In der Diskussion wird auch immer wieder vergessen, dass es sich im Osten Deutschlands eben nicht um einen normalen Strukturwandel, wie ihn zum Beispiel Bayern oder Nordrhein-Westfalen erlebt haben oder erleben, handelt. Bayern hat mehr als 30 Jahre lang am
In Nordrhein-Westfalen wird der Steinkohlestrukturwandel seit drei Jahrzehnten, mit zweistelligen Milliardenbeträgen finanziell bestens flankiert, gefördert.
Das Problem der demografischen Entwicklung stellt sich in ganz Deutschland und wiederum verschärft in Ostdeutschland. Dass alle älter werden und dass zu wenige Kinder geboren werden, ist ein gesamtdeutsches Problem. Aber in Ostdeutschland gab es nach 1989 einen starken Geburtenknick. Obendrein - das haben auch Sie zur Kenntnis genommen - hält die Abwanderung insbesondere junger Frauen an. Das heißt, wir müssen an vielen Stellen handeln. Wir lernen dabei ganz zwangsläufig Dinge, bei denen ich mir ganz sicher bin, dass sie für ganz Deutschland relevant sein werden.
Fast alles, was wir heute machen, verdienen und erarbeiten ist in den letzten zehn bis 15 Jahren entstanden. Ich denke, mit diesem Pfund kann und muss man wuchern.
Nur ein Beispiel: Erst heute, nach fast anderthalb Jahrzehnten, schaffen wir es, in die Gesundheitsreformgesetze ganz vorsichtig hineinzuschreiben, dass die Polikliniken vielleicht doch kein Teufelszeug waren. Das hätte man einfacher haben können. Heute wird das als Kostendämpfungsmaßnahme dargestellt. Im Jahr 1991 durfte man das aber noch nicht einmal erwähnen, weil alles, was auch nur den leichtesten Geruch nach DDR hatte, strikt abgelehnt wurde.
Ich komme noch einmal auf die Kinderbetreuung und die Kinderförderung zurück. Bei dem Wort „Kinderkrippe“ hat man im Westen - das passt jetzt zurzeit - anfänglich bestenfalls an Weihnachten gedacht. Heute ist man zwar einen Schritt weiter, die Ansicht des kollektiven Zwangsitzens auf den Töpfchen ist überwunden, doch die Einsicht in die Bedeutung der Investition in die Kinder und ihre Familien wächst nur sehr langsam. Hierbei muss der Westen vom Osten lernen.
Gerade das Land Sachsen-Anhalt hat hierbei im Gegensatz zu den alten Bundesländern einen entscheidenden Vorteil. Dieser Vorteil wird aber nun in einer Anzeigenkampagne der Landesregierung aus Angst vor dem Erfolg des Volksentscheides bewusst diskreditiert. Eine deutlich abnehmende Bevölkerungszahl erfordert aber neue Ausgaben der öffentlichen Hand für Anpassungsmaßnahmen bei niedrigem Steueraufkommen. Deshalb müssen rechtzeitig Maßnahmen getroffen werden, um diesem Trend entgegenzuwirken.
Doch zurück zu Ihrer Schwarz-Weiß-Malerei in Sachen Aufbau Ost und zur Debatte um die Kinderförderung. Sie werden die Geister nicht mehr los, die Sie gerufen haben, nachdem bislang alle Versuche gescheitert sind, diese notwendige Investition in die nachfolgende Generation schlechtzureden. Kurz vor dem Volksentscheid taucht eine Initiative „Nein zum Volksentscheid“ auf, die wieder einmal den Eindruck vermitteln möchte, mit einem umfassenden Betreuungs- und Förderangebot ginge es um eine Art Zwangsbetreuung. Wieder werden Westklischees bedient, um ostdeutsche Vorstellungen schlechtzumachen. Ihre Argumentation ist scheinheilig.
Ihnen geht es seit Anbeginn dieser Debatte nur um die finanziellen Einsparungen: Wo können wir 40 Millionen € wegnehmen? Der Elternwille tauchte in Ihrer Debatte erst wieder auf, als Sie ahnten, auf welchen Widerstand Sie in dieser Diskussion stoßen würden.
Da die Zeit bis zum Volksentscheid knapp wird, hoffen Sie, durch eine beispiellose Anzeigenkampagne und durch diese „Nein-Initiative“ jeden Einsatz für eine zukunftsfähige Kinderförderung zu diskreditieren.
(Herr Gürth, CDU: Das ist scheinheilig, was Sie vortragen! Für welche Fraktion reden Sie jetzt ei- gentlich? Für die PDS-Fraktion?)
Mit Ihrer hilflosen Aufforderung „Wer eine andere Kinderbetreuung wünscht, muss sich eine andere Regierung wählen“, haben Sie selbst die Weichen für eine Abrechnung mit Ihrer bisherigen Politik gestellt.
(Beifall bei der SPD und bei der PDS - Herr Gürth, CDU: Ist das die Ersatzrede von Frau von Angern?)
In Ihrer Verzweiflung orientieren Sie sich an einem Auslauf- statt an einem Zukunftsmodell. Anstatt dies selbstbewusst nach außen zu tragen, bedienen Sie die im Westen vielfach vorherrschenden Vorurteile.
Sie sind auf dem besten Weg, dass - egal wie der Volksentscheid im Ergebnis ausgeht - nur Verlierer übrig bleiben. Es ist keineswegs nur der Osten, der sich erneuern muss: Deutschland insgesamt muss sich verändern. Der Aufbau Ost funktioniert nicht als bloßer Nachbau West und der Westen muss sich in vieler Hinsicht selbst neu entwerfen.
Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Wybrands zu beantworten?
Herr Ministerpräsident, setzen Sie sich für die Menschen unseres Landes und vor allem für die Kinder und Familien ein, und zwar nicht nur mit Aktionen rein proklamatorischen Charakters. Verraten Sie nicht die besonderen Erfahrungen und Einsichten, die Erkenntnisse und Einstellungen, die aus 15 Jahren Aufbau Ost selbstbewusst in die Debatte zur Zukunft unseres Landes eingebracht werden können und müssen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Grimm-Benne, Sie haben in Ihrer offensichtlich anderswo vorbereiteten Rede gerade gesagt, dass wir selbstbewusster mit dem Kinderförderungsgesetz nach außen gehen müssten. Darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass das Bundesfamilienministerium mit einer Staatssekretärin aus Halle verhindert hat, und zwar direkt und offensiv verhindert hat, dass das Land Sachsen-Anhalt in diese OECD-Studie aufgenommen wurde? Die Ergebnisse des Landes Sachsen-Anhalt sind dann zwar aufgenommen worden, aber sie sind nicht über das Bundesministerium gegangen.
(Herr Gürth, CDU: Aha! - Herr Tullner, CDU: Das ist ja ein Ding! - Frau Feußner, CDU: Das passt zu ihrer Rede! - Weitere Zurufe von der CDU)
Ich gebe die Frage zurück und frage: Was soll mir dieses jetzt sagen? Wir haben die OECD-Studie und Sie wuchern ja auch mit den Ergebnissen dieser OECDStudie, obwohl das Land Sachsen-Anhalt komischerweise nicht drin steht. Sie müssten dann wahrscheinlich Ihre Anzeigenkampagne verändern.
(Herr Tullner, CDU: Wie heißt die Staatssekretä- rin, die das gemacht hat? - Herr Gürth, CDU: Ist die von der SPD? - Zuruf von Frau Wybrands, CDU)
Vielen Dank, Frau Grimm-Benne. - Meine Damen und Herren! Wir schließen jetzt die Debatte mit dem Beitrag der FDP-Fraktion ab. Frau Abgeordnete Seifert, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich werde mich bemühen, nicht alles zu wiederholen, was meine Vorredner gesagt haben. Ich denke, das ist auch nicht nötig. Eine Gemeinsamkeit habe ich festgestellt und darum geht es in dem Antrag zur Aktuellen Debatte. Es ist allen daran gelegen, die Zukunftsfähigkeit des Landes zu sichern und die Position der Fraktion dazu darzustellen.
Lassen Sie mich eingangs feststellen, dass die Sicherung der Zukunftsfähigkeit des Landes Sachsen-Anhalt für mich nicht nur durch die Angebote zur Kinderbetreuung zu definieren ist, sondern durch all das, was danach kommt, wie zum Beispiel die schulische Bildung, die Sicherung der Ausbildung oder des Studiums, die Sicherung der beruflichen Tätigkeit bis hin zur Sicherung der Versorgung im Alter. Ich denke, die Aufgabe besteht darin, die Zukunft für alle Bevölkerungsgruppen zu sichern und nicht nur für die Kinder im Kindergartenalter.
Dass Politiker aus den alten Bundesländern und Teile der westdeutschen Bevölkerung mit Argwohn betrachten, was im Land Sachsen-Anhalt für die Kinderbetreuung als Investition in die Zukunft an Geld ausgegeben wird, ist eine Tatsache, die durchaus legitim und berechtigt ist. Die Wertung, dass damit die Kinderbetreuung zum Ost-West-Konflikt degradiert wird, hat die PDSFraktion vorgenommen.
Ich denke, der Antragstellerin geht es nicht nur um einen Konflikt, der sich zwischen Ost und West zum Thema Kinderbetreuung auftut, sondern dieser angebliche Konflikt wird als Anlass benutzt, um über die Kinderbetreuung zu diskutieren und dafür im Vorfeld des Volksbegehrens im Landtag eine Plattform zu finden. Würde es wirklich um einen Ost-West-Konflikt gehen, dann würden die finanziellen Transferleistungen und ihre Verwendung im Vordergrund stehen. Dazu würden dann sicherlich nicht die Fachpolitiker, sondern die Wirtschafts- oder die Finanzpolitiker sprechen.
Sehr geehrte Damen und Herren! Ich denke, es geht um das KiFöG und um das Volksbegehren, das, maßgeblich unterstützt von der PDS, seinen Gesetzentwurf am 23. Januar 2005 zum Volksentscheid stellt. Es ist schon interessant, wenn man im Internet die groß angelegte Kampagne der PDS-Fraktion verfolgt.
Da schreibt zum Beispiel die PDS-Landesvorsitzende einen offenen Brief an ihre Parteimitglieder unter der Überschrift: „Chancengleichheit für alle Kinder! Bildung ist Investition in die Zukunft!“. Sie formuliert mit Bezug auf diese zwei Kernthemen, dass die bildungspolitisch und ökonomisch falschen Entscheidungen der Landesregierung jetzt zu stoppen sind.
Weil das Ganze auch mit Geld zu tun hat - daran kommt auch die PDS-Fraktion nicht vorbei -, heißt es weiter unten: Die PDS hat einen seriösen Finanzierungsvorschlag für die notwendigen Mehraufwendungen von 42 Millionen € vorgelegt. Da sollen zum Beispiel Gelder bei der Förderung von Landes- und Kreisstraßen eingespart werden.
(Frau Dr. Weiher, PDS: Genau! - Herr Gallert, PDS: Das gehört zur Ehrlichkeit! - Weitere Zurufe von der PDS)
In dem Flyer der PDS-Fraktion wird aber wohlweislich nicht darauf hingewiesen, dass diese Summe jedes Jahr einzusparen ist.
(Herr Gallert, PDS: Natürlich jedes Jahr, das steht drin! - Zurufe von der PDS - Zurufe von der CDU und von der FDP: Lasst sie doch ausreden!)
Außerdem wird verschwiegen, dass auch die örtlichen Träger der Jugendhilfe jährlich 25 Millionen € mehr aufbringen müssen. Nach der Auskunft des Landrates auf eine Nachfrage des Kreistages hin würden die Mehraufwendungen in meinem Landkreis 1,2 Millionen € betragen. Es konnte niemand und vielleicht traute sich auch niemand die Frage zu beantworten, woher diese 1,2 Millionen € im Landkreis kommen sollen.
Eine Konsequenz wäre für mich eindeutig. Das würde nicht zu einer Absenkung der Elternbeiträge, wie von der PDS-Fraktion in ihrem Flyer behauptet, führen, sondern das hätte zwangsläufig die Erhöhung der Elternbeiträge zur Folge.
(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Herr Gal- lert, PDS: Das ist falsch! - Frau Feußner, CDU: Das ist genau der Grund!)
Herr Gallert, bezahlen müssten das die Eltern, die die Beiträge aus dem eigenen Arbeitseinkommen finanzieren, und nicht jene, die - aus welchen Gründen auch immer und durchaus berechtigt - den Betreuungsplatz durch das Sozialamt oder das Jugendamt bezahlt bekommen.