Protokoll der Sitzung vom 14.06.2007

Wir hatten vor knapp zwei Wochen in Osterburg den Sachsen-Anhalt-Tag, wo durch unsere Sicherheitsbehörden leider nicht verhindert werden konnte, dass die NPD eine unangemeldete Demonstration mitten durch die Innenstadt durchführen konnte. Hierzu habe ich im

Übrigen auch eine Kleine Anfrage gestellt und warte noch auf die Beantwortung.

Nach dieser Demonstration ist mir aufgefallen - ich bin regionaler Abgeordneter aus Osterburg und hielt mich den ganzen Tag über im Zentrum des Geschehens auf, häufig auch auf dem Themenplatz „Weltoffenes Sachsen-Anhalt“, wo die Stände der Landeszentrale für politische Bildung, der Landtages, aber auch der Auslandsverbände und -vereinigungen platziert waren -, dass einzeln auftretende Rechtsradikale und Neonazis immer wieder den Stand der Landeszentrale für politische Bildung, der deutlich und offensiv für die Kampagne „Hingucken“ warb, gezielt störten. Alle anderen Stände auf diesem Platz wurden nicht gestört. Weder bei uns, beim Stand des Landtags ist mir das aufgefallen noch bei den Ständen der Auslandsverbände, wo auch andersfarbige Bürger warben.

Meine Frage an Sie, Herr Minister: Gibt es Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden, dass dieses Netzwerk vonseiten der rechten Szene gezielt beobachtet wird und dass Veranstaltungen dieses Netzwerks gezielt gestört werden sollen?

Wir haben nicht nur in Osterburg entsprechende Erfahrungen gemacht, dass Veranstaltungen der Landeszentrale gezielt gestört werden. Erinnern Sie sich bitte an das Konzert in der Staatskanzlei - es fand auch im Rahmen der Kampagne „Hingucken“ statt -, wo rechte Störer mit Transparenten gezielt in die Staatskanzlei gekommen sind, um dieses Konzert zu stören.

Insofern gibt es - man muss leider schon „natürlich“ sagen - Verhaltensweisen von rechten Gruppierungen, die sich ganz gezielt auf bestimmte Akteure konzentrieren. Wenn Sie sich die Internetauftritte und die Veröffentlichungen der NPD und der JN anschauen, werden Sie sehen, dass dort ganz zielgerichtet staatliche Institutionen angegriffen werden - das ist der Verfassungsschutz, das ist die Polizei und das ist der Innenminister; das ist so - und darüber hinaus auch bestimmte aktive Gruppierungen und gesellschaftliche Kräfte.

Die Landeszentrale für politische Bildung und Vereine, auch die Akteure in Halberstadt, die sich unter dem Netzwerk in Halberstadt zusammengefunden haben, sind bei den Rechten Ziele von Störungsaktivitäten. Zumindest wenn man sich die entsprechenden Aktivitäten näher anschaut, kann man eine solche Interpretation durchaus wagen.

Herzlichen Dank, Herr Minister, für die Beantwortung der Fragen.

Ich darf, bevor wir in die Debatte eintreten, Schülerinnen und Schüler der Landesschule Pforta auf der Südtribüne begrüßen. Ich finde es besonders schön, dass Sie gerade zu diesem Thema hier sind. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Für die CDU erteile ich jetzt dem Abgeordneten Herrn Stahlknecht das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst verurteilen wir die Vorgänge in Halberstadt auf das Schärfs

te. Unser Mitgefühl gilt den Opfern dieser barbarischen Brutalität. Ich denke, wir alle wünschen ihnen von hier aus gute Besserung, wobei sicherlich die körperlichen Narben eher als die psychischen verheilen werden. Das ist bei solchen Körperverletzungsdelikten meist der Fall.

Wir - nicht nur als Christlich-Demokratische Union, sondern, ich denke, jeder Einzelne von uns - stehen für Toleranz, Humanität, Schutz der Schwachen, Achtung der Religionsfreiheit, Gleichheit der Menschen und als Christen auch für das Gebot der Nächstenliebe. Wir stehen für ein weltoffenes und tolerantes Sachsen-Anhalt.

Ebenso fordern wir aber auch die konsequente Verfolgung derer, die mit Straftaten gegen diese Grundwerte unserer Gesellschaft verstoßen, und wir fordern eine konsequente wie empfindliche Bestrafung dieser Täter.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP)

Diese Grundwerte von Humanität, Zivilisation und Rechtskultur dürfte jeder in diesem Hohen Hause teilen, und auch - das zu erwähnen ist mir wichtig - die überwiegende Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Sachsen-Anhalt richtet ihr Handeln und Tun an diesen Grundwerten aus.

Demgegenüber - Herr Gallert, das ist vielleicht ein Bereich der Ursachenforschung, warum Rechtsextreme so agieren können - müssen wir den Menschen deutlich machen, was diese Rechtsradikalen eigentlich am Ende wollen. Das muss noch wesentlich stärker transportiert werden.

Ich habe dargestellt, wofür wir als zivilisierte Gesellschaft stehen. Wofür stehen denn Rechtsradikale und Extremisten? - Sieg der Stärkeren und Vernichtung der Schwachen oder deren bedingungslose Unterwerfung, Verachtung Andersdenkender oder vermeintlich Andersseiender gehören ebenso zum Gedankengut wie barbarische Rücksichtslosigkeit bis zur physischen Vernichtung des von ihnen zum Opfer erklärten Gegners. Humanität ist für diese Rechtsextremen nur Ausdruck einer Mischung von Dummheit, Feigheit und eingebildeter Besserwisserei.

Insofern ist der Angriff von Halberstadt nicht nur eine verurteilenswerte gefährliche Körperverletzung, sondern der erklärte Angriff auf unsere zivile Gesellschaft mit ihren von mir geschilderten Grundwerten.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung von Minister Herrn Dr. Daehre)

Denn dort wurde das Aussehen eines Menschen, das für eine bestimmte Lebensform steht, zum Anlass genommen, ihn zusammenzuschlagen. Extremisten wollen am Ende eine andere Staatsform, nämlich eine Diktatur. Diktatorische Systeme haben immer am Anfang zunächst den Andersdenkenden oder Andersseienden die Würde genommen und dann das Leben.

Gestatten Sie mir an dieser Stelle einen Ausflug in die Geschichte. Auch das ist mir in diesem Zusammenhang wichtig. So war im Dritten Reich die Zugehörigkeit beispielsweise zum jüdischen Glauben eine wesentliche Eigenschaft eines Menschen, nämlich Jude zu sein. Juristen, furchtbare Juristen haben das damals so definiert. Diese Eigenschaft reichte aus, den Juden abzusprechen, ein Mensch wie andere auch zu sein. Insofern wurde ihnen zunächst die menschliche Würde und spätestens ab 1941 in einem geplanten Massenmord das Leben genommen.

Es muss den Menschen draußen im Land gesagt werden, dass diese Rechtsextremen wieder dafür stehen, was wir an geschichtlicher Vergangenheit und Verantwortung haben.

Ich will eines sagen, wobei ich weiß, dass das gefährlich werden kann; ich will aber eine konsensuale Debatte. Auch die Diktatur des SED-Unrechtsregimes hat Andersdenkenden diese Würde genommen und später in vielen Fällen auch das Leben. Allerdings sind - da orientiere ich mich an Hannah Arendt - die Opfer von Diktaturen nicht gegeneinander aufzurechnen, sondern am Ende zu addieren.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Insofern gehört unserer Auffassung nach zur Vorbeugung gegen Extremismus jeder Art auch das Bekenntnis, jede Form von Diktaturen abzulehnen und nicht von „schlimmen“ und „nicht so schlimmen“ Diktaturen zu sprechen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Eine Beschönigung des DDR-Unrechtsstaates und die Ablehnung einer Aufarbeitung von dort geschehenem Unrecht können auch dazu führen, dass eine Abkehr von der Demokratie hin zu einer vermeintlich „nicht so schlimmen“ Diktatur in den Köpfen der Menschen reifen kann und dass für Extremisten ein entsprechender Nährboden geschaffen wird. Auch das ist eine Gefahr, dass wir uns nicht der geschichtlichen Verantwortung beider Diktaturen stellen und sagen: Wir leben in einer Staatsform, die humane Werte hat und das größte Maß an Freiheit; die Diktaturen waren eben anders und deshalb sind wir gegen Extremismus.

Bleiben wir aber zunächst noch dabei, dass die Attacken gegen die körperliche Integrität des Opfers eben nicht nur Schmerzen zufügen sollen. Der Angriff auf den Körper Andersdenkender, Andersseiender ist auch Mittel zum Zweck, - das ist das Schlimme - ein grundsätzliches Unwerturteil zum Ausdruck zu bringen. Dem Opfer - so auch in Halberstadt - wird durch die Körperverletzung abgesprochen, ein Mensch wie andere auch zu sein. Er wird als Exemplar einer Lebensauffassung, einer Weltanschauung ins Visier genommen. Die Gewalt richtet sich gegen eine unveränderliche Wesenheit, die dem Opfer zugeschrieben wird - so wie im Dritten Reich die Pervertierung, dass es eine Eigenschaft sei, Jude zu sein.

Insofern wird hier wieder begonnen, dem Menschen die Würde zu nehmen. Das ist der besondere Unrechtsgehalt dieser Tat, dieser Hasskriminalität, dieser extremistischen Verbohrtheit.

Deshalb - das möchte ich an dieser Stelle sagen - fordern wir - dazu kommen wir später - für solche Taten eine andere Strafschärfe als für die „normale“ Körperverletzungskriminalität. Durch dieses gesetzgeberische Signal können wir, kann der Staat zum Ausdruck bringen, dass wir am Ende solche Täter einer höheren Bestrafung zuführen wollen und können.

Meine Damen und Herren! Wir bringen damit außerdem zum Ausdruck: Wer anderen wieder die Würde nimmt, wer unsere zivilen Grundwerte mit Füßen tritt, wird auf das Härteste im Sinne einer Ultima Ratio bestraft. Das ist es, was wir tun müssen.

Wir müssen aber auch - insofern, Herr Gallert, bin ich in dieser Debatte in vielen Punkten mit Ihnen einig - durch

Netzwerke, Initiativen und Schulungen - Herr Minister Hövelmann hat sie aufgezählt - und durch Gespräche mit Schülerinnen und Schülern - das ist wichtig - verhindern, dass sich extremes Gedankengut überhaupt erst in den Köpfen festsetzen kann.

Wer aber trotz all dieser Aufklärung, die wir besprochen haben, die wir machen müssen, und trotz aller öffentlichen Diskussionen glaubt, dass er durch Straftaten den Staat, die Grundordnung und die Würde des Menschen wieder misshandeln kann, wie wir es mehrmals in der deutschen Geschichte gehabt haben, der gehört ebenso konsequent wie empfindlich bestraft.

(Beifall bei der CDU und von der Regierungs- bank)

Vielleicht zum Abschluss noch eines zur Polizei. Sicherlich - so weit die Medienlage; es wurde auch vom Herrn Innenminister berichtet - sind dort Fehler gemacht worden. Allerdings darf das nicht dazu führen, die Polizei in unserem Land insgesamt pauschaliert verächtlich zu machen oder vorzuverurteilen.

(Beifall bei der CDU)

Das führt am Ende dazu, dass jeder Polizeibeamte in seiner Dienstausübung Angst hat, Fehler zu machen. Wer bei der Ausübung seines Berufes Angst hat, Fehler zu machen, der macht am Ende gar nichts mehr.

(Zuruf von der SPD: Richtig!)

Wenn wir das organisieren - - Das ist auch mein Appell an die Medien. Wir müssen den Polizisten - es ist gut, so etwas aufzudecken und darzustellen; das ist Offenheit und Klarheit -, wir müssen unserer Polizei im Kampf gegen den Extremismus den Rücken stärken und dürfen ihr nicht in den Rücken fallen. Denn sonst ist die Polizei weg und der Extremismus ist richtig oben.

(Beifall bei der CDU und von der Regierungsbank)

Das ist eine Gratwanderung, die schwierig ist, weil jedes Wort, das man hier vorne in einer solchen Debatte sagt, auf die Goldwaage gelegt werden kann.

(Herr Grünert, Linkspartei.PDS: Auch wird!)

- Und auch wird. Das ist auch richtig so. - Wir müssen am Ende gemeinsam mit einer starken Polizei, mit einer geschulten Polizei, die sicherlich in einigen Bereichen noch besser werden muss, gemeinsam durch Schulungen und Gespräche sowie in Darstellungen dahin gehend, dass es sich - anders als in Diktaturen - lohnt, in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu leben, dafür kämpfen, dass dieser Staat so frei bleibt, wie er ist.

Damit gilt es, jedes extreme Gedankengut, das verachtenswert ist, zu bekämpfen, weil es im Allgemeinen unsere Grundwerte infrage stellt, weil extremes Gedankengut im Allgemeinen dem Ruf unseres Landes schadet und im Konkreten Andersdenkenden und Andersseienden wieder, wie schon so oft, die Würde, Mensch zu sein, nehmen will. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und von der Regierungsbank)

Ich danke dem Abgeordneten Herrn Stahlknecht. - Als nächstem Debattenredner erteile ich dem Abgeordneten Herrn Professor Paqué von der FDP das Wort. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Ereignisse in Halberstadt in der letzten Woche sind der traurige Höhepunkt in einer Reihe von übelsten rechtsextremen Vorfällen, die sich leider in unserem Land zugetragen und die große Publizität erhalten haben. Ich erinnere an Pretzien und Gerwisch. Diese Namen stehen leider für schwere Vorfälle in jüngster Zeit und sie stehen leider auch für Vorfälle, bei denen der Einsatz der Polizei keinen guten Eindruck gemacht hat.

Was allerdings in Halberstadt passierte, ist, was die Polizei betrifft, keine Panne, wie Staatssekretär Herr Erben es beschwichtigend formulierte. Was in Halberstadt passierte, das ist ein Skandal, zumindest dann, wenn man einem detaillierten Augenzeugenbericht Glauben schenken darf, den Herr Gallert schon zitiert hat.