Protokoll der Sitzung vom 14.06.2007

Bitte schön, Herr Stadelmann.

Sehr geehrter Kollege Kley, in gewohnt fulminanter Weise haben Sie hier vom Leder gezogen. Ich sage es einmal so: Sie sind Naturwissenschaftler, ich bin Ingenieur. Deshalb bin ich ganz bei Ihnen, wenn Sie sagen, die Kernkraft muss noch eine Weile einen Beitrag zum Klimaschutz erbringen. Aber inwieweit Kernkraftwerke zur biologischen Artenvielfalt beitragen, müssten Sie mir schon etwas genauer erklären.

(Frau Weiß, CDU: Das weiß er selbst nicht!)

Sehr geehrter Herr Stadelmann, ich habe gesagt, dass die Beeinflussung der Umwelt durch die Kernkraftwerke um ein Vielfaches geringer ist als durch die gegenwärtig existierenden Alternativen.

Sehen wir uns zum Beispiel die Windräder an: Es ist eine eindeutige Begrenzung von Vogelzuglinien festzustellen; unter den Windrädern ist ein deutlicher Verlust der Vielfalt an Insektenarten und auch eine Beeinflussung von anderen Tierarten, die zum Beispiel auf Schallüber

tragung angewiesen sind, zu verzeichnen. Im Vergleich dazu stellt das Kernkraftwerk einen viel besseren Beitrag für die von Ihnen genannten Schutzziele dar.

(Zuruf von Herrn Dr. Püchel, SPD - Unruhe)

- Es trägt sogar zu einer Erweiterung der Artenvielfalt bei. Herr Dr. Püchel, ich danke für den Hinweis.

Vielen Dank. - Meine Damen und Herren! Bevor ich dem Abgeordneten Herrn Bergmann von der SPD das Wort erteile, möchte ich Sie herzlich um eines bitten. Wir verstehen hier vorn sehr schlecht. Wenn Sie den Schallpegel etwas reduzieren würden, wäre das sehr angenehm. - Herzlichen Dank.

Ich erteile dem Abgeordneten Herrn Bergmann von der SPD das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, eine Debatte über Kernkraftwerke führe ich mit Ihnen heute nicht.

(Zuruf von Herrn Kley, FDP)

- Mit Sicherheit machen wir das an anderer Stelle, Herr Kley. Wir würden zumindest sprunghafte Mutationen feststellen. Wohin das dann führt, ist eine ganz andere Geschichte. Ob es etwas mit biologischer Artenvielfalt und Biodiversität zu tun hat, wenn weiße Sperlinge durch die Landschaft fliegen, weiß ich nicht. Das machen wir aber an anderer Stelle ganz in Ruhe.

Wir haben in den letzten Wochen im Zusammenhang mit dem Gipfel in Heiligendamm feststellen können, dass uns das Thema Klima auf der ganzen Welt bewegt. Tobias Münchmeyer, ein Klimaexperte von Greenpeace, fasste es wie folgt zusammen:

„Das ist so, wie wenn es brennt und die Brandstifter sagen, dass sie ernsthaft erwägen, das Feuer zu löschen.“

Meine Damen und Herren! Das war eine deutliche Kritik an den Ergebnissen von Heiligendamm, die ich nicht 100-prozentig teile. Aber ich muss sagen: Wenn es bei den Absichtserklärungen bleibt und wenn wir nicht in der Politik real anfangen, Ernst zu machen und das Ganze in Verordnungen und Gesetze fließen zu lassen, dann werden wir nichts erreichen, dann wird auch die Bundeskanzlerin die Ziele, die sie - davon gehe ich aus - ernsthaft vertritt, nicht erreichen können.

Wir als Bundesrepublik Deutschland können uns auch nicht hinter anderen Staaten verstecken und unsere Ziele von denen anderer Staaten abhängig machen. Ich glaube, wir sollten uns selbst Ziele geben und unsere Vorgaben einhalten.

Die Diskussion über den Klimawandel ist inzwischen überall angekommen, auch in der Altmark.

(Heiterkeit)

Ich habe gestern, als ich auf den Newsletter unserer SPD-Fraktion geguckt habe, mit großer Freude festgestellt, dass die Friedrich-Ebert-Stiftung am 25. Juni 2007 ein Seminar zum Thema „Bananen in der Altmark - der

Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Landwirtschaft“ abhält. Ich finde das gut. Das klingt im ersten Moment - -

(Heiterkeit)

- Ich habe auch erst gelacht. Ich dachte: Was ist das? - Fakt ist aber auch - die Frage von Frau Hüskens vorhin ging in diese Richtung -, dass wir uns fragen müssen: Wie stellen wir uns darauf ein und wie wird es sich in Sachsen-Anhalt darstellen?

Das Problem in der Wissenschaft ist gerade in Bezug auf den Klimawandel, dass wir selten Ad-hoc-Ereignisse haben, sondern dass sich Veränderungen nur sehr langsam entwickeln und dass wir deswegen vieles nicht erkennen, was sich zurzeit negativ in der Natur abspielt. Deshalb sollten wir umso genauer hinschauen und das Thema ernsthaft behandeln.

Das Thema der heutigen Aktuellen Debatte regt zum Nachdenken an. Im ersten Moment fragt man sich, ob die Verknüpfung von biologischer Vielfalt und Klimaschutz wirklich glücklich gewählt ist. Das wollte Herr Kley uns vorhin auch klar machen.

Unter globalen Gesichtspunkten spricht natürlich vieles dafür, Herr Kley. Es gibt eine Reihe von Artenschutzmaßnahmen, die keinen direkten Bezug zum Klimaschutz haben. Aber wenn wir über biologische Vielfalt als solche diskutieren, so bedarf es dann doch einer globalen Betrachtung, da es sehr komplexe Zusammenhänge gibt.

Ich denke dabei insbesondere - das ist mehrfach angesprochen worden - an den Erhalt der tropischen Regenwälder. In keinem terrestrischen Ökosystem ist mehr Kohlenstoff als in dem noch verbliebenen Holz der tropischen Urwaldriesen gespeichert. Nach der Schätzung der Wissenschaftler sind es ca. 433 Millionen t Kohlenstoff.

Die Einflussmöglichkeiten des Landes Sachsen-Anhalt sind natürlich begrenzt. Das ist klar. Wir sollten das aber nicht immer als Ausrede nutzen; wir sollten vielmehr darüber nachdenken, was wir tun können. Sie wissen, insbesondere in der Agenda für nachhaltige Entwicklung heißt es: Global denken - lokal handeln.

Wir haben in Europa im Hinblick auf die Entwicklung der biologischen Vielfalt seit der letzten Eiszeit, also in einem sehr kurzen Zeitraum, festgestellt, dass sich das Artenspektrum enorm verändert hat. In der Regel sind es anthropogene, also durch den Menschen beeinflusste Ursachen. Ich beginne einmal mit einigen Stichworten, dem Ausrotten von Großwildarten, dem Übergang zum Ackerbau, der Bildung urbaner Siedlungsstrukturen und letztlich der Abholzung der Urwälder. So haben sich die Artenzusammensetzung und das Artenspektrum bereits deutlich verändert.

Infolge der Industrialisierung und insbesondere des Einsatzes mineralischer Dünger und synthetischer Pflanzenschutzmittel, aber auch der Vergrößerung der Acker- und Grünlandflächen wurden Arten, die bisher von der Kulturlandschaft profitierten, enorm unter Druck gesetzt. Ein weiteres in dieser Dimension erst seit wenigen Jahren oder Jahrzehnten auftretendes Problem für einige einheimische Arten ist die Vermehrung von Neophyten und Neozoen, die auch zur Verdrängung von einheimischen Arten beitragen.

Das ist das Schwierige an einer solchen Debatte; es ist immer eine Gratwanderung zwischen Vorlesung und politischer Debatte, weil es ohne fachspezifische Hintergründe kaum erklärt werden kann. Ich will es zumindest kurz mit auf den Weg geben: Wenn wir von Neophyten und Neozoen reden, reden wir von Neubürgern in unseren Breiten, die sich aufgrund einer bereits eingetretenen Klimaerwärmung oder aufgrund anderer aus der Sicht dieser Arten positiver Entwicklungen hier angesiedelt haben.

Wir dürfen auch nicht vergessen - das sollten wir uns klar machen -, dass wir in Ballungsräumen, wie etwa dem Ruhrgebiet, bereits heute eine Erwärmung zu verzeichnen haben, sodass die dortige Temperatur um 2o C über der Temperatur im Umland liegt. Damit haben wir im Prinzip bereits kleine Versuchsfelder. Wir wissen, dass in diesen Städten das Artenspektrum völlig anders als im Umland aussieht.

Wir können im Moment feststellen: Das ist noch nicht schädlich. Aber wir wissen auch nicht, wohin es führt. Wir merken aber, das Artenspektrum sieht dort ganz anders aus. Das Klima in Ballungsräumen in unseren Breiten entspricht zum Teil dem Klima südlich der Alpen, wenn man sich das einmal geografisch klar machen möchte.

Zu den Erkenntnissen zum Klimawandel kommt nun eine neue Gefahr für die biologische Vielfalt in die Diskussion, nämlich die Frage: Inwieweit wird der Klimawandel neben den anthropogenen Ursachen weiterhin zu einem Artenrückzug, zu einem Artenrückgang oder zumindest zur Veränderung des Artenspektrums beitragen?

Wir haben in Deutschland beim Bundesamt für Naturschutz - das ist vielleicht auch für Frau Dr. Hüskens eine interessante Quelle - bereits im Jahr 2004 eine Literaturstudie finden können, die das Thema Klimawandel und Biodiversität näher beleuchtet. Viele Arten reagieren auf Klimaveränderungen durch Änderung ihrer Verhaltensweisen, und zwar dadurch, dass sie ihren Lebensrhythmus anpassen oder ihre Verbreitungsgebiete verschieben und ändern. Das kann man wirklich feststellen. Das ist im Gange. Das ist keine Mär und keine - wie soll ich sagen? - Biolyrik oder Biophantasie. Das kann man heutzutage schon sehr gut feststellen.

Die Auswirkungen im Einzelnen sind kaum vorhersehbar. Klimabedingt, so wird von den Forschern prognostiziert, können 5 % bis 30 % der Arten aussterben. Wenn eine Reduzierung der Erwärmung nicht erreicht wird, können nur größere vernetzte Schutzgebiete Ausgleichs- und Wanderungsmöglichkeiten bieten.

Meine Damen und Herren! An dieser Stelle kommt Sachsen-Anhalt selbstverständlich mit ins Boot und auch in die Pflicht.

Vorab nur kurz ein paar Zahlen, um uns den Stand der Dinge zu vergegenwärtigen. Die Gesamtzahl der Säugetierarten beträgt 75; davon stehen bereits 40 auf der Roten Liste. Bei den Vögeln sind es 210; davon stehen 73 auf der Roten Liste. Bei den Kriechtieren sind es fünf von sieben, bei den Laufkäfern 197 von 414 und bei den Farn- und Blütenpflanzen 752 von 2 228.

Wir müssen feststellen, dass wir in Sachsen-Anhalt eine Vielzahl von Arten haben, die auf der Roten Liste stehen. Deren Anteil an der Gesamtenartenzahl ist beträchtlich. Wir müssen also im Hinblick auf den Klima

wandel darauf achten, dass wir die Arten weiter schützen. Dies geht nur dann - darin bin ich mit Herrn Stadelmann vollkommen einer Meinung -, wenn wir ausreichend große Rückzugsräume sowie große Durchzugsgebiete schaffen bzw. erweitern. Wir müssen bei der Planung von Verkehrstrassen deren Überwindbarkeit beachten, die Flächenversiegelung stoppen und manchen Lebensraum an die Arten zurückgeben.

Das Ziel der biologischen Vielfalt, meine Damen und Herren, ist nicht zum Nulltarif zu haben. Zur Umsetzung dieses Ziels brauchen wir einen globalen Ansatz; wir dürfen die Dynamik der biologischen Vielfalt nicht außer Acht lassen. Aber wir müssen vornehmlich lokal handeln.

Jetzt nenne ich einfach einmal die Dinge, von denen ich sage, das können wir hier tun. Dazu fällt mir als Erstes ein - Herr Kley hat es, glaube ich, schon erwähnt -: Wir müssen für unsere Flora-Fauna-Habitat-Gebiete und für die EU-Vogelschutzgebiete endlich Managementpläne erstellen und diese dann auch umsetzen. Wir haben diesbezüglich eine großen Nachholbedarf. Das wissen wir. Wir sollten schleunigst an diese Arbeit gehen.

Wir sollten uns weiterhin für die Erforschung und den Erhalt bestimmter Arten einsetzen, die im Land Sachsen-Anhalt eine besondere Rolle spielen. Ich nenne nur zwei, die allgegenwärtig sind und jedem ins Bewusstsein gedrungen sein sollten. Das ist zum einen der Weißstorch. In diesem Zusammenhang müssen wir auch überlegen, wie, auf welche Art und Weise wir den Storchenhof in Loburg weiterhin halten können; denn nur Erforschung und Erhalt dieser Arten hilft uns - -

(Zuruf von Ministerin Frau Wernicke)

- Entschuldigung. Auch wenn er nichts erforscht, müssen wir uns darüber verständigen, wie wir diese sinnvolle Einrichtung für das Land, die so positiv wirkt, erhalten können. Dabei spielt die Forschung vielleicht nur eine Nebenrolle. Nichtsdestotrotz: Niemand hat, glaube ich, in den letzten Jahren Sachsen-Anhalt so wunderbar positiv verkauft wie Prinzesschen, wenn ich das einmal so sagen darf. Das war mit sehr wenig Geld ein hoher Werbeeffekt für das Land Sachsen-Anhalt.

Ich denke an den Rotmilan, für den wir eine besondere Verantwortung haben, weil er mitten in Sachsen-Anhalt seinen weltweiten Verbreitungsschwerpunkt hat. Wir müssen Projekte wie das Naturschutzprojekt „Untere Havel“ positiv begleiten. Auch hierbei geht es um den Schutz der biologischen Artenvielfalt und darum, dass wir, wenn wir Zonen haben, in denen Kaltluft entsteht usw., auch das Klima positiv beeinflussen können.

Außerdem müssen wir - diesbezüglich gibt es für mich keine Diskussion - natürlich auch darüber diskutieren, wie wir endlich die benötigten Kernzonen im Biosphärenreservat Gipskarstlandschaft Südharz zusammenbekommen.

Diese Liste ist alles andere als vollständig, das weiß ich. Aber das sind Dinge, die wir sehr schnell über Anträge erledigen können. Ich rufe Sie dazu auf, das, was wir heute in der Aktuellen Debatte erörtern, und das, was wir wirklich umsetzen können, in der zweiten Jahreshälfte im Hinblick auf die große Biodiversitätskonferenz in Deutschland durch Anträge und auch finanziell zu untersetzen; denn wie ich Ihnen schon sagte, zum Nulltarif geht nichts.

Wer glaubt, die Natur zum Nulltarif zu bekommen - das sage ich Ihnen so deutlich; das meine ich -, der beutet sie aus, der zerstört sie und der handelt unsolidarisch gegenüber seinen Mitmenschen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herzlichen Dank, Herr Bergmann. - Als letztem Debattenredner erteile ich jetzt dem Abgeordneten der Linkspartei.PDS Herrn Lüderitz das Wort. Bitte schön.