Protokoll der Sitzung vom 09.09.2005

(Lebhafter Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das ist das Problem, vor dem Sie stehen. Das ist das konzeptionelle Problem, an dem dann auch die eigenen Reihen immer wieder scheitern.

Nahezu ein Tollhaus stellt jedoch die Entscheidungssituation bei der Frage der Kreisstädte dar. Insgesamt haben 35 CDU-Abgeordnete und neun FDP-Abgeordnete Änderungsanträge zu den Gesetzentwürfen unterschrieben. Interessanterweise enthält keiner der Änderungsanträge eine Änderung der Entscheidungskriterien. Zumindest bei den Kreisstädten wäre das jedes Mal nötig gewesen.

Ganz offensichtlich gibt es nicht einmal in der Koalition eine Mehrheit für die Grundsätze dieser Kreisgebietsreform und für die Grundsätze der Kreisstadtentscheidungen, so wie sie von der Landesregierung vorgelegt worden sind. Das ist einmal festzuhalten und bitte sehr Problem der Koalition und nicht unseres. Herr Ministerpräsident, da müssen Sie in Ihrem Laden für Ordnung sorgen. Das ist nicht unser Problem.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Aber was machen Sie, Herr Ministerpräsident? Sie gehen durch das Land und sagen: Ja, eigentlich ist es mir egal. Kreisstadt will schließlich jeder werden. Da müsse man dem einen oder dem anderen weh tun. Da kommt man nicht umhin. Insofern gibt es keine richtige Entscheidung.

(Herr Gürth, CDU: Jetzt wird es aber theatra- lisch!)

Das kann ich auch verstehen, weil das Problem darin besteht, dass ich in Ihrer Konstruktion die Mittelzentren aufeinander hetze. Natürlich ist es schwer, zwischen Sangerhausen und Eisleben, zwischen Weißenfels und Naumburg, zwischen Bitterfeld und Köthen und zwischen Köthen und Zerbst oder vielleicht dann doch Dessau - das weiß in diesem Land zurzeit niemand - zu unterscheiden und zu entscheiden.

Nur, wenn Sie dazu selbst eigentlich die Position einnehmen, dass es egal ist, warum legt dann die Landesregierung einen Kriterienkatalog vor? Dann hätte man auch gleich sagen können: In Ordnung, jeder macht, was er will - was ja auch passiert.

(Zustimmung von Herrn Dr. Thiel, Linkspar- tei.PDS)

Im Vorfeld der heutigen Diskussion kam nun die Meldung, man wolle im Oktober 2005 über die Kreise und im November 2005 über die Kreisstädte entscheiden. Nun ja, vom Ministerpräsidenten habe ich vorher gelesen, man hätte noch viel Zeit für solche Dinge. Vielleicht sind die Positionen untereinander abgestimmt, vielleicht nicht. Selbst wenn sie es sind, ist es noch keine Garantie dafür, dass es so passiert.

Selbst wenn wir im Oktober und im November 2005 diese Beschlussfassung machen, nach welchen Kriterien machen wir sie denn eigentlich? Was ist jetzt eigentlich die Grundlage der Kreisstrukturreform innerhalb der Koalition? So wie es jetzt aussieht, kommen wir morgens mit einer Gesetzesvorlage herein und gehen abends mit einer Entscheidung heraus, die rational wirklich niemand erklären kann. Da gibt es keine logische Grundlage mehr.

(Zuruf von Herrn Gürth, CDU)

Es gibt nur noch ein Prinzip: das Recht des Stärkeren. Der hat sich dann möglicherweise durchgesetzt, so wie es im Jahr 1994 bei der Kreisgebietsreform auch der Fall gewesen ist.

(Lebhafter Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Herr Abgeordneter Gallert, Sie haben die Redezeit bereits um fast zwei Minuten überzogen. Kommen Sie bitte zum Ende.

(Herr Gürth, CDU: Aber nur zeitlich, nicht inhalt- lich!)

Letztlich haben wir eine Situation, in der wir nicht wissen, ob die Dinge in dieser Legislaturperiode noch beschlossen werden. Wenn ja, wie wird die Entscheidung aussehen und auf welchen nachvollziehbaren Kriterien wird sie beruhen? Andersherum gesagt: kein Konzept, keine Strategie, keine Position.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Frau Weiß, CDU: Nein!)

Diese Situation dürfte bei uns als Opposition zu Schadenfreude führen. Aber sie tut es nicht, weil wir wissen, der Frust im Land trifft uns inzwischen alle. Deswegen stellen wir uns dieser Verantwortung, wenn die Leute vor Ort sagen: Kommt endlich zu Potte, trefft eine vernünftige Entscheidung. Wir stellen uns auch diesen Entscheidungsprozessen. Aber wir werden nicht darauf verzichten, dieses Versagen der Koalition Ihnen gegenüber heute und vor dem März 2006 zu thematisieren. - Danke.

(Lebhafter Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Herr Gallert. - Meine Damen und Herren! Begrüßen Sie mit mir auf der Südtribüne Seniorinnen und Senioren aus Klein Schwechten.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Bevor wir die Debatte fortsetzen, hat für die Landesregierung der Herr Ministerpräsident Professor Böhmer um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Ministerpräsident.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Anfang glaubte ich schon, Herr Gallert würde mich enttäuschen, als er mit einer Diskussion über Sachfragen anfing, die sich ganz anders anhörte. Aber nachdem ich gestern die Begründung für die Aktuelle Debatte gelesen hatte, wusste ich bereits, es geht nicht um die Sache, es geht auch kaum um den Zeitplan. Es wird darum gehen, Ihnen klar zu machen, dass dieses Land einen lahmen und schlappen Ministerpräsidenten hat, der die Dinge nicht im Griff hat

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

und dem man einmal ordentlich Bescheid sagen muss.

Das war vorhersehbar. Und dann kam es auch. Wenn es nicht gekommen wäre, dann hätten Sie mich enttäuscht.

Ich sage nicht, dass das Wahlkampf ist. Sie sind auch dann so, wenn kein Wahlkampf ist. Darauf muss man sich einstellen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Aber nun zur Sache. Es ist richtig, dass sich die CDU-Fraktion in einer Fraktionssitzung, an der ich teilweise teilnehmen konnte, über den Zeitplan unterhalten hat. Davon muss Herr Gallert ir

gendetwas spitz bekommen haben, wahrscheinlich nicht alles, aber einiges. Das hat sofort dazu geführt, dass er eine Presseerklärung herausgegeben hat, bezüglich der ich Sie bitten würde, sie sich einmal richtig auf der Zunge zergehen zu lassen.

Fakt ist, dass wir eine Konzeption haben und dass es einen Bürgerentscheid oder eine Bürgerbefragung im Kreis Aschersleben-Staßfurt gegeben hat, bezüglich dessen wir uns entscheiden mussten: Nehmen wir das überhaupt nicht zur Kenntnis, weil das Quorum nicht erfüllt ist, und sagen: völlig irrerelevant; wir reden nicht weiter darüber. Oder sagen wir: Das Ergebnis, was die territoriale Stimmenverteilung betrifft, ist doch eigenartig. Wir sollten wenigstens einmal darüber sprechen, uns Gedanken machen, ob das Konsequenzen haben müsste. Das sind wir den Bürgern auch dann schuldig, wenn es am Ende nicht zu einer Veränderung des Gesetzes führt. Aber wenigstens anhören müssen wir das.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren! Das sieht sogar die PDS so.

(Herr Gallert, Linkspartei.PDS: Das haben wir nie so gesehen, Herr Böhmer!)

- Ich komme gleich zu Ihnen.

Aber - das habe ich alles in der Schule gelernt - wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht das Gleiche. Wenn es der Partei nützt, ist es gut und fortschrittlich und richtig; wenn es der Partei nicht nützt, dann ist es rückschrittlich und schädlich und gegen den Weltfrieden. Das habe ich alles schon einmal gelernt.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und bei der FDP - Beifall von der Regierungsbank)

Meine Damen und Herren! Ich zeige Ihnen das einmal; hier hört sich das genauso an.

(Frau Bull, Linkspartei.PDS: Getroffene Hunde bellen!)

Die gleiche Sache: Bürgerentscheid. Hier steht: Die Fraktion - PDS - und weitere Gremien der Partei werden das Ergebnis sorgfältig beraten und auf dieser Grundlage weitere Schritte festlegen.

(Oh! bei der CDU)

Dazu sage ich: Das ist korrekt.

(Herr Gallert, Linkspartei.PDS: Natürlich!)

Dazu sage ich Ihnen: Das wollen wir auch machen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Aber wenn wir das machen - da müssen Sie sich einmal den ersten Teil durchlesen -, dann ist das ein billiger Vorwand, um die eigene Handlungsunfähigkeit zu verschleiern. Das ist der feine Unterschied: Wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht das Gleiche.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das ist die Situation, über die wir sprechen müssen.

Nun weiß ich, dass man Kreisgebietsreformen auch anders machen kann. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich schon einige Kreisgebietsreformen erlebt. Ich könnte Ihnen erzählen, wie im Jahr 1952 eine Kreisgebietsreform in diesem Teil Deutschlands gemacht worden ist. Das hält uns wahrscheinlich zu lange auf. Damals stand das