Protokoll der Sitzung vom 22.02.2007

Es gab in der Tat in der Anhörung auch Stimmen zugunsten einer längeren Bedenkzeit. Der Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen hat argumentiert, die Einräumung einer dreimonatigen Bedenkzeit erleichtere auch den Strafverfolgungsbehörden die Arbeit, da die Chance der Identifizierung eines Opfers von Menschenhandel und damit die Möglichkeit der Gewinnung der Zeugenaussage erhöht wird. Auch der Deutsche Frauenrat hat eine Bedenkzeit von mindestens drei Monaten gefordert.

Meine Damen und Herren! Ich möchte betonen, dass die Beschlussempfehlung des Innenausschusses keine bestimmte Dauer der Bedenkzeit festlegt. Das ist auch nicht unserer Forderung zu entnehmen, die EU-Richtlinie inhaltsgleich umzusetzen. Die Richtlinie regelt nämlich in Artikel VI lediglich, dass es eine Bedenkzeit gibt, verweist aber hinsichtlich ihrer Dauer auf eine nach dem innerstaatlichen Recht vorzunehmende Festlegung.

Im Ergebnis halte ich die in dem Erlass des Innenministeriums getroffene Regelung für richtig, begrüße aber ausdrücklich die Bereitschaft von Minister Hövelmann, die er hier heute erklärt hat, zu gegebener Zeit eine Evaluierung dieses Erlasses durchzuführen.

Aus der Sicht der SPD-Fraktion sollte eine solche Evaluierung in einem Jahr erfolgen und sich auf die Frage erstrecken, ob die Bedenkzeit von jetzt regelmäßig vier Wochen angemessen ist oder verlängert werden soll.

Die Möglichkeit einer Fristverlängerung im Einzelfall besteht schon heute und schon heute gibt es den nach erklärter Aussagebereitschaft des Opfers zu gewährenden Aufenthaltstitel mit sechsmonatiger Geltungsdauer, die im Einzelfall verlängert werden kann und sogar in einen unbefristeten Aufenthalt münden kann. Die Forderung nach einem generell unbefristeten Aufenthaltstitel kann jedoch nicht mitgetragen werden.

Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass es mit aufenthaltsrechtlichen Regelungen natürlich nicht getan ist. Die Fraktion der Linkspartei.PDS hat in ihrem Antrag zu Recht eine Berichterstattung über die verlässliche Förderung der notwendigen Beratungsinfrastruktur für die Betroffenen und die Sicherstellung der Zusammenarbeit zwischen Fachberatungsstellen, Polizeibehörden und Justiz gefordert. Ich denke, in der Anhörung und in den Ausschussberatungen ist deutlich geworden, dass es in Sachsen-Anhalt zu dieser Problematik leistungsfähige Strukturen gibt und dass ihre Zusammenarbeit gut funktioniert. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Rothe. - Nun bitte Herr Wolpert für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fußball-WM, Deutschlands Sommermärchen, ist lange vorbei, und nun kann nachbetrachtend auch fest

gestellt werden, dass die von den Medien ins Spiel gebrachte Zahl von 40 000 zu erwartenden Zwangsprostituierten glücklicherweise deutlich zu hoch gegriffen war.

Die EU-Richtlinie, die so genannte Opferschutzrichtlinie, stammt vom 29. April 2002. Leider konnte bis heute auf Bundesebene keine Umsetzung erreicht werden. Die Frist ist am 1. August 2006 abgelaufen, ohne dass eine Umsetzung erreicht worden ist.

Auf Landesebene hat das Innenministerium des Landes Sachsen-Anhalt dankenswerterweise schnell reagiert. Es hat bereits am 3. August 2006 mit dem Erlass „Maßnahmen gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution“ die wichtigsten Regelungen der EU-Richtlinie aufgegriffen: Definition Menschenhandel, Bedenkzeit, bessere Vernetzung von Polizei, Gericht und Beratungsstelle und Regelung des Aufenthaltsstatus.

Hinsichtlich der Dauer der Bedenkzeit gibt es unterschiedliche Auffassungen. Hier ein Wort zu Ihnen, Frau Bull: Es ist nicht so, dass diejenigen, die anderer Meinung sind, das Thema unterschätzen oder sich gar in unmoralischer Art und Weise der Sorgen und Nöte der Betroffenen nicht annehmen würden.

(Frau Bull, Linkspartei.PDS: Das war mein erster Satz, dass es nicht so ist!)

- Das war Ihr erster Satz, der Rest nicht. - Es ist insbesondere nach der Anhörung für jeden nachvollziehbar, dass den Opfern Zeit gegeben werden muss, aus dem Meer an Belastungen, Demütigungen und Angst herauszufinden. Das ist die Voraussetzung für eine freie Entscheidung dahin gehend, ob das Opfer in Abwägung der Gefahren für sich und seine Angehörigen mit den Behörden zusammenarbeiten will oder nicht. Die persönlichen Lebenslagen sind dabei vielschichtig und kompliziert.

Allerdings wird auch eine noch so lange Dauer der Bedenkzeit die Traumatisierung nicht vollständig aufheben können. Gegen eine solche Bedenkzeit steht das deutsche Strafrecht, wonach grundsätzlich niemandem ein Zeugnisverweigerungsrecht nach eigenem Gutdünken zugestanden wird. Ein Wahlrecht gibt es nur in besonderen Fällen, zum Beispiel innerhalb des verfassungsrechtlich geschützten Bereichs der Familie.

Unserer Ansicht nach ist es notwendig, den Menschen, die Opfer von Zwangsprostitution geworden sind, eine Bedenkzeit zuzubilligen, auch wenn das deutsche Strafrecht eine solche eigentlich nicht vorsieht. Das ist einfach der besonders schwierigen Situation geschuldet, in der sich die Opfer in einem fremden Land befinden. Hinsichtlich der Dauer sollte die Bedenkzeit aber unserer Ansicht nach auf vier Wochen begrenzt bleiben; insoweit schließen wir uns der Auffassung des Innenministers an.

Bei einer längeren Bedenkzeit, etwa von drei Monaten, wie im Sozialausschuss vorgeschlagen, besteht die berechtigte Befürchtung, dass die Bedenkzeit mit dem Beschleunigungsgebot des Strafrechts kollidiert. Eine längere Bedenkzeit, die vielleicht in Einzelfällen vertretbar sein mag, würde dann dem Schutz der Opfer der Zwangsprostitution zuwiderlaufen, wenn der Täter wieder aus der U-Haft entlassen werden müsste, weil die Entscheidung nicht rechtzeitig erfolgt ist.

Ein anderes Problem, nicht nur im Sinne der Strafverfolgungsbehörden, sondern auch im Sinne des im Rechtsausschuss diskutierten Aspekts: Es gibt auch Unschuldige, die in Untersuchungshaft sitzen. Auch sie haben

ein Recht, möglichst schnell eine Beurteilung ihres Falles zu erhalten, um dann wieder aus der Untersuchungshaft befreit zu werden.

Dies sind die Güter, die abzuwägen sind. Schon in der Vergangenheit wurden in mehreren Fällen Angeklagte aus der Untersuchungshaft entlassen, weil die Sechsmonatsfrist nicht eingehalten worden war. Auf dieses Dilemma hat der Generalstaatsanwalt in der Anhörung deutlich hingewiesen.

Des Weiteren möchte ich noch auf das Aufenthaltsrecht eingehen. In ihrem Antrag hatte die Fraktion der Linkspartei.PDS zunächst ein unbefristetes Aufenthaltsrecht für Opfer der Zwangsprostitution gefordert, wenn diese als Zeugen im Prozess aussagen. Demgegenüber sind wir der Auffassung, dass ein befristeter Aufenthaltstitel für sechs Monate mit Verlängerungsoption völlig ausreichend ist.

Der umfangreichen Anhörung im Rechtsausschuss konnte ich keine zwingenden Argumente entnehmen, warum bei vorhandener Zeugenbereitschaft über das automatische Sechs-Monate-Aufenthaltsrecht und die Verlängerungsoption hinaus ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gerechtfertigt wäre. Allein das Argument der Gefährdungslage im Drittland kann nicht ausreichen, weil dies zu überprüfen deutschen Behörden schwer möglich ist und weil gleichzeitig auch nicht gewährleistet ist, dass eine Gefährdung in Deutschland nach einer Zeugenaussage ausgeschlossen ist. Die Missbrauchsgefahr allerdings steigt bei einem unbefristeten Aufenthaltsrecht in einem unzumutbaren Maß.

Die Regelungen in dem Erlass des Landes SachsenAnhalt hinsichtlich der Begleitung der Opfer, der Beratung, der Betreuung, der Versorgung bis hin zu einzelnen Schutzmaßnahmen sind darüber hinaus geeignet, ein Klima zu schaffen, das der Situation der Opfer gerecht wird, sodass es dadurch den Strafverfolgungsbehörden erleichtert wird, in der Verbrechensbekämpfung erfolgreich zu sein.

Wir Liberalen hoffen, dass dieser Ansatz Wirkung zeigt, damit in Europa dem menschenverachtenden Treiben Einhalt geboten wird. - Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Wolpert. - Zum Schluss der Debatte hören wir Herrn Reichert für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Befürchtungen des Deutschen Frauenrates, dass sich bei der Fußballweltmeisterschaft, die im vergangenen Jahr in Deutschland stattfand, eine gewisse zusätzliche kriminelle Energie und ein höheres Straftatenaufkommen im Bereich der organisierten Kriminalität sowie bei Menschenhandel und Zwangsprostitution entwickeln könnten, haben sich glücklicherweise nicht bestätigt.

Die Fußballweltmeisterschaft, die unter dem Motto „Zu Gast bei Freunden“ stand, war ein einzigartiges Fest der Freude, des Sports und der Völkerverständigung. Sogar diejenigen, die sonst mit dem Fußballsport nicht so stark verbunden waren, sind durch das Phänomen der Be

geisterung mitgerissen worden. Das galt für Millionen Menschen auf der ganzen Welt.

Dieser Rückblick, denke ich, ist schön. Doch auf der anderen, der leidvollen Seite schöner Ereignisse liegt das Anliegen „Abpfiff - Schluss mit Zwangsprostitution“. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir von der CDU nehmen dieses Anliegen sehr ernst. Diese Delikte behalten ihren politischen Stellenwert und müssen strafrechtlich mit aller Konsequenz weiter bekämpft werden.

Nach intensiver Beratung und Anhörung im Innenausschuss heißt es nunmehr in der Beschlussempfehlung unter Punkt 1:

„Der Landtag begrüßt, dass die Landesregierung per Erlass eine Regelung getroffen hat, die den Anforderungen der EU-Richtlinie 2004/81/EG bereits vor In-Kraft-Treten einer bundesweiten gesetzlichen Regelung Rechnung trägt.“

Die EU-Richtlinie vom 29. April 2004 beinhaltet die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren. In dem Erlass des Innenministeriums ist unter anderem geregelt, dass Opfer von Menschenhandel eine Bedenk- und Stabilisierungszeit von in der Regel vier Wochen erhalten und dass in diesem Zeitraum ihre Abschiebung auszusetzen ist.

Diese Bedenkzeit von vier Wochen finde ich richtig. Es betrifft doch zum größten Teil Frauen, die aufgrund krimineller Machenschaften der Menschenhändler in eine derartige Situation wie Zwangsprostitution hineingeraten sind und die so schnell wie möglich aus diesem Trauma zurück zu ihren Familien und in ihre Heimat wollen.

Es ist richtig, so schnell und so zeitnah wie möglich verwertbare Aussagen zu erhalten, um Tatverdächtige in Untersuchungshaft zu überführen und die Täter auf die Anklagebank zu bringen. Deshalb sollte man die Bedenk- und Stabilisierungszeit nicht auf drei Monate ausweiten, wie es die Linkspartei.PDS fordert.

(Frau Bull, Linkspartei.PDS: Sozialausschuss!)

Im Rahmen der vom Innenausschuss durchgeführten Anhörung sind von den Sachverständigen überzeugende Gründe vorgetragen worden. Herr Rothe hat sie hier auch genannt.

Wenn eine entsprechende Zeugenbereitschaft vorliegt, dann kann eine Aufenthaltserlaubnis von in der Regel sechs Monaten erteilt werden, die unter bestimmten Voraussetzungen um jeweils sechs Monate verlängert werden kann. Zusätzlich sind die Voraussetzungen für den Erlass einer Aufenthaltserlaubnis geregelt, sofern die Opfer nach der Rückkehr in ihr Heimatland einer erheblichen und konkreten Gefahr ausgesetzt wären.

Meine Damen und Herren! Insgesamt ist festzuhalten, dass wir in Sachsen-Anhalt über sachgerechte Regelungen für den Umgang mit Opfern der Zwangsprostitution und des Menschenhandels verfügen. Es wäre gut, wenn sich diese Regelungen auch inhaltlich in dem neuen Bundesgesetz wiederfinden würden.

Den kriminellen Banden, die Menschen aus Drittstaaten einschleusen und für ihre niederträchtigen Ziele und Interessen wirtschaftlich missbrauchen, muss schnell ihr schäbiges Handwerk gelegt werden.

Meine Damen und Herren! Ich bitte darum, der Beschlussempfehlung des Innenausschusses zuzustimmen. - Ich danke Ihnen.

Vielen Dank, Herr Reichert. - Damit ist die Debatte abgeschlossen und wir stimmen über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres in der Drs. 5/522 ab. Wer stimmt zu? - Die Koalitionsfraktionen und die FDP. Wer stimmt dagegen? - Die Linkspartei.PDS stimmt dagegen. Damit ist der Beschlussempfehlung mehrheitlich zugestimmt worden und der Tagesordnungspunkt 9 ist abgeschlossen.

Da wir den Tagesordnungspunkt 10 vor der Mittagspause behandelt haben, rufe ich nun Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung

Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Reform des Rundfunkgebührenrechts

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD - Drs. 5/506

Ich bitte Herrn Borgwardt, das Wort zu nehmen und den Antrag einzubringen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich darüber, dass ich den Antrag anstelle meines erkrankten Kollegen Herrn André Schröder einbringen darf. Ich mache das auch sehr gern.

Sehr geehrte Damen und Herren! Im Mittelpunkt der medienpolitischen Debatte in den letzten Jahren stand immer wieder das Thema der Finanzierung des öffentlichrechtlichen Rundfunks. War es im Jahr 2005 im Rahmen der Beratung des Achten Rundfunkänderungsstaatsvertrags die Diskussion über eine Absenkung der Rundfunkgebührenerhöhung von 1,09 € auf 88 Cent - das ist eine Angelegenheit, die uns wegen ihrer Behandlung vor dem Bundesverfassungsgericht noch einmal beschäftigen könnte -, so war es im Jahr 2006 die Rundfunkgebühr für internetfähige Computer, die die Gemüter erregte.

(Herr Kosmehl, FDP: Zu Recht!)