Protokoll der Sitzung vom 13.07.2007

Es ist ein Urteil, das weder der Europäischen Union als Institution noch den Ergebnissen der deutschen EURatspräsidentschaft gerecht wird. Zudem ist es ein Urteil - das ist für mich das Schlimmste daran -, das in erster Linie 50 Jahre europäischer Politik für Frieden, aber auch für Freiheit in Bausch und Bogen verdammt.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU - Herr Tullner, CDU: Wir wollen den RGW zurück!)

- Ich hatte mir schon überlegt, das zu sagen. Damals hat einer etwas vorgegeben und die anderen sind gefolgt. Genau so ist die Europäische Union eben nicht.

(Zustimmung bei der SPD)

Es ist auch ein Urteil, das genau die Konfrontationshaltung gegenüber der EU erzeugt, die Sie an der deutschen EU-Ratspräsidentschaft so stark kritisieren.

Im Übrigen: Wenn man die Bürgerinnen und Bürger der 27 Mitgliedstaaten fragt und wenn man sich einmal die „Frankfurter Rundschau“ von dieser Woche vornimmt, dann stellt man fest, dass es für diese Europäische Union mit all ihren Schwächen, die die Bürgerinnen und Bürger durchaus kennen, eine breite und wachsende Zustimmung gibt. Die Bürgerinnen und Bürger wissen ganz genau, in welchen Bereichen sie sich eine nationale Politik und in welchen Bereichen sie sich eine europäische Politik wünschen.

Zwei Drittel der Politikfelder werden als durchaus europäische Politik im Sinne des Wunsches der Bürgerinnen und der Bürger benannt. Erst bei Themen wie Bildung, Arbeitslosigkeit, Besteuerung, Gesundheit, Soziales und Rente kippt das Barometer. Bei diesen Themen sagen die Bürgerinnen und Bürger von Europa: Das wollen wir national geregelt haben.

Aber bei Dingen wie Terrorismus, Umweltschutz, Kriminalität, Verteidigung, Außenpolitik, Energiepolitik, Wissenschaft und vielen anderen schlägt das Barometer weit über 60 % bis 80 % für eine europäische Regelung aus. Das zeigt, dass es durchaus eine Akzeptanz und ein Wollen bei den Bürgerinnen und Bürgern dahin gehend gibt, diese Europäische Union weiterzuentwickeln.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Bei aller berichtigten Kritik im Detail

(Zuruf von Herrn Czeke, DIE LINKE)

- ja, im Detail, natürlich - ist es kein verantwortungsvoller Umgang, das gemeinsame Haus Europa in Bausch und Bogen zu verurteilen. Mir ist hierzu der folgende Vergleich eingefallen: Wenn man mit einen Bulldozer gegen die Hauswand fährt und sich hinterher beschwert, dass das Dach schief ist, dann ist das keine verantwortungsvolle Politik.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU - Zu- ruf von Frau Bull, DIE LINKE)

Eines soll auch klar gesagt werden: Die Europäische Union ist eine demokratische Union. Darauf lege ich wirklich großen Wert. Sie ist weder eine Aristokratie noch eine Diktatur noch eine Monarchie. Sie ist ein integrierter Staatenbund, dessen Institutionen zum großen Teil indirekt - das ist richtig -, zum Teil aber auch direkt demokratisch legitimiert sind.

Natürlich kann ich mir vorstellen, was die EU aus meiner, aber auch aus der Sicht der SPD noch demokratischer machen würde. Dazu gehört natürlich zuerst eine wesentlich stärkere Rolle des Europäischen Parlamentes, zum Beispiel durch eine Stärkung des Initiativrechts. Natürlich ist zu kritisieren, dass wir dies bisher nicht erreichen konnten. Aber deshalb stelle ich nicht das gesamte Projekt der EU infrage.

(Frau Bull, DIE LINKE: Wer macht denn das? - Zuruf von Herrn Gallert, DIE LINKE)

Wir als SPD stehen zu dieser Europäischen Union. Wir stehen zu ihr mit all ihren Stärken und Schwächen. Wir wollen die Stärken erhalten und versuchen, die Schwächen zu beheben. Das ist aus unserer Sicht eine verantwortungsvolle und konstruktive europäische Politik.

Der EU-Gipfel im Juni dieses Jahres hat eines ganz deutlich gezeigt: Das Europa, das wir uns wünschen, ist mit Sicherheit nicht das Europa, das sich alle wünschen. Vielmehr gibt es große Unterschiede im Hinblick darauf, wie sich die einzelnen Mitgliedstaaten Europa wünschen.

Vermutlich würden wir im Hohen Hause dieses Landes durchaus relativ schnell zu einer Einigung darüber gelangen, wie wir uns das Haus Europa vorstellen, nämlich mit einem Europäischen Parlament mit voller Legislativgewalt, mit einer europäischen Regierung, die direkt oder indirekt aus dem Parlament heraus gewählt ist, und mit einem Europäischen Rat, der ähnlich dem Bundesrat die Belange der einzelnen Länder vertritt. Das ist eine Form des deutschen Föderalismus, an dem wir arbeiten und der auch seine Tücken hat - das muss man zugeben -, der aber streng abgegrenzte Kompetenzen der einzelnen Ebenen aufweist. Wahrscheinlich würden wir sagen, dass das aus unserer Sicht auch Europa gut stünde. Aber das ist eben nicht das Europa, das alle Staaten wollen.

So sehr man dies bedauern kann und so sehr man darum kämpfen sollte, die Skeptiker und Bremser in Europa zu überzeugen, so sehr muss man auch respektieren, dass sie diese Positionen vertreten. Auch das gehört zur Demokratie in Europa und in der Welt.

Wenn ich mir die konkreten Ergebnisse der EU-Ratspräsidentschaft anschaue, dann tue ich dies auch mit einem lachenden und mit einem weinenden Auge. Das weinende Auge betrifft die Absage an eine europäische Verfassung. In dieser Hinsicht ist der Gipfel ein Rückschlag. Es wird vorläufig keine europäische Verfassung geben. Aber wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir zugeben, dass wir bereits vor dem Gipfel wussten, dass das nicht gelingen wird.

Das, was wir mit der Verfassung verbinden oder verbinden wollen, dass nämlich der Enthusiasmus für die Europäische Union gesteigert wird, dass wir die Zusammenarbeit stärken wollen und die politische Vertiefung in einer größeren EU zustande bringen, können wir auf diesem Wege, mit der Verfassung, jetzt nicht voranbringen.

Dennoch werbe ich dafür, das Projekt der europäischen Verfassung nicht ganz abzuschreiben. Ich bin überzeugt davon, dass die Zeit dafür irgendwann reif sein wird. Ich kann auch nicht sagen, wann das der Fall sein wird.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und von der Regierungsbank)

Dazu möchte ich auch ganz klar sagen: Visionen scheitern nicht an politischen Konstellationen; sie scheitern an denen, die sie aufgeben. Wir werden diese Vision nicht aufgeben.

(Zustimmung bei der SPD - Oh! bei der LINKEN)

Trotz aller Widrigkeiten, so glaube ich, dürfen wir sagen, dass der Gipfel insgesamt ein Erfolg gewesen ist. Ich bin auch ein wenig stolz darauf, dass daran ein Sozial

demokrat, nämlich Außenwirtschaftsminister Steinmeier, mitgewirkt hat.

(Zuruf von der FDP)

- Mitgewirkt, meine Damen und Herren! - Denn dieser Gipfel bedeutet trotz allem einen Aufbruch. Damit wird die EU wieder handlungsfähig. Diese Handlungsfähigkeit wurde nicht an die portugiesische Ratspräsidentschaft delegiert; die politischen Festlegungen und Absprachen dazu wurden im Juni 2007 getroffen.

Im Übrigen, meine Damen und Herren, ist es eigentlich ganz gleich, welche Teile dieses Prozesses unter deutscher, welche unter portugiesischer oder unter anderer Ägide umgesetzt werden. Wichtig ist, dass sie umgesetzt werden; denn Europa ist ein Mannschaftsspiel und dabei ist es gleich, wer der Kapitän ist. Es muss insgesamt ein Erfolg werden.

Die drei Punkte, die ich kurz benennen will - sie sind im Detail bereits genannt worden -, sind folgende: der Klimaschutz und die Festlegungen dazu, die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta sowie die Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger. Dies sind in der Tat Dinge, die uns in Sachsen-Anhalt auch ganz speziell betreffen.

Wenn ich allein an die weitreichenden Ziele denke, die beim Klimaschutz gesteckt worden sind, dann stelle ich fest, dass wir dazu ganz konkret in Sachsen-Anhalt einen Beitrag leisten können. Natürlich hätte ich mir als Sozialdemokratin den Ausstieg aus der Atomenergie gewünscht, aber an dieser Stelle kommen wir auf der Bundesebene nicht weiter.

(Herr Kosmehl, FDP: Oh!)

- Bei einer solchen Debatte werden doch wohl politische Standpunkte erlaubt sein, Herr Kosmehl.

(Herr Kosmehl, FDP: Sollen wir sie ernst neh- men?)

Wer will denn da glauben, dass wir das zum jetzigen Zeitpunkt mit den unterschiedlichen Ansätzen in den Nationalstaaten in Europa hinkriegen? Wir werden versuchen, weiter daran zu arbeiten, zunächst natürlich in der Bundesrepublik, aber dann auch auf der europäischen Ebene.

Was die Stärkung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger angeht, bin ich in der Tat froh, Herr Robra, dass es gelungen ist, ein europäisches Bürgerbegehren einzuführen, wie es auch im Verfassungsentwurf vorgesehen ist.

(Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

Sie haben Recht; das ist ein Stück mehr Demokratie in Europa und dessen Wert sollte man durchaus hoch einschätzen. Was die Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta angeht, ist es gut, dass sie festgeschrieben worden ist. Wenn sich Großbritannien bei der Verbindlichkeit der Grundrechtecharta für einen eigenen Weg entschieden hat, dann muss ich das nicht gut finden, aber ich muss es respektieren. Eine Einschränkung der Rechtsverbindlichkeit für alle wäre schlimmer gewesen. Das wäre die Alternative gewesen, die man dann hätte akzeptieren müssen. Das wäre aus meiner Sicht nicht akzeptabel gewesen.

In der Begründung zu dieser Aktuellen Debatte steht, dass die Euphorie über die Bilanz der deutschen Rats

präsidentschaft nicht einhellig geteilt wird. Okay, das mag stimmen. Aber ich finde, ein wenig Euphorie tut dem europäischen Gedanken durchaus gut.

(Zustimmung von Herrn Geisthardt, CDU)

Ich möchte gern mit einem Zitat schließen, das durchaus etwas mit Europa zu tun hat und das jedes Jahr am 16. Januar in Magdeburg im Gedenken an die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg zu hören ist:

„Solche Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt; alle Menschen werden Brüder, wo solch sanfter Flügel weilt.“

Vielleicht sollten wir alle uns das noch einmal zu Gemüte führen und versuchen, Europa unter dieser Überschrift weiterzubauen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Budde. - Nun bitte Herr Kosmehl für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der deutsche Vorsitz hat einen Erfolg errungen, den viele vor einigen Monaten und noch vor einigen Tagen für unerreichbar gehalten hätten -

(Beifall bei der CDU)

so die Worte von José Manuel Barroso nach der Einigung im Europäischen Rat.