Protokoll der Sitzung vom 14.06.2007

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich kenne kaum eine andere Landesregierung, die sich so intensiv mit dem Thema befasst, natürlich auch aufgrund der Ereignisse der letzten Jahre.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte einen Umstand besonders in Erinnerung rufen. Die Bekämpfung von Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit ist ein ständiger Prozess in gesamtgesellschaftlicher Verantwortung. Ich betone das Wort „gesamtgesellschaftlich“. Nicht nur die Polizei und sonstige staatliche Institutionen sind für die Bekämpfung verantwortlich. Nein, es ist die gesamte Zivilgesellschaft. Jeder und jede Einzelne ist dabei gefordert. Ich lasse es auch nicht zu, dass die Polizei aus Unmut über ein gesamtgesellschaftliches Problem als Prügelknabe herhalten muss.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Landesregierung hat bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz, den ich auch heute gern noch einmal darstellen möchte. Wir setzen auf Maßnahmen von Bildung und auch Erziehung, den Schutz der Jugend durch geeignete Angebote der Jugendsozialarbeit und des Jugendmedienschutzes und Maßnahmen der allgemeinen und bereichsspezifischen Gefahrenabwehr auch unter Einbeziehung des Landesverwaltungsamtes. So können zum Beispiel gebündelte Maßnahmen nach dem Gewerbe- und dem Gaststättenrecht den Veranstaltern von Skinhead-Konzerten das Leben ordentlich schwer machen.

Wir setzen auf polizeiliche Präventions- und Bekämpfungsstrategien, den Ausbau der kommunalen Kriminalprävention und nicht zuletzt auch auf die intensive Beobachtung extremistischer Aktivitäten durch den Verfassungsschutz, auch im Hinblick auf mögliche Vereinsverbote.

Das im Jahr 2006 beschlossene Aktionsprogramm gegen Rechtsextremismus setzt diesen Ansatz um. Die Landeszentrale für politische Bildung nimmt im Rahmen des Netzwerkes für Demokratie und Toleranz eine fortlaufende Erfassung und Bewertung aller Maßnahmen und Projekte zur Bekämpfung des Rechtsextremismus vor. Staatskanzlei und Kultusministerium veranstalten einen Workshop, um die Situation in Sachsen-Anhalt zu beschreiben, Problembereiche zu benennen und auch Lösungswege aufzuzeigen.

Das Sozialministerium koordiniert das wichtige Förderprogramm des Bundes „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie - gegen Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“, wobei die Einbindung der Kommunen unseres Landes eine zentrale Rolle spielt. Das Auswahlverfahren hat bereits stattgefunden. Aus Sachsen-Anhalt werden zehn Gebietskörperschaften im Förderschwerpunkt „Entwicklung integrierter lokaler Strategien“ zusammen mit den gesellschaftlichen Akteuren vor Ort einen lokalen Aktionsplan erstellen.

Schließlich wurde ein interministerieller Arbeitskreis „Extremismusprävention“ unter der Federführung des Innenministeriums eingerichtet, der eine monatlich stattfindende Kabinettsbefassung vorbereitet. Diese wiederkehrende Kabinettsbefassung mit dem Thema ist meiner Kenntnis nach die einzige in der Bundesrepublik Deutschland.

Schwerpunkte waren bisher:

rechtsextremistische Organisationsstrukturen in Sachsen-Anhalt,

kasuistische Auswertung der Einzelfälle rechtsextremistischer Vorfälle an Schulen und daraus abgeleitete präventive Maßnahmen,

Aussagen zur Situation im Bereich der Jungtatverdächtigen,

Aussagen zur Verurteiltenstatistik hinsichtlich der politisch motivierten Kriminalität rechts,

Umgang mit öffentlichen Fördermitteln des Landes und des Bundes für Maßnahmen und Projekte zur Bekämpfung des Rechtsextremismus,

ein Bericht zur Bewertung der Initiativen und Projekte zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und

eine vom Innenministerium herausgegebene Broschüre „Kennzeichen und Symbole des Rechtsextremismus“.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als zentrale Kampagne des Landes wurde unter der Verantwortung der Landeszentrale für politische Bildung im Dezember 2006 die Ihnen allen bekannte Kampagne „Hingucken - für ein demokratisches und tolerantes Sachsen-Anhalt“ gestartet. Die Kampagne beschränkt sich nicht nur auf Öffentlichkeitsarbeit, sondern sie ist zugleich der Bezugspunkt für eine Palette von Maßnahmen, die sich mit dem Phänomen Rechtsextremismus beschäftigen.

Im Verlauf des Jahres 2007 werden in diesem Zusammenhang viele verschiedene Veranstaltungen wie zum Beispiel Workshops, offene Fachtagungen und Lesungen durchgeführt. Sie richten sich an Schüler, Studierende, Lehrer, Mitarbeiter in Verwaltungen, Ordnungs- und Jugendämtern, Justizvollzugsanstalten, Polizeibehörden

und Kommunen sowie an interessierte Bürgerinnen und Bürger unseres Landes.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ohne ein Engagement vor Ort gegen Rechtsextremismus sind alle anderen Bemühungen vergebens. Die Landesregierung setzt daher auf die Förderung von Initiativen zur Verbesserung der kommunalen Kriminalprävention für eine noch wirksamere Verzahnung aller mit Sicherheitsaufgaben betrauten staatlichen und kommunalen Verantwortungsträger. Wir wollen vor allem die Erstellung gemeinsamer Lagebilder durch Kommunen und Sicherheitsbehörden erreichen. Mit gemeinsamen Lagebildern soll die Grundlage für eine an den Schwerpunkten ansetzende Kriminalitätsprävention geschaffen werden.

Ich will an dieser Stelle auch den Beschluss des Landtages in der 55. Sitzung am 3. März 2005 zur Errichtung eines Netzwerkes für Demokratie und Toleranz, gegen Extremismus und Gewalt erwähnen. Hier sollen die notwendigen Schritte unternommen werden, um eine Bündelung aller maßgeblichen gesellschaftlichen Kräfte unseres Landes zu erreichen und ein möglichst breites zivilgesellschaftliches Fundament gegen Extremismus und Gewalt zu schaffen.

Ich will an dieser Stelle auch die Gelegenheit nutzen, für die Landesregierung einen Dank stellvertretend an den Verein „Miteinander“ e. V. und die Opferschutzgruppen zu richten. Ohne das Engagement dieser Gruppen wäre der Kampf gegen den Rechtsextremismus in SachsenAnhalt nicht erfolgversprechend zu führen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich nunmehr auf die Maßnahmen eingehen, die in meiner Verantwortung zur Sensibilisierung der Polizei getroffen worden sind.

Ich persönlich habe im November 2006 eine Führungskräftebesprechung mit allen Führungskräften der Polizei zum Thema Rechtsextremismus durchgeführt. Seit August 2006 gibt es Maßnahmen zur Optimierung des Informationsaustausches zwischen Polizei und Verfassungsschutz, insbesondere zur Intensivierung von Maßnahmen zur ganzheitlichen Bekämpfung des Rechtsextremismus.

Es hat eine Beschulung von 110 Multiplikatoren der Polizeibehörden und -einrichtungen durch die Fachhochschule der Polizei zur Sicherstellung einer umgehenden dezentralen Schulungstätigkeit in allen Organisationseinheiten stattgefunden.

Es findet eine regelmäßige und wiederholte Behandlung des Themas bei den Besprechungen des Innenministeriums mit den Polizeipräsidentinnen und -präsidenten, mit den Abteilungsleitern der Polizei und den Leitern der zentralen Kriminaldienste statt.

Es sind des Weiteren die Veranstaltung der Fachhochschule der Polizei in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung im Dezember 2006 zu dem Thema „Perspektiven der Polizeiarbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus“ sowie Veranstaltungen der Fachhochschule der Polizei für Vertreter der Kommunen und Multiplikatoren der Polizei zu nennen.

Das Thema Rechtsextremismus wird unter Einbeziehung des Verfassungsschutzes in der Ausbildung des mittleren und gehobenen Polizeivollzugsdienstes noch intensiver behandelt.

Wir haben im Frühjahr 2007 die Ihnen bekannte Broschüre zu Symbolen und Zeichen des Rechtsextremismus veröffentlicht.

Schließlich nenne ich die Neufassung des Fortbildungsbriefs für Polizeibeamte zum Thema Rechtsextremismus Anfang dieses Jahres.

Trotz all dieser Maßnahmen - das räume ich hier ganz offen ein - ist die Notwendigkeit einer engagierten Bekämpfung der rechten Kriminalität noch nicht allen Beamtinnen und Beamten in Fleisch und Blut übergegangen. Das kann bei einem Polizeikörper von fast 8 000 Beamtinnen und Beamten aber nicht überraschen. Diese Landesregierung kann für sich in Anspruch nehmen, das Thema der Sensibilisierung der Polizei unverzüglich auf die Agenda gesetzt zu haben. Wenn diese Aktuelle Debatte in diesem Hohen Hause dazu beiträgt, dass die Sensibilisierung noch verstärkt wird, so ist sie gut und richtig.

Lassen Sie mich abschließend - ich weiß, die Redezeit ist vorbei; Herr Präsident, geben Sie mir bitte noch eine Minute -

Das kann ich tun.

- danke - Folgendes zu Halberstadt zu sagen.

Im Einsatzgeschehen nach dem Überfall in Halberstadt sind Fehler gemacht worden. Der Vorfall wird ausgewertet und es werden und wurden bereits Konsequenzen gezogen. Wo Nachholbedarf in Bezug auf Qualität und Qualifikation der Polizeiarbeit besteht, wird gehandelt. Wir wollen besser werden, lassen aber auch nicht zu, dass die Arbeit der Polizei ungerechtfertigterweise schlechtgemacht wird.

Was die Richtigkeit der polizeilichen Strategie anbetrifft, so stimmt mich die Bilanz der rechtsextremistischen Straftaten in den ersten fünf Monaten das Jahres 2007 optimistisch. Gegenüber dem Vergleichszeitraum des Jahres 2006 konnten wir in unserem Land einen deutlichen Rückgang verzeichnen. So wurden in den Monaten Januar bis Mai 2007 insgesamt 166 Straftaten registriert, darunter 15 Gewalttaten. Im Vergleichszeitraum 2006 waren es noch 431 Straftaten, darunter 43 Gewalttaten.

Das ist natürlich kein Anlass zur Entwarnung, aber doch ein Beleg dafür, dass unser Land und damit auch unsere Polizei grundsätzlich auf dem richtigen Weg ist.

Gestatten Sie mir abschließend, Ihnen die Information zu geben, dass die Polizei vor wenigen Minuten - kann man schon sagen - einen dritten Tatverdächtigen des Überfalls in Halberstadt vom vergangenen Wochenende festgenommen hat, der sich dem Haftrichter vorstellen muss und dort die weiteren Schritte zu erwarten hat.

Ich danke dem Hohen Hause und bitte ausdrücklich darum, dass Vorgänge, so kritisch sie zu bewerten sind, nicht derart interpretiert werden, dass wir das Klima, das

wir in dieser Gesellschaft brauchen, nämlich ein Klima des Vertrauens in die Arbeit der Polizei, nachhaltig schädigen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Herzlichen Dank, Herr Minister, für Ihren Redebeitrag. - Es gibt zwei Fragen von Abgeordneten. Die Abgeordnete Frau Bull und der Abgeordnete Herr Schulz haben Fragen. Sind Sie bereit, diese zu beantworten? - Frau Bull, bitte.

Herr Minister, Sie haben eine ganze Reihe von Interventionsstrategien und Maßnahmen der Landesregierung geschildert, die auch ich weitestgehend für richtig und gewichtig halte. Man kann ein Phänomen nur dann wirksam bekämpfen, wenn man sich einigermaßen einen Überblick darüber verschafft bzw. zumindest eine Verständigung darüber stattfindet, worin die ursächlichen Zusammenhänge liegen. Herr Gallert hat eine ganze Menge dazu gesagt; das muss man nicht alles teilen.

Meine Frage an Sie ist deshalb: Gibt es einen solchen Verständigungsprozess in der Landesregierung und wie ist Ihre Sicht auf diese durchaus komplexen Zusammenhänge und Ursachen?

Es gibt eine solche Verständigung innerhalb der Landesregierung. Die Landesregierung hatte erst vor wenigen Wochen wissenschaftlichen Rat eingeholt. Drei Professoren aus Berlin, Halle und Dresden waren zur Beratung des Kabinetts nach Sachsen-Anhalt gekommen und haben versucht, uns die Ursachenforschung nahe zu bringen, und haben gleichzeitig Lösungsstrategien und Erfahrungswerte aus anderen Bundesländern und aus wissenschaftlichen Studien vorgetragen.

Insofern beschäftigt sich die Landesregierung tatsächlich damit herauszubekommen, worin die Ursachen für eine solche gesellschaftliche Entwicklung in unserem Land liegen. Aber - auch das wird niemanden überraschen - es gibt natürlich nicht die einfache Erklärung, sondern es ist ein über viele Jahre hinweg gewachsener Prozess, der von ganz verschiedenen Einflussfaktoren geprägt ist. Herr Gallert hat einige aufgeführt. Man muss nicht allen zustimmen, aber sicherlich sind einige davon auch ursächlich für eine bestimmte gesellschaftliche Entwicklung. Insofern ist dies auch Gegenstand der Beratungen und Überlegungen der Landesregierung.

Herzlichen Dank. - Herr Nico Schulz, bitte schön, Ihre Frage.

Herr Minister, Sie erwähnten in Ihrer Rede die Kampagne „Hingucken“ und das Netzwerk für Demokratie und Toleranz in Sachsen-Anhalt. Hierzu habe ich eine Frage.

Wir hatten vor knapp zwei Wochen in Osterburg den Sachsen-Anhalt-Tag, wo durch unsere Sicherheitsbehörden leider nicht verhindert werden konnte, dass die NPD eine unangemeldete Demonstration mitten durch die Innenstadt durchführen konnte. Hierzu habe ich im