Protokoll der Sitzung vom 28.01.2005

Meine Damen und Herren! Der zweite Teil des Entwurfs eines Kommunalneugliederungs-Grundsätzegesetzes beschäftigt sich mit dem Thema der Landkreise. Das Land Sachsen-Anhalt und das Land Thüringen sind die einzigen Bundesländer, die ausschließlich Landkreise mit weniger als 150 000 Einwohnern haben. Dabei beträgt die Einwohnerzahl in zwei Dritteln der Landkreise sogar weniger als 100 000.

Angesichts der prognostizierten demografischen Entwicklung unseres Landes und der geplanten Übertragung weiterer Aufgaben auf die Landkreise ist die Leistungsfähigkeit nur sicherzustellen, wenn wir die Zahl der Landkreise etwa halbieren.

Die künftigen Landkreise müssen in die Lage versetzt werden, spezialisiertes Personal vorzuhalten, wofür ausreichend hohe Fallzahlen nötig sind. Dies spricht für Landkreise mit einer Mindesteinwohnerzahl von 150 000, die in der mittelfristigen Perspektive, also bis zum Jahr 2015, zu schaffen sein werden. Geringfügige Abweichungen sollen möglich sein.

Daneben gilt es, bei der Neugestaltung der Kreisebene die Bürgernähe und eine identitätsstiftende Wirkung der neuen Landkreise zu bewahren, landsmannschaftliche Verbundenheiten zu beachten und die Erreichbarkeit der Kreisstadt für ehrenamtlich Tätige zu gewährleisten.

Meine Damen und Herren! Wir sprechen uns entschieden gegen die von der Opposition ins Gespräch gebrachten fünf Großkreise aus.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Diese Riesenkreise wären nur umgetaufte Planungsregionen. Sie wären bürgerferne, technokratische Monstren, die im Übrigen auch keinen Beitrag zur Lösung der Stadt-Umland-Probleme leisten würden.

(Zurufe von der SPD - Zustimmung von Herrn Gürth, CDU)

Der Ansatz der Landesregierung sieht anders aus. Er kommt dem laufenden Prozess in den Kreisen entgegen, in denen auf freiwilliger Basis Fusionen vorbereitet werden sollen.

Meine Damen und Herren! Fünf Großkreise - man stelle sich vor, Magdeburg oder Halle wären kreisangehörige

Städte und darum herum gäbe es vier weitere Landkreise. Sagen Sie mir einmal, wer dort als Kreistagsmitglied ehrenamtlich dieses Problem lösen soll.

(Zustimmung bei der CDU - Herr Bullerjahn, SPD: Es ist ja gut! - Zuruf von Herrn Bischoff, SPD)

- Sie können nachher reden. Bleiben Sie doch einmal ganz ruhig.

(Herr Bischoff, SPD: Das sind wir doch!)

- Ganz entspannt bleiben, ganz ruhig bleiben. Das kriegen wir schon gemeinsam auf den Weg.

Meine Damen und Herren! Erstens muss gesagt werden: Es ist nicht nur für Kreistagsmitglieder schwierig. Auch die anderen ehrenamtlich Tätigen in den vielen Bereichen müssen teilweise stundenlang unterwegs sein, um ihre Aufgaben überhaupt wahrnehmen zu können.

Zweitens. Wer garantiert - das ist das, was ich eigentlich ansprechen will - die Entwicklung der Oberzentren Magdeburg und Halle, wenn sich die vier Kreise, die sich ringsum befinden, einig sind, Herr Bischoff? Dann heißt es vielleicht: Warum müssen wir eigentlich einen Zuschuss für das Theater in Magdeburg zahlen?

Ich bin selbst Mitglied eines Kreistages und weiß, wie schnell es geht, dass, wenn sich einige zusammenschließen, die Kreisstadt ausgebremst wird und am Rande steht. Meine Damen und Herren! Schon aus diesem Grund - das kann ich Ihnen sagen - wird das nicht funktionieren. Die großen Städte werden bei der Umsetzung Ihrer Vorstellungen die Verlierer sein und die anderen nicht die Gewinner. Es gibt keinen Gewinner in diesem System.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Herrn Bi- schoff, SPD)

Aber wir werden uns das nachher sicherlich noch anhören. Allerdings gibt es von Ihnen zu diesem Thema bisher nur Presseerklärungen. Wir haben von Ihnen noch nicht gehört, wie der Zuschnitt einmal aussehen soll. Aber das wird vielleicht demnächst vorliegen.

(Herr Bullerjahn, SPD: Ablesen!)

Eines möchte ich noch sagen - Frau Fischer, Sie lächeln so nett -: Stellen Sie sich einmal vor, wir hätten vor zwei Jahren das umgesetzt, was Sie und Ihr damaliger Innenminister berechtigterweise immer gefordert haben, nämlich das Leitbild Ihres ehemaligen Innenministers. Das war - ich sage es einmal so - die „heilige Kuh“. Das ging, so denke ich, in die richtige Richtung.

(Frau Dr. Kuppe, SPD: Das sagen Sie jetzt!)

Vor zwei Jahren galt das alles noch. Jetzt - es ist anderthalb Jahre her - ist das alles Schall und Rauch. Denken Sie kurz darüber nach, meine Damen und Herren, dann kommen wir auch einen Schritt weiter.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Frau Bud- de, SPD)

Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang der Grundsatz einer landesweit homogenen Entwicklung, die in mehreren Vorgaben ihren Ausdruck findet, zum Beispiel in der Einwohnerzahl- und Flächenhöchstbegrenzung. Damit wird sichergestellt, dass die gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben, die ein Landkreis in diesem Land zu erledigen hat, im Rahmen dieser neuen Struktur erfüllt werden können.

Meine Damen und Herren! Was die Landkreise, die Obergrenzen und vieles andere mehr, betrifft, bin ich mir 100-prozentig sicher, dass die Fraktionen der CDU und der FDP mit dem Arbeitskreis Inneres und dem Innenminister an der Spitze ein entsprechendes Leitbild hinsichtlich der Kreisgröße und der Zuschnitte erarbeiten werden.

Eine letzte Anmerkung, weil die rote Lampe leuchtet. - Meine Damen und Herren! Wir wollen mit diesem Grundsätzegesetz den Rahmen setzen. Wir haben, wenn man es bildlich ausdrückt, das Passepartout geschaffen. Jetzt muss in dieses Passepartout das Bild von Sachsen-Anhalt hinein.

Dabei lassen wir uns jetzt von diesen Grundsätzen leiten. Es sind Spielräume vorhanden, die einerseits das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung garantieren, die andererseits aber auch, wenn es auf freiwilliger Basis nicht zu erreichen ist, dem Gesetzgeber die Möglichkeit geben zu reagieren. Wir können das nicht dem Selbstlauf überlassen. Es muss am Ende auch die Möglichkeit bestehen, dass wir gesetzgeberisch eingreifen.

Am Schluss muss es ein Land Sachsen-Anhalt mit seinen Städten und seinen wunderschönen neuen Landkreisen sein, in dem sich jeder wiederfindet. Das heißt auch, dass jemand wie ich, der südlich von Magdeburg geboren und aufgewachsen ist, nicht am Ende zum Vorharz gehört, meine Damen und Herren; denn ich gehöre in die Börde. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister Daehre. Möchten Sie eine Frage von Herrn Gallert beantworten?

Ja, selbstverständlich.

Bitte, Herr Gallert.

Hinsichtlich Ihrer letzten Befürchtung kann ich Sie beruhigen; nach unseren Vorstellungen würden Sie dann zu Magdeburg gehören. Das war aber nicht der Grund für meine Wortmeldung.

Herr Daehre, erklären Sie mir bitte noch einmal die Sache mit den Zweckverbänden. Im Gesetzentwurf steht:

„Die in der Anlage benannten Gemeinden sollen einen Zweckverband bilden. Diesem ist die vorbereitende Bauleitplanung (Flächennutzungsplan) zu übertragen. Die Übertragung weiterer Aufgaben ist anzustreben.“

An dieser Stelle habe ich folgendes Problem: Diese Zweckverbände sollen - wenn ich es richtig verstehe - dazu da sein, die in § 1 benannten Ziele zur Regelung der Stadt-Umland-Verhältnisse umzusetzen. Dazu zählt aber ausdrücklich mehr als zum Beispiel die Flächennutzungsplanung. Ich erwähne nur einmal den ÖPNV; denn die Pendlerströme sind auch ein Kriterium.

Jetzt frage ich Sie: Wie sollen diese Zweckverbände Probleme neben der Flächennutzungsplanung, die im Stadt-Umland-Verhältnis nun einmal existieren, lösen?

Müssen alle Mitglieder einstimmig dafür sein, einen zusätzlichen Aufgabenbereich zu übernehmen, der normalerweise von dem Kreis oder von dem Oberzentrum organisiert wird? Oder wird es Mehrheitsbeschlüsse geben? Oder legt das Raumordnungsministerium fest, welche weiteren Aufgaben möglicherweise dort erledigt werden sollen? Wie soll dieser Zweckverband jenseits der Flächennutzungsplanung funktionieren?

Zunächst müssen wir zwischen der Flächennutzungsplanung und der Bauleitplanung unterscheiden. Wir sprechen jetzt über die Flächennutzungsplanung. Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass die Bauleitplanung letztlich bei den Kommunen bleibt.

Die Flächennutzungsplanung muss, wie ich vorhin bereits sagte, ohnehin alle 15 Jahre überarbeitet werden. Wir sind jetzt soweit, dass die Flächennutzungspläne neu aufgestellt werden. Wir hätten damit erstmalig die sicherlich einmalige Chance, dass die Flächennutzungspläne mit dem Verflechtungsraum, mit dem sich Verflechtungsbeziehungen ergeben haben, abgestimmt werden. Das ist jedenfalls unser Ansatz. Davon möchten wir ausgehen.

Jetzt kommt natürlich die Frage: Welche zusätzlichen Aufgaben kann ich diesem Zweckverband übertragen? Wir haben Zweckverbände, über die niemand spricht, zum Beispiel den Mitteldeutschen Verkehrsverbund. Der Mitteldeutsche Verkehrsverbund, der sich praktisch von Leipzig bis Weißenfels, also über eine riesengroße Fläche erstreckt, funktioniert. Es ist demnach zu überlegen, inwieweit wir diesen Verbänden neben der Flächennutzungsplanung weitere Aufgaben übertragen können.

Allerdings gebe ich Ihnen in einem Punkt Recht: Wir müssen zwischen den Zweckverbänden unterscheiden, die rein kommunale Aufgaben, und denen, die kreisliche Aufgaben wahrnehmen. Das muss geregelt werden. Dann kommen wir auch zu anderen Aufgaben, etwa zur Abfallentsorgung, zum ÖPNV und weiteren Angelegenheiten, die wir in diese Verflechtungsbeziehungen einordnen können.

Ein weiterer Punkt ist das Stimmenverhältnis. Es kann natürlich nicht sein, dass wir ein Vetorecht einführen, sodass eine Aufgabe nicht übertragen werden kann, wenn einer sagt, er macht nicht mit, obwohl sich 99 % einig sind. Vielmehr muss ein Mehrheitsprinzip gelten, sonst geht die ganze Sache nicht auf.

Ich denke, wir alle haben verstanden, dass die Wechselbeziehung zwischen einem Oberzentrum und den umliegenden Gebieten nur aufgrund einer vernünftigen Organisation funktionieren kann. Ich hatte das Beispiel vorhin kurz einfließen lassen: Sie können in einem bestimmten Bereich von Sachsen-Anhalt noch so sehr engagierte Bürgermeister haben - wenn Sie 100 km von einem Oberzentrum entfernt sind und keine Autobahn und keine entsprechende Infrastruktur existiert, bewegt sich nichts. Das, denke ich, muss man mit Vernunft regeln. Zunächst wird es die freiwillige Phase geben, dann folgt das andere.

Ein letzter Punkt, die Majorisierung. Ich darf folgendes Beispiel bringen: Frankfurt am Main hat 2,2 Millionen Einwohner.

(Herr Bullerjahn, SPD: Das ist ein Verdichtungs- raum! Das wissen Sie genauso gut wie ich!)

- Herr Bullerjahn, schauen Sie sich die Karte von Frankfurt am Main an, dann sehen Sie, wie weit dieser Verflechtungsraum reicht. Dort sind auch ganz kleine Orte mit dabei. Es sind 75 Mitglieder. Davon hat Frankfurt am Main selbstverständlich nicht 36 Stimmen, sodass es alles überstimmen könnte; vielmehr fallen auf Frankfurt am Main, wenn ich das richtig sehe, zwölf Stimmen und es ist eine Abstufung dabei. Aber die Majorisierung ist nicht möglich.

Der Wille ist vorhanden, dass man sagt, es müsste funktionieren. Das, so denke ich, ist auszuformulieren. Wir wollen uns von diesen Grundzügen leiten lassen und dies so machen.

Herr Gallert, ich habe in den letzten Wochen Gespräche geführt, die sich vielleicht nicht in der Presse niedergeschlagen haben. Wenn Sie mit den Bürgermeistern von Einheitsgemeinden, wenn Sie mit dem Bürgermeister von Schönebeck sprechen, dann sehen Sie schon, dass eine Zustimmung da ist. Die Bürgermeister sagen: Jawohl, wir könnten uns in diesen Zweckverbänden wiederfinden.