Protokoll der Sitzung vom 14.09.2007

(Zurufe von der LINKEN)

Der Bundesvorstand der CDU hat im August dieses Jahres unter Mitwirkung unseres Ministerpräsidenten Herrn Professor Dr. Böhmer den Beschluss mit dem Titel „Kinderarmut in Deutschland bekämpfen - Chancengleich

heit leben“ gefasst, der auch einen umfangreichen Maßnahmenkatalog zur Bekämpfung von Kinderarmut beinhaltet. Leider ist meine Redezeit zu kurz, um auch nur auf die wesentlichen Aussagen dieses Beschlusses eingehen zu können. Die Stichpunkte Familie, Bildung, Werte, Elterngeld, Kinderzuschlag, Ehegattensplitting, Betreuungsangebote, Berufschancen und Qualifizierung sind nur eine Stichworte, die wir darin anreißen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Kuppe hat in ihrem Redebeitrag schon zahlreiche Aspekte aufgezeigt, an denen wir arbeiten und die wir auch im Rahmen der Bekämpfung der Kinderarmut berücksichtigen werden.

Aber um noch einmal die Illusion der LINKEN im Winde zu zerstreuen: Selbstverständlich führen wir mit unserem Partner Gespräche über die Vorstellungen zur Verbesserung der Kinderbetreuung. Wir hängen dies aber nicht gleich an die große Glocke. Wir werden uns nach außen erst dann klar positionieren, wenn wir uns geeinigt haben.

(Zuruf von Herrn Kosmehl, FDP)

Wir sind aber zuversichtlich, dass aufgrund der Zusage des Bundes, sich dauerhaft an der Finanzierung der Betriebskosten von Kindertagesstätten zu beteiligen, Spielräume für eine weitere Verbesserung der Kinderbetreuung in Sachsen-Anhalt entstehen.

Ich möchte zum Schluss noch einmal betonen, dass für uns die Qualität in der Kinderbetreuung natürlich wichtiger ist als die Quantität. Deshalb suchen wir nach einem soliden Weg, um das letzte Kindergartenjahr für alle Kinder kostenfrei zu gestalten, um sie damit besser auf den Übergang zur Grundschule vorzubereiten. Wenn ich gestern genau zugehört habe, dann hat in der Haushaltsdebatte selbst Herr Gallert betont, dass eine Beitragsfreiheit von der Fraktion DIE LINKE mit unterstützt wird. Das zeigt, dass auch Sie sich mit der Frage beschäftigt haben. Denn es ist noch nicht allzu lange her, als Ihre Sprecherin noch einmal ganz deutlich unterstrichen hat, dass sie von einer Beitragsfreiheit des letzten Kindergartenjahres für alle Kinder wenig halte, weil es am Ende - -

(Frau Bull, DIE LINKE: Zunächst!)

- Zunächst. Nun ja, es wurde von der Sache her als nicht erstrebenswert angesehen, weil es nicht in erster Linie die Zielgruppe betrifft, die Sie damit unterstützen wollen, wir natürlich auch. Denn die Beitragsfreiheit würde allen Eltern zur Verfügung stehen, und zwar auch den Eltern, die kleine und mittlere Einkommen haben. Dafür müssen wir uns auch stark machen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU)

Herr Kurze, möchten Sie eine Frage von Herrn Gallert beantworten?

Zum Ende.

Das ist aber jetzt eigentlich schon das Ende.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Ich möchte nur noch das Abstimmungsverhalten vortragen. Wir lehnen den Antrag der Fraktion DIE LINKE ab und bitten um Zustimmung zu unserem Alternativantrag. Ich glaube, dass sich dieser Alternativantrag von selbst erklärt, sodass ich hierauf nicht näher eingehen will. Ein neuer Armuts- und Reichtumsbericht wird auch die Position der Fraktion DIE LINKE angemessen berücksichtigen. Diese Zahlen werden konkrete Handlungsstrategien für uns erzeugen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Ich warte auf die Frage.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Herr Kurze, nicht dass sich jetzt bei Ihnen etwas Falsches festhakt: Ich habe gestern genau das Umgekehrte gesagt. Ich habe gesagt, wir freuen uns ausdrücklich, und dann habe ich im Rahmen einer Nachfrage noch aus einem Zeitungsartikel zitiert, dass die Fraktionsvorsitzende der SPD die Position übernommen hat, dass die Ausweitung der Betreuungszeiten für alle erst einmal wichtiger ist als eine Beitragsfreiheit. - Das ist unsere Position. Das war nicht immer die Position der SPD. Im Jahr 2006 zu den Wahlen war sie noch eine andere.

Damit Sie sozusagen weitergehend darüber informiert sind, welche Position wir dazu haben: Auch von uns wird die Beitragsfreiheit natürlich befürwortet, wenn es sich um eine Bildungseinrichtung handelt. Nur, über Beitragsfreiheit können wir erst reden, wenn der Rechtsanspruch für alle der gleiche ist. Wenn wir das geschafft haben, dürfen wir als Nächstes über Beitragsfreiheit reden. Deshalb haben wir nichts dagegen, aber dies kommt für uns nachgeordnet.

Vielen Dank. Das war eine Zwischenbemerkung.

Vielen Dank, Herr Gallert. Es kann daran liegen, dass ich eine leichte Ohrenentzündung habe und nicht alles richtig höre.

(Heiterkeit bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP)

Aber ich danke ganz herzlich dafür, dass Sie mich aufgeklärt haben.

Vielen Dank, Herr Kurze. - Nunmehr erteile ich Frau Dr. Hüskens das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich den Antrag von Frau von Angern gesehen habe, habe ich mich an ein Schulbuch erinnert, anhand dessen ich einmal etwas über Entwicklungspolitik habe lernen müssen. Unter der Rubrik „Verfehlte Entwicklungspolitik“ war ein sehr schönes Beispiel. Darin wurde zunächst von englischen Damen aus dem 19. Jahrhundert berichtet, die Mützen, Handschuhe und Schals für arme schwarzafrikanische Kinder strickten.

Das nächste Beispiel handelte von der deutschen Entwicklungshilfe. Da wurden Lebensmittel in Größenord

nungen nach Südamerika gebracht. Man hat anschließend überrascht festgestellt, dass dort die Lebensmittelpreise kaputt gemacht worden sind, dass die Landwirte keine Abnehmer mehr für ihre Produkte fanden und dass man die Lebensmittel nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in dem folgenden Jahr hinbringen musste.

Die Quintessenz des Ganzen war, dass man eben nicht nur helfen soll - über Subventionen und Transfers -, sondern dass es darauf ankommt, die Menschen zu ertüchtigen. „Empowerment“ ist der neudeutsche Begriff dafür.

Diese Sache ist mir eingefallen, als ich den Antrag gesehen habe. Ich bin mir darin sicher, dass der Antrag wahnsinnig gut gemeint ist; denn hier soll bei einem Problem geholfen werden, das wir definitiv alle wahrnehmen. Ich bin mir aber nicht sicher, ob diese Form von Hilfe wirklich richtig ist.

(Frau Bull, DIE LINKE, meldet sich zu einer Zwi- schenfrage)

- Zum Schluss, Frau Bull.

Der Punkt, der mich vor allem so unruhig gemacht hat, war die Frage der erhöhten Transferleistungen. Sie erwecken in dem Antrag ein bisschen den Eindruck, als ob arme Kinder sozusagen ein singuläres Ereignis sind. Da wir alle wissen, dass nicht der Klapperstorch die Kinder bringt, sondern dass es in der Regel Eltern dazu gibt, wissen wir auch, dass Armut eben nicht nur die Kinder betrifft, sondern auch die Eltern, die Familie.

Frau Dr. Hüskens, möchten Sie eine Frage von Frau Bull beantworten?

Zum Ende. - Deshalb muss ich zunächst einmal dort ansetzen, wo ich wirklich ansetzen kann. Angesichts der guten Konjunktur, die wir derzeit haben, wäre es eine Frage des Arbeitsmarktes, Arbeitsplätze zu schaffen, auf denen die Eltern auskömmliche Löhne verdienen können.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Das ist, glaube ich, ein Ansatz, den wir dringend verfolgen müssen.

Es gibt noch einen zweiten Punkt. Wenn ich Finanztransfers leiste, bringe ich Kinder nicht aus der Perspektivlosigkeit heraus, die in solchen Familien zum großen Teil vorherrscht. Wenn man lange arbeitslos ist - ich denke, die meisten von Ihnen, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, haben das auch schon einmal beobachtet -, führt das dazu, dass das Familienleben unstrukturiert ist, dass es Perspektivlosigkeit und Frustration gibt und dass dies auch den Kindern vermittelt wird.

Das heißt, der Eindruck, dass sich Leistung und Engagement nicht lohnen, dass man keine Perspektive hat, wird von den Eltern auch an die Kinder vererbt. Das ist ein Punkt, dem der Staat nicht Vorschub leisten sollte.

Frau von Angern hat vorhin so schön gesagt, das Sozialamt soll nicht der erste Kontakt für einen Menschen in einer Republik sein. Genau das zementieren Sie aber eigentlich mit der Überlegung: Wir müssen einfach nur

die staatlichen Leistungen erhöhen, dann geht es den Menschen besser. Wir würden nicht einmal einen statistischen Effekt haben. Denn wenn Sie das tun, dann hätten Sie die Kinder trotzdem in der Bedarfsgemeinschaft und hätten sie nach wie vor in der Statistik. Das kann nicht der Punkt sein.

Deshalb muss ich überlegen, wo der Staat ansetzen kann. Darin sind wir uns sicherlich alle einig: Bildung. Diesbezüglich müssen wir tatsächlich qualitativ alles tun, was wir können - von der frühkindlichen Bildung über die Grundschule und die weiterführenden Schulen bis hin zu den Gymnasien und dem Ausbildungsbereich.

Hier haben wir eine klare staatliche Aufgabe. Es ist hoheitliche Tätigkeit des Landes sicherzustellen, dass alle Kinder im Land eine entsprechende Ausbildung bekommen. Wir können uns 12 % Schulabbrecher nicht leisten. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass junge Menschen, wenn sie ihre Schullaufbahn hinter sich haben, auch für den Arbeitsmarkt fähig sind und neben dem reinen Wissen auch das Gefühl und die Gewissheit mitbringen, dass sich die Leistung entsprechend lohnen wird, wenn sie erbracht wird.

An beiden Punkten haben wir nach wie vor ein Problem. Wir haben keine Lösung dafür gefunden, wie wir die Menschen aus dieser Lethargie herausbekommen. Ich bin als Liberale fest davon überzeugt, dass staatliche Transferleistungen, ein soziales Netz, ein ständiges Behüten eher dazu führen, dass wir Menschen entmündigen, als sie zu ertüchtigen, ein selbstständiges Leben zu führen.

Deshalb halte ich es für richtig, dass wir im Ausschuss für Soziales und in anderen Ausschüssen zunächst einmal darüber reden, welche Situation wir im Land haben. Vielleicht finden wir zusammen Lösungen, die über das hinausgehen zu sagen, ich will helfen, ich will irgendetwas tun. Dann ist es Einfachste zu sagen, ich erhöhe die Transferleistungen.

Nein, das wird es nicht sein. Wir müssen vielmehr überlegen, welche Möglichkeiten wir haben. Es ist eine ganze Reihe von Ansätzen angedeutet worden. Ich glaube, wir sollten uns im Ausschuss über ein sinnvolles Paket verständigen und dieses dann dem Landtag vorstellen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Dr. Hüskens. Jetzt bitte die beiden Fragen. - Zunächst Frau Bull.

Erste Frage. Frau Dr. Hüskens, könnten Sie sich der Erkenntnis anschließen, dass die integrative Einbeziehung von Kindern, die aus prekären Familiensituationen kommen, in Bildungsangebote, und seien es Kindertagesstätten, die beste Hilfe zur Selbsthilfe sein könnte?

Zweite Frage. In der Sommerpause sind eine ganze Reihe von Studien durch die Medienwelt gejagt worden - das waren nicht die Wohlfahrtsverbände, wenn ich es richtig in Erinnerung habe -, unter anderem die Erkenntnis, dass mit dem Regelsatz, auch mit dem abgeleiteten Regelsatz für Kinder eine ausgewogene, gesunde Ernährung schwierig ist. Es war sogar davon die Rede, dass dies nicht möglich ist. Deshalb meine Frage: Kön

nen Sie sich der These anschließen, dass bei einem Mindestmaß an Grundsicherung sich das Thema „Eigenverantwortung“ in sein Gegenteil verkehren würde, nämlich in Abhängigkeit?

Ich könnte es mir jetzt einfach machen und beide Fragen mit Ja beantworten. Sie reden ja auch immer über die „Flughöhe“ einer Frage. Wir würden dann allerdings Probleme haben, wenn wir versuchen würden zu definieren, was Grundsicherung ist.