprochen!)

- Ja, natürlich. Ich weiß doch, welche Traditionen Sie an dieser Stelle gern pflegen wollen.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von Minister Herrn Dr. Daehre, von Frau Dr. Weiher, PDS, und von Frau Dr. Sitte, PDS)

Ich muss sagen, einige wenige Sätze, mit denen Sie die Aktuelle Debatte eröffnet haben, waren für mich so etwas von entlarvend, was Ihre Denkstrukturen angeht.

(Frau Dr. Sitte, PDS, lacht)

Ich habe das selten so erlebt, das muss ich einmal ganz deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU)

Wir als CDU und FDP haben Anfang der 90er-Jahre und jetzt im großen Konsens auch mit der SPD ein Gesetz in den Landtag eingebracht, das deutschlandweit seinesgleichen sucht. Das können wir mit stolzem Bekenntnis überall dort sagen, wo wir über die Qualität von Kindererziehung und Kinderbetreuung sprechen. Das tun wir auch. Ich lege großen Wert darauf, dass die übergroße Mehrheit im Landtag von Sachsen-Anhalt dies so sieht. Das sollten wir uns nicht von irgendjemandem zerreden lassen, meine Damen und Herren.

(Herr Kolze, CDU: So ist das!)

Wir haben dies getan, obwohl wir seit 1990 wissen, dass wir ein strukturschwaches ostdeutsches Flächenland sind. Deshalb muss auch jede Diskussion über die Ressourcen, die wir lediglich einmal verteilen können, mit großer Ernsthaftigkeit unsererseits geführt werden. Wir haben nun einmal weniger Geld als alle anderen, und wir leisten uns absichtlich, aber deshalb maßvoll etwas Besonderes für unsere Kinderbetreuung. Damit muss es aber, denke ich, auch sein Bewenden haben.

Es geht um eine Prioritätensetzung, die bei der Geburt anfängt, die mit dem Rechtsanspruch auf Betreuung bis zum 14. Lebensjahr weitergeht und die auch die anderen Bereiche, die der Herr Ministerpräsident aufgezählt hat, in wohl abgewogener Art und Weise gleichmäßig berücksichtigt. Diese Verantwortung haben wir und diese Verantwortung nehmen wir auch wahr, meine Damen und Herren.

Ich will an dieser Stelle eines auch ganz klar sagen: Einer der wichtigen Aspekte einer modernen Kinderbetreuung ist, dass wir die Gleichberechtigung von Mann

und Frau, die tatsächliche Möglichkeit, Familienerziehung und Berufstätigkeit miteinander zu vereinbaren, mit diesem Gesetz gewährleisten. Viele in ganz Deutschland würden sich über solche Bedingungen freuen. Wir haben sie realisiert, und das ist ein hohes Gut, das wir auch wirklich erreicht haben. Das sollte man nicht leichtfertig durch Diskussionen an dieser Stelle aufs Spiel setzen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Die OECD-Studie zur frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung in Deutschland - sie ist erwähnt worden - hat dies in eindringlicher Art und Weise bestätigt. Wenn hierin davon ausgegangen wird, dass wir zu den Besten unter den OECD-Ländern zählen, so gilt das wiederum für die Durchschnittswerte in den neuen Bundesländern. Unter diesen Durchschnittswerten liegen wir wieder mit einem Alleinstellungsmerkmal vorn. Eine bessere internationale Beurteilung kann man, denke ich, gar nicht bekommen.

Auch dies sollten alle ganz ehrlich der Bevölkerung sagen, damit die Bevölkerung auch wirklich im vollen Bewusstsein dessen, worüber zu entscheiden ist, am 23. Januar 2005 letztlich eine Entscheidung trifft, meine Damen und Herren.

Man muss auch ganz deutlich sagen, dass wir freilich im gesamtdeutschen Kontext angefragt werden, weil die Bundesregierung mit ihrem Tagesbetreuungsausbaugesetz eben bei weitem nicht in der Lage ist, in den nächsten Jahren in Deutschland das zu gewährleisten, was bei uns Standard und Niveau ist. Das muss man doch einmal ganz deutlich so sagen.

Das können wir stolz sagen, das können wir mit großem Selbstbewusstsein sagen. Aber wir müssen dann natürlich auch gewahr sein, dass viele andere fragen: Wie kriegen die das überhaupt hin, was wir, die Westländer, die wir reicher sind, nicht hinbekommen? Den Rechtfertigungsdruck müssen wir aushalten. Wir halten ihn auch aus. Wir halten ihn aber nur aus, wenn wir selbst maßvoll bleiben, meine Damen und Herren. Anders geht es nicht.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Auf die haushaltsmäßigen Randbedingungen ist schon eingegangen worden; deshalb kann ich abschließend zu dieser Debatte nur sagen: Wir unterstützen den Ministerpräsidenten, wir als CDU-Fraktion und - so nehme ich an - als CDU-FDP-Koalition - ich nehme sogar an, auch die SPD-Fraktion -, wenn er die Interessen Sachsen-Anhalts in Berlin so konsequent vertritt, wie er es bisher getan hat.

Wir wissen, dass jetzt, in diesen Tagen, wahrscheinlich sogar heute, in diesen Stunden entscheidende Debatten zu führen sind. Es sind entscheidende Verteilungskämpfe, die durchzustehen sind, die wahrscheinlich darüber entscheiden werden, wie die materielle Ausstattung der neuen Bundesländer und damit auch Sachsen-Anhalts über Jahre oder über Jahrzehnte hinweg aussehen wird. Da muss jedes Wort wohl abgewogen werden, damit wir die Grundlagen für einen guten Aufbau in SachsenAnhalt nicht nur heute und morgen, sondern auch für die nächsten Jahre sichern können.

Deshalb ist es vielleicht gut, dass Sie die Debatte hier angesprochen haben, aber ich denke, es ist noch besser, dass Sie heute Klartext hören. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Scharf. - Die Debatte wird fortgesetzt durch die SPD-Fraktion. Dazu erteile ich der Abgeordneten Frau Grimm-Benne das Wort. Bitte sehr, Frau Grimm-Benne.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, auch nach Ihrer Rede bin ich der Auffassung, dass Sie mit Ihrer Äußerung, die gegenwärtige Debatte über die Kinderbetreuung in unserem Land würde das Verhältnis zwischen neuen und alten Bundesländern vergiften, der Auseinandersetzung um den Aufbau Ost weiteren Schaden zugefügt haben.

(Zustimmung bei der PDS - Herr Gürth, CDU: Quatsch!)

Die Diskussion um die weitere Förderung Ostdeutschlands ist überfällig. Sie ist sinnvoll auch in Bezug auf den Zeitpunkt; denn im Jahr 2019 läuft der Solidarpakt II aus; wir sind derzeit sozusagen in der Halbzeit. Niemand rechnet damit, dass es einen dritten Solidarpakt geben wird. Also ist es durchaus sinnvoll zurückzuschauen, vorwärts zu schauen und zu fragen: Wo stehen wir? Was haben wir falsch gemacht? Aber auch: Was haben wir richtig gemacht?

Aber leider ist diese Debatte schnell abgeglitten. Der Aufbau Ost wird, bislang vor allem in der Diskussion von West- nach Ostdeutschland, sehr schnell in SchwarzWeiß-Bilder verfallend und wenig differenziert diskutiert. Genau das wäre bei diesem Thema aber notwendig. Wenn scheinbar nur Schwarz und Weiß zur Auswahl stehen, wird zurzeit mit Hingabe das Schwarze betont. Eine Titelgeschichte des „Spiegels“ lieferte hierfür bereits ein trauriges Beispiel: 1 250 Milliarden € im Osten sinnlos versenkt.

Als Politiker spüren wir die Folgen dieser Debattenform, wenn wir etwa bei Diskussionsrunden oder von der Presse mit Fragen konfrontiert werden wie: Der Aufbau Ost ist schief gegangen, viele Milliarden wurden versenkt - wie können Sie damit leben?

Der Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck, hat diese Situation einmal, wie ich finde, treffend beschrieben. Es sei wie bei der Frage: Stimmt es, dass Sie aufgehört haben, Ihre Frau zu prügeln? Denn egal, was man danach antwortet, ja oder nein oder was auch immer, man ist auf jeden Fall augenblicklich in der Defensive. Das ist eine der Folgen dieser Schwarz-WeißDiskussion, der auch Sie, Herr Ministerpräsident, sich zurzeit bedienen.

Mit der Verknüpfung dieser Debatte mit der Kinderbetreuung wird vonseiten des Landes versucht, der allgemeinen Diskussion um die Schuld des Ostens am Niedergang des Westens Nahrung zu geben, aus reiner Angst vor einem erfolgreichen Volksentscheid. Die Schieflage in der Debatte um den Aufbau Ost wird noch einmal bewusst verschärft. Das ist nicht nur unverantwortlich, das hilft unserem Land in keiner Weise weiter.

In der Diskussion wird auch immer wieder vergessen, dass es sich im Osten Deutschlands eben nicht um einen normalen Strukturwandel, wie ihn zum Beispiel Bayern oder Nordrhein-Westfalen erlebt haben oder erleben, handelt. Bayern hat mehr als 30 Jahre lang am