Protokoll der Sitzung vom 08.07.2005

Meine Damen und Herren! Auf der strukturpolitischen Konferenz, die unsere Fraktion vor kurzem durchgeführt hat, haben es uns die Fachleute und Wissenschaftler ganz deutlich gesagt: Die demografische Entwicklung ist nicht aufzuhalten, wahrscheinlich nicht einmal zu stoppen, allenfalls in ihren Auswirkungen abzubremsen. Wir wissen unter anderem aus der Studie von Frau Professor Dienel: Nicht einmal die beste staatliche Kinderbetreuung in Deutschland hält die jungen Menschen, insbesondere die jungen Frauen in unserem Land.

Es ist eine Vielzahl von Faktoren, die zur Abwanderung führen. Besonders betroffen von dieser Ausdünnung ist nun einmal der ländliche Raum mit seinen kleinen Gemeinden und Dörfern, eine Ausdünnung - das wurde bereits gesagt -, die nicht nur die Anzahl der Einwohner betrifft, sondern alle Lebensbereiche, ja das gesamte soziale und kulturelle Umfeld und jeden Bereich der Infrastruktur und des öffentlichen Lebens erfasst.

Wir als Land werden die Globalisierung der Wirtschaft und der Finanzmärkte nicht aufhalten. Gegen die weltweite Verknappung und Verteuerung der Ressourcen und gegen den Trend einer immer älter werdenden Bevölkerung können wir nichts, aber auch gar nichts tun. Trotzdem sage ich: Deutschland und insbesondere Sachsen-Anhalt muss weiter ein Land bleiben, in dem es sich zu arbeiten und zu leben lohnt, in dem es sich lohnt, seinen Kindern eine Perspektive aufzuzeigen.

(Beifall bei der CDU)

Weil das Thema doch sehr komplex ist, möchte ich nur einige wenige Konsequenzen aufzeigen, die wir in der

Politik umzusetzen haben, wenn wir die vor uns liegenden Aufgaben lösen wollen.

Das Selbstverständnis der Raumordnung muss sich ändern. Zu den Aufgaben der Ausgewogenheit zwischen Ordnungs-, Ausgleichs- und Entwicklungsauftrag kommt der Auftrag der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Das heißt, es sind Mindeststandards zu setzen und es sind zumutbare Erreichbarkeiten zu definieren.

Die Abwägung von konkurrierenden Nutzungsansprüchen an den Raum muss die Kernkompetenz der Raumordnung bleiben. Das Folgende sage ich ganz bewusst, weil ich im Bereich der Umwelt tätig bin: Der Entstehung von umweltplanerischen Parallelwelten ist aktiv zu begegnen.

Die bekannten Eckpunkte der Raumordnung als Beitrag zu Wachstum, zur Sicherung der Daseinsvorsorge, als Management der räumlichen Ressourcen und der europäischen Integration sind zu erweitern. Aufgaben und nicht mehr Raumkategorien oder Raumtypen stehen im Vordergrund. Wachstum und Ausgleich müssen Gegenstand aller Leitbilder sein. Der Beitrag zum Wachstum muss so aussehen, dass nicht Starke gestärkt, sondern Stärken gestärkt werden.

(Beifall bei der CDU)

Ihre Stärken findet jede Region für sich selbst heraus. Dazu können unter anderem die integrierten ländlichen Entwicklungskonzepte beitragen. Die mit nur noch 43 Einwohnern pro Quadratkilometer dünn besiedelte Altmark ist hier durchaus vorbildlich aufgestellt und zeigt, was einige Regionen in unserem Land, wie zum Beispiel der Raum Aschersleben, noch vor sich haben.

Auch hierbei heißt es, voneinander zu lernen und die beste Praxis in Allgemeingut zu überführen. Alle Kräfte einer Region müssen gebündelt und vernetzt werden. Die gemeinsame Verantwortung muss erkannt und im gemeinsamen Interesse umgesetzt werden.

Wir haben dieses Prinzip „Konzentration in der Fläche durch Stärkung zentraler Orte“ genannt. Konzentrations- und Bündelungsprozesse sollen in der Fläche, aber nicht aus der Fläche heraus vollzogen werden. Eine ausgewogene Landesentwicklung kann nur durch ein Zusammenwirken des ländlichen Raumes mit den zentralen Orten, den großen Städten erreicht werden, nicht aber durch eine einseitige Fixierung auf nur wenige Regionen.

(Beifall bei der CDU)

Die Ausprägung von Wertschöpfungsketten muss auch im ländlichen Raum möglich bleiben. Die von der Landwirtschaft dazu ausgehenden Impulse werden zukünftig noch an Kraft gewinnen und müssen daher gestärkt werden. Ich meine vor allem den Aufbau von regionalen Wertschöpfungsketten unter Berücksichtigung der Realisierung von alternativen Einkommensquellen wie der Biomasse, regenerativer Energiequellen, aber auch der Verarbeitung, Veredelung und Direktvermarktung von landwirtschaftlichen Produkten.

Herr Kollege Krause sagte es bereits: Hier wurden in der Vergangenheit Arbeitsplätze geschaffen. Hier ergeben sich auch weiterhin interessante und viel versprechende wirtschaftliche Perspektiven.

Meine Damen und Herren! Es wird uns zunehmend schwerer fallen, die Daseinsvorsorge zu sichern. Jeder merkt jetzt schon, dass ohne Wirtschaftswachstum

und bei leeren öffentlichen Kassen nicht mehr viel läuft. Sollten die aktuellen Vorstellungen der Europäischen Kommission zur Finanzierung des operationellen Programms in der nächsten Förderperiode tatsächlich Wirklichkeit werden, werden unserem Land in den kommenden Jahren wahrscheinlich 20 % weniger Mittel der EU für die Strukturentwicklung zur Verfügung stehen. Bei ca. 3,5 Milliarden € in der laufenden Förderperiode wären dies mindestens 700 Millionen € weniger - 700 Millionen €!

Auch vom Bund können wir bei dem momentanen strukturellen Defizit von ca. 50 Milliarden € jährlich keinen Zuwachs an finanziellen Mitteln erwarten. Damit müssen wir umgehen. Das heißt, alle Transfers und Subventionen kommen nochmals auf den Prüfstand.

Ein Beispiel ist die Pendlerpauschale. In den neuen Bundesländern und gerade auch in Sachsen-Anhalt haben sich viele Arbeitnehmer auf weite Anfahrtwege zur Arbeit eingestellt. Unsere Bürger sind nicht träge, sie sind mobil und stehen früher auf.

(Beifall bei der CDU)

Sollte nun die Pendlerpauschale völlig wegfallen, werden auch diese Bürger, Steuerzahler und Konsumenten unser Land verlassen. Deshalb muss es weiterhin einen Ausgleich für diejenigen geben, die längere Wege zur Arbeit in Kauf nehmen und nicht abwandern.

(Zuruf von der CDU: Sehr richtig!)

Ob in dieser Hinsicht alles beim Alten bleiben kann oder zum Beispiel nach Entfernungen gestaffelt wird, ist zunächst nebensächlich. Die völlige Abschaffung der Pendlerpauschale wäre allerdings ein sehr schlechtes Signal an die neuen Bundesländer und insbesondere an die Arbeitnehmer und Familienversorger im ländlichen Raum.

(Beifall bei der CDU)

Schließlich muss bei der Problematik des ländlichen Raumes eine weitere Aufgabe angesprochen werden - ich bin meinen Vorrednern dankbar dafür, dass sie diese mittragen wollen -: der notwendige integrative, also ressortübergreifende Ansatz für Problemlösungen, den wir zukünftig angesichts der finanziellen Lage noch viel stärker in die Praxis umsetzen müssen.

(Zustimmung von Frau Wybrands, CDU)

Der ländliche Raum ist eine Einheit. In dieser Einheit müssen die Bereiche Raumordnung, Stadtentwicklung, Wirtschaftsförderung sowie Umwelt-, Sozial- und Bildungspolitik ineinander greifen, sich gegenseitig ergänzen und bestenfalls sogar potenzieren.

(Zustimmung von Herrn Czeke, PDS)

Mit diesem Ansatz können wir trotz der Verknappung aller Ressourcen, insbesondere des Geldes, immer noch eine so große Hebelwirkung erreichen, dass sich etwas bewegt. Daher ist die Bündelung aller Unterstützungen für den ländlichen Raum in einem ländlichen Entwicklungsfonds genau der Schritt in die richtige Richtung. Dies hat die Europäische Kommission erkannt und das wird auch in Sachsen-Anhalt zum Erfolg führen.

Die drei Ansätze der zukünftigen Förderpolitik, der regionale Ansatz, der integrierte Ansatz und der Bottom-upAnsatz, sind in der Antwort auf die Große Anfrage bereits ausführlich dargelegt worden.

Ich möchte abschließend dazu ergänzen, dass uns kürzlich bei einem Besuch in Brüssel bei der DG Regio sehr deutlich gemacht wurde, wie genau beobachtet wird, was zur Vorbereitung der neuen Förderperiode getan wird. Unser Land ist dabei gut aufgestellt und hat mit den durchgeführten Regionalkonferenzen den Bottomup-Ansatz aus der Sicht der Europäischen Kommission in vorbildhafter Weise umgesetzt.

Auf diesem eingeschlagenen Weg müssen wir nun konsequent bleiben. Wir entwickeln den ländlichen Raum weiter, darin bin ich mir ganz sicher. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Stadelmann. - Das Schlusswort steht den Fragestellern zu. Ich erteile noch einmal Herrn Oleikiewitz das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich nicht vor, noch einmal zu reden. Im Interesse der Zeit fasse ich mich kurz. Ich habe mir während der Reden, die hier gehalten worden sind, einige Stichpunkte aufgeschrieben.

Bei dem letzten Redner fiel das Wort „Endzeitstimmung“. Ich weiß nicht, wen er gemeint hat, als er von denen sprach, die hier Endzeitstimmung verbreiten. Das, was wir tun, ist, rechtzeitig auf die Probleme hinzuweisen, die im Land aktuell sind.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der PDS)

Es bedarf schneller Lösungen, um den Problemen, die in den ländlichen Räumen gegenwärtig zu beobachten sind, zu begegnen. Ich denke, das ist keine Endzeitstimmung; das ist ein Reagieren auf aktuelle Ereignisse zur rechten Zeit.

Die Zeit wird knapp, das ist richtig. Deswegen hätten wir uns gewünscht, dass Sie, meine Herren und Damen, als Sie den Landesentwicklungsplan in den Landtag eingebracht haben, schon bei dieser Novellierung das Thema der zentralen Orte angesprochen hätten.

(Minister Herr Dr. Daehre: Ja, ja!)

Das haben Sie nicht getan. Sie haben eine Novellierung des Zentrale-Orte-Systems auf unbestimmte Zeit verschoben.

(Zuruf von Frau Weiß, CDU)

Wir werden darauf reagieren. Im Herbst dieses Jahres werden wir einen eigenen Gesetzentwurf einbringen.

(Minister Herr Dr. Daehre: Aber gleich mit einem Vorschlag, wer Mittelzentrum bleibt!)

- Aber selbstredend, lieber Herr Minister. Wir werden das ganz ordentlich vorbereiten.

(Minister Herr Dr. Daehre: Oh! - Zuruf von Frau Weiß, CDU)

Zweiter Stichpunkt: Investitionserleichterungen. Frau Wernicke hat bereits mehrfach darauf hingewiesen: Ihr Streben ist es natürlich, die Wirtschaft im Land mit Investitionserleichterungsgesetzen, mit Entbürokratisierung anzukurbeln.

Wir haben in der letzten Debatte, als es um das Dritte Investitionserleichterungsgesetz ging, die Frage gestellt: Was ist denn bei den beiden anderen Investitionserleichterungsgesetzen herausgekommen? Wo sind denn die Arbeitsplätze geblieben? Wo ist denn in dieser Zeit Bürokratie abgebaut worden?

(Zustimmung von Herrn Bischoff, SPD)

Darauf wurde keine zufrieden stellende Antwort gegeben; jedenfalls habe ich keine zufrieden stellende Antwort auf diese Fragen gehört. Das ist sicher nachzuholen. Ich würde mich sehr freuen, wenn das demnächst passierte.