Protokoll der Sitzung vom 09.09.2005

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 64. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der vierten Wahlperiode. Dazu begrüße ich Sie, sehr verehrte Anwesende, auf das Herzlichste.

Ich kann mittlerweile die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses feststellen.

Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung zur Abwesenheit von Mitgliedern der Landesregierung. Über die Abwesenheit von Mitgliedern der Landesregierung am heutigen Sitzungstag wurden Sie bereits gestern informiert. Herr Minister Becker ist ganztägig entschuldigt. Herr Minister Dr. Daehre lässt sich ab 11 Uhr entschuldigen.

(Minister Herr Dr. Daehre: Ich habe die Entschul- digung zurückgezogen!)

- Jawohl, Herr Dr. Daehre hat die Entschuldigung zurückgezogen.

(Zurufe von der SPD und von der Linkspar- tei.PDS)

Meine Damen und Herren! Wir setzen nunmehr die 33. Sitzungsperiode fest und beginnen vereinbarungsgemäß mit dem Tagesordnungspunkt 2. Dann folgen die Tagesordnungspunkte 14 und 15. Den Tagesordnungspunkt 16 haben wir bereits gestern erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:

Aktuelle Debatte

Klarheit beim Verlauf der Kreisgebietsreform

Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS - Drs. 4/2371

In dieser Aktuellen Debatte beträgt die Redezeit je Fraktion zehn Minuten. Die Landesregierung hat ebenfalls eine Redezeit von zehn Minuten. Für die Debatte wird folgende Reihenfolge vorgeschlagen: Linkspartei.PDS, CDU, SPD und FDP. Zunächst hat der Antragsteller, die Linkspartei.PDS, das Wort. Ich erteile dem Fraktionsvorsitzenden Herrn Gallert das Wort. Bitte sehr, Herr Gallert.

(Herr Gürth, CDU: Jetzt sind wir aber einmal ge- spannt!)

Werte Kolleginnen und Kollegen! Werter Herr Präsident, ich hoffe, dass mit dem Tagesordnungspunkt in der Landtagssitzung fortgefahren wird und sie nicht festgefahren wird. Ich hoffe auf eine erhöhte Aufmerksamkeit. Ich sehe noch einige Lücken, nicht nur bei der Koalition - dort wäre es für mich vom Inhalt her begreiflich -, sondern auch in meiner Fraktion. Aber von uns stammt der Spruch von den Frühaufstehern auch nicht. Insofern mag man das vielleicht entschuldigen.

Der Landtag befasst sich heute auf Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS zum wiederholten Male mit dem Thema der Kreisneugliederung in Sachsen-Anhalt. Auch diesmal ist der Anlass, wie so oft in dieser Legislaturperiode, kein guter.

(Frau Bull, Linkspartei.PDS: So ist es!)

Zur Erinnerung will ich an dieser Stelle noch einmal unsere grundsätzlichen Alternativen für die Zukunft des Landes umreißen. Sie lauten ganz klar: die Umsetzung des zweistufigen Verwaltungsaufbaus im Land SachsenAnhalt bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode, die Neuorganisation in fünf Landkreise bis zum Jahr 2009, die Neugruppierung der Gemeinden in Einheitsgemeinden und in Verwaltungsgemeinschaften mit einer begrenzten Anzahl von Mitgliedsgemeinden, auf der Verwaltungsebene mit jeweils mindestens 10 000 Einwohnern.

Damit einher geht in unserem Konzept eine Funktionalreform, die darauf ausgerichtet ist, alle staatlichen Aufgaben, die in der Fläche vorzuhalten sind, zu kommunalisieren und dabei zu garantieren, dass all diejenigen Angelegenheiten, die der Bürger individuell mit dem Staat zu erledigen hat, in der Gemeindeverwaltung organisiert werden können.

Wir wissen jedoch, dass unser Konzept eines unter mehreren in diesem Land Sachsen-Anhalt ist, und haben uns damit auseinander zu setzen, dass die Koalition von CDU und FDP eine grundlegend andere Struktur umsetzen möchte, die zwar aus unserer Sicht nicht zukunftsfähig ist, aber möglicherweise in diesem Landtag mit einer Mehrheit versehen werden kann.

Aus diesem Grund haben wir uns darauf verständigt, uns beim Kommunalneugliederungsgesetz nicht der Diskussion zu verweigern, obwohl dieses zumindest teilweise auf der Basis des von uns abgelehnten Grundsätzegesetzes geschrieben worden ist. Die drei zentralen Änderungsvorschläge hierzu will ich noch einmal nennen.

Erstens regen wir die Bildung eines Landkreises, bestehend aus der Stadt Halle, dem Saalkreis und dem Landkreis Querfurt-Merseburg, an. Zweitens wollen wir die Bildung eines Großkreises Anhalt, bestehend aus dem ehemaligen Regierungsbezirk Dessau ohne den Landkreis Bernburg. Drittens schlagen wir die Fusion der drei Harzkreise mit dem Altkreis Aschersleben vor, vorbehaltlich einer endgültigen Beschlussfassung in Auswertung des Bürgerentscheides in unserer Fraktion am 20. September.

Mit diesem Angebot tragen wir einer weit verbreiteten Stimmung im Land Rechnung, die nach einer fünfjährigen Diskussion über die Landkreisneuordnung entstanden ist und die Fähigkeit des Landes, jemals irgendeine Entscheidung zu treffen, generell infrage stellt. Wir sind mit der Situation konfrontiert, dass uns viele Menschen vor Ort sagen, eigentlich wäre dieses Thema seit einem Jahr erledigt, wenn es nicht die Aufhebung der Vorschaltgesetze durch die jetzige Landesregierung gegeben hätte.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung bei der SPD)

Dass es im Land berechtigte Zweifel an der Fähigkeit der Koalition gibt, diese Dinge umzusetzen, ist noch einmal bewiesen worden, als vor knapp 14 Tagen die CDU-Landtagsfraktion zu ihrer lange angekündigten endgültigen Befassung mit diesem Thema zusammenkam und dann überraschenderweise - oder für den einen oder anderen nicht mehr so überraschend - die Information kam: Das Ergebnis war null.

(Herr Tullner, CDU: Das stimmt aber nicht! - Herr Scharf, CDU: Seit wann nehmen Sie an unseren Sitzungen teil?)

Wie ist dieses „Hornberger Schießen“ nun eigentlich zu erklären? - Schauen wir uns diese Dinge vielleicht noch einmal etwas genauer an.

Am 16. Juni 2005 ist im Innenausschuss heiß darüber diskutiert worden, ob man den Zeitplan für die Kreisgebietsreform, also die Behandlung im Landtag, nicht noch einmal verschieben könnte. Die Abgeordneten von SPD und PDS haben im Innenausschuss darauf hingewiesen, dass es in einer Reihe von Gemeinden und Landkreisen vielleicht die Möglichkeit geben sollte, Bürgerentscheide und Bürgerbefragungen mit der Bundestagswahl am 18. September 2005 zu verknüpfen. Unter anderem hat Herr Rothe darauf hingewiesen, dass dies natürlich auch kostensparend wäre und dass sich dann ein höherer Anteil der Bevölkerung an einer solchen Entscheidung beteiligen würde.

Die Koalition hat in dieser Innenausschusssitzung ihren Zeitplan mit Klauen und Zähnen verteidigt. Sie können das nachlesen. Im Protokoll über die Sitzung am 16. Juni heißt es ganz klar: Das werden wir nicht tun; das ist nur ein Versuch, unseren Zeitplan auszuhebeln; das ist nur ein Versuch, diese Dinge weiter hinauszuschieben und in Zweifel zu bringen; wir werden uns davon nicht abbringen lassen.

Wer etwa einen Eindruck von der Diskussion gewinnen will, der müsste einmal in der entsprechenden Internetpräsentation der CDU-Landtagsfraktion die markigen Presseerklärungen von Herrn Kolze dazu lesen. Also: Wir wissen zwar inhaltlich nicht genau, was wir wollen, aber wir werden das im September auf jeden Fall beschließen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Das war die Konsequenz dieser Ausschusssitzung. Als dann der Kollege Rothe noch einmal versuchte, zumindest für den Bürgerentscheid in Vockerode und im Landkreis Aschersleben-Staßfurt Verständnis zu erreichen, hat ein Mitglied der FDP-Fraktion - man kann auch sagen, ein maßgebliches Mitglied - gemeint: Völlig unnötig, schließlich wisse man selbst, dass die Leute aus Falkenstein und Seeland in den Harz wollen, also keine Überraschung.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Was kam nach dieser Klausurtagung, nach dieser geheimnisvollen? Es kam eine Presseerklärung des Fraktionsvorsitzenden. Und was stand in dieser Presseerklärung des Fraktionsvorsitzenden: Man könne und wolle noch nicht abschließend beraten, weil es - siehe da - einen Bürgerentscheid im Landkreis Aschersleben-Staßfurt gegeben hat, und da wolle man doch jetzt noch Anhörungen realisieren.

Mein lieber Herr Scharf, als ich diese Pressemeldung gelesen habe, habe ich nach oben geguckt, um zu sehen, ob sich die Balken biegen. Zum Glück war eine Betondecke da.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Frau Bull, Linkspartei.PDS, lacht)

Man kann es auch anders sagen: Bei meinem letzten Besuch im Landkreis Aschersleben-Staßfurt in der letzten Woche bei der Landrätin hat sie, um mit Worten von Herrn Stoiber zu reden, einen ausgesprochen frustrierten Eindruck gemacht und dazu den Satz gesagt: Und wir müssen jetzt als Ausrede herhalten. - Eine sehr zutreffende Bemerkung.

Was ist nun aber eigentlich der Grund für die Unfähigkeit der Koalition, ihren eigenen, vorher so rabiat verteidigten Zeitplan einzuhalten? Die wohlmeinende These dazu ist, man wolle sich vor der Bundestagswahl keine unnötigen Feinde schaffen. Das könnte man verstehen

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

und etwas augenzwinkernd sagen: Solche Gedanken können einem hier und da kommen.

Ich sage aber ausdrücklich: Wir haben ein Problem, Herr Ministerpräsident. Nach der Bundestagswahl ist vor der Landtagswahl. Wenn man dieses Argument nun schon auf die Bundestagswahl anwendet, muss man feststellen, dass die Kreisneugliederung vor den Landtagswahlen natürlich einen viel größeren Raum in der öffentlichen Diskussion einnehmen wird. Wie will man die Kollegen Direktmandatsträger aus der CDU-Fraktion denn dann überzeugen, wenn es nun schon vor der Bundestagswahl nicht funktioniert? Das dürfte ein ausgesprochen schwieriges Problem sein.

Konsequenz dieser Argumentation: Wir werden es in der Legislaturperiode mit keiner Beschlussfassung mehr zu tun haben und die Koalition müsste die nächste Wahl abwarten. Aber danach existiert sie nicht mehr.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Also: Wir beginnen das Spiel von vorn. Nur, das eigentliche Problem liegt viel tiefer:

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Es gibt nach wie vor in der Koalition keine wirkliche Verständigung über die Grundzüge einer solchen Reform. Unser Problem ist heute also nicht, dass Sie ein anderes Konzept haben. Unser Problem ist heute, dass Sie überhaupt keines haben.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Dazu nur einmal einige Beispiele: Sie legen im Grundsätzegesetz eine Einwohnerzahl für die Zukunft fest. Dann kommt von derselben Landesregierung ein Kreisneugliederungsgesetz. Und siehe da, mit welchem Ergebnis? - Sage und schreibe sechs der elf vorgeschlagenen Kreise erfüllen diese Mindesteinwohnerzahl nicht.

(Zuruf von Herrn Schröder, CDU)

Nun sage ich einmal ausdrücklich: Ist das eine neue Situation? - Das ist sie eigentlich nicht. Das kennen wir alles. Im Jahr 1994 ist etwas Ähnliches passiert. Die Dinge haben allerdings eine inhaltliche Begründung. Die ist in sich logisch.

Natürlich kann ich in einer Partei, in der die Landräte einen außerordentlich hohen Stellenwert besitzen, eines relativ schlecht vermitteln: eine wenn auch bescheiden angelegte, so doch zumindest konsequente Gebietsreform, wenn ich eine Funktionalreform ausfallen lasse, die einen zweistufigen Verwaltungsaufbau herstellt. Ich kann relativ schlecht mit den eigenen Leuten darüber diskutieren, große Kreise haben zu müssen, wenn ich gleichzeitig ein Landesverwaltungsamt mit mehr als 2 000 Mitarbeitern habe.

(Lebhafter Beifall bei der Linkspartei.PDS)