Protokoll der Sitzung vom 25.01.2007

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Hiermit eröffne ich die 14. Sitzung des Landtages von Sachsen-Anhalt der fünften Wahlperiode. Dazu möchte ich alle Anwesenden ganz herzlich begrüßen. Da das Jahr noch ausgesprochen jung ist, wünsche ich auch von hier aus allen ein gutes und erfolgreiches neues Jahr.

(Zuruf von der CDU: Danke, gleichfalls!)

- Danke schön.

Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hohen Hauses fest.

Ich komme zu Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung. Für die 8. Sitzungsperiode des Landtages liegen folgende Entschuldigungen vor:

Herr Minister Dr. Daehre bittet, seine ganztägige Abwesenheit am heutigen Donnerstag zu entschuldigen. Er nimmt in Brüssel an einem Kongress zur demografischen Entwicklung teil.

Herr Minister Prof. Dr. Olbertz nimmt an der Auftaktveranstaltung eines vom Rat der Evangelischen Kirchen veranstalteten Zukunftskongresses in Wittenberg teil. Er bittet, seine Abwesenheit am heutigen Donnerstag ab 18 Uhr zu entschuldigen.

Das sind die Entschuldigungen von Mitgliedern der Landesregierung.

Wir kommen zur Tagesordnung, meine Damen und Herren. Die Tagesordnung der 8. Sitzungsperiode des Landtages liegt Ihnen vor. Die Fraktionen der CDU und der SPD sowie die Fraktion der FDP haben fristgemäß zwei weitere Anträge zur Aktuellen Debatte eingereicht. Der Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD zum Thema „Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur Europäischen Union - Auswirkungen und Chancen für Sachsen-Anhalt“ liegt Ihnen in der Drs. 5/495 vor. Der Antrag der Fraktion der FDP in der Drs. 5/496 trägt den Titel „Das Modell der Bürgerarbeit - was genau will die Landesregierung?“.

Gemäß der Verständigung im Ältestenrat schlage ich vor, den Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD als Tagesordnungspunkt 1 b aufzunehmen und am heutigen Donnerstag zu behandeln sowie den Antrag der Fraktion der FDP als Tagesordnungspunkt 1 c aufzunehmen und als ersten Tagesordnungspunkt am morgigen Freitag zu behandeln. Die Tagesordnungspunkte 2, 15 und 16 sind ebenfalls auf den Freitag festgelegt. Sie werden dann nach der Aktuellen Debatte behandelt werden.

Des Weiteren beantragt der Ausschuss für Recht und Verfassung die Aufnahme eines zusätzlichen Tagesordnungspunktes. Dabei geht es um den Verzicht auf die mündliche Verhandlung in den Landesverfassungsgerichtsverfahren LVG 19/05 und LVG 20/05. Dazu liegt eine Beschlussempfehlung in der Drs. 5/499 vor. Ich schlage vor, diesen Punkt als Tagesordnungspunkt 17 aufzunehmen und am morgigen Freitag zu behandeln.

Gibt es Fragen zur Tagesordnung? - Bitte schön, Herr Dr. Thiel.

Herr Präsident, die Fraktionen sind übereingekommen, zum Tagesordnungspunkt 5 - Entwurf eines Gesetzes

zur Änderung des Hochschulzulassungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt - keine Debatte durchzuführen.

Ich nehme an, damit ist das Hohe Haus einverstanden. - Dann können wir so verfahren.

Gibt es weitere Fragen zur Tagesordnung? - Das sehe ich nicht. Dann bitte ich um Ihre Zustimmung, dass wir heute so verfahren. - Zustimmung bei allen Fraktionen. Damit ist die Tagesordnung beschlossen worden und wir können so verfahren.

Zum zeitlichen Ablauf des heutigen Tages: Wir werden die heutige Sitzung gegen 18.45 Uhr schließen. Ab 20 Uhr findet die parlamentarische Begegnung mit dem Beamtenbund und der Tarifunion Sachsen-Anhalt im Ratswaage-Hotel statt. Am morgigen Tag werden wir die Sitzung um 9 Uhr fortsetzen. - Das zum Ablauf.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Debatte

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für die Aktuelle Debatte liegen - dies haben wir soeben beschlossen - insgesamt drei Gegenstände vor.

In der heutigen Sitzung behandeln wir unter Tagesordnungspunkt 1 a den Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS in der Drs. 5/493 mit dem Titel „Der Kompromiss zur Gesundheitsreform und seine Folgen für die Gesundheitsversorgung in Sachsen-Anhalt“ und unter Tagesordnungspunkt 1 b den Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD in der Drs. 5/495 zum Thema „Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur Europäischen Union - Auswirkungen und Chancen für Sachsen-Anhalt“. Der Tagesordnungspunkt 1 c wird am morgigen Tag behandelt.

Ich rufe das erste Thema auf:

Der Kompromiss zur Gesundheitsreform und seine Folgen für die Gesundheitsversorgung in SachsenAnhalt

Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS - Drs. 5/493

Für die Beiträge ist folgende Reihenfolge vorgesehen: Linkspartei.PDS, CDU, FDP und SPD. Zunächst hat die Antragstellerin das Wort; mir ist signalisiert worden, dass die Abgeordnete Frau Penndorf sprechen wird. Bitte schön, Frau Penndorf, Sie haben das Wort. Anschließend erhält die Landesregierung das Wort und dann folgen die Debattenbeiträge der Fraktionen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die demografischen, arbeitsmarktpolitischen und medizintechnisch-wissenschaftlichen Entwicklungen in unserer Gesellschaft stellen die Bundesregierung vor die Herausforderung, mit einer nachhaltigen Gesundheitsreform die Qualität, die Finanzierung und die Strukturen des bundesdeutschen Gesundheitssystems diesen Entwicklungen entsprechend zu gestalten.

Die älter werdende Bevölkerung, der rasante wissenschaftlich-technische Fortschritt in Pharmazie und Medizintechnik, verstärkt auftretende Krankheiten infolge von Umwelteinflüssen und viele weitere Faktoren tragen dazu bei, dass die Finanzierung der Gesundheitsversorgung über die GKV nicht mehr gesichert scheint. Das System bedarf einer Erneuerung, einer Reform.

Wir in der Linkspartei sind davon überzeugt, dass Zersplitterungen, sektorale Konkurrenzen und die mangelhafte Kooperation zwischen den vielfältigen Versorgungsdiensten unterschiedlichster Träger, die das Gesundheitssystem in Deutschland kennzeichnen, zu überwinden sind. Das setzt voraus, dass ein Gesundheitssystem mit sozialer Verantwortung die individuelle und die soziale Gesundheit ins Zentrum der Arbeit stellt.

Dazu bedarf es einerseits einer Finanzierung, Steuerung und Strukturentwicklung der Gesundheitsversorgung, die nicht die kaufkräftige Nachfrage und die Gewinnmaximierung zum Kriterium erheben, sondern den Bedarf und die Kostenminimierung. Andererseits müssen Medizin, Pflege, Psychosoziale Dienste, Gesundheitsförderung und Selbsthilfepotenziale zu einem kooperativen Handlungssystem vernetzt werden. Nur so ist eine preiswerte Gesundheit für alle möglich.

Die Bundesregierung hat eine Jahrhundertreform angekündigt. An dieser Aufgabe ist sie mit der im GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vorgelegten Reform gescheitert. Ein halbes Jahr lang hat die Bundesregierung - weitestgehend ohne Einbeziehung von Experten - an einem Gesetzentwurf gestrickt, der bei allen Betroffenen, außer bei der Pharmaindustrie und - nach mehreren Änderungen - bei den Privatversicherungen, heftige Proteste und viele sachlich begründete Einwände hervorgerufen hat.

Dieses Gesetz verdient die Bezeichnung Reform nicht. Auch wenn durch einige Regelungen, etwa durch den Anspruch auf geriatrische Rehabilitation und auf Hospizleistungen sowie durch die Gewährung häuslicher Krankenpflege in Heimen, die Versorgung der Versicherten verbessert wird und wenn nach Auffassung von Krankenkassenvertretern die Ärzte durch die festen EuroBeträge bei der Honorarzahlung zu den Gewinnern der Reform in Sachsen-Anhalt gehören: Wir sehen diese Reform kritisch.

Sie ist Stückwerk - Stückwerk, das vor allem die Wahlversprechen der SPD konterkariert. Es sollte eine solidarische, alle Einkommensarten einbeziehende Bürgerinnenversicherung entwickelt werden. Die Beitragssätze sollten deutlich sinken. Die Versorgung der Patienten sollte verbessert werden und die Leistungserbringer im System sollten besser honoriert werden.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Doch durch diese Reform werden die im Gesundheitswesen bestehenden Probleme nicht gelöst. Beitragserhöhungen sind bereits erfolgt und die Versicherten werden weiter zur Kasse gebeten.

Auf diese Gefahr weist auch Ministerin Frau Dr. Kuppe in ihrem Bericht an den Ausschuss für Soziales hin. Wachsende Zuzahlungen, zum Beispiel durch einen pauschalen Abzug von 3 % bei den Fahrtkosten, die nicht einmal auf die Belastungsgrenze angerechnet werden, höhlen das Solidarprinzip aus.

Wir teilen auch die Kritik von Frau Dr. Kuppe an der Regelung, die Verteilung der Mittel für die Gesundheitsver

sorgung nach der Wirtschaftskraft der Länder vorzunehmen. Umso unverständlicher ist uns, dass Sie, Frau Dr. Kuppe, das Gesetz begrüßen. Wie passt das zusammen?

Die Anhörung von zahlreichen Experten, Verbänden und Interessenvertretern kurz vor der abschließenden Bundestagsdebatte machte deutlich, dass es massive Kritik an den meisten Regelungen gibt, und offenbarte außerdem eine Reihe gravierender handwerklicher Mängel.

Aber auch nach zahlreichen Änderungsanträgen - Frau Dr. Kuppe sprach von mehr als 100 Änderungsanträgen aus dem Bundesrat - und nach dem Beschluss zur Pflichtversicherung werden die grundsätzlichen Probleme nicht gelöst.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Die Änderungsanträge der Länder wurden zu einem großen Teil ignoriert, besonders wenn es um die Entlastung der Versicherten und Patienten ging. Änderungen, die den Privatversicherungen entgegenkommen, passierten offensichtlich ohne große Hürde die Koalition.

Hauptfinanziers der GKV bleiben also weiterhin allein die Menschen in abhängiger Beschäftigung, die mit ihrem geringen Einkommen bei permanent sinkenden Löhnen, Gehältern und Renten nicht nur die wachsenden Beiträge aufbringen müssen, sondern auch mit Zusatzbeiträgen als Vorstufe zur Kopfpauschale zur Kasse gebeten werden.

Die Besserverdienenden bleiben außen vor. Sie werden als GKV-Versicherte bevorzugt versorgt. Die Privatversicherung wird behandelt wie ein rohes Ei. Das ist doch die Realität, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge geht ein Anteil von 95 % der Bürgerinnen und Bürger davon aus, dass die Gesundheitskosten in den nächsten Jahren weiter ansteigen werden. Ich kann Ihnen versichern: Das ist nicht nur ein Gefühl, das ist schon heute Realität.

Zu dieser Realität gehört auch, dass der Gesetzgebungsprozess erneut ein Beispiel dafür liefert, dass die Meinung der Bevölkerung, die Darlegungen der Experten und der Interessenvertretungen der Versicherten ignoriert werden, während die Positionen der mächtigen Lobbygruppen bei den Parlamentariern des Bundestages Beachtung finden.

Die immer wieder aufflammende Diskussion über grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Koalition gibt Zeugnis davon, wie ein solcher Meinungsbildungsprozess in den Fraktionen verläuft. Vor diesem Hintergrund werden das Misstrauen und die Politikverdrossenheit der Bürger schon nachvollziehbar.

Die Koalition sollte offen und ehrlich eingestehen, dass es ihr bei der Gesundheitsreform darum geht, den Marktkriterien ungebremste Wirkung im Gesundheitssystem zu verschaffen, und dass sie damit eine weitere Zementierung der Zwei-Klassen-Medizin in Kauf nimmt.

Die schon seit Jahren durch die so genannte Reform zunehmende Entsolidarisierung zwischen Gesunden und Kranken wird mit diesem Gesetz gravierend forciert. Es wird immer häufiger Menschen geben, die sich bestimmte medizinische Leistungen einfach nicht mehr leisten können.

Fragen Sie doch einmal die Apotheker in unserem Land, wie oft bestellte Medikamente nicht abgeholt werden. Fragen Sie den Optiker, wie oft eine angefertigte Brille bei ihm liegen bleibt. Erkundigen Sie sich einmal bei einem Zahnarzt darüber, wie viele von ihm vorgeschlagene Behandlungen wegen Finanzierungsschwierigkeiten der Arbeitslosen, der Minijobber und der Ausgesteuerten einer Bedarfsgemeinschaft abgelehnt werden.

Das System der GKV, wie es bisher bestand, gewährleistete trotz aller Einschränkungen durch die Reformen der vergangenen Jahre immer noch einem Anteil von über 90 % der Bevölkerung eine weitgehende Absicherung im Krankheitsfall. Zahlreiche Studien belegen, dass die Mehrheit der Bevölkerung das Solidarprinzip möchte und sich genauso wie wir für die Erweiterung der Finanzierungsbasis der GKV ausspricht.