Protokoll der Sitzung vom 19.07.2002

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Direktbeihilfen wurden als Ausgleich für die Preissenkungen bei den landwirtschaftlichen Produkten eingeführt und natürlich auch, um den landwirtschaftlichen Betrieben die Weiterexistenz bei niedrigem Preisniveau zu ermöglichen, auch wenn sich die Produktionskosten, wie etwa die Kosten für Diesel, für Maschinen und für Düngemittel, sowie die Lebenshaltungskosten für die bäuerlichen Familien nicht entsprechend nach unten anpassen.

Dabei mag bei manchem in Brüssel die Vorstellung herrschen, dass von einem landwirtschaftlichen Betrieb ja nur eine Familie - und sei sie noch so groß - existieren müsse und dass dafür 300 000 € durchaus ausreichend seien. Das ist ein Trugschluss. Im ländlichen Raum zählen die landwirtschaftlichen Betriebe zu den Hauptarbeitgebern. Das heißt, dass auch die Arbeitplätze der Mitarbeiter berücksichtigt werden müssen.

Es ist ebenfalls nicht zu verstehen, dass die Beihilfen nun angeblich von der Produktion entkoppelt werden, während gleichzeitig aber die verbindlichen Flächenstill

legungen von 10 % der Gesamtfläche beibehalten werden sollen. Das eine passt nicht zum anderen.

Mit der Roggenintervention ist es das Gleiche. Betroffen sind in erster Linie die ost- und norddeutschen Produzenten, da hier die leichteren Standorte vertreten sind. Reif- und Hartweizenanbau hingegen soll, wenn auch in veränderter Form, weiterhin gefördert werden.

Mir drängt sich dabei der Verdacht auf, dass die ostdeutsche Landwirtschaft als Modell und als Sparbüchse der EU für die Osterweiterung benutzt werden soll. Der Bördestorch könnte sozusagen zum EU-Sparschwein mutieren.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die jetzt angekündigte Reform ist uns zur Halbzeit der Agenda 2000 präsentiert worden. Sie erscheint auch erst halb ausgegoren. Sie bleibt die Antwort auf die Anforderungen einer Osterweiterung schuldig und sie benachteiligt die Bauern Ostdeutschlands auf gravierende Weise. Die genauen Auswirkungen auf Sachsen-Anhalt müssen schnellstmöglich erfasst werden und es müssen erhebliche Nachbesserungen bewirkt werden. Ich bitte Sie daher, unserem Antrag zuzustimmen.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Wybrands. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Oleikiewitz zur Einbringung des Antrages seiner Fraktion. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die EU-Agrarpolitik und speziell die Diskussion um Obergrenzen, um Modulation, um Degression von Ausgleichszahlungen haben im Landtag in der Vergangenheit eine wichtige Rolle gespielt und tun dies, wie wir gemerkt haben, auch heute noch. Dabei ist hier im Hause und in den Ausschüssen eigentlich immer ein relativ großer Konsens erreicht worden. Ich bin überzeugt davon, dass dies auch heute in diesem speziellen Fall, bei diesen beiden Anträgen der Fall sein wird.

Aus aktuellem Anlass, der Veröffentlichung der Reformvorschläge von Herrn Fischler, tun wir als Landesparlament von Sachsen-Anhalt gut daran, den Plänen, die uns hier ins Haus zu stehen drohen, eine klare Absage zu erteilen.

Ausgleichszahlungen für landwirtschaftliche Betriebe haben in erster Linie das Ziel, den Landwirten eine Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand zu sichern. Daneben spielen natürlich auch noch andere Aspekte eine Rolle, wie die Erhaltung der Kulturlandschaft.

Bisher ist weder mir noch den betroffenen Landwirten klar geworden, wieso nun ausgerechnet bei 300 000 € eine Kappung der Ausgleichszahlungen vorgenommen werden soll. Das ist weder unter sozialen noch unter ökonomischen, geschweige denn unter ökologischen Gesichtspunkten zu erklären.

Allerdings ist die Stoßrichtung schon relativ klar. Wer die Äußerungen von Herrn Fischler zur zukünftigen Struktur der europäischen Landwirtschaft in der Vergangenheit verfolgt hat, erkennt die Absicht, mit diesem Vorschlag insbesondere die ostdeutschen Agrarunternehmen zu treffen. Nicht anders ist das wörtliche Zitat aus seinem Umfeld zur verstehen. Ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis,

Herr Präsident: „Dass dies den ostdeutschen Agrarbetrieben nicht gefällt, liegt ja wohl auf der Hand.“

Die Unsinnigkeit der Behauptung, dass durch die Kappung Kostenvorteile größerer Unternehmen ausgeglichen werden sollen, ergibt sich allein aus der Höhe der Kappungsgrenze. Umfangreiche Untersuchungen von Wendt und Schleitz auf der Basis von Daten des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft haben ergeben, dass eine Kostendegression hauptsächlich bei einer Flächenausstattung von 100 bis 500 ha auftritt. Unterhalb dieser Flächenausstattung ist Lohnarbeit günstiger als das Vorhalten eigener Maschinen. Oberhalb von 500 ha sind die wesentlichen Maschinen eines landwirtschaftlichen Unternehmens ausgelastet, wodurch natürlich geringere Grenzkosten nur noch bei Spezialmaschinen auftreten.

Es ist also nicht zu akzeptieren, wenn die Einführung einer Obergrenze bei 300 000 € durch geringere Kosten der größeren Unternehmen begründet wird. Außerdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass drei Produktionsfaktoren, nämlich Boden, Arbeit und Kapital, anteilmäßig aus den Ausgleichszahlungen zu entlohnen sind. Dass sich die Obergrenzen nicht mit ökologischen Wirkungen begründen lassen, dürfte in diesem Falle außer Frage stehen.

Es lässt sich also feststellen, dass die vorgeschlagenen Obergrenzen fachlich unsinnig und durch nichts zu begründen sind. Wenn die Europäische Union mit den Ausgleichszahlungen Sozialpolitik betreiben will, dann sollte sie das mit direkten Instrumenten tun und nicht durch eine politisch motivierte Tabula rasa.

Ich erspare mir weitere Ausführungen. Ich möchte nur noch betonen, dass die beiden Anträge im Prinzip das Gleiche oder dasselbe wollen. Deswegen schlage ich vor, dass wir die beiden Anträge zusammenfassen. Ich möchte vorschlagen, dass der erste Satz unseres Antrages Ihrem Antrag vorangestellt wird und wir dann im Übrigen über die Anträge zusammen abstimmen. Wenn Sie das auch so sehen, würde ich um Zustimmung bitten. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Danke schön, Herr Oleikiewitz. - Die Debatte wird mit einem Beitrag seitens der Landesregierung eröffnet. Es spricht Frau Ministerin Wernicke.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Anträge der Fraktionen der CDU und der FDP sowie der Antrag der SPD-Fraktion beziehen sich auf die gerade vorgelegten Vorschläge des EU-Agrarkommissars Fischler zur Agenda 2000.

Vielleicht noch einmal kurz zur Erinnerung: Darin hat die EU die Grundsätze der gemeinsamen Agrarpolitik für die Jahre 2000 bis 2006 festgelegt. Die Agenda 2000 wurde im November 1999 von den Regierungschefs in Berlin beschlossen. Bereits damals wurde eine Halbzeitbewertung verabredet, was auch durchaus sinnvoll ist, um notwendige Feinabstimmungen zu ermöglichen und die Grundlage für die Zeit nach 2006 zu legen.

Aber eine gravierende Politikveränderung, wie sie die Kommission jetzt anzustreben scheint, wurde zum einen

nicht vereinbart und kann zum anderen im Rahmen einer Halbzeitbilanz so nicht erfolgen. Die Vorschläge sind - das sage ich gleich einleitend; ich habe das auch bereits gegenüber der Öffentlichkeit deutlich gemacht - so nicht akzeptabel.

Ich hätte mir in der ersten Kommentierung eine solche Unterstützung der deutschen Landwirtschaft durch den sozialdemokratischen Bundeskanzler Schröder gewünscht, wie sie den französischen Bauern durch den konservativen Präsidenten Chirac ganz selbstverständlich zuteil wird.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Czeke, PDS)

Aber ich sage, auch im Rahmen einer differenzierten Bewertung, dass die Vorschläge dann in die richtige Richtung gehen, wenn sie mit einer Verwaltungsvereinfachung und Entbürokratisierung einhergehen. Deswegen begrüße ich durchaus das Bemühen, Flächen- und Tierprämien zusammenzufassen.

Auch zu begrüßen ist, dass sich der Agrarkommissar grundsätzlich für die Beibehaltung der Direktzahlungen ausgesprochen hat. Denn ohne Direktzahlungen - das wissen wir alle - kann eine multifunktionale Landwirtschaft mit all ihren Aufgaben weder in Europa noch in Deutschland bestehen. Die Landwirtschaft in einem Industrieland bringt nicht nur im Rahmen der Nahrungs- und Rohstoffproduktion ihre Leistungen, sondern sie erbringt vielfältige Leistungen für die Gesellschaft in der Fläche. Diese können allein vom Markt, wie immer so schön behauptet wird, nicht abgegolten werden.

Es wurde schon genannt, dass die Kappungsgrenze von 300 000 € pro Betrieb bei den Direktzahlungen besonders kritisch zu sehen ist. Es ist tatsächlich, wie Herr Oleikiewitz sagte, eine undifferenzierte Kappungsgrenze, die nicht zu begründen ist.

Auf die Bauern kommt weiterhin eine so genannte Modulation mit einer weiteren automatischen Absenkung der Direktzahlungen um jährlich 3 % zu. In der Endstufe im Jahr 2010 sind das wieder 20 % Einkommensverlust für die Bauern. Und dazu der Verzicht auf die Roggenintervention - auch diese wurde bereits genannt - ohne Handlungsalternativen insbesondere für schwache Standorte, die wir durchaus auch in Sachsen-Anhalt vorzuweisen haben.

Nach den verfügbaren Daten sind allein in SachsenAnhalt - ich habe immer gesagt, 300 Betriebe - nach konkretem Zusammenrechnen 290 Betriebe mit einer Summe von etwa 80 Millionen € von der Kappung betroffen. Selbst wenn man die von Frau Wybrands bereits erwähnten so genannten Freibeträge bei der Beschäftigung von Arbeitskräften absetzt, bewirken diese nur einen so genannten Vorteil von ca. 22 Millionen €. Bei der Umsetzung dieser Reform droht den sachsenanhaltischen landwirtschaftlichen Betrieben insgesamt ein Verlust von etwa 54 Millionen €.

Eine Anpassung der betriebswirtschaftlichen Strukturen, zum Beispiel durch Teilung, was immer als möglich galt und theoretisch diskutiert wird, ist nicht vorgesehen bzw. würde bei der Festlegung von so genannten historischen Größen einen dauerhaften Transferverlust für die Betriebe nicht verhindern.

Frei werdende Mittel sollen im Mitgliedstaat verbleiben und für Maßnahmen der ländlichen Entwicklung verwendet werden. Das hört sich für Unkundige gut an, kommt

aber den betroffenen Betrieben eben nicht zugute. Das zieht auch Folgen für den Pacht- und Bodenmarkt nach sich. Unklarheiten bei Investitionen werden auftreten. Ich wiederhole noch einmal: Undifferenzierte Kappungsgrenzen sind abzulehnen.

Die Modulation, das heißt die Umschichtung von Finanzmitteln aus der ersten Säule in eine so genannte zweite Säule, die für Umwelt- und Entwicklungsmaßnahmen gedacht ist, lässt die Einkommen der landwirtschaftlichen Betriebe, wie ich bereits erwähnte, zusätzlich weiter sinken.

Die frei werdenden Mittel will die EU in ihrem Haushalt vereinnahmen, um diese Gelder nach noch festzulegenden Kriterien - also neue Aufgabenfelder, wie bereits genannt - europaweit wieder zu verwenden. Dabei wird sich das Problem der Kofinanzierung stellen; denn diese Mittel bekomme ich nicht wie die Direktbeihilfe, ohne komplementieren zu müssen. Wir haben gerade über unseren Haushalt diskutiert und wissen selbst, wie schwer es werden wird, zusätzliche Mittel mit Eigenmitteln aufzustocken.

Außerdem müssen für diese zweite Säule geeignete Vorhaben gefunden werden. Entgegen den pseudoromantischen Vorstellungen der Frau Ministerin Künast kann man eben nicht aus jeder Scheune ein Hofcafé und aus jedem Stall ein Heuhotel machen. Das wird nicht funktionieren.

Zusammenfassend: Soweit die Vorschläge eine Betriebsprämie anstelle der verwaltungsaufwendigen Prämie für alle möglichen Einzelprodukte beinhalten, begrüße ich sie. Soweit sie jedoch wie die Modulation zu weiterem Verwaltungsaufwand führen oder gar zu einer einseitigen Benachteiligung der sachsen-anhaltischen Betriebe, lehne ich sie ohne Wenn und Aber ab.

An dieser Stelle wird noch eine intensive und detaillierte Diskussion mit der Europäischen Kommission bis zur neuen Agenda notwendig sein. Die heutige Stellungnahme des Parlaments wird die Regierung oder die Frau Ministerin in ihren Verhandlungen unterstützen. Ich habe Herrn Fischler in einem Schreiben nach Sachsen-Anhalt eingeladen, um ihm die Verhältnisse der Betriebe vor Ort zu zeigen; denn es ist erstaunlich, dass Politiker, die auf europäischer Ebene agieren, diese neuen Strukturen als „postkommunistische Strukturen“ oder wie Frau Künast als „koloniales Ausmaß“ bezeichnen. Ich denke, an dieser Stelle muss man einiges gerade rücken.

Die Einladung an Herrn Fischler ist abgesandt. Ich hoffe, dass er diese Einladung annimmt, um sein eigenes Urteil fällen zu können.

Ich habe auch die Martin-Luther-Universität gebeten, die Vorschläge von Herrn Fischler zu analysieren und uns für die Entwicklung von Gegenstrategien mit Argumenten auszustatten. Denn Kritik üben ist das eine; aber auch Gegenvorschläge oder die notwendigen Argumente anführen zu können ist das andere.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vom Agrarrat, der am Montag in Brüssel zusammengetreten ist, wird berichtet, dass die Kommission - ich bitte Sie, das aufmerksam zu vernehmen - mit ihren Vorschlägen auf die Unterstützung von Dänemark - das ist nachzulesen - und von weiteren vier Delegationen, nämlich Holland, Großbritannien, Schweden und Deutschland, zählen könne. Das ist eine eindeutige Aussage von Frau Ministerin Künast in dieser Runde.

Ich frage mich schon, was die vollmundigen Erklärungen des Bundeskanzlers zur Chefsache Ostdeutschland wert sind, wenn seine eigene Ministerin daherkommt und die ostdeutsche Landwirtschaft im Regen stehen lässt. Das ist keine Politik, auf die man sich verlassen kann und die für die Landwirte Planungssicherheit bedeutet. Ich denke, mit der Unterstützung dieses Parlaments wird es gelingen, dass diese Vorschläge nicht beschlussfähig werden. - Danke schön.

(Zustimmung bei der CDU, bei der PDS und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Für die PDS-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Czeke. Ich bitte die Fraktionen darum, in der Zwischenzeit zu prüfen, wie sie mit dem Vorschlag der SPD-Fraktion hinsichtlich der Zusammenlegung der Anträge umgehen wollen, damit es bei der Abstimmung leichter wird.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Wernicke, bei Ihnen kann ich mich nur bedanken. Sie sind die Fachministerin, die als Erste spricht und nicht anschließend die Debatte noch einmal eröffnet. Außerdem konnten wir Ihre Rede vorab seit gestern einmal studieren. Das finde ich auch ganz Klasse.

Ich möchte feststellen, dass die Fischler-Pläne eine Förderwillkür sondergleichen sind und eigentlich einen Akt der ökonomischen und politischen Unvernunft darstellen; sie sind eigentlich ein Fall für den Bund der Steuerzahler.

Diese Förderwillkür richtet sich eindeutig gegen den Grundsatz, dass landwirtschaftliche Einkommen tatsächlich am Markt erarbeitet werden sollen. Wir stellen aber als praktizierende Landwirte fest, dass wir von Jahr zu Jahr immer mehr zu Abhängigen der europäischen Hierarchie werden. Der Fleiß und das Können der Landwirte werden infrage gestellt. Beides macht am Einkommen nur noch ungefähr 40 % aus. 60 % - das haben meine Vorredner deutlich und richtig gesagt - werden über Ausgleichszahlungen und Ähnliches verdient.

Es sind nicht hinnehmbare Wettbewerbsverzerrungen zu unseren Lasten, zulasten der neuen Bundesländer. Wenn ich den Fischler-Ausspruch - Frau Wernicke hat eben von postkommunistischen Strukturen gesprochen - Revue passieren lasse, dann stelle ich fest: Solche Ausdrücke sind in den Anfangsjahren, gleich nach der politischen Wende geprägt worden. Wir als Betriebsleiter der Nachfolgeorganisationen der LPG wurden als „rote Barone“ verschrien. Ich muss sagen, mittlerweile kann ich auf diesen Titel stolz sein.

Ich würde aber sagen: Der Kollege Radke wird sich garantiert nicht von Herrn Fischler als einen „Hüter von postkommunistischen Strukturen“ bezeichnen lassen, nur weil er einen 500 ha großen Betrieb bewirtschaftet. Ich sage einmal: Das zeugt davon, dass die Europäische Union groß ist und - in Abwandlung eines anderen Sprichwortes - Brüssel sehr, sehr weit weg ist. Das zeugt davon, wie viel Ahnung Herr Fischler hat.