Protokoll der Sitzung vom 09.09.2005

Nun weiß ich, dass man Kreisgebietsreformen auch anders machen kann. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich schon einige Kreisgebietsreformen erlebt. Ich könnte Ihnen erzählen, wie im Jahr 1952 eine Kreisgebietsreform in diesem Teil Deutschlands gemacht worden ist. Das hält uns wahrscheinlich zu lange auf. Damals stand das

Ergebnis in der Zeitung. Die Redaktionen bekamen die Anweisung: Nur zustimmende Leserzuschriften dürfen veröffentlicht werden; dies ist durchzuziehen. Punkt, Schluss. So kann man auch Politik machen.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank - Zuruf von Frau Bull, Linkspar- tei.PDS)

Ich erzähle das deshalb - das ist für mich das Eindrucksvolle gewesen -, weil die Landesregierung von Sachsen-Anhalt

(Zuruf von der SPD)

- darauf kommen wir gleich - damals, im Juni 1952, in einer Kabinettssitzung den Halbjahresplan für das zweite Halbjahr 1952 beschlossen hatte und besprechen wollte, was sie sich da zu erledigen vorgenommen hatte.

(Unruhe bei der SPD - Minister Herr Dr. Daehre: Hören Sie doch mal zu!)

Zu diesem Zeitpunkt war in Berlin längst entschieden worden, dass es diese Landesregierung und das Land Sachsen-Anhalt nicht mehr geben wird. - So kann man auch Politik machen.

Wenn Sie ein anderes Beispiel wollen: Die Auflösung des Kreises Kalbe (Milde) und des Kreises Tangerhütte im Jahr 1987 ist auf fast die gleiche Weise erfolgt. Das weiß ich alles.

Deshalb sage ich: Solange das Land mit mir als Ministerpräsidenten und mit dieser Koalition lebt, werden wir so nicht Politik machen. Ich hoffe, dass das noch recht lange so bleibt.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Beifall von der Regierungsbank)

Was den parlamentarischen Beratungsablauf betrifft, bin ich tatsächlich gelassen; das kann ich Ihnen sagen. Der Gesetzentwurf ist noch nicht sechs Monate im Landtag. Selbst wenn das Gesetz im November endgültig verabschiedet werden würde, wären es sechs Monate.

Ich habe mir einmal zusammenstellen lassen, wie lange andere Gesetze im Landtag gebraucht haben. Darunter sind etliche mit sechs Monaten, aber auch welche mit zehn, elf oder zwölf Monaten oder sogar eines mit 13 Monaten, ohne dass es eine Aktuelle Debatte oder eine große Aufregung zu dem Thema gegeben hätte.

Herr Ministerpräsident, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallert zu beantworten?

Nein. Am Ende gern.

Am Ende, Herr Gallert.

Das heißt, um die eigentlichen Zeitabläufe geht es nicht, sondern es geht darum, Handlungsunfähigkeit zu bescheinigen oder wenigstens zu problematisieren, klar zu machen, dass die Landesregierung keine Konzeption hat, dass es am Ende möglicherweise gar kein Gesetz geben wird, weil vieles nicht geklärt ist.

Die Kreissitzfrage lasse ich aus. Wir haben einen bestimmten Bewertungskatalog vorgegeben, von dem mir wichtig ist, dass er vor einem Verfassungsgericht standhält. Aber ich weiß - das war beim letzten Mal so und wird jetzt mit großer Wahrscheinlichkeit wieder so sein -, dass bei den Fragen, in denen die Unterschiede auch nach unserem Bewertungskatalog nicht sehr groß sind, zufällige Mehrheiten im Landtag nicht auszuschließen sind.

Das ist für mich nicht undemokratisch. Das muss man im Grunde genommen bei einer solchen Frage, bei der es um Ermessensentscheidungen geht, hinnehmen. Aber was den Kreiszuschnitt betrifft, wird es in dieser Frage keine zufälligen Mehrheiten im Landtag geben.

(Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Da werden wir mit einer klaren Konzeption die Reform durchführen.

Es gibt noch an ein oder zwei Stellen - das gebe ich doch zu; wir alle wissen es - ein paar Fragen, die endgültig geklärt werden müssen. Dabei wird sich die Landesregierung - das trifft nicht nur wegen der Geschäftsordnung zu, sondern das sage ich auch aus Überzeugung - an ihren Vorschlag halten. Aber es gehört zur demokratischen Kultur, dass wir auch zuhören und offen sind, ob es Alternativen dazu gibt.

Wenn es in der einen oder anderen Frage aufgrund der parlamentarischen Mehrheit der Koalition eine abweichende Entscheidung geben sollte, gebietet es der Respekt vor dem Parlament, dass die Landesregierung dies hinnimmt.

(Zurufe von Frau Budde, SPD, und von der Linkspartei.PDS)

Dies werden wir tun. Meine Damen und Herren, Sie werden die Gelegenheit haben, dies wenigstens zu besichtigen. Ich erwarte nicht, dass Sie zustimmen - dies war mir von vornherein klar -; aber Sie werden feststellen müssen, dass wir mit einer klaren Konzeption zur zweiten Lesung in den Landtag kommen und dass das Gesetz im Herbst dieses Jahres im Landtag verabschiedet wird.

Ich sage Ihnen mal eines: Das Gesetz tritt am 1. Juli 2006 in Kraft.

(Zuruf von der Linkspartei.PDS: 2007!)

- Entschuldigung, 2007. - Das sind noch fast zwei Jahre. Jetzt aufgrund einer Terminverschiebung bei den einzelnen Beratungsketten von zehn oder 14 Tagen ein Thema aufzumachen und zu behaupten, dies sei der Beweis für die Handlungsunfähigkeit der Landesregierung, das ist eine solche parlamentarische Heuchelei, dass ich gesagt habe, hierzu muss deutlich etwas gesagt werden. Wir als Koalition werden uns dies nicht bieten lassen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP - Beifall von der Regierungsbank)

Sie werden erleben, dass wir dieses Reformwerk, das letzte größere Reformwerk in dieser Legislaturperiode, mit einer klaren Mehrheit im Herbst dieses Jahres abschließen. - Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Herr Ministerpräsident, Sie haben zugesagt, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Gallert zu beantworten. - Herr Gallert, bitte sehr.

Herr Böhmer, Sie haben eben, was mich betrifft, den Meister des gewollten Missverständnisses vorgeführt.

Ich habe ausdrücklich gesagt - das lasse ich mir nicht unterstellen; da werde ich jetzt auch sehr deutlich -:

(Oh! bei der CDU)

Unsere Vertreter im Innenausschuss und die Vertreter der SPD haben dafür gekämpft, dass die Bürgerentscheide und Bürgerbefragungen Einfluss auf die landespolitische Entscheidung haben. Sie haben dafür gekämpft, dass deswegen der Zeitplan nach hinten verschoben wird. Die Vertreter der CDU-FDP-Koalition haben wie ein Fels dagegen gehalten. Sie haben gesagt: Keinen Tag Verzögerung, wir lassen uns davon nicht abbringen.

Dann passierte es. Und die Argumentation, die von Vertretern der Koalition im Ausschuss massiv vorgebracht worden ist, war völlig vergessen und man übernahm die Argumentation von SPD und PDS. Sagen Sie mir bitte, wer das glauben soll.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung bei der SPD)

Die mir bekannte alternative Frage war: Sollen wir ein Konzept beschließen und spätestens am 18. September, praktisch mit dem Wahltermin, eine Befragung damit verbinden lassen, das heißt, sollen wir eine öffentliche Konzeption für eine Bürgerbefragung im Land SachsenAnhalt anbieten oder nicht?

Ich habe gesagt: Mit einem solchen Ergebnis werden wir am Ende nicht leben können; denn schon jetzt ist es so, dass jeder für das plädiert, was ihm am günstigsten erscheint. Dass die Kreisstrukturen gewünscht werden, mit der der jeweilige Kreis die größte Aussicht zu haben scheint, Sitz der Kreisverwaltung zu werden, das spielt doch bei allen Gebietsveränderungen eine ganz große Rolle.

Deswegen haben wir gesagt, wir machen es nicht so, dass wir einen Entwurf vorgeben, den wir zur Abstimmung stellen. Aber durchgeführte, nicht von uns induzierte Bürgerbefragungen in einer Demokratie nicht zur Kenntnis zu nehmen, das halte ich nach wie vor für falsch.

Damit wir mit dem Meister des Missverständnisses klarkommen, können wir uns darauf einigen, wer das von uns beiden ist.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Ministerpräsident. - Meine Damen und Herren! Die Debatte wird mit dem Beitrag der CDUFraktion fortgesetzt. Es spricht zu Ihnen Herr Abgeordneter Scharf. Bitte sehr, Herr Scharf.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Mitglieder der Opposition, es ist doch eigentlich eine schöne Sache, wenn man als Opposition die Regierung und die Koalitionsfraktionen beobachten kann: Man versucht, an der einen oder anderen Stelle ein bisschen einzuhaken, man motzt ein bisschen herum

(Zurufe von Herrn Dr. Polte, SPD, von der SPD und von der Linkspartei.PDS)

und weiß genau, man kommt nie in die Lage und ist nie in der Verpflichtung, den Sack hinterher auch zubinden zu müssen.

(Unruhe)

Genau dieses Kabinettstück hat Herr Gallert heute Morgen hier vorführen wollen. Dass er sich in der Frage, wie man sich Volksbegehren oder Bürgerbegehren gegenüberstellt, mal so und mal so positioniert, lässt er geflissentlich etwas in den Hintergrund treten.

Wir können uns noch sehr gut daran erinnern, dass wir im Landtag zum Beispiel die Frage bezüglich eines Volksbegehrens und eines Volksentscheids zum KiFöG rauf- und runterdiskutiert haben und darüber nicht lange genug diskutieren konnten. Dabei hätten Sie es am liebsten gehabt, wenn es letztlich überhaupt keinen Abschluss der Diskussion gegeben hätte.

Meine Damen und Herren! Wir, die Koalitionsfraktionen, sind darauf angewiesen und angetreten, eine klare Meinungs- und Willensbildung hervorzurufen und möglichst viele Menschen auf diesem Wege mitzunehmen. Deshalb haben wir im Landtag und im ganzen Lande einen relativ komplizierten Diskussionsprozess angeregt und haben durch eigene Leitbildvorstellungen, durch Grundsätzegesetze Schritt für Schritt den Entscheidungsraum aufgezeigt, in dem wir uns bewegen. Jetzt kommen wir langsam zum Abschluss dieses Prozesses und haben die Aufgabe, möglichst viele Menschen auch bei den letzten Schritten auf diesem Weg mitzunehmen.