Protokoll der Sitzung vom 17.04.2008

Es gibt keine Nachfrage, ich möchte eine persönliche Erklärung abgeben. Ich will das, was Jürgen Stadelmann zur Zertifizierung gesagt hat, in keiner Weise infrage stellen. Ich habe nur darauf hingewiesen, wie man es auch illegal nutzen kann. Um eine wichtige Aufgabe wie die Zertifizierung nicht in Misskredit zu bringen, sage ich das noch einmal deutlich.

Vielen Dank. Das war eine Klarstellung. - Als letztem Debattenredner erteile ich noch einmal Herrn Lüderitz, DIE LINKE, das Wort. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben nun gut zwei Stunden lang über die Problematik der Müll- bzw. Abfallentsorgung in Sachsen-Anhalt debattiert. Herr Minister Haseloff, ich habe mir Ihre Worte genau angehört. Ich zolle Ihnen auch Respekt und wünsche mir, dass diese Dinge im Verhältnis 1 : 1 umgesetzt werden. Ich ziehe eigentlich die Schlussfolgerung, dass Sie unserem Antrag zustimmen müssten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das, was Sie gesagt haben, ist genau das, was wir in unserem Antrag formuliert haben. Ich beziehe mich dabei auf die öffentliche Transparenz der Kontrolltätigkeiten, ich beziehe mich auf ein klares Konzept der Landesregierung im Umgang mit dieser Problematik, und ich beziehe mich auch darauf, dass es zumindest bis zur bundeseinheitlichen Regelung ein klares landespolitisches Handeln geben muss.

Genau das sind die Dinge, die ich in dem Alternativantrag der Koalitionsfraktionen vermisse. Das Wort „Konsequenz“ wurde aus dem Antrag entfernt, weil man wohl glaubt, dass keine Konsequenzen aus dem Nichthandeln der Landesbehörden gezogen werden müssten, und zwar nicht nur des Jahres 2008, sondern eigentlich auch des Jahres 2007 und des Jahres 2006.

Herr Minister Haseloff, Sie haben richtigerweise gesagt, dass es im Januar 2007 im Bereich des Bergamtes eine Verfügung gab. Diese hat aber nur auf neu beantragte Genehmigungen und nicht - was alle hier unisono gefordert haben - auf die bestehenden abgestellt. Es gibt im Antrag der Koalitionsfraktionen auch nur die Forderung

nach Untersuchung der Ablauforganisation. Nach wie vor fehlt die Forderung nach einem Konzept, wie es ja der Minister auch gesagt hat. Da bleibt nur die Schlussfolgerung, dass der Antrag unserer Fraktion weiter geht und eigentlich eine Mehrheit im Hause finden müsste.

Noch eine letzte Bemerkung. Es wird wesentlich von der Berichterstattung im Umweltausschuss am Mittwoch abhängen, inwieweit wir als Fraktion uns überlegen müssen, ob es einer tiefer greifenden Untersuchung bedarf, was die Dinge von 2004 bis 2008 betrifft. Ich hoffe, dass die Landesregierung unsere Erwartungen, was die Berichterstattung in diesem Ausschuss betrifft, auch erfüllen kann und wirklich, wie wir es gefordert haben, klare Konsequenzen und ein Konzept aufzeigt und vor allem die öffentliche Transparenz herstellt. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Lüderitz, für Ihren Beitrag. - Wir sind damit am Ende der Debatte.

Ich begrüße Seniorinnen einer Gruppe aus Halle-Neustadt auf der Tribüne. Herzlich willkommen! Die Männer müssen zu Hause wohl die Hausarbeit machen; deshalb sind Sie alleine gekommen.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst abstimmen über den Antrag in der Drs. 5/1188 mit dem Titel „Konsequenzen aus der Abfallentsorgungspraxis in Sachsen-Anhalt ziehen“. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Zustimmung bei der LINKEN und bei der FDP. Wer lehnt den Antrag ab? - Ablehnung bei der Koalition. Wer enthält sich der Stimme? - Keiner. Damit ist der Antrag abgelehnt worden.

Ich lasse jetzt abstimmen über den Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der SPD in Drs. 5/1216. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Zustimmung bei der Koalition. Wer lehnt ab? - Ablehnung bei der LINKEN und bei der FDP. Wer enthält sich der Stimme? - Niemand. Damit ist dem Alternativantrag zugestimmt worden. Wir können den Tagesordnungspunkt 2 verlassen.

Ich rufe erneut den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Aktuelle Debatte

Ich rufe das zweite Thema auf:

Konsequenzen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum Vergabegesetz Niedersachsens

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 5/1212

Einbringerin ist die Vorsitzende der SPD-Fraktion Frau Budde. Bitte schön, Sie haben das Wort. Anschließend erhalten das Wort DIE LINKE, die CDU und die FDP.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist wohl eher ungewöhnlich, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum Anlass für eine Aktuelle Debatte zu neh

men, zumal das Urteil originär ein anderes Bundesland betrifft und zumal es nur eine sehr verhaltene öffentliche Resonanz gab.

Wenn man heute allerdings die Zeitung aufschlägt und liest: „Uneinigkeit im Arbeitgeberlager - Wildost auf den Baustellen? Mindestlohn droht zu kippen“, dann kann man ein wenig von der Dimension erahnen, die dieses Urteil durchaus hat. Deswegen sage ich auch: Das Urteil hat eine hohe Relevanz für Sachsen-Anhalt; denn es definiert sozusagen höchstrichterlich die Grenzen, in denen wir den Arbeitsmarkt in unserem Land gestalten können. Das ist ein Thema, über das wir nach unserer Auffassung dringend reden müssen, auch wenn wir darüber mit Sicherheit noch unterschiedliche Auffassungen haben, auch in der Koalition.

Ganz kurz zu dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes. Die klagende Firma hatte sich auf der Grundlage der Bestimmungen im niedersächsischen Vergabegesetz verpflichtet, den Arbeitnehmern Entgelte nach dem örtlichen Tarifvertrag für das Baugewerbe zu zahlen. Später hat sich dann herausgestellt, dass ein polnischer Subunternehmer seinen 53 Arbeitnehmern nur ca. 46 % des vorgesehenen Mindestlohnes gezahlt hat. Daraufhin erging erstens Strafbefehl gegen den Subunternehmer, zweitens kündigte das Land Niedersachsen den Werkvertrag mit der Firma und drittens forderte es wegen Verletzung der Entgeltverpflichtung die fällige Vertragsstrafe in Höhe von 1 % der Auftragssumme. Dagegen wiederum klagte nun der zwischenzeitlich eingesetzte Insolvenzverwalter der ursprünglich auftragnehmenden Firma. Das Oberlandesgericht Celle überwies den Fall an den Europäischen Gerichtshof.

In seinem Urteil hat der Europäische Gerichtshof die Tariftreueklausel in dem niedersächsischen Landesvergabegesetz als Verstoß gegen die Entsenderichtlinie und die Dienstleistungsfreiheit gewertet. Das Gericht sieht die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in der Entsenderichtlinie als Mindeststandard an - so weit, so gut -, aber es sagt, über diese Grenze dürften die Mitgliedstaaten nicht hinausgehen.

Das ist eine sehr restriktive Auslegung der Entsenderichtlinie, die auf der Linie vorangegangener Urteile liegt, aber damit hat der Europäische Gerichtshof auch ganz klar gegen die Auffassung der Bundesregierung, der niedersächsischen Landesregierung und auch anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union geurteilt, die in den Bestimmungen der Entsenderichtlinie lediglich Mindeststandards festlegen und diese auch als Mindeststandards sehen, die eine Absicherung nach unten darstellen, nicht aber weitere Schutzbestimmungen verhindern sollen. Das ist der eigentliche Sinn.

Im Übrigen hat der Europäische Gerichtshof damit auch gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geurteilt, das im Jahr 2006 eine entsprechende Regelung im Berliner Vergabegesetz für verfassungsgemäß erklärt hat.

Klar, jetzt reiben sich natürlich all diejenigen die Hände, die Tariftreueerklärungen per se ablehnen,

(Herr Franke, FDP: Ja, das machen wir!)

- ja, ich weiß - wie der niedersächsische Wirtschaftsstaatssekretär Herr Werren, der übrigens FDP-Mitglied ist - selbstverständlich! - und der ganz auf der Parteilinie liegt und das Urteil sehr begrüßt hat, weil das niedersächsische Gesetz erhöhte Kosten verursache. - Ja, klar, mögen die Kosten höher sein, wenn Firmen, die öffent

liche Aufträge ausführen, ihre Leute vernünftig bezahlen, anstatt mit Hungerlöhnen oder mit Dumpinglöhnen zu arbeiten.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der LINKEN - Zuruf von Herrn Wolpert, FDP)

Ich sage aber auch ganz deutlich: Das ist in Ordnung; denn es kann doch nicht sein, dass der Staat Lohndumping und Hungerlöhne fördert. Das kann es nicht sein!

(Zustimmung bei der SPD und bei der LINKEN)

Wir müssen auch damit aufhören, so zu tun, als wäre das nachher insgesamt noch billiger für die öffentliche Hand; denn das ist es insgesamt, volkswirtschaftlich gesehen, nicht. Entweder muss der Staat Dumpinglöhne mit Sozialleistungen aufstocken, damit die Leute davon überhaupt leben können, oder er muss gleich die ganzen Sozialleistungen bezahlen, weil die deutschen Löhne immer noch zu hoch sind und der Auftrag an das europäische Ausland geht. Regelungen sind zwingend nötig, und zwar rechtsbeständige, auch vor dem Europäischen Gerichtshof.

Wie auch immer, aber der Staat spart dadurch jedenfalls nichts. Es wird nur aus einem anderen Topf bezahlt. Der Preis dafür ist, dass wir unseren eigenen Arbeitsmarkt kaputt machen. Das muss aus unserer Sicht aufhören.

(Zustimmung bei der SPD und von Herrn Mewes, DIE LINKE)

Ich sage deshalb für die Sozialdemokraten, dass wir es als dringend nötig ansehen, dass Deutschland mit einem bundesdeutschen Vergabegesetz so etwas verhindert. Das ist das Ziel. Ich weiß, dass ich darin mit meinem Koalitionspartner noch nicht einig bin. Wir brauchen dafür eine vernünftige politische Lösung; denn das ist unser Job, die politische Lösung zu finden, und nicht der Job von Richtern.

Im Übrigen bin ich froh, dass Niedersachsen zumindest in dieser Beziehung einen vernünftigen Partner in der Regierungskoalition hat. Finanzminister Möllring von der CDU hat das Urteil nämlich zu Recht sehr bedauert.

(Herr Felke, SPD: Hört, hört!)

Er sieht damit ein sinnvolles Gesetz gefährdet und bedauert, dass Niedersachsen in seinen Vergaben keine Tariftreueerklärung in dieser Form mehr fordern könne. Der Mann hat Recht. Der Mann weiß, was gut für seine Firmen und gut für seinen Mittelstand in Niedersachsen ist, damit diese die Aufträge bekommen und ihren Angestellten vernünftige Löhne zahlen können.

(Zuruf von Herrn Franke, FDP)

Meine Damen und Herren! Ein Abgesang auf Tariftreueerklärungen in Vergabegesetzen ist völlig verfehlt. Wer meinte, er könne diesen Abgesang singen, der hat zu früh gesungen.

(Herr Wolpert, FDP: Pfeifen im Walde!)

Natürlich ist das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für die weitere Gestaltung von Vergabegesetzen von einschneidender Bedeutung, es setzt unserem politischen Handeln und der Aufnahme von Tariftreueerklärungen aber lediglich engere Grenzen und verhindert sie nicht.

Der Europäische Gerichtshof verwehrt es den Mitgliedstaaten nämlich ausdrücklich nicht, Mindestlöhne vorzusehen oder Lohnsätze aus Tarifverträgen für allgemein

verbindlich zu erklären. Vielleicht ging er ja auch davon aus, dass es in Deutschland vernünftige Mindestlöhne gibt, da das ja in so vielen europäischen Ländern der Standard ist.

Die Mitgliedstaaten dürfen also auch nach dem Urteil ausdrücklich Mindestlöhne auf entsandte Arbeitnehmer anwenden und die Mitgliedstaaten können in Vergabegesetzen ausdrücklich auch weiterhin Löhne aus Tarifverträgen fordern, sofern diese für allgemeinverbindlich erklärt wurden. Das ist richtig. Also können aus unserer Sicht zwei Schlussfolgerungen gezogen werden: Tariftreue in Verbindung mit Allgemeinverbindlichkeit und zwingend die Einführung von Mindestlohn.

(Zustimmung von Frau Fischer, SPD)

Mit der Ausweitung der Arbeitnehmerfreizügigkeit auf die ost- und mitteleuropäischen Beitrittsländer im Jahr 2011 wird sich das Problem für unsere Unternehmen verstärken. Wenn wir es bis dahin nicht geschafft haben, einen Konsens in Deutschland zu finden, damit Firmen, die ordentliche Tariflöhne zahlen, noch Aufträge wahrnehmen können, dann haben unsere Firmen hier ein Problem; denn wir werden uns nie auf das, wie man es vorhin gehört hat, 46%-Niveau polnischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer begeben können, und das wollen wir auch gar nicht.