Protokoll der Sitzung vom 09.06.2006

Ich wünsche mir auch manchmal, dass PDS-Anträge bereits vor der Beschlussfassung von der Landesregierung so positiv aufgenommen werden; ich finde diese Verfahrensweise aber doch etwas merkwürdig.

(Zurufe von der CDU - Unruhe)

Ich möchte mich der Diskussion aber nicht verweigern, zumal ich gern noch ein paar andere Aspekte einbringen möchte.

Über das Thema Jugendkriminalität ist in diesem Haus bereits mehrfach diskutiert worden. Immer wieder schieden sich die Geister insbesondere an dem Punkt, wie man ihr begegnet und wie man sie vermeidet. Das ging vom bösen Blick des Richters bis zur Abschaffung des Jugendarrestes.

Nun schlägt die FDP-Fraktion heute vor, Modellprojekte für Schülergerichte in Sachsen-Anhalt zu initiieren. Wir haben es bereits gehört: Im Vordergrund dieser Idee steht vor allem der Gedanke, junge Menschen durch ihre Altersgenossen zu erziehen.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich bitte, Frau von Angern zuzuhören.

Danke, Herr Präsident. - Dieser Intention kann die Linkspartei durchaus folgen. Bevor wir aber Modellprojekte ins Rennen schicken, sollten wir erst einmal schauen, welche Hilfsangebote und Strukturen in Sachsen-Anhalt schon vorhanden sind; denn von Bayern lernen heißt nicht immer Siegen lernen. Nach meiner Auffassung sind wir schon ein ganzes Stück weiter und brauchen Gerichte in Schulen nicht.

Zum einen gibt es die Möglichkeit des informellen Verfahrens, das in Sachsen-Anhalt durch die Diversionsrichtlinie Unterstützung findet, auch wenn ich ihre Verschärfung in der letzten Legislaturperiode durch die CDU-FDP-Regierung nach wie vor kritisiere. Diese Möglichkeit des Absehens von einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit den Jugendlichen wird unter anderem von zahlreichen Projekten zum Täter-Opfer-Ausgleich unterstützt.

Es bestand in den letzten zehn Jahren zumindest im Rechtsausschuss immer Übereinstimmung darin, zumindest um den Erhalt der Haushaltsmittel in diesem Bereich zu kämpfen. In Anbetracht der Wichtigkeit dieses Themas - diese ist heute übergreifend festgestellt worden - sollten wir sogar über eine Aufstockung dieser Mittel reden.

Wenn man sich bundesweite Studien anschaut, dann stellt man fest, dass der Täter-Opfer-Ausgleich sehr erfolgversprechend ist. So liegt die Rückfallquote bei jugendlichen Straftätern, die einen Täter-Opfer-Ausgleich absolviert haben, bei ca. 30 %, unter anderem auch deshalb, weil eine schnelle Reaktion auf die Tat erfolgte. Bei Jugendlichen, die zu einer Jugendstrafe verurteilt wurden, liegt die Rückfallquote bei erschreckenden 70 bis 80 %.

Der Täter-Opfer-Ausgleich stellt nicht nur den Rechtsfrieden her, man spart dabei zudem auch Kosten für Strafprozesse, Zivilprozesse, Anwälte und in den Haftanstalten. Insgesamt ist diese Möglichkeit sehr erfolgreich. All das haben wir vor allem dem gut qualifizierten Fachpersonal zu verdanken.

An dieser Stelle lohnt sich auch einmal der Blick über den Tellerrand und über die Justiz hinaus. In SachsenAnhalt gibt es bereits Schülerinnen und Schüler, die zu Streitschlichtern ausgebildet worden sind. In diesem Zusammenhang ist bereits bekannt geworden, dass die persönlichen Kontakte zu einem jugendlichen Straftäter positiv zur Kriminalitätsbekämpfung beitragen können. Bereits seit dem Schuljahr 2001/2002 existiert ein vom Kultusministerium initiiertes Programm, in dem Multiplikatoren für Schulmediatoren für jedes Schulamt ausgebildet werden.

Seit dem Jahr 2002 werden auch die ersten Schüler zu Streitschlichtern ausgebildet. Erste Erfahrungen liegen inzwischen vor. Schülerstreitschlichtung ist eine mögliche Antwort, Aggression und Gewalt an Schulen zu verringern bzw. zu verhindern. Schülerstreitschlichtung befördert das Austragen von Konflikten in sachlicher Art und Weise, sodass im Ergebnis ein stärkerer Zusammenhalt zwischen den Schülern bzw. Schulgruppen möglich wird. Sie trägt über die Entwicklung der Konfliktfähigkeit wesentlich zur Stärkung der sozialen Kompe

tenz der Kinder und Jugendlichen bei. Sie dient dazu, junge Menschen zu mündigen Bürgern zu erziehen und schließlich auch der Verbesserung der Schulkultur und damit der Entwicklung der Schule zum wirklichen Lebensraum der Kinder und Jugendlichen sowie der Lehrkräfte.

Problematisch ist jedoch momentan noch die Beratung und Begleitung der Schlichter im Nachhinein. Der Wunsch danach ist in den Schulen vorhanden. Ich denke, wir sollten dieses Projekt, das langsam in den Schulen an Bedeutung gewinnt und aus meiner Sicht genau die Ziele, die Sie hier alle so schön genannt haben, verfolgt, qualifiziert begleiten und befördern, bevor wir ein neues - aus meiner Sicht auch teilweise fragwürdiges - Projekt initiieren.

Auch bei der Einführung von Schülergerichten bedürfte es qualifizierter Fachkräfte. Nicht ohne Grund arbeitet in Projekten des Täter-Opfer-Ausgleichs ausschließlich dafür qualifiziertes Personal. Gerade ihre Ausbildung und die folgenden beruflichen Erfahrungen sind eine wesentliche Voraussetzung dafür, die richtigen erzieherischen Maßnahmen für den jugendlichen Straftäter zu finden. Es bedarf eines sehr sensiblen Umgangs mit den strafauslösenden Faktoren, beispielsweise den familiären oder persönlichen Problemen. Ich sehe darin auch eine gewisse Last, die nicht den Mitschülern aufgebürdet werden sollte.

Ich gebe auch zu bedenken, dass solche Schulgerichtsverfahren durchaus auch den Gesprächsstoff auf den Schulfluren bereichern könnten.

(Herr Tullner, CDU: Darauf haben wir gewartet!)

Ich gehe aber davon aus, dass Sie genau das nicht wollen. Eine damit oftmals einhergehende Stigmatisierung hat wohl kaum eine erzieherische Wirkung, jedenfalls nicht im positiven Sinne.

Schließlich möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal das Thema der Schulsozialarbeit ansprechen. Ich nehme Sie an dieser Stelle beim Wort.

(Zurufe)

Frau von Angern, Ihre Redezeit ist schon überzogen.

Gut, dann sage ich nur noch etwas zu unserem Abstimmungsverhalten.

Da meine Fraktion das Grundanliegen des Antrages der FDP-Fraktion durchaus teilt, aber der Meinung ist, dass wir bereits gute Strukturen im Land haben, die nur ausreichend gestärkt werden müssen, werden wir uns bei der Abstimmung der Stimme enthalten. - Vielen Dank.

(Herr Tullner, CDU: Was ist das jetzt?)

Vielen Dank für Ihren Beitrag, Frau von Angern. - Ich rufe für die SPD-Fraktion die Abgeordnete Frau Reinecke auf. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der FDP-Fraktion ist löblich, ist

es doch legitim, dass einzelne Länder nach Formen und Methoden suchen, um dem Thema Jugendkriminalität Rechnung zu tragen. Ich behaupte - ich denke, darin sind wir uns auch einig -: Wenn es tatsächlich Experten für die Sicherheitslage an der Schule gibt, dann sind das nicht die Lehrer, Eltern oder Polizisten, sondern die Schüler selbst.

Mir scheint, dass sich der Antragsteller sehr intensiv mit diesem Projekt und auch mit der Konzeption beschäftigt hat. Dennoch möchte ich die Anmerkung unterstützen, dass man sich auf jeden Fall mit den vorhandenen Strukturen im Land beschäftigten sollte. Genannt worden sind der Täter-Opfer-Ausgleich, der gerade im Jugendbereich nicht hundertprozentig flächendeckend abgesichert ist, obwohl der Anspruch besteht, und auch das Projekt der Streitschlichtung in der Schule.

Für mich ergeben sich die Fragen, ob man Kenntnis darüber hat, in welchem Umfang und in welcher Art und Weise Schülermediation flächendeckend in unserem Land umgesetzt wird und ob die Rahmenbedingungen und Voraussetzungen hierfür ausreichend sind. Diese Fragen sind abzuklären.

Ich denke, das Land hat in der Tat sehr viel Geld aufgewendet, um diese Projekte aufzubauen und auch Angebote vorzuhalten. An dieser Stelle gilt es, den Bestand zu sichern. Dennoch finde es wichtig, dass man neuen Sachen gegenüber aufgeschlossen ist.

Der Antrag soll in die Ausschüsse überwiesen werden. Die SPD-Fraktion spricht sich ausdrücklich dafür aus. Dabei soll der Ausschuss für Recht und Verfassung federführend beraten, da es um viele strafrechtliche Relevanzen geht und auch Fragen zu klären sind, die von der Ministerin Frau Kolb angesprochen worden sind.

Darüber hinaus ist der Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Kultur vor dem pädagogischen Hintergrund dringend zu involvieren, da es soziales Lernen zu befördern gilt und es auch darum geht, einer neuen Konfliktkultur gerecht zu werden; denn bekanntlich finden Konflikte immer in einem Netzwerk sozialer Beziehungen statt und sie werden in diesem sozialen Netzwerk wahrgenommen und verursachen nicht selten einen Leidensdruck, an dessen Aufhebung die von dem Konflikt Betroffenen interessiert sind.

Eine Vorverlagerung der Sozialkontrolle auf die Schülerebene greift dieses Interesse auf; sie findet aber nicht flächendeckend statt. Ich denke, daran muss man etwas ändern, sei es in Form der Schulmediation oder auch des Modellprojektes, das hier angeführt wurde.

Ich bin schon der Meinung, dass es unbedingt darum gehen muss, die Ideen, die hier vorhanden sind, populärer zu machen. Wir haben heute in diesem Hohen Hause auch schon darüber gesprochen, dass bestimmte Dinge einfach mehr „im Munde“ sein müssen und es darüber hinaus auch durchaus legitim ist, Modellprojekte einzuführen.

Ich kann mir vorstellen, dass sich beide Ausschüsse mit dieser Thematik intensiv beschäftigen werden. Es wird dann zu prüfen sein, ob dieses Modellprojekt flächendeckend für unser Land infrage kommt und ob wir hierfür die Rahmenbedingungen schaffen und auch die erforderlichen Mittel bereitstellen können. Ich denke, dann sind wir auf einem guten Weg, um diesem Anspruch gerecht zu werden. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Frau Reinecke, das war Ihre erste Rede in diesem Hohen Hause. Herzlichen Glückwunsch! Wir freuen uns auf weitere guten Reden von Ihnen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Nun erteile ich Herrn Wolpert von der FDP-Fraktion das Wort. Bitte schön, Herr Wolpert.

(Herr Schwenke, CDU: Fassen Sie sich kurz!)

Ich fasse mich kurz, das ist kein Problem. - Zunächst vielen Dank an die Vertreterin der SPD. Liebe Frau Kollegin, so nette Zensuren habe ich selten bekommen. Ich habe eigentlich selten Zensuren für eine Rede bekommen. Vielen Dank für die Blumen.

Vielen Dank auch an die PDS für die Schützenhilfe. Ja, es ist ein Privileg der FDP, dass ihre Anträge schon vorweg von den Ministerien befürwortet werden und das der Presse kundgetan wird. Das ist ein neuer Stil, Frau Ministerin; auf den kann die FDP gern verzichten. Vielen Dank.

(Zustimmung bei der FDP)

Zur Sache selbst. An den Vertreter der CDU: Mir war nicht ganz klar, worauf Sie hinaus wollten. Sagen Sie nun, es ist gut, etwas Neues auszuprobieren, oder haben Sie Angst davor? Wenn nicht, dann müssen Sie sagen: Ja.

(Frau Weiß, CDU: Sie haben nicht richtig zuge- hört!)

Aber dann ist es schwierig zu sagen, wir haben zwar einen Rückgang der Rückfallquoten, aber das zählt nicht; denn das sind nicht die bösen Jungs. Natürlich kommen die bösen Jungs nicht vor das Schülergericht, die kommen vor das Jugendgericht. Wenn sie eine Jugendstrafe erhalten haben, haben sie hohe Rückfallquoten - da haben Sie Recht -, nämlich von über 70 %. Darauf zielt es auch nicht ab.

Dann noch einmal zu der Aussage der PDS. Streitschlichtung ist etwas anderes als ein Gerichtsverfahren bzw. ein Schülergericht. Die Streitschlichtung hat einen anderen Ansatz. Das war das, was ich versucht habe klarzumachen. Wir haben einen Strauß von Maßnahmen. Wir bekommen eine Blume dazu, die macht etwas anderes als die anderen. Das heißt, es ist nicht überflüssig, sondern es ist eine wirkungsvolle Ergänzung.

Es ist eben so: Ein Schülergericht kann zwar sagen, ein Täter-Opfer-Ausgleich ist sinnvoll; aber der Täter-OpferAusgleich funktioniert nicht überall, nämlich dann nicht, wenn das Opfer nicht mitmacht. Dann kann aber ein Schülergericht etwas anderes tun und der wichtige Effekt dabei ist, dass das nicht der Staatsanwalt tut, sondern dass es Gleichaltrige sind, die sagen: Du hast Folgendes zu tun.

Das ist auch keine Streitschlichtung. Das ist ganz einfach das Erteilen von Auflagen und das Bewerten von Handlungen. Die können dann auch gern auf dem Schulhof besprochen werden. Aussagen wie: Das ist ja peinlich, wenn du da hin musst und dir die anderen sagen, was du tun musst, haben durchaus einen erzieherischen Effekt; der kann durchaus gewollt sein. - Vielen Dank.