Protokoll der Sitzung vom 29.05.2008

Frau Feußner, ich möchte eine Nachfrage zu der Auffassung stellen, dass es keinerlei Untersuchungen bzw. valide Ergebnisse von Untersuchungen der integrativen Beschulung gibt. Nach meiner Kenntnis sind spätestens

seit 1974 in den alten Bundesländern in einer größeren Anzahl Schulversuche, Modellversuche gefahren worden, die alle evaluiert worden sind. Ich kenne kein Ergebnis einer Evaluierung, bei dem die positiven Seiten und die positiven Ergebnisse in irgendeiner Weise infrage gestellt worden sind. Kennen Sie diese Untersuchungen und wie bewerten Sie diese wissenschaftlichen Ergebnisse? Wie würden Sie das bewerten?

Zweite Frage. Kennen Sie den Bericht von Herrn Munoz zur Situation der schulischen Eingliederung behinderter Menschen in Deutschland? Wie bewerten Sie die darin enthaltenen Äußerungen bzw. die Bewertungen von Herrn Munoz?

Ich kenne die letzte Studie von Herrn Munoz nicht im Detail. Gleichwohl kann ich Ihnen eines sagen: Natürlich - das haben ja alle betont - sind wir bei Weitem noch nicht am Ziel. Ich kann Ihnen aber sagen, wenn Sie mich so befragen, lassen Sie sich einmal einen geschichtlichen Abriss der Behandlung mit behinderten Menschen geben. Das möchte ich Ihnen an dieser Stelle wirklich gern ersparen. Ich glaube, in der Zeit von 1990 bis heute - wir sind bei Weitem nicht am Ziel, das sind wir nicht - haben wir im Vergleich zu DDR-Zeiten eine große Akzeptanz gegenüber den behinderten Menschen erreicht.

(Zustimmung bei der CDU und von der Regie- rungsbank)

Das muss man einfach anerkennen. Unsere Förderschulen - ich will sie jetzt gar nicht alle aufzählen - gehören zu den bestausgestatteten Schulen. Das waren die ersten Schulen, die nach der Wende saniert worden sind, weil man gesagt hat, so kann man nicht weiterhin mit Behinderten umgehen.

Dann hat man allmählich mit der Integration begonnen. Ein Integrationsprozess - es heißt bewusst „Prozess“ - geht eben nicht von heute auf morgen. Es ist auch unser großes Ziel. Das will ich doch auch gar nicht aus dem Auge verlieren. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass es unterschiedliche Möglichkeiten einer Förderung und auch unterschiedliche Auffassungen von Integration gibt.

Die Integration an sich - darin sind wir uns wieder einig - wollen wir ja alle. Wie man den Weg beschreitet, darüber gibt es unterschiedliche politische Auffassungen. Damit muss man umgehen. Darüber können wir im Ausschuss oder im Parlament streiten. Ich denke, dass es auch gut so ist. Durch einen qualifizierten Streit kommt man manchmal viel weiter, als wenn man keinen hat. Das ist einfach so.

Zu der ersten Frage, die Sie mir gestellt haben: Es gibt Untersuchungen, das ist richtig. Lesen Sie sich die Untersuchungen einmal genau durch. Diese sind zum Teil evaluiert worden. An dieser Stelle haben Sie Recht. Diese Untersuchungen zeigen, dass die integrativen Systeme im Hinblick auf die Förderung nicht zwangsläufig besser sind.

(Frau Bull, DIE LINKE: Das ist eine Binsenweis- heit! Das ist logisch!)

Dieses Ergebnis liegt nicht vor. Das liegt wissenschaftlich einfach nicht vor. Das ist das Problem. Wenn wir gemeinsam anerkennen, dass es diese wissenschaftlichen Erkenntnisse eben nicht gibt, dass es eben auch

unterschiedliche Varianten von Förderung gibt, dann kommen wir wirklich einen großen Schritt weiter

(Zustimmung bei der CDU und von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

Danke, Frau Feußner. - Jetzt kann Frau Bull erwidern. Zuvor begrüßen wir Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule am Rathaus in Dessau. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Wenn das System, so wie es ist, in Ordnung wäre und so frei von Problemen, dann weiß ich nicht, warum es diese hitzige Debatte gibt und warum es dann das gemeinsame Ziel gibt, mehr gemeinsamen Unterricht in der Regelschule hinzubekommen.

Ich will etwas zum Bildungskonvent sagen. Wir haben dem damals, obwohl es auch in unserer Reihen Skepsis gab, zugestimmt, weil wir gesagt haben, es ist eine Chance, bildungspolitische Ziele und Konzepte mit verschiedensten Partnerinnen und Partnern zu diskutieren. Das heißt für uns aber nicht - das will ich klar sagen -, dass das Parlament in dieser Zeit quasi eine bildungspolitikfreie Zone bleiben kann.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ein erklärtes Ziel des Bildungskonvents war es in der Tat, eine gesellschaftliche Debatte hinzubekommen. Die Arbeitsgruppen - ich war dagegen - haben für sich beschlossen, nichtöffentlich zu tagen. Aber man bekommt eine gesellschaftliche Debatte nur hin, wenn man gesellschaftlich debattiert. Ich finde, dort muss das Parlament mit hinein. Das ist der Ort, an dem darüber auch diskutiert wird.

Es ist ja auch nicht so, dass das Kultusministerium seine Arbeit mit Beginn des Bildungskonvents eingestellt hat. Dort ist erklärtermaßen als Reaktion auf unsere im Februar veröffentlichten Vorschläge gesagt worden: Ja, wir denken darüber nach. Wir erarbeiten auch ein Konzept.

Das ist auch ein Grund dafür gewesen, dass ich gesagt habe: Okay, das ist ein schwieriges Problem. Es ist auch ein sehr kontroverses Thema. Das müssen wir in den Ausschüssen bereden. Das habe ich genau aus diesem Grund gesagt. Gleichwohl muss darüber auch im Parlament diskutiert werden.

Zweitens. Eigentlich widerstrebt es mir, einen Kampf um Urheberschaften anzufangen; aber wenn wir an dieser Stelle so angegriffen werden, muss ich es richtig stellen: Wir haben am 6. Februar das öffentliche Fazit - sieben Journalisten waren anwesend - aus einer Förderzentrentour durch elf Förderzentren gezogen; zu diesem Zeitpunkt lag Ihr Papier noch gar nicht vor. Unserer Erklärung war ganz klar zu entnehmen, in welche Richtung wir gehen wollen.

Ich sage ja, mir widerstrebt es und ich finde das eigentlich auch nicht wichtig. Aber wenn an dieser Stelle so ein Angriff gestartet wird, dann bin ich natürlich gezwungen, das ein Stück weit zurückzuweisen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Ich will etwas zum Problem der Stigmatisierung und Ausgrenzung sagen. Dazu will ich Ihnen ein mittelbares und ein unmittelbares persönliches Erlebnis schildern. Ein Magdeburger Abgeordneter ist vor, ich glaube, zwei Jahren von einer Klasse Förderschülerinnen und Förderschülern mit der Bitte aufgesucht worden, sich in der Magdeburger Stadtverwaltung dafür einzusetzen, dass das Schild „Förderschule für Lernbehinderte“ von ihrem Tor entfernt wird.

Nun frage ich Sie: Haben Sie schon einmal gehört, dass jemand aus dem Gymnasium dahergekommen ist und gesagt hat: Können Sie mal das Schild „Gymnasium“ abmachen?, oder: Können Sie das Schild „Sekundarschule“ abmachen? - Das ist doch ein deutliches Indiz für die Perspektive von Schülerinnen und Schülern, die sich stigmatisiert fühlen.

(Zustimmung bei der LINKEN - Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Aber wodurch?)

Nun habe ich immer zwei Möglichkeiten, entweder ich nehme das Problem und bearbeite es oder ich zeige mit dem Finger auf den, der das Problem anspricht. - Meine Damen und Herren, damit kommen Sie aus der Nummer nicht heraus!

(Beifall bei der LINKEN - Herr Tullner, CDU: Wer stigmatisiert denn?)

Ich bin Ihnen ein zweites Beispiel schuldig. Wir waren in der Betriebsberufsschule in Magdeburg. Das ist ungefähr drei Wochen her. Wir haben auch mit Schülerinnen und Schülern im BVJ und im BGJ, was in gewisser Weise die Fortsetzung dessen ist, geredet. Wir sind mit ihnen ins Gespräch gekommen. Das war ein schwieriges Gespräch.

Ich habe zuerst mit den Schülerinnen und Schülern des BVJ gesprochen. Das war recht zäh; die hielten von Politik nicht allzu viel. Ich drehe mich herum, komme mit den Schülerinnen und Schülern des BGJ, also denjenigen, die noch einen Schulabschluss haben, ins Gespräch, da sagte der eine Schüler hinter mir: Na ja klar, die sind auch nicht die Doofen. - Das hat mich sehr getroffen. Das ist auch nur ein Beispiel, von denen ich abendfüllende nennen könnte.

Die Frage der Stigmatisierung und Ausgrenzung ist doch ein Thema, das von den Betroffenen selbst gekommen ist. Wenn Sie sich die Presseerklärungen, die Verlautbarungen von vielen Behindertenverbänden ansehen, dann ist es doch eine ganz klare Sache: Es ist ihre Perspektive und die muss man ernst nehmen.

Ich sage noch einmal: Es nützt nichts, auf denjenigen zu zeigen, der sagt, der Kaiser hat keine Kleider an, sondern das Problem muss beredet werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun noch zu dem Anliegen selbst. Ich habe alle Schwierigkeiten genannt. Vorhin ist in meiner Fraktion süffisant bemerkt worden, dass ich recht staatstragend gewesen sei. Natürlich ist man aus der Opposition heraus - auch wenn man mit den Kolleginnen und Kollegen aus elf Förderzentren hoch und runter diskutiert hat - nicht in der Lage, alle Schwierigkeiten auszuräumen, keine Frage. Auch ich bin mir an vielen Stellen unsicher, weil es um einen schwierigen Paradigmenwechsel geht und weil gut gemeinte Maßnahmen auch nach hinten losgehen können. Deswegen ist der Antrag ein Vorschlag. Ich

werbe noch einmal dafür, in den Ausschüssen gemeinsam darüber zu diskutieren.

Eine letzte Bemerkung. In den Gesprächen habe ich oft die Frage gehört: Was ist das Beste für das Kind? - Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Was das Beste für das Kind ist, liegt nicht wie ein Zettel im Körper des Kindes; vielmehr kommt es auf das soziale Umfeld an. Ich kann eine Regelschule so gestalten, dass es für das Kind das Beste ist, an die Förderschule zurückzugehen. Ich könnte Ihnen hier abendfüllend Dinge erzählen, die auch zur Realität an unseren Regelschulen gehören. Ich kann eine Regelschule aber auch so gestalten, dass es für das Kind das Beste ist, mit seinen Altersgefährtinnen und Altersgefährten gemeinsam zu lernen, Anregungen zu bekommen, Bildungsgänge an einer Schule für alle Kinder durchlässig zu gestalten - im gemeinsamen Unterricht.

Im Übrigen kann ich Ihnen nur die Studie von Professor Wocken aus Hamburg empfehlen, der sich dem Thema wissenschaftlich genähert hat.

Wir müssen das Thema im Parlament bereden. Aber lassen Sie uns nicht eine Verständigung mit gern gepflegten Missverständnissen immer wieder blockieren!

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Frau Bull. - Damit ist die Debatte beendet.

Ich begrüße eine weitere Besuchergruppe, nämlich Seniorenstudentinnen und -studenten der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Seien Sie recht herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Wir treten jetzt in das Abstimmungsverfahren zur Drs. 5/1240 ein. Zunächst wurde eine Ausschussüberweisung beantragt. Es ist auch Direktabstimmung beantragt worden. Wer einer Ausschussüberweisung zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind alle Fraktionen.

In der Diskussion waren der Bildungsausschuss und der Ausschuss für Gesundheit und Soziales, wobei ich davon ausgehe, dass der Bildungsausschuss federführend beraten soll. - Ich sehe nur Nicken.

Ich lasse daher darüber abstimmen, ob der Antrag zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung und zur Mitberatung an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales überwiesen werden soll. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind alle Fraktionen. Dann gehen wir mit diesem Antrag so um und verlassen den Tagesordnungspunkt 13.

Meine Damen und Herren! Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung

Strategie des Landes zur biologischen Vielfalt

Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD - Drs. 5/1245

Ich bitte nun Frau Hampel von der SPD-Fraktion, den Antrag einzubringen. Bitte schön.