- Herr Gürth, Sie können gern eine Nachfrage stellen. - Mit der Ausgestaltung des Ortschaftsverfassungsrechtes bei Einheitsgemeinden und der Zulässigkeit dieses Rechtes in Verbandsgemeinden wollten wir gleichsam das kommunale Ehrenamt stärken.
Diese Prämissen und dieses Bemühen setzten wir sowohl in der vierten als auch in der jetzigen Wahlperiode fort.
Eingedenk der nunmehr vollzogenen Kreisneugliederung und der Entwicklung der Verwaltungsgemeinschaften beschloss der Landesverband unserer Partei im Sommer 2006 für die Gemeindegebietsreform die Zulässigkeit zweier gleichwertiger Modelle, nämlich das der Ein
heitsgemeinde und das der qualifizierten Verwaltungsgemeinschaft. Die Richtigkeit unserer Überlegungen wurde nicht zuletzt durch die beiden Gutachten unter Beweis gestellt, die eine Gleichwertigkeit beider Modelle attestierten.
Wer jedoch annahm, dass sich die Koalition von den fachlich begründeten Aussagen dieser Gutachten leiten lassen würde, lag und liegt falsch. Nicht Sachkenntnis und Zukunftsfähigkeit der gemeindlichen Strukturen standen im Mittelpunkt, nein, es ist und war einzig und allein parteipolitisches Kalkül.
Erst war es die flächendeckende Einführung von Einheitsgemeinden, dann zauberte die CDU das Modell der Verbandsgemeinde hervor, welches sie noch im Jahr 2002 als Griff in die Mottenkiste und Auslaufmodell klassifizierte. - Nicht wahr, Herr Stahlknecht und Herr Kolze?
Dann wollte man die zentralörtlichen Gliederungen stärken. Nunmehr werden diese geschwächt. Von einer nennenswerten tatsächlichen Funktionalreform ist nach wie vor keine Spur zu erkennen.
Mehrfach bemühten sich der Innenminister und Landeschef der SPD, die Fraktionsvorsitzende der SPD sowie andere Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker zu erklären, dass der Koalitionsfrieden gefährdet sei, wenn die CDU ihre Verweigerungshaltung nicht aufgebe. Es wurde mit dem Bruch der Koalition gedroht. Der Ministerpräsident erklärte diese Fragen wiederholt zur Chefsache. Der Koalitionsausschuss wurde mehrfach eingeschaltet und der Landtag wurde permanent mit den Ergebnissen des politischen Tauziehens innerhalb der Koalition konfrontiert.
Was hatten Sie, meine Damen und Herren von der CDU, noch im Jahr 2002 verkündet? - Dieser Prozess braucht Ruhe, Verlässlichkeit und Sachlichkeit. - Richtig! Nur, diese Aussagen galten offensichtlich nicht für Sie. Da verkündeten Ihre Kollegen vor Ort andere Wahrheiten als hier im Parlament, da waren Sprachlosigkeit und Parteidisziplin statt Sachkompetenz im Innenausschuss gang und gäbe.
(Herr Gürth, CDU: Ist das hier ein politikwissen- schaftliches Seminar? Sagen Sie etwas zur Sa- che!)
Die Kollegen von der SPD, die noch im Jahr 2002 vehement für Freiwilligkeit, Funktionalreform und Stärkung der Demokratie eingetreten waren, ließen diese Ziele dem Koalitionsfrieden anheim fallen. Was im Koalitionsvertrag steht, wird sein!
Was hatten Sie, sehr geehrte Frau Budde, in der „Volksstimme“ verkündet? - Eine Gemeindegebietsreform sei mit der LINKEN nicht hinzubekommen, weil sie nicht verlässlich sei. - Nein, das Gegenteil ist der Fall. Die Verlässlichkeit der Koalition besteht in ihrer Unzuverlässigkeit.
Werte Damen und Herren! Das Ansehen des Landtages als Gesetzgeber wurde durch die Flickschusterei, durch Beratungsunwilligkeit und Erkenntnisresistenz nachhaltig geschädigt. Der Anhörung zum Gesetzentwurf wurde kurzfristig die Grundlage entzogen. Entwürfe von Änderungsanträgen und Tischvorlagen waren Dauererschei
nungen des parlamentarischen Geschäfts. Von einer verlässlichen Entscheidungs- und Orientierungsgrundlage für den kommunalen Raum keine Spur.
Im Gegenteil: Für den Inhalt der Volksinitiative „Sachsen-Anhalt 2011“ nahm man sich gerade einmal 20 Minuten Zeit. Eine Auswertung und inhaltliche Debatte zu den Gutachten fanden eigentlich nicht statt. Die Tischvorlage vom 10. Januar 2008 wurde in einer fünfzehnminütigen Debatte durchgezogen. Wie sagte Herr Stahlknecht zutreffend? - Wir haben uns so entschieden und so wird es sein.
Sachsen - das werden Sie wissen, wenn Sie heute die Nachrichten verfolgt haben - hat sich 70 Stunden Zeit genommen, um die Kreisgebietsreform inhaltlich zu debattieren. 70 Stunden!
Rechnen Sie nur einmal die Zeit zusammen, die Sie für Auszeiten, Lesezeiten und anderes benötigt haben.
Meine Damen und Herren! Wer nun annahm, dass die vielfältigen Änderungsvorschläge der kommunalen Spitzenverbände, der Volksinitiative, der Kommunen vor Ort und der Opposition über die Weihnachtszeit Eingang in die Überlegungen der Koalition gefunden hätten, wurde herb enttäuscht. Weder die Aufnahme einer interkommunalen Funktionalreform, die vom Städte- und Gemeindebund und eigentlich auch von der CDU noch im Jahr 2002 vehement eingefordert wurde, fand sich in der Beschlussvorlage wieder noch die Möglichkeit, in dünn besiedelten Gebieten die Zahl der Mitgliedsgemeinden von Verbandsgemeinden auf zehn zu erhöhen. Sprach der Ministerpräsident im Dezember noch von einer Chefsache Funktionalreform, ist ihm durch die eigenen Kollegen die Handlungsgrundlage entzogen worden.
Die LINKE hat sich konstruktiv und mit eigenen Änderungsvorschlägen in die Debatte eingebracht. Dies betrifft die Gleichrangigkeit von Einheits- und Verbandsgemeinden sowohl in der freiwilligen als auch in der gesetzlichen Phase. Durch die Stärkung des Ortschaftsverfassungsrechts in Einheitsgemeinden wollen wir vorhandenen gemeindlichen Vorurteilen entgegenwirken, die bei einer Eingemeindung von einem Verlust von Mitwirkungsbedingungen der Ortschaften ausgehen.
Übrigens, Herr Stahlknecht, sind diese Vorschläge in Deutschland einmalig. Sie wurden in zahlreichen Beiträgen als zukunftsfähig bezeichnet. Wenn Sie konstatieren - ich zitiere - „im linken Lager also nichts Neues“, dann kann ich Ihnen bescheinigen, dass die CDU in ihren Vorstellungen weit hinter denen im Jahr 1990 zurückgeblieben ist und offensichtlich Änderungen in anderen Bundesländern nicht zur Kenntnis nehmen will; denn in Bayern ist die LINKE wahrhaftig noch nicht in der Regierungsverantwortung.
Nachdem in letzter Zeit zahlreiche Debatten um die Notwendigkeit der Stärkung des Ehrenamts im Landtag gelaufen sind, gehen wir von der Ernsthaftigkeit der Bekenntnisse aus und fordern aufgrund der Gleichrangigkeit beider Modelle, die Anzahl der Verbandsgemeinde
Werte Damen und Herren! Die dem Bürgermeister einer Verbandsgemeinde zugewiesenen Widerspruchsrechte nach § 62 Abs. 3 der Gemeindeordnung gegenüber den Bürgermeistern von Mitgliedsgemeinden halten wir nach wie vor für verfassungsrechtlich bedenklich. Die rechtliche Klarstellung beantragen wir mit unserem Änderungsantrag.
Unsere verfassungs- und kommunalrechtlichen Bedenken bezogen sich auf das Ein-Schritt-Verfahren - Artikel 2 § 1 Abs. 2 -, wurden weder inhaltlich im Ausschuss erörtert noch von der Koalition ausgeräumt.
Werte Damen und Herren! Die vorliegende Beschlussempfehlung weicht in vielen der vorgeschlagenen Regelungen erheblich vom Leitbild ab. Dies betrifft Ausnahmeregelungen für die Unterschreitung der Einwohnerzahl von 8 000 in Einheitsgemeinden, die Zulässigkeit Kreisgrenzen übergreifender Zusammenschlüsse sowie mögliche Eingemeindungen in Mittelzentren.
Bisher galt, dass Verwaltungsgemeinschaften nach dem Modell der Trägergemeinde sowie Verwaltungsgemeinschaften ohne Trägergemeinde jedoch mit prägendem Ort im Verhältnis 1 : 1 in Einheitsgemeinden umzuwandeln sind. Die nunmehr vorliegende Aufweichung dieser Grundsätze wird nachhaltige irreparable Änderungen gerade bezogen auf ehemalige Kreissitze nach sich ziehen - mit raumordnerisch verheerenden Folgen.
Meine Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE wirbt nachdrücklich für die Annahme ihres Änderungsantrages in der Drs. 5/1096 und lehnt die vorliegende Beschlussempfehlung ab. Wir beantragen für die Gesamtabstimmung eine namentliche Abstimmung. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Grünert, für Ihren Beitrag. - Für die CDU-Fraktion erteile ich jetzt dem Abgeordneten Herrn Stahlknecht das Wort. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Grünert, das eigentlich Neue, das Sie uns heute Morgen verkündet haben, war, dass Sie gern Regierungsverantwortung in Bayern übernehmen würden. Dafür hat es sich fast gelohnt zu kommen. Ich befürchte aber, wenn das bis nach Bayern durchdringt, werden die Bayern ihre Freistaatsregelung ausdehnen und in der Angst, dass Sie kommen würden, möglicherweise aus dem föderalen Verbund austreten und sich selbständig machen.
Herr Grünert, Sie haben darauf hingewiesen, dass sich Sachsen 70 Stunden lang mit der Kreisgebietsreform befasst habe. Wir haben eineinhalb Jahre über dieses Thema diskutiert. Eineinhalb Jahre, Herr Grünert!
In diesen eineinhalb Jahren haben wir, Herr Grünert, wenn Sie hier im Landtag gesprochen haben, wenn Sie im Ausschuss geredet haben, von Ihnen immer die gleichen Versatzstücke wie auch heute Morgen gehört. Dann kann man fast Goethes West-Östlichen Diwan zitieren: „Getretener Quark wird breit und nicht stark.“
Am Ende haben Sie für sich selbst keine konkreten Vorstellungen davon, was Sie eigentlich wollen. Damals, als Sie die SPD-geführte Minderheitsregierung gestützt haben, haben Sie sehr wohl für die Reform gestimmt. Sie haben dafür gestimmt, dass es Verbandsgemeinden - allerdings in anderer Art und Weise, als wir sie heute haben - gibt, dass es die Institution eines Verbandsgemeindedirektors gibt. Vor diesem Hintergrund können Sie sich doch nicht heute hier hinstellen und sagen: Wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist,
Ein solcher Gestaltungsprozess ist fließend. Insofern helfen die Zitate, die Sie aus der letzten Legislaturperiode gebracht haben, überhaupt nicht weiter.