Ich glaube, dass die Tarifautonomie eine Chance hat. Sie hat eine Chance, obwohl sie zurzeit in einer kritischen Phase ist, der Organisationsgrad auf beiden Seiten sinkt und demzufolge auch die Ergebnisse, die erreicht werden, nicht besonders zielführend sind.
Teilweise sitzt man ja noch in alten Schützengräben; das muss man auch sagen. Es kann Tarifverhandlungen nicht nur immer in eine Richtung geben, wenn sich die Weltentwicklung ganz anders darstellt.
Es muss in bestimmten kritischen Phasen - das zeigen selbst Haustarifverträge der Industrie in Sachsen-Anhalt - Möglichkeiten geben, dass zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit oder zur Vermeidung des Wegfalls des Standortes sozusagen auch einmal nachgelassen wird.
Ich meine, die Diskussion zu dem vorherigen Tagesordnungspunkt hätten wir uns hier in diesem Saal doch ersparen können, wenn es genau diese beiderseitige Bewegung gegeben hätte.
Denken Sie, es belastet mich nicht, die Telekom-Arbeitsplätze, die hochqualifizierte Arbeitsplätze sind, hier zu verlieren, wenn man auf der anderen Seite genau weiß, wohin die sich gefahren haben? Muss man denn 34 Stunden in der Woche arbeiten?
Andererseits - um die Diskussion wieder auf die sachliche Ebene zu bringen - geht es ja auch um Folgendes: Wenn wir in dem Bereich der Niedriglöhne etwas bewegen wollen - Niedriglöhne heißt ja im Prinzip: unterhalb des Lohndurchschnitts -, dann nehmen wir schlicht und einfach zur Kenntnis, dass wir in Sachsen-Anhalt ungefähr 50 000 offene Stellen - das schätzen wir - gegenüber 200 000 Arbeitslosen haben. Das ist doch ein unlösbarer Widerspruch.
Wenn man diese 50 000 Stellen aus dem Bestand der 200 000 Arbeitslosen nicht besetzen kann, dann weiß man, dass in dem Bestand der 200 000 Arbeitslosen erwerbsfähige, motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind, aber eben nicht die geeigneten qualifizierten Arbeitnehmer, für die man wieder Jobs auf den Markt bringen muss. - Darum muss es uns doch in diesem Zusammenhang gehen.
Deshalb dürfen wir die Diskussion nicht ideologisch führen, sondern wir müssen sie ganz pragmatisch führen. Ich sage es auch noch einmal für die Koalition: Unabhängig davon, dass die beiden Koalitionsfraktionen jetzt sicherlich ihre Unterschiede in der Diskussion aufzeigen werden, werden wir am Ende von Evaluierungs- und Besprechungsprozessen ganz pragmatische Lösungen auch für das politische Weitergehen auf der Bundesebene entwickeln, weil wir wissen: Wenn wir uns zu diesem Thema nicht einigen, dann wird die Entwicklung der deutschen Wirtschaft und des deutschen Arbeitsmarktes über uns hinweggehen. Wir brauchen eine Lösung. Diese muss flexibler sein als bisher, und das ist machbar.
Die Erfahrungen - in dieser Hinsicht können wir gemeinsam auch ein wenig Stolz auf Sachsen-Anhalt sein -, die wir mit diesem Thema haben, sind gerade in SachsenAnhalt gemacht worden. Diese Erfahrungen sind nicht nur immer positiv. Wir haben durchaus auch kritische Dinge zutage gefördert. Die müssen wir genauso in die Diskussion einbringen und müssen dabei helfen, die bundespolitische Diskussion zu befördern.
Vielen Dank, Herr Minister Haseloff. - Nun hören wir die Redebeiträge der Fraktionen. Für die SPD-Fraktion spricht die Fraktionsvorsitzende Frau Budde. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema Mindestlohn ist in der Tat eines der zentralen Themen für uns Sozialdemokraten und es berührt aus unserer Sicht tatsächlich die elementare Frage der sozialen Gerechtigkeit. Es ist unsere feste Überzeugung, dass jeder von seiner Hände oder seines Kopfes Arbeit leben können muss.
Dumpinglöhne sind sittenwidrig, sie gefährden nicht nur den sozialen Frieden in unserem Land, sondern berauben auch Menschen der Möglichkeit der freien Selbstbestimmung, durch Arbeit leben zu können, und sie zerstören die ökonomischen Grundlagen unserer Gesellschaft. Dieser Dreiklang gehört dazu, wenn man über auskömmliche Löhne redet. Deshalb steht die Sozialdemokratie auch zum Thema Mindestlohn. Das wird auch so bleiben.
Aber, Herr Gallert, trotz der Übereinstimmung in der Sache und obwohl ich viele Teile Ihrer sachlichen Argumentation, die es in Ihrer Rede ja auch gab, teile, sage ich: Der Antrag, den Sie heute hier eingebracht haben, ist ein riesengroßes Stück Polemik.
Sie wissen, dass es zwischen der CDU und der SPD und damit natürlich auch zwischen einem sozialdemokratischen Finanzminister und einem christdemokratischen Ministerpräsidenten unterschiedliche Auffassungen gibt; das ist so. Sie wissen auch, dass diese nicht aufgelöst sind.
Sie haben ähnliche Anträge unter anderem auch in Brandenburg eingebracht. Die Kommentare der Öffentlichkeit zu dem dortigen Antrag sind sehr eindeutig. Dort wird kommentiert - ich zitiere -:
„Was soll das alles? Den Betroffenen bringt es nichts. Die Akteure können sich damit nicht profilieren und für eine Provinzposse ist das Thema nicht geeignet.“
„Das Spiel kann man endlos weitertreiben, aber es ändert nichts am Regierungsbündnis, nichts an der Oppositionsrolle und in dem konkreten Fall Mindestlohn auch nichts daran, dass die Zuständigkeit beim Bund liegt. Selbst einer ernsthaften Debatte zum Thema Mindestlohn sind die taktischen Plänkeleien nicht wirklich zuträglich.“
Das ist die Reaktion der Öffentlichkeit in Brandenburg darauf gewesen. Ich sage: In diesem Fall war sie, so wie Sie es hier eingebracht haben, auch angebracht.
Wir, die Koalition, haben - das wissen Sie; das haben Sie auch in Ihrer Antragsbegründung richtig festgestellt - im Koalitionsvertrag vereinbart, bis Ende des Jahres 2007 die in Sachsen-Anhalt praktizierten Kombilohnvarianten zu evaluieren und dabei gemeinsame Empfehlungen zur Einführung von Mindestlöhnen zu geben.
Wir sind uns, was das Thema Kombilohn angeht, auch was die flächendeckende Einführung betrifft, mit dem Koalitionspartner nicht einig. Darüber diskutieren wir auch. Auch wir haben an dieser Stelle einen Dissens, weil wir sagen: Ja, Einstieg für bestimmte Gruppen, ja, in bestimmten Gruppen auch Kombilohn, aber nicht flächendeckend.
Ihr Kollege aus der CDU, Norbert Blüm, hat eine sehr schöne folgerichtige Abhandlung über das Thema „Warum sind wir überhaupt beim Thema Mindestlohn?“ geschrieben.
Er beschäftigt sich auch mit der konsequenten Zufinanzierung über Kombilohnmodelle in der Fläche. Er sagt dazu:
„Hungerlöhne werden mit gutem Gewissen gezahlt, solange der Staat einspringt und mit Steuergeld die Lücke schließt, die zwischen Billiglohn und Existenzminimum klafft. Wenn der Staat sich gegen diese Ausnutzung durch die Arbeitgeber wehren will, muss er durch gesetzlichen Mindestlohn den Fall der Löhne ins Bodenlose stoppen.“
„Der Mindestlohn ist der Riegel vor der Tür, durch den sich der Staat vor den Arbeitgebern als Mitnehmer seiner Sozialleistungen schützt.“
Zum einen richten sich Lohndumping und sittenwidrige Löhne gegen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Hier arbeiten über 2,5 Millionen Vollbeschäftigte für einen Bruttolohn von 490 € bis 690 € im Monat. Das ist sittenwidrig, auch wenn es nicht dem diskutierten Grundsatz entspricht, 30 % unter dem ortsüblichen Lohn zu liegen, weil das zum Teil sogar Tariflöhne sind.
Wir sagen: Auch das ist sittenwidrig. Das muss geändert werden. Das kann nur durch den Einzug einer unteren Lohngrenze - den Mindestlohn - geändert werden.
Zum anderen richtet sich Lohndumping aber auch gegen die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Wenn wir auf den Handwerksmarkt schauen, dann ist es richtig, dass wir über eine Ausweitung des Entsendegesetzes in vielen Bereichen die Billigkonkurrenz zu Niedrigstlöhnen auch aus dem europäischen Ausland unterbinden und dass wir hier über das Entsendegesetz Wettbewerbsfähigkeit über Mindestlöhne für unsere eigenen Betriebe herstellen, die zu fairen Bedingungen mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgehen. Auch das spricht für das Argument Mindestlohn. Ich glaube, in diesem Punkt gibt es eine stärkere Annäherung an unseren Koalitionspartner.