Protokoll der Sitzung vom 15.11.2007

Der Hinweis auf fiskalische Zwänge ist in diesem Zusammenhang völlig unangebracht. Im Aufnahmegesetz des Landes Sachsen-Anhalt hat der Landtag den Grundsatz der Dezentralisierung festgeschrieben. Das war der politische Wille der Parlamentarier, das war die Grundintention des Gesetzes.

Ich möchte an dieser Stelle an die Diskussion im Landtag von Sachsen-Anhalt Anfang 1998 erinnern. In der parlamentarischen Debatte sagte Herr Dr. Püchel, damaliger Minister des Innern, Folgendes:

„Vielmehr geht es darum, dass es für die Konzentrierung von Flüchtlingen in fünf bis sechs Großunterkünften mit mehr als 1 000 Plätzen und Dutzenden verschiedener Nationalitäten der Bewohnerinnen und Bewohner mittlerweile keine Rechtfertigung mehr gibt. Die Zahl der Asylbewerber ist in den letzten Jahren stark zurückgegangen.

Wichtiger noch ist: Hier im Land ist man inzwischen seitens der Kommunen, der Wohlfahrtsverbände und der privaten Heimbetreiber - anders als in den Anfangsjahren - auf die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen und Aussiedlern eingestellt. Wir brauchen deshalb die für ein dezentrales Unterbringungskonzept erforderliche Gesetzesänderung. Sie wird eine größengerechte Verteilung der Aussiedler und ausländischen Flüchtlinge auf alle Landkreise und kreisfreien Städte des Landes erlauben.“

Ich zitiere weiter. Frau Leppinger von der SPD führte Folgendes aus:

„Die Unterbringung in kleineren Unterkünften kann dazu führen, dass eine zureichende soziale Infrastruktur vorhanden ist und soziale Brennpunkte vermieden werden können.“

Ich zitiere aus der Rede von Herrn Tschiche vom Bündnis 90/Die Grünen:

„‚Übergroße Unterkünfte werden durch die gerechte Verteilung auf alle Landkreise und kreisfreien Städte weitgehend entbehrlich.’ Das war von vornherein unser politisches Ziel. ‚Die Unterbringung wird dadurch den Grundbedürfnissen der Menschen besser gerecht, ohne unbedingt teurer zu sein.’

Wenn Sie so wollen... entsteht eine Art pädagogischer Effekt dadurch, dass überall im Lande Ausländerinnen und Ausländer sind. Wir beschreiten damit einen therapeutischen Weg, damit die Gesellschaft in Deutschland eine weltoffene Gesellschaft bleibt.“

So viel zur damaligen Debatte während der zweiten Beratung zum Landesaufnahmegesetz. Diese Zitate belegen unmissverständlich, dass die Grundintention einer dezentralen Unterbringung von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern im Land Sachsen-Anhalt fest verankerter politischer Wille des Gesetzgebers war und ist.

Gerade deshalb ist es für DIE LINKE keinesfalls akzeptabel und hinnehmbar, dass die Landesregierung beabsichtigt, mittels eines Erlasses ein Gesetz und dessen politische Grundlinien und Grundabsichten, welche der Landtag verabschiedet und verankert hat, zu unterlaufen und damit zu ändern.

Sehr geehrter Herr Minister, Sie und Ihr zuständiges Dezernat begründen dies hauptsächlich mit den seit eini

gen Jahren rückläufigen Zahlen von Asylsuchenden und einer daraus folgenden Notwendigkeit der Optimierung der Aufwendungen für die ZASt in Halberstadt im Landeshaushalt. Aber, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, die sinnvolle Auslastung einer Landeseinrichtung, einer vorhandenen personellen und sächlichen Infrastruktur darf dabei nicht das vordergründige Kriterium sein.

Eine notwendige Kostenoptimierung ist meines Erachtens kein gutes Argument, um Menschen, die nach dem Erleben von Entbehrungen, Repressalien, Verfolgung und Flucht aus ihrem Heimatland in Sachsen-Anhalt angekommen sind, in einer Gemeinschaftsunterkunft mit Gemeinschaftsverpflegung und in isolierter Lage unterzubringen. Das kann und darf nicht Ausdruck eines weltoffenen und fremdenfreundlichen Sachsen-Anhalts sein.

Eines möchte ich ausdrücklich betonen: Unser Antrag stellt in keiner Weise die Kompetenz und das Engagement der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Zentralen Anlaufstelle infrage. Im Gegenteil: Gerade sie haben in den vergangenen Jahren mit viel Mühe dazu beigetragen, dass Vorurteile in der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen in Halberstadt abgebaut und Spannungen vermieden wurden sowie dass eine gesellschaftliche Akzeptanz in der Bevölkerung erreicht wurde.

Eine weitere Konzentration von Asylsuchenden würde dieser Arbeit zuwiderlaufen. Gegen die Belegung der Gemeinschaftsunterkunft ZASt sprechen aber noch andere gewichtige Gründe.

Derzeit befinden sich auf dem Gelände der ZASt in Halberstadt erstens die zentrale Aufnahmestelle des Landes Sachsen-Anhalt auf der Grundlage des Asylverfahrensgesetzes, zweitens die Ausreiseeinrichtung für gesetzlich Ausreisepflichtige und drittens eine Gemeinschaftsunterkunft, in der zurzeit die Bewohner der früheren Gemeinschaftsunterkünfte in den ehemaligen Landkreisen Schönebeck und Quedlinburg untergebracht sind.

Eine gemeinsame Unterbringung von Asylsuchenden bei der Erstaufnahme, von geduldeten Flüchtlingen mit unklarer Bleibeperspektive und ausreisepflichtigen Flüchtlingen im Ausreisezentrum in einer Einrichtung führt unweigerlich zu Konflikten und ist unter humanitären Aspekten sehr problematisch. Der soziale Friede könnte gefährdet sein.

Die Flüchtlingsorganisationen weisen immer wieder zu Recht auf das Problem der Gemeinschaftsverpflegung hin. Hierbei geht es nicht um die Qualität der Küche; vielmehr geht es um die Bedeutung, die das Einkaufen und das Selbst-Zubereiten von bekannten Speisen aus dem Herkunftsland für die psychische Stabilität der Flüchtlinge haben.

Diese Einwände wurden mit dem Hinweis auf die kurze Verweildauer von maximal drei Monaten in der ZASt stets zurückgewiesen. Bei einer Verweildauer von bis zu 15 Monaten stellt sich das Problem in einer schärferen Form. Insbesondere für Familien ist eine komplette Fremdversorgung über einen so langen Zeitraum nicht akzeptabel.

Die Zahl der Asylbewerberinnen und Asylbewerber ist im ersten Halbjahr 2007 gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum um 21 % zurückgegangen. Gerade diesen Rückgang sollte man dazu nutzen, die begon

nene Dezentralisierung weiterzuentwickeln und künftig Flüchtlinge generell in Wohnungen unterzubringen. Dieser Schritt wäre humanitär geboten und dringend überfällig sowie ein richtiger Schritt zur Bekämpfung von Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus in unserem Land.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Insbesondere in der Harzregion hat sich in der letzten Zeit eine starke Infrastruktur von rechtsextremistischen Organisationen entwickelt. Es kommt in dieser Region häufiger zu Übergriffen mit fremdenfeindlichem Hintergrund. Eine Konzentration von Flüchtlingen im Umfeld von Halberstadt würde zu einer weiteren Verschärfung dieser Situation führen.

(Frau Weiß, CDU: Also! - Herr Kosmehl, FDP: Sie tun einer ganzen Region Unrecht! - Unruhe)

Die zentrale Unterbringung von Flüchtlingen in großer Zahl in der ZASt hat Anfang der 90er-Jahre zu enormen Akzeptanzproblemen in der Aufnahmegesellschaft geführt und der fremdenfeindlichen Propaganda rechtsextremistischer Gruppen Vorschub geleistet. Wir sehen die Gefahr, dass eine erneute Konzentration, wenn auch bei geringeren Flüchtlingszahlen, wieder zu ähnlichen Problemen führen könnte.

Bürgerinnen und Bürger außerhalb von größeren Städten haben schon jetzt so gut wie keine Möglichkeit, interkulturelle Erfahrungen zu machen. Eine weitere Konzentration von Flüchtlingen in Halberstadt würde zum einen diese strukturellen Defizite und zum anderen eventuell auch die subjektiv empfundenen Ängste und Bedrohungsgefühle der Menschen, die dann mit einer noch größeren Gruppe von Fremden konfrontiert werden würden, verstärken.

Flüchtlinge in Sachsen-Anhalt haben ohnehin ein überdurchschnittlich hohes Risiko, Opfer eines fremdenfeindlichen Übergriffs zu werden. Eine dezentrale Unterbringung in Wohnungen hätte den Vorteil, dass Flüchtlinge als Einzelpersonen, als Familien, als Nachbarn wahrgenommen werden und dass somit die Chance zur Begegnung, zum Kennenlernen, zur Akzeptanz und Integration besteht.

Sehr geehrte Damen und Herren! Insbesondere vor dem Hintergrund sinkender Flüchtlingszahlen sollte der Grundsatz einer dezentralen Unterbringung in Wohnungen qualitativ weiterentwickelt werden.

Die häufig vorgetragene Behauptung, eine Unterbringung in Wohnungen sei teurer als die in Gemeinschaftsunterkünften, ist unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Folgekosten und mit Blick auf den Bestand an leerstehenden Wohnungen unbedingt einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Hierbei müssen auch die Kosten, die bei größeren Gemeinschaftsunterkünften durch ungenutzte Kapazitäten und längerfristige Vertragsbindungen entstehen, berücksichtigt werden.

Vor dem Hintergrund dieser Argumente möchte ich noch einmal auf den Punkt 4 unseres Antrages verweisen. Die angebotene Hilfe, im Zuge der Kreisgebietsreform eine kurzfristige Unterbringung zu ermöglichen, war sicherlich legitim. Sie darf aber nicht dazu führen, dass sich der Landkreis Harz oder andere Landkreise ihrer Verpflichtung zur Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen auf diese Art und Weise entziehen.

Die Liga der Freien Wohlfahrtsverbände, der Flüchtlingsrat, der Runde Tisch gegen Ausländerfeindlichkeit sowie

das Bündnis für Integration und Zuwanderung, in dem auch die Parteien der in diesem Hause sitzenden Fraktionen Mitglied sind, unterstützen das Anliegen unseres Antrages.

Dank des Engagements der neuen Integrationsbeauftragten Frau Möbbeck haben Sie, Herr Minister Hövelmann, jetzt Verbände und Vereine, die in der Flüchtlingsbetreuung seit Jahren aktiv sind, zumindest um eine schriftliche Stellungnahme zu dem geplanten Vorhaben gebeten. Die Fraktion DIE LINKE hält jedoch eine Anhörung zu dieser Problematik im Ausschuss für Inneres für den besseren und den weiterführenden Weg.

Es bleibt unsererseits zu hoffen, dass die vorgetragenen ablehnenden Argumente dazu beitragen, das Vorhaben, die Asylsuchenden für den Zeitraum des Asylverfahrens in einer Gemeinschaftsunterkunft, der ZASt, unterzubringen, ad acta zu legen.

Sehr geehrte Damen und Herren, stimmen Sie unserem Antrag mit Blick auf das Bemühen um ein Klima der Toleranz und Weltoffenheit in Sachsen-Anhalt zu. Den Alternativantrag der CDU und der SPD lehnt DIE LINKE ab. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr für die Einbringung, Frau Knöfler. - An dieser Stelle hat für die Landesregierung der Minister des Innern Herr Hövelmann um das Wort gebeten.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Knöfler! Ich möchte deutlich machen, dass die Grundintention einer dezentralen Unterbringung auch für das Land Sachsen-Anhalt in Zukunft Bestand haben wird. Wir reden hierbei über die Dauer eines Asylverfahrens. Ich darf Sie herzlich bitten, auch zur Kenntnis zu nehmen, dass es während eines Asylverfahrens, während der Prüfung, ob ein Asylrechtsanspruch besteht, durch die Aufnahmegesellschaft eben gerade nicht zu besonderen Integrationsbemühungen kommen soll,

(Zustimmung von Herrn Kolze, CDU, und von Frau Weiß, CDU)

weil diese im Fall der Nichtgewährung des Asylrechts eine Heimkehr behindern würden.

(Herr Kolze, CDU: So ist es!)

Genau darum geht es. Verehrte Frau Knöfler, ich möchte - mit Verlaub - auch deutlich machen: Ich halte es für schwierig, mit der Argumentation einer Konzentration von Ausländerinnen und Ausländern zu begründen, dass rechtsextremistische Tendenzen größer werden.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

Ich möchte deutlich machen: Wir dürfen den Rechten nicht auch noch Argumente liefern und wir dürfen nicht eine ganze Region für Ereignisse der Vergangenheit in Mithaftung nehmen und sie pauschal in die rechte Eck schubsen. Das halte ich nicht für richtig.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP - Herr Grünert, DIE LINKE: Das hat nie- mand gemacht!)

- Das haben Sie so nicht getan. Aber ich möchte deutlich machen, dass ich diese Gefahr sehe, wenn wir so diskutieren. Andere könnten genau diese Argumente verdrehen und zu ihren Argumenten hinzufügen. Das wollen wir nicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits seit einigen Jahren ist bundesweit ein kontinuierlicher Rückgang des Zugangs von Asylbewerbern zu verzeichnen. Kamen im Jahr 2001 noch etwas mehr als 88 000 Asylbewerber nach Deutschland, so waren es im Jahr 2006 noch gut 21 000 Asylantragsteller. Dieser Trend spiegelt sich natürlich auch in unserem Land wider. So wurden in Sachsen-Anhalt im Jahr 2001 noch knapp 3 800 Asylbewerber aufgenommen, während im Jahr 2006 weniger als 1 000 Asylbewerber zu verzeichnen waren.

Diese Entwicklung führte zu einer wesentlichen Unterbelegung der im Landeseigentum befindlichen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber, der ZASt. Nach dem Asylverfahrensgesetz hat jedes Land eine solche Erstaufnahmeeinrichtung vorzuhalten.

Die ZASt verfügt über eine gute sächliche und vor allem personelle Infrastruktur und ist insoweit für die Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern bestens geeignet. Vor diesem Hintergrund ist geplant, ab Januar 2008 eine Gemeinschaftsunterkunft in den Räumlichkeiten der ZASt einzurichten, in der neu in Sachsen-Anhalt aufgenommene Ausländer, die einen Asylantrag stellen, für die Zeit des Asylverfahrens und - es ist genannt worden - höchstens für ein Jahr untergebracht werden sollen. Erst danach soll die Verteilung auf die Landkreise und kreisfreien Städte erfolgen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte jetzt um besondere Aufmerksamkeit, weil dies doch etwas anderes ist als die Behauptung, alle Asylbewerber müssten 15 Monate in Halberstadt bleiben. Nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, das für die Entscheidung über Asylanträge zuständig ist, entschied das Amt in den Jahren 2005 und 2006 über 90 % der Anträge im Laufe eines Jahres nach Antragstellung. Bei über 70 % fiel eine Entscheidung bereits innerhalb der ersten drei Monate. Da in den Fällen, in denen Rechtsmittel gegen die Entscheidung eingelegt wurden, eine längere Verfahrensdauer nicht auszuschließen ist, soll zur Vermeidung eines unabsehbaren Aufenthalts in der Gemeinschaftsunterkunft der ZASt die Festlegung auf eine maximale Unterbringungsdauer von einem Jahr erfolgen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit den Punkten 1 und 2 des vorliegenden Antrages lehnt die Fraktion DIE LINKE dieses Vorhaben ab. Lassen Sie mich dazu Folgendes sagen: