Protokoll der Sitzung vom 24.01.2008

Der Änderungsantrag der regierungstragenden Fraktionen in der Drs. 5/1028 war Inhalt der Empfehlungen des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes. Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst hat dem von der Ausschussmehrheit politisch Gewollten einen in der Gesetzessprache besseren Ausdruck verliehen. Auf der Grundlage dieser Empfehlungen verabschiedete der Innenausschuss mit 7 : 4 : 1 Stimmen die Ihnen in der Drs. 5/1078 in Form einer Synopse vorliegende Beschlussempfehlung.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre Geduld. Im Namen des Ausschusses für Inneres bitte ich um Ihre Zustimmung zu dieser Beschlussempfehlung. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Rothe, für die Berichterstattung. - Für die Landesregierung erteile ich jetzt Herrn Minister Hövelmann das Wort. Bitte schön.

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der heutigen dritten Lesung soll das Begleitgesetz zur Gemeindegebietsreform beschlossen werden. Nach der Vorlage der Eckpunkte der Gemeindegebietsreform bereits im Dezember 2006 sowie des Leitbildes zur Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt im August 2007 wird nunmehr mit dem Begleitgesetz die rechtliche Grundlage zur Gemeindegebietsreform geschaffen.

Lassen Sie mich das Verfahren etwas pointierter zusammenfassen, als es der Berichterstatter Herr Rothe gerade eben getan hat. Die Auffassung des Soziologen Max Weber zum Wesen der Realpolitik kennen Sie alle. Dieses Gesetzgebungsverfahren bestätigt sie exemplarisch. Politik bedeutet in der Tat ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß.

(Zustimmung bei der SPD)

Wir haben im Kabinett gerungen und wir haben in den regierungstragenden Fraktionen gerungen. Wir haben dies mit Leidenschaft getan und wir haben ein Ergebnis mit Augenmaß erzielt,

(Herr Höhn, DIE LINKE: Na ja!)

das aus vollster Überzeugung den Gemeinden mit der Botschaft an die Hand gegeben werden kann: Der Landesgesetzgeber hat sich positioniert, der Rahmen für die Gemeindegebietsreform ist gesetzt; jetzt ist es an den Gemeinden, die Chancen der freiwilligen Phase zu nutzen.

Der heutige Gesetzentwurf ist das Ergebnis eines intensiven Diskussionsprozesses um Inhalte und Formulierungen, nicht zuletzt aufgrund des Engagements der kommunalen Spitzenverbände, der zahlreich geführten Gespräche mit kommunal-politisch Verantwortlichen vor Ort sowie auch der in der Öffentlichkeit insbesondere aufgeworfenen Frage von möglichen Identitätsverlusten der Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen.

Jedenfalls im Bereich der Innenpolitik ist mir kein Gesetzgebungsvorhaben bekannt, das über den gesamten bisherigen Zeitraum dieser Legislaturperiode so intensiv beraten und diskutiert worden ist wie dieses. Bei kaum einem Gesetzgebungsverfahren haben Landtag und Landesregierung so sorgfältig abgewogen und geprüft. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, allen Beteiligten zu danken, die dazu beigetragen haben, dass wir zu einem solchen, wie ich finde, guten Ergebnis gekommen sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Ziel der Reform ist es, in unserem Land starke Gemeinden zu schaffen, die die künftigen Anforderungen an eine leistungsfähige, effiziente und den Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger gerecht werdende Verwaltung bewältigen können. Mir geht es also wie der Landesregierung insgesamt um starke Gemeinden im Land und für unser Land. Denn nur starke Städte und Gemeinden bilden das Gerüst, bilden das Fundament für ein zukunftsfähiges Sachsen-Anhalt. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir dieses Ziel erreichen können und erreichen müssen, denn es geht um die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

Wir brauchen eine Reform, an deren Ende überall im Lande leistungsstarke Strukturen stehen, die in eigener Verantwortung die Aufgaben der kommunalen Selbstverwaltung für die Bürgerinnen und Bürger und mit den Bürgerinnen und Bürgern erfüllen können.

Die gegenwärtigen, insbesondere aber auch die in der Zukunft zu erwartenden Rahmenbedingungen, so die demografische Entwicklung, die Entwicklung der öffentlichen Finanzen wie auch die Wirtschafts- und Arbeitsmarktstruktur, zwingen uns, die gemeindlichen Strukturen nachhaltig anzupassen. Denn Ihnen allen sind die spürbaren finanziellen Einschnitte gerade auch für die gemeindliche Ebene, die auf dem seit Jahren festzustellenden und auch für die Zukunft prognostizierten Rückgang der Einwohnerzahlen und den Verschiebungen in der Alterspyramide der Bevölkerung beruhen, hinreichend bekannt.

An der finanziellen Entwicklung vermag auch die zurzeit erfreuliche, mit Steuermehreinnahmen verbundene Konjunktur im Ergebnis nicht wirklich etwas zu ändern. Schauen Sie nur auf den Rückgang der SonderbedarfsBundesergänzungszuweisungen, die bis zum Jahr 2020, ab dem Jahr 2008 gerechnet, von ca. 1,8 Milliarden € auf dann nur noch 165 Millionen € sinken werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bereits mit der Vorlage der Eckpunkte zur Gemeindegebietsreform, spätestens aber mit der Veröffentlichung des Leitbildes der Landesregierung hat eine landesweite Diskussion über die Erfordernisse und die Inhalte der Weiterentwicklung der Gemeindestrukturen im Land begonnen. Das hat mich erfreut, weil es zeigt, dass viele Menschen, denen oftmals eine Politikverdrossenheit nachgesagt wird, an der Zukunftsfähigkeit des Landes und seiner Gemeinden interessiert sind.

Mit der öffentlichen Diskussion wurden vielfach die Maßstäbe, nach welchen die gemeindlichen Verwaltungsstrukturen im Lande neu zu gliedern sind, kritisiert; denn bei kaum einem anderen Thema gehen die Emotionen so hoch wie bei den Fragen kommunaler Strukturen. Gestatten Sie mir hierzu anzumerken, dass die Erfahrungen mit Gemeindestrukturreformen in anderen Bundesländern gezeigt haben: Man schafft niemals einen 100-prozentigen Konsens. Es wird immer, egal wie wir uns entscheiden, kritische Stimmen geben; diese gibt es auch, wenn wir uns nicht entscheiden.

Gleichwohl nehme ich die Belange, die an mich herantragen wurden und werden, sehr ernst, so auch die kritischen Stimmen im Hinblick auf das bürgerschaftliche Engagement und die Teilhabe und Teilnahme an politischen Prozessen. Uns ist bewusst, dass die emotionale Bindung und die geschichtlichen Erfahrungen der Menschen direkt mit dem unmittelbaren Lebensumfeld in der Gemeinde verbunden sind.

Es geht nicht darum, Gemeinden zu beseitigen oder den Menschen ihre Identität zu nehmen. Die Reform wird zwar Gemeindegrenzen verändern, aber wir wollen dabei die Identität der Städte und Gemeinden bewahren. Egal ob die Gemeinde einmal zu einer Stadt gehören oder einer größeren Gemeinde angehören wird, die Nachbarn bleiben die gleichen, die Vereine bleiben die gleichen und die Häuser auch. Die Ortsteile werden ihre Namen weiter tragen. Die gewachsenen Beziehungen zwischen den Ortsteilen und den in ihnen lebenden Menschen bleiben erhalten.

Die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes erwarten zu Recht vor allem eine qualitativ hochwertige und schnelle Verwaltung und zugleich weiterhin den Ansprechpartner vor Ort. Gerade das, meine sehr verehrten Damen und Herren, wollen wir mit den Ortschaftsräten und Ortsbürgermeistern bzw. den Ortsvorstehern erreichen. Diesen soll es aufgrund der Ortschaftsverfassung möglich sein, sich weiterhin für ihre Ortschaften einzusetzen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der heute zu beschließende Entwurf des Begleitgesetzes ist ausgewogen. In ihn eingeflossen sind insbesondere auch die Anregungen der kommunalen Spitzenverbände. Im Weiteren wurde auch den anlässlich von Kreiskonferenzen und vor Ort geführten Diskussionen als auch den im Rahmen der vom Innenausschuss durchgeführten Anhörung zum Begleitgesetz geäußerten Bedenken und Anregungen so weit als möglich Rechnung getragen. Insoweit untersetzen die Regelungen des Begleitgesetzes die grundlegenden Aussagen und Zielvorstellungen des Leitbildes der Landesregierung für die Reform der gemeindlichen Ebene.

Zudem wurde das Verfahren bei der Bildung von Verbandsgemeinden vereinfacht und der zeitliche Rahmen im Zusammenhang mit der Bildung von Verbandsgemeinden erheblich dadurch verkürzt, dass die Bildung der Mitgliedsgemeinden und der Verbandsgemeinde in einem Verfahrensschritt durchgeführt werden kann.

Gleichermaßen wurden die Regelungen zur Bildung von Einheitsgemeinden oder Verbandsgemeinden derart ergänzt, dass der freiwillige Zusammenschluss einer Mehrheit von Mitgliedsgemeinden einer Verwaltungsgemeinschaft stärker honoriert wird. Es gilt in erster Linie, den gemeindlichen Willen der sich zusammenschließenden Gemeinden in den Vordergrund zu stellen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, der Entwurf des Begleitgesetzes zur Gemeindegebietsreform ist ein ebenso tragfähiges wie notwendiges Fundament dafür, die Verwaltungs- und Leistungskraft unserer Gemeinden und damit die kommunale Selbstverwaltung im Land Sachsen-Anhalt zu stärken. Der Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt für die Umsetzung eines für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes wichtigen Reformvorhabens.

Ich fordere alle Gemeinderäte in unserem Lande nachdrücklich dazu auf, das heute zu beschließende Gesetz

als Chance zu begreifen. Jetzt ist die Zeit, in kommunaler Selbstverwaltung die zukünftige gemeindliche Struktur zu regeln. Nutzen Sie diese Chance! - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Herr Minister, herzlichen Dank für den Beitrag der Landesregierung. - Wir kommen jetzt zu den Debattenbeiträgen der Fraktionen. Als erstem Debattenredner erteile ich der Fraktion DIE LINKE das Wort. Herr Grünert, bitte schön.

Herr Grünert, einen Moment bitte. Bevor Sie beginnen, möchte ich gern Gäste begrüßen. Das hätte ich fast vergessen. Wir begrüßen Damen und Herren des Beruflichen Bildungs- und Rehabilitationszentrums Aschersleben und Damen der Frauenunion des Salzlandkreises. Herzlich willkommen auf der Südtribüne!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Grünert, Sie haben jetzt das Wort.

Danke, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Mein Fraktionsvorsitzender hat gesagt, ich soll mich nicht aufregen. Ich glaube, ein Stück weit, Herr Innenminister, müsste man klarstellen, was Sie hier dargestellt haben. Ich versuche, in meiner Rede ein bisschen darauf einzugehen.

Beginnen möchte ich mit einem Zitat des damaligen Innenministers Herrn Jeziorsky:

„Die zwangsweise Auflösung von Kommunen wird es mit uns nicht geben! … Aber überall dort, wo Kommunen angesichts drohender staatlicher Zwangsmaßnahmen in einen Konzentrationsprozess genötigt worden sind, sollen sie die Chance einer Meinungsneubildung bekommen. Wenn wir so vorgehen, schaffen wir auch im kommunalen Bereich das, was immer angemahnt wird: Strukturen, die für zukünftige Aufgabenerledigungen geeignet sind, und zwar nicht durch Zwang, sondern weil man vor Ort ganz genau weiß - das ist in der Altmark anders als im Großraum Halle, im Harz oder im Fläming -, was als nötig erachtet wird. Das wissen die Bürger, die in diesen Bereichen wohnen, besser als eine Landesregierung, besser als ein Parlament. Dort sollen die Entscheidungen fallen und sie werden fallen.“

Zitat Ende. - Das war im Jahr 2002.

(Herr Gürth, CDU: Welches Jahr haben wir jetzt?)

Mit dem Abbruch des gemeindlichen Reformprozesses und der - in Anführungsstrichen - Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU, zwar Ihr Landtagswahlergebnis verbessern können, dies aber zulasten der Zukunftsfähigkeit der kommunalen Ebene. Wurde von Ihnen noch im Jahr 2002 verkündet, dass die kommunalen Strukturen handlungsfähig sind, wurden diese markigen Reden mit dem Gesetz über die Fortentwicklung der Verwaltungsgemeinschaften und die Stärkung der kommunalen Verwaltungstätigkeit sowie mit dem Kommunalneugliederungs-Grundsätzegesetz und dem Gesetz über die Neustrukturierung der Landkreise bis zum Jahr 2006 der Lüge überführt.

Ein weiterer Punkt war die Funktionalreform. Dazu führte der damalige Innenminister aus - ich zitiere -:

„Das, was die CDU eigentlich schon seit Mitte der 90er-Jahre auch immer gefordert hat, ist, dass die Aufgabenerledigung in das Zentrum der Reformbemühungen gehört.“

Herr Innenminister, ich habe gehofft, dass Sie in Ihrem Beitrag gerade auf die Funktionalreform eingehen, aber es ging nur um die Demografie und die Finanzentwicklung.

Auf Nachfrage von Herrn Gallert führte der Minister aus, dass die Funktionalreform auf der Grundlage des Beschlusses des Landtages vom 17. Februar 2002 in der Drs. 3/68/5222 B bis zum 31. Dezember 2002 mit einem Gesetz untersetzt werden wird. Die Einbringung sollte im Oktober 2002 erfolgen.

Auch hierzu wurden Versprechungen gemacht, die bis zum heutigen Tag, also in den vergangenen sechs Jahren, nicht eingelöst wurden. Derzeit besteht die Gefahr, dass dieser Prozess auch in dieser Legislaturperiode nicht zu einem Ergebnis, geschweige denn zu einem guten geführt wird.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! DIE LINKE hat sich seit Dezember 1999 mit dem ersten Leitbild zur Gemeindegebietsreform aktiv in die inhaltliche Ausformung dieses Prozesses eingebracht. Für uns war die Verbindung von Funktional- und Verwaltungsreform mit einer kommunalen Gebietsreform unzertrennbar.

(Herr Gürth, CDU: Ach ja!)

Dieser Prozess sollte auch zu einer Änderung der Verwaltungsstruktur des Landesaufbaus und einer Stärkung der Aufgabenzuständigkeit der kommunalen Ebene führen.

(Herr Gürth, CDU: Das haben Sie früher abge- lehnt!)

Im Mittelpunkt unserer Überlegungen stand das Ziel, dass alle Aufgaben, die unmittelbar das Lebensumfeld der Bürgerinnen und Bürger vor Ort berühren, den Kommunen zur Entscheidung übertragen werden. Eine zweite Prämisse bestand in der Freiwilligkeit gemeindlicher und kreislicher Zusammenschlüsse und in der Zulässigkeit von gleichberechtigten Verwaltungsmodellen im gemeindlichen Raum, um damit örtlichen Gegebenheiten besser entsprechen und diese widerspiegeln zu können.

(Herr Gürth, CDU: Das ist aber ganz was Neues!)

- Herr Gürth, Sie können gern eine Nachfrage stellen. - Mit der Ausgestaltung des Ortschaftsverfassungsrechtes bei Einheitsgemeinden und der Zulässigkeit dieses Rechtes in Verbandsgemeinden wollten wir gleichsam das kommunale Ehrenamt stärken.