Protokoll der Sitzung vom 27.04.2007

(Zustimmung bei der SPD und von Herrn Scharf, CDU)

Ich sage auch mit Augenzwinkern in Richtung meines Koalitionspartners: Bezüglich eines Tariftreuegesetzes und der Umsetzung des im Koalitionsvertrag enthaltenen Satzes „Bei der Erarbeitung eines Handbuches für die Auftragsvergabe müssen wir darauf achten, dass Lohndumping ausgeschlossen ist“, sind wir noch nicht am Ende der Diskussion. Ich weiß, dass Sie andere Auffassungen dazu haben, aber ich möchte Sie gern im sachlichen Streit davon überzeugen, gemeinsam noch ein Stück weiterzugehen.

Das können wir heute nicht beschließen - das wissen Sie von der PDS ganz genau -, weil wir dabei im Diskussionsprozess stehen, und der ist sehr, sehr schwierig.

(Zuruf von der Linkspartei.PDS: Das tut uns aber leid!)

- Ja, das sollte Ihnen auch leidtun, weil wir damit nicht schneller zum Ergebnis kommen. Aber Ihr Leidtun wird uns nicht helfen und es wird daran auch nichts ändern, weil solche Anträge wie der heutige nicht dazu führen, dass wir in der sachlichen Diskussion schneller vorankommen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Wenn der Präsident es mir gestattet, will ich noch einmal ganz kurz Bezug nehmen auf die Kette der Argumentation von Norbert Blüm, die ich vorhin angesprochen habe.

Er führt aus - diese Position teile ich ausdrücklich -, dass die neoliberalen Argumente, den Lohn immer weiter nach unten zu fahren, die Tariftreue anzugreifen und aufzulösen, und diejenigen, die eigentlich weniger Staat und mehr Markt wollten, jetzt zum Ergebnis haben, dass der Staat eingreifen muss und es mehr Staat als Markt geben wird, und dass es besser gewesen wäre, wenn das, was in Deutschland jahrzehntelang Bestand hatte - starke Tarifparteien auf der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberseite, die eben nicht nur sittenwidrige, sondern angemessene Löhne miteinander aushandeln können -, heute noch Bestand hätte. Die Aushöhlung der Tarifvertragsverhandlungen und die Unterhöhlung dieses Systems hat dazu geführt, dass wir in Zukunft mehr Staat haben werden und wir nicht mehr darum herumkommen werden, das Thema der Mindestlöhne staatlich zu regulieren.

Es gibt in Ihrer Fraktion, Herr Gallert, ja auch Kolleginnen und, ich glaube, auch Kollegen, die die Unterschrifteninitiative unterstützen.

(Herr Gallert, Linkspartei.PDS: Ja!)

Das finde ich gut. Dafür bedanke ich mich. Dabei sind wir auch auf einer Linie. Das hilft weiter; aber der Antrag heute hier nicht.

Unsere Position bleibt trotzdem: Wir werden für den Mindestlohn kämpfen. Wenn wir am Ende des Jahres noch keine gemeinsame Position haben, dann werden wir das zugeben müssen. Wir hängen an der Bundesdiskussion: denn nur wenn es dort eine Lösung geben wird, werden sich auch die Koalitionäre hier im Landtag auf eine Linie einigen können. So ehrlich muss man bei dem Thema sein.

Das ändert nichts daran, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der CDU, dass wir weiter dafür kämpfen werden, Sie vom Mindestlohn zu überzeugen.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der Linkspartei.PDS)

Vielen Dank, Frau Budde. - Für die FDP-Fraktion erteile ich nun Herrn Professor Paqué das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor ziemlich genau einem halben Jahr haben wir hier schon einmal gestanden und im Wesentlichen über das gleiche Thema gesprochen: Mindestlöhne. Damals habe ich ausführlich die liberale Position dargestellt. Die FDP-Fraktion - ich wiederhole das an dieser Stelle nur ganz kurz; es wird Sie nicht wundern - lehnt Mindestlöhne ab, weil Mindestlöhne Arbeitslosigkeit schaffen, weil sie insbesondere im Teilzeitbereich Jobs und Tätigkeiten zerstören und weil sie unnütze Bürokratie schaffen.

Meine Damen und Herren! Wir haben in Deutschland Tarifautonomie, wir haben Vertragsfreiheit und wir haben Gerichte, die längst ganz klar festgelegt haben, was unter Sittenwidrigkeit bei Vertragsbedingungen am Arbeitsmarkt zu verstehen ist.

Herr Professor Paqué, möchten Sie eine Frage von Frau Klein beantworten?

Bitte zurückstellen. Zum Schluss mache ich das gern. - All das genügt. All das ist der Kern dessen, was eine soziale Marktwirtschaft ausmacht. Wir brauchen keine Mindestlöhne, sondern wir brauchen, um diese soziale Marktwirtschaft zukunftsfähig zu erhalten, eine Reform unseres Steuer- und Transfersystems, die dafür sorgt, dass entsprechende Anreize vorhanden sind, Arbeit anzunehmen und Arbeitsplätze entstehen zu lassen.

Es gibt ja längst entsprechende Modelle - darüber haben wir früher hier auch diskutiert -, Bürgergeld, negative Einkommensteuer, die den vom Minister dankenswerterweise erwähnten Unterschied zwischen dem Einkommen, das der Arbeitende erzielt, und dem Lohn, zu dem kontrahiert wird, untermauern. Diesen wichtigen, für den Sozialstaat außerordentlich wichtigen Unterschied hat der Minister noch einmal betont, und das kann ich hier nur unterstreichen.

Lieber Herr Gallert, genau darin liegt Ihr Denkfehler.

(Lachen bei der Linkspartei.PDS - Herr Dr. Thiel, Linkspartei.PDS: Ihrer, Herr Paqué, Ihrer!)

Sie wollen ja im Grunde die Trennung zwischen dem Markt auf der einen Seite und dem Sozialstaat auf der

anderen Seite wieder auflösen. Nachdem Sie in der Antwort auf das, was Herr Kosmehl gefragt hatte, das noch einmal etwas ausgeführt haben, wurde mir klar: Das ist tatsächlich der Weg zurück in zentralverwaltungswirtschaftliche Zustände,

(Lachen bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung von Frau Dirlich, Linkspartei.PDS)

die in der DDR deutlich gezeigt haben - wir haben 40 Jahre Erfahrung damit gehabt -, dass das zu überhaupt nichts führt.

Wir können auch in die Weimarer Republik zurückschauen, in der es einen starken staatlichen Einfluss auf die Tarifvertragsparteien gegeben hat, in der es Zwangsschlichtungen gab, in der es die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge in großem Stil gab. Auch das war nicht erfolgreich. Daraus müssen wir die historischen Lehren und die volkswirtschaftlichen Lehren ziehen. Die sagen eindeutig: Wir brauchen die Trennung zwischen dem Sozialstaat und dem Arbeitsmarkt. Die muss aufrechterhalten werden, meine Damen und Herren.

(Zustimmung von Herrn Franke, FDP)

Zum Antrag der PDS. Insgesamt möchte ich sagen, dass wir den natürlich ablehnen. Es gibt einen Aspekt in diesem Antrag, der darauf zielt, dass die Landesregierung ihre Position hierzu präzisieren sollte. Dazu muss ich an die Kollegen der PDS gerichtet sagen: Das wird kaum gelingen. Ich habe das eben auch schon bei Frau Budde deutlich herausgehört. Im Grunde wird sich die Landesregierung, werden sich die beiden Fraktionen, die die Landesregierung tragen, mit Sicherheit dem anschließen, was in der Arbeitsgruppe des Bundes herauskommt, wenn etwas herauskommt.

Ich kann es mir sehr schwer vorstellen, dass der Ministerpräsident massiv opponieren würde, wenn man sich in Berlin einigen würde. Ich kann mir auch nur schwer vorstellen, dass Herr Bullerjahn massiv opponieren würde. Bisher hat die Landesregierung in dieser Frage auf bundespolitischer Ebene überhaupt kein Profil gezeigt. Deswegen brauchen wir uns darüber eigentlich auch keine Sorgen zu machen.

(Lachen bei der Linkspartei.PDS)

Das Entscheidende wird sein, ob in Berlin ein Kompromiss gefunden wird. Wenn er gefunden wird, dann werden diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen ihn mit Sicherheit abnicken, wie es bisher bei diesen wesentlichen ordnungspolitischen Fragen immer geschehen ist, meine Damen und Herren.

Zum Schluss noch ein Wort zu dem Alternativantrag von CDU und SPD. Wir, die FDP-Fraktion, sind selbstverständlich gegen sittenwidrige Löhne. Wir werden deshalb diesem Antrag zustimmen. Aber wir sagen auch ganz deutlich, dass die Feststellung sittenwidriger Löhne eine juristische Frage ist, die die Arbeitsgerichte entscheiden müssen. Diese haben bereits eine ganz klare Rechtsprechung in dieser Hinsicht. Diese Rechtsprechung läuft darauf hinaus, dass ein Drittel an Unterschreitung von ortsüblichen Tarifen und von Tarifverträgen als sittenwidrig gilt.

Genau das ist jetzt in der Diskussion. In diese Position flüchtet sich die CDU auf der Bundesebene. Sie sagt: Das wollen wir gesetzlich geregelt haben. Das ist dann natürlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, eine Placebopolitik. Denn das wird überhaupt nichts verändern, es wird nur Bürokratie schaffen. Dann haben wir

ein zusätzliches Gesetz, obwohl wir eigentlich nicht noch zusätzliche Gesetze schaffen wollen.

Herr Gürth, ich sehe an dem Wiegen Ihres Kopfes, dass Sie das auch nicht so toll finden. Aber ansonsten haben die Gerichte hierzu eigentlich längst die Dinge klargelegt. Wir haben alles, was wir brauchen, um in unserer sozialen Marktwirtschaft vernünftig weiterzuarbeiten.

Ich kann nur darum bitten, dass auch die Koalitionsfraktionen die Finger von dieser Idee gesetzlicher Mindestlöhne lassen. Ihre Umsetzung würde in Deutschland mehr Arbeitslosigkeit erzeugen und niemandem in diesem Land helfen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank. Es gibt jetzt noch zwei Fragen. - Zunächst bitte Frau Dr. Klein, dann Frau Dirlich.

Herr Paqué, da Sie eben ein so schreckliches Bild von den gesetzlichen Mindestlöhnen gezeichnet haben, stelle ich Ihnen die Frage, die zu beantworten der Herr Minister leider vergessen hat. Welche Erfahrungen haben die 20 europäischen Länder, in denen es gesetzliche Mindestlöhne gibt, sowohl im Hinblick auf die Entwicklung der Arbeitslosigkeit als auch auf die Entwicklung der Insolvenzen gesammelt?

Aus Ihrem Beitrag hat sich für mich noch eine zweite Frage ergeben. Gibt es wirklich eine Trennung zwischen Markt und Sozialstaat? Als was bezeichnen Sie dann die staatlichen Zuschüsse zu Niedriglöhnen? Als was bezeichnen Sie dann die Zuschüsse nach dem SGB II zu Niedriglöhnen? Was ist für Sie dann Wirtschaftsförderung?

Zunächst zu der ersten Frage, zu den Erfahrungen aus dem Ausland. Vor einem halben Jahr haben wir bereits genau über diesen Punkt intensiv im Plenum gesprochen. Deshalb nur ganz kurz.

Erstens haben diejenigen Länder Mindestlöhne eingeführt, beispielsweise Großbritannien, die zu diesem Zeitpunkt bereits eine sehr niedrige Arbeitslosigkeit erreicht hatten. In dem Augenblick, in dem Sie eine sehr niedrige Arbeitslosigkeit haben, sind die Auswirkungen der Einführung eines Mindestlohns natürlich ganz anders zu beurteilen, als wenn Sie in Zeiten viel zu hoher Arbeitslosigkeit, wie wir sie in Deutschland haben, einen Mindestlohn festlegen.

Zweitens. Das hat der Minister schon angesprochen: Der internationale Vergleich in Bezug auf die Höhe der Mindestlöhne hinkt massiv, weil wir in Deutschland deutlich höhere Lohnnebenkosten haben. Dadurch würden natürlich entsprechende Kennziffern, die für das Ausland genannt werden, wenn sie auf Deutschland übertragen würden, deutlich höher ausfallen und für die Arbeitgeber eine deutlich höhere Belastung darstellen. Damit würden sie auch zu einer deutlich höheren Arbeitslosigkeit führen. Insofern ist bei dem internationalen Vergleich Vorsicht geboten.

Es gibt einen dritten Punkt. Ein Land, das traditionell mit Mindestlöhnen arbeitet, ist Frankreich. Dort gibt es aller

dings eine hohe Arbeitslosigkeit und eine sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit. Es ist also keineswegs ein Vorbild. Aber in Frankreich ist der gewerkschaftliche Einfluss und auch der Einfluss der Arbeitgeberverbände sowie das Ausmaß der gelebten Tarifautonomie auf einem ganz anderen Niveau als in Deutschland. Insofern ist der Ruf nach dem Staat an dieser Stelle eher zu verstehen als in einer Situation, in einer Tradition, wie wir sie in Deutschland haben. Wir haben langjährige Erfahrungen mit Tarifautonomie und flächendeckenden Tarifverträgen gesammelt.

Die zweite Frage, liebe Frau Dr. Klein, ist eine ganz grundsätzliche. Was die wirtschaftspolitische und die sozialpolitische, ja geradezu sozialphilosophische Frage angeht, würde ich noch einmal ganz deutlich unterstreichen: Markt und Sozialstaat müssen in der Grundrichtung voneinander getrennt sein. Alle Vermischungen bringen Schwierigkeiten mit sich.

Ich bin ehrlich genug, Frau Dr. Klein, um an dieser Stelle zu sagen, dass das auch für Varianten des Kombilohns und der negativen Einkommensteuer gilt. Die sind keineswegs leicht zu implementieren. Allerdings gibt es dazu Erfahrungen in anderen Ländern. Ich denke hierbei an den Earned Income Tax Credit, den es in den Vereinigten Staaten gibt.

Diese Erfahrungen zeigen, dass es finanzierbar ist und dass es vor allem einen deutlichen Zuwachs an Arbeitsplätzen bringt und dass es zur Bekämpfung der Armut dient. Darauf sollten wir schauen, wenn wir überlegen, wie ein solches Instrument aussehen könnte. Aber die internationalen Erfahrungen sind ansonsten natürlich immer qualifiziert zu betrachten.

(Zustimmung bei der FDP)

Vielen Dank. Jetzt gibt es noch eine Frage von Frau Dirlich. - Bitte.